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Zu der Stunde, wo Ludwig XIV., in seinen innern Gemächern verharrend, seine sämtlichen Familienglieder um sich zu sehen pflegte, war gerade heute niemand erschienen. Frau von Maintenon bemerkte mit Unruhe die Leere der Zimmer, und blickte besorgt den König an, der darüber seinen Verdruß nicht verhehlen konnte.
»Man läßt mich allein,« rief er, »da ich keine Feste gebe, verläßt man mich! Man geht dorthin, wo man sich besser zu amüsieren hofft als bei einem einsamen Manne, mit dem nichts mehr anzufangen ist.«
In diesem Augenblick meldete der Diener die Herzogin von Orleans.
»Ach,« rief der König freudig, »da erkennt man seine Freunde! Man begrüßt diejenigen Personen, die da kommen unseretwegen, nicht unseres Ranges halber. Seien Sie willkommen, Madame!«
Mit diesem Ausdruck der Herzlichkeit hatte Ludwig noch niemand begrüßt. Die Herzogin empfand dies, und ihr Herz, das immer zu dem Könige sich gezogen fühlte, ward so sehr bewegt von diesem zärtlichen Empfange, daß sie nicht verhindern konnte, daß ihr Gruß das Gepräge der Empfindung einer Tochter annahm, die da kam, ihren Vater zu begrüßen. Frau von Maintenon sah dies und ward auf das empfindlichste dadurch berührt. Sie erwiderte nichts, allein sie blickte auf den König mit einem so frostigen Blick, daß wenn er dieses Auge erschaut hätte, er sicherlich gewußt hätte, in welchen Händen er sich befand.
Voll Höflichkeit gab sie der Herzogin einen Lehnstuhl, der gerade am Kamin stand.
»Ich liebe die Lehnstühle nicht,« rief diese, »und werde das Tabouret einnehmen.«
»Nein, meine liebe Schwester!« bemerkte der König, »setzen Sie sich auf diesen Platz, den Ihnen die gute Frau anbietet. Niemand kann würdiger ihn einnehmen als Sie. Nicht wahr, Sie verwundern sich, es hier so leer zu finden?«
»Wo ist der Dauphin, die Dauphine?« fragte die Herzogin, sich im Zimmer umsehend.
»Ja, wo sind sie?« wiederholte Ludwig. »Vermuten Sie sie hinter der Tapete versteckt? Aber nein! Es ist in der Tat niemand hier als die liebenswerte Frau, die mich nie verläßt.« Er winkte der Frau von Maintenon einen Gruß zu. »Ich hatte gehofft, Seine Majestät den König von England nebst Gemahlin bei mir zu sehen, dies hätte ohne Zweifel auch die anderen Flüchtlinge herbeigezogen; allein der König hat mir sagen lassen, er ist seit heute mittag unwohl, und die Königin, eine zu gute Gattin, um ihren Mann zu verlassen, hat sich ebenfalls entschuldigen lassen. Was den Dauphin betrifft, so gibt er selbst heute eine kleine Abendversammlung, dies hindert aber nicht meiner Ansicht nach, daß er und seine Damen auf ein paar Stunden vorher zu mir kämen. Ich will indessen niemand zwingen. Ich weiß wohl, wenn ich befehle, würde ich das ganze Zimmer voll meiner Angehörigen haben; aber es würden gezwungene und gelangweilte Gestalten sein.«
Er änderte den Ton seines Gesprächs und sagte mit einer munteren Stimme: »Wissen Sie, Madame, wovon wir eben sprachen, als Sie eintraten? Von meinem Minister Colbert. Er, den ich allmächtig gemacht, glaubte in der Tat für mich allzuviel getan zu haben. Auf seinem Sterbebette empfing er meinen Boten mit den Worten: ›Ich will nichts mehr von dem Manne hören! Hätte ich für Gott getan, was ich für ihn tat, so wäre ich meines Seelenheils zehnmal versichert, während ich jetzt nicht weiß, was aus mir werden wird!‹ Das erzählte mir eben die Frau von Maintenon; ich hatte es nicht erfahren. Aber ich vergebe ihm. Frankreich hat seit seinem Tode keinen großen Minister mehr; obgleich ich stets dagegen war, ihn bei Lebzeiten den Großen nennen zu lassen.«
