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Es wird nötig sein, etwas vom Charakter Luisens von Hessen zu sagen.
Der Kurfürst, als er sich am Hofe des Landgrafen befand, war gerade damals auf dem Gipfelpunkt seines Mißgeschicks. Die Fürsten, die kaum sich beruhigt hatten, den Vater des jungen Prinzen von seinem usurpierten Throne gestoßen zu haben, beratschlagten darüber, welche Strafe sie über die Söhne verhängen sollten. Es hieß, daß keiner derselben das Recht auf den pfälzischen Thron erreichen solle. Da gelang es Julianen, der Witwe eines der, Vettern des Kurfürsten, am Hofe des Kaisers eine günstige Stimmung für das ausgeschlossene Haus zu erwecken. Man beschloß, einen Versuch zu machen, ob einer der unglücklichen Prinzen befähigt sei, die Erblande des Verstorbenen zu regieren. Man wählte den Ältesten, der provisorisch eingesetzt wurde mit der Aussicht, den Thron sofort wieder einzubüßen, wenn die Stände des Reiches eine Klage gegen ihn vorbrächten. So betrat Karl Ludwig das Erbe seiner Väter. Die Zeitumstände besserten sich wider Erwarten; jene Formel wurde beseitigt, und hinfort war nicht weiter die Rede von einer anderweitigen Besetzung des Thrones. Als der Prinz noch zweifelhaft war, ob ihn das Glück begünstigen werde, oder ob es ihn fallen lassen würde bis tief in das Bodenlose eines verzweifelten Mißgeschicks, befand er sich gerade in der freundschaftlichen Nähe des Vaters Luisens, der auch stets der warme Anhänger des unglücklichen Böhmenkönigs war.
Das Mißgeschick fesselte die Herzen und machte den, der davon betroffen, anziehend und wünschenswert. Dies empfand Luise. Eine geheime Liebe jedoch machte sie abgeneigt, auf neue Anerbietungen einzugehen, die ihr gemacht wurden. Der Landgraf ließ nicht undeutlich sein Verlangen merken, die Prinzessin dem Sohne seines ehemaligen Freundes zu geben. Luise schwankte. Sie erkannte das Zartgefühl in dem fürstlichen Jüngling, mit keinem offen hingestellten Verlangen hervorzutreten. Was konnte er ihr bieten? Sollte sie, die Besitzende, die Sicherberechtigte, sich dem Wellenschläge eines ungewissen Geschicks hingeben? Mit dem, den sie wählte, Flucht und Verbannung teilen? Nimmermehr. Karl Ludwig verschloß tief im Busen seine Wünsche, seine Hoffnungen. Da zerriß der Tod das Band der frühern Liebschaft: Luise war frei, und das Resultat ihrer Freiheit war ihre Entscheidung für Karl Ludwig. Die Eltern der Prinzessin priesen das Glück des jungen Paares, besonders da nun die günstige Entscheidung seiner äußeren Verhältnisse hinzukam, der Weg zum Throne ihm gebahnt war. Die in Haag lebende Mutter des Prinzen, die mit ihren Kindern dorthin geflüchtet war, und die nebst ihrem eigenen trüben Lose das Geschick ihres Bruders, jenes unglücklichen Karl I. von England, zu beweinen hatte, erfuhr diese freudige Nachricht mit hoher Befriedigung. Sie machte sich mit ihren Töchtern auf den Weg und traf in Kassel ein, um die Hochzeit ihres ältesten Sohnes mitzufeiern.
Luise zog mit ihrem Gemahl in Heidelberg ein. Die reizende Umgebung, die herrliche Lage des Ortes trugen das ihrige dazu bei, das Glück des jungen Paares zu erhöhen. Bald nacheinander genas die Pfalzgräfin zweier Kinder, eines Sohnes und einer Tochter, die im Laufe von fünf Jahren das Licht der Welt erblickten. Die Tochter war jene Elisabeth Charlotte, das lebendige, aufgeregte Kind, das wir vor uns gesehen haben. Karl Ludwigs Charakter neigte nichtsdestoweniger zur Schwermut; je mehr er seine äußere Existenz sich befestigen sah, je deutlicher das Glück sich für ihn aussprach, um so düsterer umzog sich sein innerer Himmel. Er erlebte Tage, wo ihm alles, was er errungen hatte, zweifelhaft schien, wo er von neuem den Sturm des Schicksals sich gegen ihn entfesseln sah, und wo nichts ihn zu retten versprach als eine Entfernung vom Schauplatz der Tätigkeit in eine einsame Klause der Weltentfremdung. Solche Augenblicke benutzte seine Gemahlin, um sich ihm im Gefolge der einschmeichelnden Kunst zu nahen, deren Meisterin sie war. Sie spielte die Theorbe, sie sang, sie trug die Märchen und Sagen ihres Vaterlandes in einfacher, schlichter Weise vor, und immer gelang es ihr, den kranken Mann aus seiner Erstarrung zu reißen und ihn dem Leben und dem Hoffen neu wiederzugeben.
