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16
Georg reist nach Hannover

Den andern Morgen erschien Meister Toni mit einem Schreiben an seinem Bette. »Kleidet Euch an, junger Herr, wir müssen reisen. Hier ist ein Brief vom Pater Provinzial.«

»Was will er?«

»Der Herr Graf oder vielmehr der ehrwürdige Vater begehrt von Euch, daß Ihr nicht hier in Heidelberg sitzenbleibt, er hat Euch Briefe mitgeschickt nach Hannover. Ihr sollt daselbst ihre Liebden, die Frau Kurfürstin Sophie, Eure Tante, begrüßen.«

»Hat das solche Eile?« fragte Georg unmutig. »Ich möchte vorher gern meine liebe Prinzessin Charlotte auffordern, nochmals mit mir eine Jagd zu versuchen.«

»Der Befehl des Obern!« entgegnete Master Toni ernst und kurz.

Georg nahm Abschied von Heidelberg und reiste mit dem Bruder Antonius ab. Vorher hatte er noch eine Unterredung mit Charlotte, der er die Versicherung gab, binnen einem Monat wieder zurückzusein. Die Prinzessin gab ihm Briefe an ihre Tante mit.

Als er aus dem Burgtor hinausritt, begegnete er dem Doktor Onofrius. Auf seine Grüße dankte jener ernst und feierlich.

Die Kurfürstin Sophie empfing ihn wie ihren eigenen Sohn. Sie hatte nichts von ihm gehört, seitdem sie von der Mutter Abschied genommen; sie ließ sich alles erzählen, was unterdessen mit ihm sich zugetragen, bei welchem Anlasse der junge Mann Gelegenheit hatte, mit Umsicht und Klugheit seinen Bericht abzustatten. Die Kurfürstin fuhr ihm mit der Hand über die Stirn, glättete sein Haar und sagte mit großer Freundlichkeit: »Das sind seine Augen! O, ich kenne sie. So treu, so lieb und so verschmitzt. Mit solchen Augen hat er mich angesehen, wenn es darauf ankam, mich zur Teilnahme an irgendeiner kleinen Büberei zu bestimmen, die er vorhatte. Ach, Gott habe ihn selig, den armen Herrn!« –

Georg faltete die Hände und sah sehr andächtig zu diesem Wunsche aus.

»Hier ist noch ein Andenken, das er mich bat von ihm in Verwahrung zu nehmen, und das ich jetzt dir, seinem Sohn, überreichen will,« hub die gnädige Frau an, indem sie ein kleines Kruzifix von Gold aus einer Schachtel löste, und es an seinem Kettchen dem Grafen hinhielt. »Nimm es, und trage es zum Andenken an deinen Vater, Georg.«

Der Jüngling küßte die schöne Hand, die es ihm gab, und versprach, es gut zu wahren.

»Hoffentlich bleibst du nicht beim Orden,« nahm die Dame wieder das Wort. »Für dich ist die Welt! Du mußt Kriegsdienste nehmen und es zu etwas bringen. Mein Mann soll dir Empfehlungen an den kaiserlichen Hof mitgeben.«

»Fürs erste muß ich warten, was ein edler Freund meines Großvaters, der Graf Udallan, über mich bestimmt,« erwiderte Georg. »Er ist's, dem ich vieles danke; er leitete meine frühe Jugend, und soviel ich weiß, ist er noch jetzt beschäftigt, nachdem er mich ein Jahr unter seinem unmittelbaren Schutz gehabt, für meine Zukunft zu sorgen.«

»Der Graf Udallan!« rief die Kurfürstin, »lebt er noch? Wo ist er jetzt?«

»In dem schottischen Gebirge lebt er vor aller Welt versteckt« erwiderte Georg. »Ich soll hier einen Mann aufsuchen, an den er mir Briefe übergeben hat und mit dem er befreundet ist.«

»Der Herzog von Nassau-Siegen!« erwiderte die Kurfürstin. »Er lebt hier ebenfalls in der strengsten Zurückgezogenheit, in einem Walde bei Herrnhausen. Frage nur nach dem Waldschmied. Dir kann ich das Geheimnis wohl sagen, du bist an ihn gewiesen.«

»Wie, nicht an Eurem Hofe?«

»Nein! Er verabscheut alle Höfe,« entgegnete die Kurfürstin, »man muß ihm seinen Willen lassen. Zuweilen, aber auch nur versteckt, verkehren wir mit ihm. Er will den Orden der Templer mit dem Jesuitenorden verbinden, und deshalb führt er eine eifrige Korrespondenz mit dem Grafen Udallan. Beide arbeiten auf einen Zweck los. Die Jesuiten wollen noch nicht; sie halten sich allein für mächtig genug und wollen den alten Prunk der Geheimnisse nicht, mit dem die Templer sich umgeben. Dennoch hofft der Herzog, daß das Projekt zustande kommt.«