»Ein Titel, den er jedoch usurpierte, ohne Eurer Majestät Erlaubnis dazu abzuwarten« bemerkte Frau von Maintenon. »Sie werden es erleben, Sire, daß der, dem Sie teilweise die Ämter des Verstorbenen übergeben haben, es ebenso machen wird.«
»Sie meinen Louvois?« rief der König lachend. »Dazu sind zwei Dinge unerläßlich nötig, mein Wille und der Wille des Volkes! Den letzteren hatte Colbert, Louvois aber nicht.«
»Und der Himmel gebe,« rief die Herzogin, »daß er ihn nie bekomme! Ein Mann, der mit so kalter Grausamkeit den Mordbrenner spielt, wie er es getan hat, verdient einen ganz anderen Titel.«
»Sie vergessen, Madame,« rief Frau von Maintenon, »daß das, was der Herr Marquis sich im Kriege gegen die Pfalz erlaubte, auf Befehl Seiner Majestät geschah.«
Diese Rede begleitete die Dame mit einem unversteckten Triumphlächeln.
Die Herzogin erwiderte mit Kälte darauf: »Es ist wahr, ich kann Ihnen hierauf nichts anderes erwidern als die Worte Corneilles: Die Gerechtigkeit, die die Könige befehlen, wird, wenn sie in die Hände ihrer schlimmen Diener fällt, zur fluchwerten Grausamkeit!« –
»Der arme Corneille!« rief Ludwig, den Gegenstand des Gesprächs ablenkend, »ihm wird übel mitgespielt. Ich habe versucht, ihn zu retten, indem ich befahl, alle seine Meisterwerke aufzuführen. Er hat mir darauf durch schöne Zeilen geantwortet. Aber Racine läßt sein Opfer nicht so leicht fahren. Da kenne ich ihn; selbst im Tode verfolgt er ihn. Apropos, was war das für eine Geschichte mit den zwei pfälzischen Prinzessinnen, die sich hier haben blicken lassen?« –
Frau von Maintenon lauschte mit gespannter Erwartung auf die Antwort der Herzogin.
»Sire, nichts als ein Scherz, den einige Personen sich erlaubt hatten, wahrscheinlich um zu erproben, ob ich dazu schweigen würde. Man hatte zwei aus Deutschland gekommene, übelberüchtigte Dirnen aufgegriffen und ihnen befohlen, sich für Prinzessinnen von der Pfalz auszugeben. Ich hörte davon, und da ich zufällig eine dieser Personen in dem Garten spazierengehend finde, rede ich sie an und frage sie, wer sie sei. Sie antwortet mir, sie sei eine Prinzessin von der Pfalz. Ich sehe sie staunend an und frage sie, wie sie dazu käme, sich einen Titel und einen Namen anzumaßen, der ihr nicht zukäme. Sie blieb dabei, daß sie eine Prinzessin, und zwar aus der Pfalz sei. Darauf gab ich ihr eine Ohrfeige und bedeutete ihr, sogleich zu verschwinden, oder ich würde die Polizei zuhilfe rufen. Wie ich höre, haben diese liederlichen Dirnen seitdem ausgespielt und sind über alle Berge.«
Der König lachte. »Sie sind mit diesen Pseudoprinzessinnen ebenso leicht fertig geworden,« sagte er, »wie mit der Spötterin, der Frau von Fiennes. Diese Frau, die alle Welt durch ihre Neckerei verfolgte, sogar mich und meinen Bruder nicht ausgenommen, wagte sich nicht an Sie heran.«
Die Herzogin lächelte und rief: »Sire, weil sie mich liebhat.«
»Sie liebt?« rief der König. »Ein boshafter Spottgeist, der niemand liebt? Ach, gehen Sie, Madame, da sind Sie im Irrtum.«
»Ich weiß, wie die Sache zusammenhängt!« bemerkte Frau von Maintenon.