Dieses schöne Verhältnis hatte zehn Jahre gedauert, als jenes Ereignis, von dem wir Kunde gegeben, dazwischentrat. Die Kurfürstin sah sich zurückgesetzt, einem jüngeren, lieblicheren Wesen, das sie neben sich aufgezogen hatte, hingeopfert. Der Schmerz, den diese Entdeckung ihr verursachte, war peinvoll. Sie machte Versuche, ihr früheres Ansehen wieder zu erreichen, aber umsonst. In jenem Augenblick des Trübsinns, der jetzt öfter sich einstellte, war ihre liebevolle Nähe ihrem Gemahl nicht genügend; sein Sinn strebte nach etwas, was ihm fehlte, und hätte auch nichts die Gemütsverfassung des Fürsten verraten, die plötzliche Erscheinung des jungen Fräuleins von Degenfeld hätte es tun müssen, die, wenn sie erschien, plötzlich das finstere Gewölk zerriß und einen himmlischen Strahl der Freude und der Befriedigung emporrief. Die Kunst der Kurfürstin besaß das Fräulein nicht; sie sang, aber ihre Stimme war nicht so edel gebildet und klangvoll wie die ihrer Meisterin; dennoch brachte sie größere Wirkung hervor. Der Kurfürst hörte so gern diese Stimme. Er sah so gern die Züge dieses Antlitzes, das sanfte Schönheit mit dem Stempel ihrer eigentümlichsten Reize versehen hatte.
»Ach!« rief einst der Kurfürst im halben Traume, indem er die Arme in die Luft nach einem Gegenstand ausbreitete, der flüchtig nach oben zu verschwinden schien: »Warum sendet mir der Himmel diesen Engel, dessen Leitung ich nicht folgen darf?«
Die Kurfürstin saß am Lager und hörte diese Worte. Sie drangen tief in ihr Inneres. Sie wußte es nun, sie war ihrem Gemahl nicht mehr das, was sie ihm gewesen, was sie ihm bis an den Tod zu sein hoffte. Sie antwortete nichts; leise schlich sie sich aus dem Zimmer, und in dem ihrigen angelangt, fühlte sie brennende Tränen ihr Auge netzen und ein herbes Weh ihr Inneres zerreißen. Hin war ihr Glück! Hin ihre Zufriedenheit und Ruhe!
Ein verzeihliches Gefühl des beleidigten, weiblichen Stolzes trieb sie an, diejenige zu quälen, von der ihre eigene Qual ihren Anfang nahm. Sie behandelte das Fräulein mit rücksichtsloser Strenge, sie neckte sie mit kaltem Hohn, sie ließ sie auf alle Weise ihre Überlegenheit fühlen. Luise von Degenfeld, weit entfernt, hierüber beim Kurfürsten Klage zu führen, verdoppelte ihren Eifer, der Gebieterin zu dienen, ohne doch jemals hoffen zu können, es ihr zu Willen zu machen. Dieser schlecht versteckte Zwist konnte nicht verfehlen, auf beiden Seiten Parteigänger zu schaffen. Auf die Seite der Kurfürstin trat ihre Mutter, eine eitle, ränkevolle Frau, die ihre Zeit damit hinbrachte, am Hofe ihrer Tochter Mißvergnügen und Streitigkeiten zu veranlassen, indem sie behauptete, Friede und Eintracht unter die Vermählten zu bringen. Auf des armen Hoffräuleins Seite trat die Fürstin von Wied, die das Degenfeldsche Haus kannte, und deren Alter geeignet war, die Versuche zur Sühne, die sie anstellte, zu entschuldigen, indem Frau von Degenfeld, Luisens Mutter, die Jugendfreundin der Fürstin gewesen war. Sie erschien am Hofe zu Heidelberg mit der ausgesprochenen Absicht, Luise von dort zu entfernen, um sie mit sich zu nehmen, wo sie mit einer ihrer Töchter zusammen die Stütze und Freude ihres Alters ausmachen sollte. Diesem Plane widersetzte sich jetzt der Kurfürst, der Luise nicht aus seiner Nähe verlieren wollte.
So standen die Angelegenheiten, als der Zeitpunkt erschien, von dem soeben die Rede gewesen.