»Ich danke Euch, daß Ihr mich darin einweiht,« rief Georg. »So werde ich ihm Rede stehen können, wenn er mich in seinen und meinen Angelegenheiten fragt.«

»Du bist klug und erfahren genug, daß du es hören darfst!« sagte die Tante. »Zugleich warne ich dich, lasse dich nicht mit diesen Männern ein, sie wollen dich abziehen von der Welt, wohin du gehörst, und dich irgend in einen dunkeln Winkel stecken, wo deine Jugend und dein Leben zugunsten irgendeines alten chimärischen Planes zugrunde geht. Wenn sie dich zwingen sollten, so sage dich los; ich werde dir zur Seite stehen.«

Georg dankte für die Güte seiner Tante und entfernte sich, indem er Toni in den Wald bei Herrnhausen folgte. Die Waldschmiede war bald gefunden.

Sie begrüßten den Schmied, der sich für nichts anderes gab, als was sein Äußeres bekundete, erst als Antonius sich zu erkennen gab und die Briefe vorzeigte, ging des Herzogs Antlitz aus dem Stumpfsinn und der ernsten Begrüßung in das des Entzückens und der Freude über, das diese Nachricht in seiner Seele bereitete. »Sohn meines Herzens!« rief er, Georg in seine Arme schließend, »also du kommst von ihm! Gott sei gelobt; also endlich Nachricht von dem ehrwürdigen Greise! Komm! Dir darf hinfort nichts Geheimnis bleiben, womit ich mich umgebe.«

Er nahm den Jüngling an die Hand, er führte ihn an eine Treppe, die mehrere Stufen abwärts in einen unterirdischen Saal führte, der nur spärlich erleuchtet war und wo das Auge, wenn es sich an die Dämmerung gewöhnte, Gerät entdeckte, das mit dem Orden der Tempelherren in Verbindung stand. Ein runder Tisch befand sich in der Mitte, daran saßen die Herren in geistlicher Kleidung, denen Georg vorgestellt wurde, die aber sogleich ihre Arbeit, in der sie gestört worden, fortsetzten. Der Herzog zog den Jüngling zu einem Sitze in der Nische, und nachdem er ihn lange und prüfend angeschaut, sagte er: »Udallan findet dich für würdig, zu uns zu gehören, doch er läßt dir freie Wahl. Was willst du tun?«

Georg schwieg, und jener fuhr lebhaft fort:

»Wir sind in der Arbeit, deren Ziel es ist, eine Vereinigung beider Orden zustande zu bringen. Bist du bekannt mit den Geheimnissen der schottischen Häuser?«

»Nicht sehr ausführlich,« antwortete Georg. »Eure Durchlaucht werden sich aus den Mitteilungen, die man Ihnen über mich gemacht, besinnen, daß ich nur etwas über ein Jahr in Schottland weilte. Ich kann also nur sehr oberflächlich mit den dortigen Einrichtungen bekannt sein. Es ist wahr, daß jene Grotten und unterirdischen Gemächer, die man mich sehen ließ, einen mächtigen Eindruck auf meine Seele machten; allein ich wurde nicht für würdig geachtet, über das Wesen dieser Dinge belehrt zu werden.«

»Der Jesuitenorden«, nahm der Herzog das Wort, »ist zu einseitig weltlich. Das Gemüt des Menschen bedarf des Geheimnisvollen. Es liegt ein kostbarer Schatz von solchen Kräften und Mitteln in den Erinnerungen der Templer, der Johanniter, der Deutschen Herren verborgen. Ihr, mein Herr Graf, seid dazu geschaffen, unsere Pläne zu begünstigen. Eure Zukunft in der Welt ist unsicher und berechtigt zu wenig Hoffnungen. Schon Eure zweifelhafte Abstammung, die Mesallianz Eures Vaters legt Euch Hindernisse in den Weg, wolltet Ihr Euer Glück an den Höfen suchen; als Ordensoberhaupt schwindet jede Fessel, und Ihr könnt viel, wenn auch im geheimen, wirken. Ich lebe mehr in der Welt, als es der Graf Udallan tut, ich gebe Euch den Rat, schließt Euch uns an.«

Georg, als er diese Worte hörte, bedachte den Rat der Kurfürstin und er fand Mut in sich, dem Herzog eine ausweichende Antwort zu geben, bei welcher dieser sich anfangs beruhigte. Er blieb noch ein paar Stunden im Walde, dann nahm er Abschied vom Herzog, der ihn freundlich entließ mit der Bitte, ihn bald wieder zu besuchen. Master Toni blieb dort, weil er mit dem Herrn noch mancherlei zu besprechen hatte. Erst nach drei Tagen stellte er sich wieder bei Hofe ein, wo Georg ihn bereits erwartete, um mit ihm seine Rückreise nach Heidelberg anzutreten.