»So wie Sie auch wissen, wie die andere zusammenhing, mit den zwei Prinzessinnen!« rief die Herzogin, boshaft lachend.
»Von jener Geschichte ist mir nichts bekannt,« bemerkte die Dame mit strengem Blick. »Ich würde nie zugegeben haben, daß dergleichen hier unter den Augen des Königs sich ereignete.«
»Gleichwohl hat man bei einer dieser Schönen einen Brief von einer Dame des Hofes gefunden.«
»Von mir, einen Brief? Das ist unmöglich!« rief Frau von Maintenon mit einer Zornröte auf den Wangen.
Die Herzogin sah ihr lächelnd ins Gesicht.
»Übrigens, was Frau von Fiennes betrifft, so weiß ich das von Frau von Sulanges, die die Unterredung, die die Frau Herzogin mit ihr gehabt, mitangehört hat,« rief Frau von Maintenon. »Die Herzogin hat Frau von Fiennes in ein Fenster gezogen und hat ihr gesagt: ›Madame, Sie haben sehr viel Geist, und wissen ihn zur Belustigung der Gesellschaft sehr gut anzuwenden. Der König und der Hof lassen sich das gefallen, wahrscheinlich weil sie daran gewöhnt sind; ich aber, Madame, bin nicht daran gewöhnt, daß man sich über mich lustig macht, und ich untersage Ihnen das. Wenn Sie darauf hören, so werden wir gute Freundinnen bleiben, achten Sie aber nicht darauf, so weiß ich, was ich tue! Ich sage es Ihrem Herrn Gemahl, meinem Oberstallmeister, mit dem Bemerken, daß er auf Sie einwirke. Kann er es nicht, so werde ich ihn aus meinem Dienste jagen.‹ Auf diese Weise, Sire, ist Frau von Fiennes zum Schweigen gebracht worden.«
»Wem soll ich glauben?« fragte der König, noch immer lachend.
»Glauben Eure Majestät der Herzogin!« rief Frau von Maintenon. »Ich sehe, es belustigt Sie der Streit, und so will ich gern das Opfer dabei sein,« setzte sie mit Empfindlichkeit hinzu.
»Sie mißverstehen mich!« rief der König plötzlich ernst. »Es kam mir nicht in den Sinn, eine der Damen oder beide zugleich kränken zu wollen.«
»Was die Herzogin betrifft, glaube ich Euer Majestät.«
»Und Sie, Frau von Maintenon?« fragte der König mit einem Zuge besorgter Zärtlichkeit, »Sie können wirklich glauben, daß ich –«
»O, nichts mehr davon! Ich bitte!« rief die gereizte Dame. »Wer wie ich durch Leiden und Kummer seinen Weg gemacht, der weiß sich zu bescheiden.«
Sie schwieg und zog sich in die Ecke des Gemaches zurück, wo sie sich zu einer Handarbeit niedersetzte. Der König war verstimmt. Eine Stille herrschte. Nach einer Weile stand er auf, näherte sich der Frau von Maintenon und zischelte ihr ein paar Worte ins Ohr. Sie antwortete lachend. »Da sehen Sie,« rief der König, »die gute, kleine Frau, wie rasch sie vergißt und vergibt!« –
»Vergibt?« rief die Herzogin. »Eure Majestät erlauben mir zu bemerken, daß, wenn hier jemand Grund zu vergeben hat, es Frau von Maintenon nicht ist. Auf mich häuft man Klatschereien und Lügen und erwartet, daß ich alles geduldig hinnehme.«
»Seien Sie ruhig, Madame. Es ist nichts vorgefallen, worüber Sie sich beklagen können. Wahrlich nichts – gar nichts. Sprechen wir von etwas anderem. Von Ihrem Talente, Ohrfeigen auszuteilen. Wo haben Sie das her?«
»Von meiner Frau Mama!« sagte die Herzogin. »Sie gab mir die erste und letzte Ohrfeige, die ich überhaupt erhalten habe, bei einer Gelegenheit, wo ich mich bei einer Lüge habe ertappen lassen. Deshalb auch mein grenzenloser Widerwille gegen alle Unwahrheit.«
»Eine seltene Tugend!« rief der König. »Ich wundere mich, daß es eine Wange am Hofe gibt, die Sie noch nicht berührt haben! Man müßte Sie mit dem Prinzen von Conti zusammenführen; er versteht es, den Leuten Nasenstüber zu geben. Neulich hat er ein junges Mädchen, das er im Opernsaale mit seiner Mutter fand, fast bis zu Tode genasenstübert.«
»Ich bin eigentlich gekommen, um Eure Majestät um eine Gnade zu bitten,« sagte die Herzogin.
