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23.
Die Liebe schreibt, und die Liebe überbringt den Brief.


Unverzüglich nach dem eben geschilderten Auftritte schrieb Constance an Bernhard. »Wenn Sie diese Zeilen erhalten, und wenn Sie Die, die Ihnen ihre Liebe gesteht – ich halte mit meinem Geständniß keinen Augenblick mehr zurück – retten wollen, so eilen Sie und zögern keine Minute. Vergessen Sie, daß Derjenige, aus dessen Händen Sie mich retten sollen, Ihr Vater ist. Vergessen Sie es, wenn Ihnen dies irgend möglich ist. Ich werde es Ihnen ewig danken. Ich erwarte und befürchte das Schlimmste von dem schwer gereizten Manne, der als mein erklärter Feind eben von mir gegangen. Er ist entsetzlich, dieser Mann, der gegen den Staat seine Eide bricht, der im Himmel und auf Erden nur eine Macht kennt, vor der er sich beugt, das ist sein eigenes [253] Selbst, das er zu Macht und Ansehen erheben will, ginge auch dabei eine Welt zu Grunde. Ihm soll ich zur Beute fallen, der mich verwerthen würde wie eine Waare, der mich und mein gläubig Herz hinschleudern würde wie ein Spielzeug, dem der armselige Flitter, der es einst geziert, abgestreift. O, ich bin in Qual und Unruhe, ich weiß mich in der Gewalt der irdischen Mächte – bis Du mich rettest, Bernhard! Auf Deinen Muth setze ich mein Heil. So wie Du diese Zeilen erhalten, so komm und verteidige mich wie Deine Frau. Hast Du diesen Muth nicht, so laß es mich wissen, und eine Stunde darauf sollen auch meine Koffer gepackt sein, und ich entfliehe – auf immer!«

Diese Zeilen gab die Gräfin – dem Schützen Tony Wickye, der ihr gerade sehr gelegen zu Gesicht kam. Er war es, dem sie allein einen Auftrag dieser Art geben konnte, von ihm wußte und erwartete sie, daß er mit der Angst und Hast eines »beteiligten« Herzens ihr den wichtigen Dienst leisten würde. Hätte sie – in diesem Augenblicke – Tony Wickye nicht gehabt, sie wäre verloren gewesen.

Nach einer halben Stunde peinlichen Wartens erschien der Schütze wieder, athemlos, aber mit einer freudigen Miene.

[254] Mit ganzem Leibe vorgebeugt, die Straße hinabsehend, sich um Niemand kümmernd, der vorbeiging, keinen Bekannten bemerkend und grüßend, lag sie aus dem Fenster hinaus. Der Wind wehte ihre langen Locken über die Stirne hin, sie gab sich nicht die Zeit sie wegzustreichen – die kleine Hand mit der Lorgnette fortwährend vor dem Auge, in eine Wolke von Gaze gehüllt, die der Wind in ihrem Shawl wühlend emporthürmte, blickte sie – wie das Bild der Erwartung – hin auf die weit entfernte Straßenecke, von wo aus der »grüne« Bote auftauchen mußte. Von Minute zu Minute wuchs ihre Ungeduld. Sie wußte, daß Bernhards Abreise auf diesen Morgen festgesetzt war. Und wenn er schon fort war – wie trostlos in ihrer furchtbaren Einsamkeit erschien sie sich dann! – Wenn er fort war? – Aber er war noch nicht fort – diese Nachricht mußte ihr ihr geflügelter, wie der Sturmwind dahineilender Bote bringen! Und immer noch wollte die schlanke Gestalt nicht unter dem Gewühl der Menge, die unausgesetzt um jene Ecke bog, hervortreten. – Jetzt! – jetzt! – ja – sie holte tief Athem – er ist es! Da kommt ein Offizier, ein Schützenoffizier, der ihn aufhält, der ihm einige Worte sagt! Wie unerträglich! Dieser lästige [255] Offizier ist ihr Vetter. Und Tony Wickye muß ihm Stand halten, denn die Gesetze der Disciplin gehen über Alles, selbst über Unglück und Tod eines liebenden Herzens.