Der Kurfürst und seine Gemahlin baten ihn zu bleiben, allein der junge Mann ließ sich nicht halten. Die Kurfürstin lächelte und sagte: »Wenn ich nur wüßte, welch ein Magnet Euch nach Heidelberg hinzieht?«

»Das kann ich Euch sagen, liebe Tante, meine edle, herzliebe Cousine ist's, die mir nicht aus dem Sinn geht, des Kurfürsten von der Pfalz Töchterlein.«

»Die hat Euch zum geistlichen Stande beredet?« fragte die Kurfürstin erstaunt.

»Sie hat mich nicht beredet,« erwiderte stockend der Gefragte, »aber –«

»Nun, was denn?« –

Georg versteckte sein Antlitz und sagte: »Ich schäme mich, es zu sagen, gnädige Frau. Sie hat mir's angetan, und da ich weiß, daß sie für mich zu hoch steht, so will ich lieber die Welt und alle Weiber verlassen! Ja, das ist die eigenste und lauterste Wahrheit.«

Die Fürstin sah ihn freundlich an. »Georg!« rief sie, »keine Narrheit, wie sie dein Vater oft trieb! Was nicht gleich ihm dargeboten wurde, das stieß er von sich und wollte es nicht.«

»Ja, das Blut meines Vaters ist in mir!« rief der Jüngling. »Leicht und sorglos durchs Leben gehen, das mag ich, kommt mir etwas in den Sinn, was ich nicht durchzusetzen vermag, da möchte ich, daß es sogleich aus mit mir wäre.«

»Also du liebst, armer Junge!« rief die Kurfürstin, »liebst deine Halbcousine?«

Georg senkte das Haupt und schwieg.

»Das ist freilich schlimm!« entgegnete die Kurfürstin. »Sie ist hochmütig und auf ihre Geburt stolz, ich kenne sie, denn ich habe sie lange Zeit bei mir gehabt. Auch will der Vater mit ihr hoch hinaus.«

»Darum will ich Mönch werden! Da ist uns beiden geholfen,« sagte Georg.

»Nicht Mönch,« rief die Kurfürstin, »nur ja nicht Mönch! Solange es einen Degen in der Welt gibt, ist auch Aussicht für einen jungen, beherzten und kräftigen Burschen, wie du bist. Sieh mal die Söhne meines Bruders, die jungen Raugrafen; das ist ein Blut mit dem deinen; auch sie haben keine ebenbürtige Mutter. Verbinde dich mit dem ältesten und zieht beide in die Welt, Euern Ruhm durch Euern Degen Euch erwerbend.«

»Mein Schicksal ist trüber,« sagte Georg. »Dadurch, daß mein Vater früh starb, konnte er nicht die Verbindung mit meiner Mutter sanktionieren lassen. Die Welt sah sie für seine Mätresse an, sie aber war mehr, und dadurch, daß ich bei ihrem Tode in völlige Schutzlosigkeit versank, wurde mein Gedächtnis gänzlich getilgt bei meinen Angehörigen. Nur die edlen Männer, die um mein Dasein wußten, sammelten die Papiere und die Beweismittel, in deren Folge ich in meine Rechte eingesetzt wurde. Die jungen Raugrafen wachsen neben ihrem Vater und ihrer Mutter auf; sie haben keine Prüfungs- und Läuterungsperiode durchzumachen gehabt.«

»Gleichviel!« rief die Kurfürstin, »folge meinem Rate! Das ist das einzige, womit ich dir dienen kann. Nur werde nicht aus albernem Trotze ein Mönch! Die Kutte läßt sich nicht wieder abstreifen, bedenke das. Es ist just wie mit deinem Vater, der auch behauptete, mit uns sei es zu Ende, und wir sollten für immer vom Throne abtreten; siehe da, wir haben es nicht getan, das Glück hat sich gewendet, und wir stehen mit größeren Hoffnungen da, als wir je haben hegen dürfen.«

Georg küßte der Tante die Hand und entfernte sich niedergeschlagen. Den andern Tag war er fort. An Vater Antonius schrieb er, daß er sich Bedenkzeit ausbäte, und trug ihm auf, ihn bestens bei dem Herrn Herzog zu empfehlen.


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