»Und diese ist?« fragte Ludwig sehr heiter.
»Es betrifft den Sohn Monsieurs, meinen Sohn,« bemerkte die Herzogin. »Der junge Mann wünscht nichts so sehr, als sich in den Waffen auszuzeichnen. Auch ein Verlangen ist es ihm, aus dem verderbten Umgange hier in Paris sich loszureißen. Wäre es wohl möglich, daß man ihn irgendwohin schickte?«
»Ist er nicht zu jung dazu?« fragte Ludwig, über dessen Stirn plötzlich eine düstere Wolke glitt. »Sollen wir nicht ein paar Jahre noch warten?«
»Wie Eure Majestät befehlen,« erwiderte die bekümmerte Mutter. »Es war nur der Wunsch, ihn auch bei seiner Jugend frühzeitig unter den Waffen zu sehen.«
»Dieser Wunsch ist billig, und er soll erfüllt werden,« sagte Ludwig. »Es ist schade, daß Condé tot ist, das wäre ein trefflicher Lehrer gewesen. Unter meinen jetzigen Generalen wüßte ich niemand, dem ich den Knaben anvertrauen möchte; es sei denn der Marschall von Duras! Catinat und Vauban sind zu sehr Höflinge; das taugt nicht für das Alter, in dem der kleine Prinz steht. Auch denke ich, ehe wir ihn ins Feuer schicken, müssen wir ihn heiraten lassen! Was sagt mein Bruder dazu?«
»Monsieur ist meiner Ansicht,« bemerkte Charlotte, »und bat mich, die Sache bei Eurer Majestät in Anregung zu bringen.«
Der König machte eine freundliche Bewegung, die Herzogin erhob sich und nahm Abschied. Als sie fort war, rief Frau von Maintenon: »Welch eine Person ist das? Himmel! Ich weiß nicht, wo ich die Geduld hergenommen habe, so lange dieses Gespräch und dieses Gesicht zu sehen und zu hören!« –
»Ich sage Ihnen, sie ist gar nicht so übel!« rief der König. »Ich weiß, daß Sie stets gegen sie sind; aber bezähmen Sie sich. Wenn Sie ihr nicht wirklich einen Verstoß gegen ihre Pflichten vorzuwerfen haben, so lassen Sie sie gehen.«
»Ich ihr nichts vorzuwerfen?« rief die erzürnte Frau. »Jedes nur Erdenkliche habe ich ihr vorzuwerfen. Ihr Hochmut ist daran schuld, daß alles hier verkehrt geht! Man weiß in der Tat nicht, ob es eine Königin gibt, ob keine, denn sie gebärdet sich wie eine Königin. Hinter dem Rücken Eurer Majestät wendet sie alle Mühe auf, den ganzen Hof gegen Sie, gegen mich aufzuhetzen!«
»Beweise, Madame, Beweise!«
»Sire, Beweise, soviel Sie wollen. Die Dauphine, die auch eine Deutsche ist, hielt mit ihr früher zusammen, aber auch sie kann den Übermut und die Herrschsucht dieser fremden, hergelaufenen Prinzessin, die eine Nußschale zum Besitztum hat, nicht länger dulden. Schon die altmodische Jämmerlichkeit mit ihrem Adel! Tut sie nicht, als wenn ihre Eltern in der Arche Noah mit gesessen hätten! Auf ihre sechzehn Ahnen schwört sie, und jede Heirat, sie mag noch so sehr von Vernunft und Liebe gebilligt werden, schilt sie, wenn ihr das gehörige Wappen fehlt. Glauben Sie, Sire, daß sie die Kühnheit gehabt hat, Eure Majestät zu tadeln wegen der Legitimierung ihrer Kinder?«