Die Fürstin Sophie von Hessen befand sich, als der unselige Streit durch die Gewalttätigkeit des Kurfürsten zu einer nicht wieder zu beseitigenden Aufregung angewachsen war, gerade in Wien, wo sie die Geschäfte des Landgrafen von Hessen bei den Ministern leitete. Die Fürstin von Wied lag krank in Heidelberg, und zu ihr brachte Karl Ludwig seine Geliebte, als er sie im eigenen Hause nicht mehr sicher wähnte.
Die Kurfürstin hatte sich nämlich durch ihren jähzornigen Charakter zu einer auffallenden Tat verleiten lassen. Nachdem sie ein paar Tage in finsterm Groll sich in ihre Gemächer eingeschlossen, wartete sie nur die Entfernung ihres Gemahls ab, um mit ihrem Plane hervorzutreten. Mit einer Pistole bewaffnet, nachdem sie ihre Umgebung unter irgendeinem Vorwande entfernt hatte, legte sie sich in der Fensterecke ihres Gemachs auf die Lauer, um das gegenüberliegende Fenster, wo sie wußte, daß Luise von Degenfeld ihren Platz zu nehmen gewohnt war, im Auge zu behalten. Lange lauerte sie, wie die blutdürstige Tigerkatze, ehe es ihr gelang, ihr Opfer sicher zu fassen. Kaum hatte das bleiche Antlitz ihrer Feindin von der gegenüberliegenden Treppenstufe sich ihr gezeigt, als sie die Pistole abschoß und in demselben Augenblick einen durchdringenden Schrei vernahm, der durch die weiten Hallen des Palastes bis zu ihr drang.
Einen Moment später, und sie warf schaudernd die Todeswaffe von sich.
Mit verhülltem Gesicht stand sie in der Mitte ihres Zimmers, und die Schande der Tat, die sie soeben vollbracht, legte sich wie dunkles Gewölk um ihre Seele.
»Mörderin!« hauchte sie vor sich hin. »Was hast du getan? Wohin riß dich die verzweifelte Wut! O, wäre ich doch nie geboren worden!«
Sie tat einen Schritt vorwärts, sie blieb stehen – sie lauschte.
Ein dumpfer Lärm tönte von unten herauf. Sie vernahm Männerstimmen, unter diesen die des Kurfürsten.
Es war unmöglich, sich zu verbergen; auch dachte die Fürstin nicht daran. Sie blieb stehen, mehr einer Bildsäule gleich als einem lebenden Wesen, als sie ihren Gemahl bei sich eintreten sah.
Er blickte sie an, er sah das abgebrannte Pistol zu ihren Füßen; er sagte nichts, aber seine Blicke sprachen.
»Dies für den Schlag!« sagte sie mit lautloser Stimme.
»Elende!« rief der Kurfürst. »Wir können nicht mehr unter einem Dache wohnen. Morgen verläßt du dieses Haus. Danke es dem gütigen Geschick, das deinen Mordpfeil am Fensterkreuze zersplitterte, sonst solltest du ihren Tod mit deinem Leben bezahlen!«
»Tue, wie du willst und wie du kannst!« sagte leise die beleidigte Frau. »Meine Tat und mein Leben stehen beide vor Gott. Nur unendlicher Jammer hat mich handeln lassen, wie ich gehandelt habe.«
Sie glitt in das Nebengemach, das sie hinter sich abschloß.
Das ganze Schloß war von Leuten angefüllt. Man mußte Wachen ausstellen, um ferneren Andrang zu hindern. Die arme Luise lag noch immer in Ohnmacht. Die auf sie gerichtete Kugel hatte das starke, steinerne Kreuz, das das Fenster einschloß, so hart getroffen, daß es abbröckelte und eine tiefe Spur hinterließ.
Als Luise von Degenfeld wieder zu sich kam, befand sie sich in der Stadt, in der Wohnung der Fürstin von Wied. Der Kurfürst sah seine Gemahlin nicht wieder. Die Mutter kam aus Wien und nahm sie mit sich nach Kassel. Als sie fort war, nahm Fräulein von Degenfeld mit dem Kurfürsten das Schloß in Besitz. Er erhob sie zur Raugräfin und lebte mit ihr, wie man sagt, heimlich vermählt.
Der Sohn des Kurfürsten kam auf ein paar Jahre zu einem Verwandten des Fürsten nach Neuburg, die Tochter reiste mit Madame Joli nach Hannover, wo die Kurfürstin Sophie, die Schwester Karl Ludwigs, schon bereit war, sie zu empfangen.