O sie hätte den Vetter morden können! Er bringt auch ein Billet hervor– »Nimmermehr! Das kann nicht besorgt werden! Jetzt nicht! Das fehlte noch. Er hat auch Billette, und man weiß schon, was für welche. Wieder Ansprachen, auf die so sicher Körbe kommen, wie auf den Herbst der Winter.«

Verwünscht! Müssen sich nun diese beiden Herzensangelegenheiten so kreuzen! Müssen sie sich beide einen und denselben Boten wählen!

Constance zerriß die Floreinfassung an ihrer Mantille.

Wie kann man auch einen solchen Vetter haben! Es ist wahrlich unbegreiflich.

Endlich macht sich Tony Wickye los – o, Tony Wickye ist ein vernünftiger Junge! Er hat irgend einen Vorwand gefunden, das Billet jetzt nicht zu besorgen, und zwar – so discret ist er – hat er dabei mit keiner Silbe des Auftrags der Gräfin erwähnt.

Und jetzt – steht er dicht vor der Gräfin.

»Madame,« sagte er auf Französisch, denn er [256] hatte sich die Erlaubnis erbeten, mit der Gräfin seine Muttersprache sprechen zu dürfen – »ich fand den Herrn Assessor eben, wie er im Begriff war, den Fuß auf den Tritt des Waggons zu setzen, um abzufahren.«

»Ah« –

»Man hatte schon zum dritten Male signalisirt. Die Locomotive goß einen Strom von Dampf über die ganze Reihe der Wagen.«

»Und« –

»Nun, der Herr Assessor blieb zurück. Er blieb natürlich zurück. Er hätte ja ein Automat sein müssen, eine Figur von Leder und Holz, wenn er nicht zurückgeblieben wäre. Ich glaube, ein Heiliger würde vor der Pforte des Paradieses – Madame, ich habe einen großen Begriff von dem Paradiese und wünschte nicht, daß Sie glaubten, ich dächte leichtfertig über das Paradies – aber dennoch, ich muß annehmen, daß ein Heiliger bei diesen Umständen vor der Pforte wieder umgekehrt sein würde.«

Das Alles wurde zwischen Unwillen, Zorn und doch dabei mit halbem Lachen gesprochen. Tony Wickye fühlte, daß er zum Liebesboten gebraucht worden war, und das verdarb seine Laune bis in die kleinste Faser seines Herzens hinab.

[257] »Darf ich Ihnen, liebster junger Freund, diesen Ring zum Andenken geben?« sagte die Gräfin mit der freundlichsten, bezauberndsten Miene, so daß sie vom Scheitel bis zur Fußspitze wie eine schöne Fee aussah, und gleichsam in Freude und Schönheit »strahlte.« – »Darf ich Ihnen diese Kleinigkeit anbieten. O nicht als Dank! Mein Dank bleibt Ihnen immer noch; aber nur, um sich diese Stunde zu vergegenwärtigen.«

Tony Wickye hätte Millionen Goldes darum gegeben, eben diese Stunde ganz und gar vergessen zu können, und nun sollte er einen Ring, einen kostbaren Ring zu keinem andern Zwecke erhalten, als um sich an diese Stunde zu erinnern. Es lag darin eine heillose Confusion der Ansichten und Begriffe von Erinnern und Vergessen. Aber wer konnte in diesem Augenblicke näher untersuchen? Es ließen sich Schritte im Vorzimmer hören. –

»Nehmen Sie – nehmen Sie!« rief die Gräfin, glühend roth im Gesicht, und kaum mehr sich auf den Füßen halten könnend.

Tony Wickye war vollkommen wüthend. So roth die Gräfin, so blaß war er. Zum Unglück konnten aber Beide kein Wort hervorbringen. Es war ein Moment zum Verzweifeln. Bei der [258] Gelegenheit fiel der Ring zu Boden und rollte in irgend eine Falte des Teppichs. Es dachte Niemand daran ihn aufzuheben, am wenigsten Wickye, der ganz stumm zusah, wie in die aufgerissene Thür der Assessor sprang, und – nein, weiter sah der arme Junge nichts – aber ganz dunkel war es ihm später erinnerlich, als wenn der Assessor nicht umsonst die Arme ausgespannt gehalten, daß er in der That einen Gegenstand in ihnen auffing.

Auf der Straße, ganz nahe der Kaserne – er war dahin gelangt, er wußte selbst nicht wie – erst dort konnte er wieder zusammenhängend denken.


[259]


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