»Das sind die Ansichten, in denen sie groß geworden ist!« sagte der König. »Doch wird ihr niemand den Ruhm streitig machen, daß sie eine musterhafte Gattin ist, daß man ihr nie etwas hat nachsagen können, und daß sie ihre Pflichten auf das beste erfüllt. Wir müssen gerecht sein, Madame, wenn wir auch nicht immer streng nach dem Sittenbuche der Gesellschaft leben, so wissen wir doch, daß es Leute gibt, die darnach leben.«
»O, Sire, Sie sind zu gütig!« rief Frau von Maintenon. »Das Verdienst ist hier in der Tat nicht sehr groß, wenn man so wenig schön ist wie Madame und dazu noch Fischblut in den Adern hat.«
»Liebe Franziska,« sagte der König und legte seinen Arm sanft auf die Schulter der Frau von Maintenon, »wie kommen wir dazu, uns zu streiten? Lassen Sie uns Freunde sein. Wie lange wollen Sie die Zeit noch einhalten, wo kein Einverständnis zwischen uns herrscht? Sie, die Sie der Geist und Verstand selbst sind, wollen Sie nur in dieser einen Angelegenheit blind sein?«
Mit einem Flüstern, das für die Liebe zu kühn, für die Offenheit zu überlegt war, entgegnete Frau von Maintenon, indem sie ihre Hand der des Königs entzog. »Dringen Sie nicht weiter in mich, Sire! Lassen wir den Gegenstand unserer öftern Gespräche. Diese Welt ist nicht die, in der wir glücklich sein sollen! Darum ist Entfernung das einzige, was Sie zufriedenstellt und mich rettet.«
Sie glitt aus dem Arm des Königs und verschwand in das Nebengemach.
Ludwig stand da, unschlüssig, unwillig, verwirrt, mit sich selbst und der Welt zürnend.
So fand ihn Lachaise, der die vorhergehende Szene hinter dem Vorhange der Tür mit angehört. Der König richtete einen finsteren, fragenden Blick auf den Pater.
»Zum ersten Male Widerstand!« flüsterte der König vor sich hin.
»Der Widerstand der edelsten Tugend, Sire!« sagte der Beichtvater.
»Von wem sprechen Sie?« fragte der König rasch.
»Von Frau von Maintenon,« antwortete Lachaise kalt und ruhig. »Ich trat ein, wie jene seltene Frau Eure Majestät eben verließ. O, Sire, was ist das für ein Weib!«
»Finden Sie das?« fragte der König.
»Sie liebt Sie glühend!« fuhr der Pater fort. »Ihr ganzes Herz gehört Ihnen und dennoch, die Gebote der Religion gehen ihr höher als alle irdische Glückseligkeit.«
»Sie liebt mich, sagen Sie?«
»Ich weiß es,« fuhr der Pater fort. »Ich kenne ihre Kämpfe, ihre blutigen Kämpfe, die sie in den einsamen Stunden der Nacht kämpft, wo alles rund um sie her schläft. Ich weiß, was diese Seele leidet, die so rein vor Gottes Auge dasteht, wie keiner der himmlischen Geister! – Und der, um den sie leidet, ist der einzige, der ihre Tugend verkennt und sie verachtet.«
»Sprechen Sie von mir, mein Vater?« fragte der König.
»Von wem sonst?« rief der Beichtiger. »Wüßten Sie den Juwel zu schätzen, der in diesem reinen weiblichen Busen glüht, sie würden sie vor aller Welt verteidigen.«
»Sie sind viel zu hart!« rief der König. »Ich weiß, daß sie edel und trefflichen Herzens ist, was ich an ihr tadle, ist ihr Eigensinn und ihre Härte. Warum ergibt sie sich mir nicht?«
»Weil sie ein Bündnis, über das die Kirche ihr Segenswort nicht gesprochen, nicht für angemessen hält,« sagte der Priester. »Ihre schwache Natur hätte schon hundertmal eingewilligt, die Ihrige zu sein, allein der starke, lebendige Geist hielt sie immer wieder aufrecht. Unfähig, diese Leiden länger zu ertragen, ist sie willens, den Hof zu verlassen und in ein Kloster zu gehen.«
»In ein Kloster?« rief der König lebhaft, »das wolle Gott nicht!«
»Er will es!« sagte der Beichtvater streng. »Gott will, daß das Lasterleben an diesem Hofe aufhöre. Er sendet Ihnen, bußfertiger Sohn, diesen Engel, um Sie aus dem Pfuhl, in den Sie die Sünde gesteckt, zu befreien!«
»Will er es, so gebe er mir die Mittel, hier zu siegen!« seufzte der König vor sich hin.
»Diese Mittel kennen Sie, mein Sohn.«
»Ich kenne sie nicht! Ich darf sie nicht kennen! Wissen Sie, was Sie fordern, mein Vater? Die uralten Satzungen dieses Landes soll ich umstoßen! Die Bande lösen, auf deren Dauer und Haltbarkeit die Gesellschaft gegründet ist!«
»Nun dann, so sei es eine Ehe, meinethalben eine heimliche!« rief der Priester.
»Eine heimliche?« fragte der König zweifelnd.
»Ich sehe keinen anderen Ausweg! Oder wollen Sie, mein Sohn, daß ich ihr zurede, sich gegen die Stimme des Gewissens und der Religion Ihnen zu ergeben? Sie ist ein Weib, sie liebt Sie glühend; es ist möglich, daß ich siege; aber wehe dann mir! Ich dürfte mein Auge nie wieder erheben! Vor Gott stände ich da als ein Verdammter. Er, der mich angestellt hat, die Reinheit seiner Gesetze zu wahren, er sähe mich mit dem Frevel befleckt, sie selbst untergraben und geschändet zu haben! Ich hätte, nicht genug mit dieser lastenden Bürde, auch die ihrer verführten und verzweifelten Seele und die jener Frau zu tragen, an deren Untergang ich gearbeitet habe! Welch ein verworfenes Wesen wäre ich alsdann, und wo wäre ein Mittel zu finden, mich von meinem Übel zu heilen und wieder in die Gemeinschaft der Erlösten zu bringen? Es gäbe kein solches. Um Gottes und seines Sohnes willen, hier ist keine andere Entscheidung möglich, und jeder Versuch, eine zu suchen, würde ein todeswürdiges Verbrechen sein.«
Ludwig stand stumm da.
Indem öffnete sich die Türe, und der Herzog von Maine trat ein. Der König richtete einen erstaunten und fragenden Blick auf ihn.
Der Herzog schien in Tränen aufgelöst. Er warf sich dem König zu Füßen und rief: »O, Sire, was habe ich hören müssen! Frau von Maintenon will den Hof verlassen! Sie will in ein Kloster gehen! Diese Trennung kann ich nicht ertragen. Sie ist mir mehr als Mutter; wo soll ich bleiben, wenn sie fort ist?« –
Ludwig hob seinen Sohn vom Boden und sagte streng: »Nichts als ein Gerücht, mein Sohn. Sie bleibt, sie wird mich, sie wird dich nicht verlassen. Schweigen wir davon.«