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Dicht an dem Schlosse, nach der Nordseite hin, stieß an die Mauern der uralte, heilige See von Canongate. Seine schwarzen Gewässer lagen ewig unbewegt in der sichern Umfriedung der himmelhohen Felsen, die ihre zackigen Kronen in dem düstern Spiegel beschauten. Wenn der Mond die hohe Gebirgszinne überragte, ließ er das Silber seines Lichts nur mit Scheu in die Tiefe niedergleiten, gleichsam als fürchte er die Strahlen, die wie liebliche Kindergeister in die Nacht sich verirrten, um sich nicht wieder zurückziehen zu können. Ewiges Schweigen umgab die Ufer des Sees von Canongate. Als die Küsten Caledoniens noch von den Urbewohnern der Insel bevölkert wurden, geschahen an diesem See Taten ebenso finsterer Natur, wie das Element und seine Umgebung es sind. Heidnische Mysterien wurden hier gefeiert, die, soviel die Sage von ihnen berichtet, grausenerregende Erscheinungen bildeten. Der See von Canongate war berüchtigt durch die seltsamen Gebilde, die im Nebel über seine Fläche dahinschwebten, sowie die Felsenwände von einem ungewöhnlichen Echo, das die Geisterstimmen grauer Jahrhunderte vernehmen ließ, widertönten. In der ersten Mainacht war es nicht ratsam, sich weit weg von dem Schlosse zu verirren, um den Windungen zu folgen, die das geheimnisvolle Wasser weithin im Gebirge machte. Es hieß dann, daß die Zauberer, die früher diese Küste beherrschten, sich hier versammelten und daß selbst Merlin es nicht verschmähte, in diesen Versammlungen den Vorsitz zu führen. In dieser Nacht hörte man Gesänge, deren Töne nicht über irdische Lippen glitten, und es war gefährlich, diesen Tönen zu lauschen. Aus der Tiefe des Wassers schossen Lichtstrahlen, sie kamen aus den Straßen und Häusern der versunkenen Stadt Hath, die in der Tiefe des Sees ruhte. Erreichte der nächtliche Pilger die Kapelle des heiligen Dunstan, die in der tiefsten Schlucht versteckt war und den finstersten Wasserspiegel zu ihren Füßen sah, so erbebte er und erschaute Dinge, die ihm das Herz erstarren machten. Er sah die Geschicke, die vergangenen und die künftigen, in wundersamen und schreckenerregenden Gebilden an sich vorübergehen, und wehe ihm, wenn er den Anwandlungen eines Zauberschlafes unterlag, die Geister führten ihn in den Lüften fort, und nie ward seine Spur wieder gefunden.
In dieser Umgebung wuchs jetzt der junge Georg auf. Sein Tag war regelmäßig eingeteilt, er mußte fleißig in den Schriften lesen und sich in den Wissenschaften unterrichten, die der Graf für seine fernere Ausbildung und zu seiner dereinstigen Bestimmung unerläßlich erachtete. Meister Ulrich hieß der Mann, der ihn und noch einen Jüngling zu Schülern hatte. Früher Mönch eines schottischen Klosters, war er zum Orden übergegangen und hatte sich der freien Wissenschaft gewidmet. Finster und verschlossen sah er auf strengen Gehorsam und auf unausgesetzten, unermüdlichen Fleiß. Trat dieser düstere Schulmonarch ab, so nahm ein Mann seine Stelle ein, dessen Amt es war, die Spiele, die Spaziergänge und die freien Stunden der beiden Jünglinge zu überwachen. Dieser Mann hieß Antonius; es schwebte ein Dunkel über seinem eigentlichen Namen und über seinen früheren Schicksalen. Der Graf ließ sich nie über ihn aus, und im Schlosse folgte man seinem Beispiel. Antonius war klein von Gestalt, und da sein Körper dabei untersetzt und muskulös war, so machte er den Eindruck eines Zwerges oder wunderlichen Kobolds; dazu trug die feuerrote Kleidung, die er anhatte, das ihrige bei. Auf den alten Bildern war man gewohnt, die »kleinen Leute«, wie die Gnomen hießen, die das Innere der Gebirge bewohnten, in einem Scharlachgewande abgebildet zu sehen, wenn sie nicht in ihrer Amts- und Geschäftstracht, das heißt, mit dem schwarzen Schurzfell bekleidet und in dem Kittel der Grubenarbeiter erschienen. Die wenigen Bewohner des Schlosses waren überzeugt, und ließen sich für diese Überzeugung das Leben nehmen, daß Meister Antonius, oder wie er auch genannt wurde, Master Toni, ein Gnom von vornehmer Abstammung sei und mit den Menschen auf der Oberfläche der Erde nichts gemein habe als die zufällige Ähnlichkeit mit der menschlichen Körperbildung. Denn es konnte zufällig genannt werden, daß der dicke Kopf des Masters sich mehr einem Menschenschädel als einem Ochsenkopfe ähnelte, eine kleine Änderung der Form oder auch nur die Verschiebung von ein paar Linien, ein geringer Zusatz an einem Höcker hier oder einem Büschel Haare dort konnten den Ausschlag für die Tierbildung geben. Aber wenn dieses Wesen sprach, und es sprach oft, viel und mit großer Lebendigkeit, so war kein Zweifel weiter gestattet, daß es dem höhern Wesensrange angehörte. Toni hatte Verstand, Witz und eine wahrhaft blendende Gabe des Vortrags. Man mußte ihn von den alten Tagen seiner Heimat erzählen, mit nicht ganz anmutiger Stimme die kaledonischen Lieder singen hören, um zu erfahren, was eine Erzählung und ein Lied zu wirken imstande waren. Auch ließ sich Toni herab, den Narren zu machen, wenn es die Gelegenheit erforderte, das heißt einmal im Jahre, wenn der Patrickstag eintraf und das schon erwähnte Bankett im Rittersaale gegeben wurde.
Das Amt, das Master Toni bei den beiden Jünglingen verwaltete, haben wir in seinen äußeren Umrissen bereits angegeben, doch die vorgeschriebenen, umgrenzenden Linien füllte er auf seine Weise aus. Wenn es ihm anbefohlen war, daß er die Knaben nicht dürfe müßig dahinschlendern lassen, so war damit noch nicht gesagt, womit er ihnen die Stunden zu füllen habe. Das war Master Tonis Sache und er ließ sich hier auch nichts vorschreiben. Jeder andere, der nicht die unerschöpflichen Fundgruben des Witzes hatte, die dem Zwerge zu Gebote standen, würde auf einem Schauplatz wie dem, den wir eben geschildert, bei der Einförmigkeit und der Stille dieser »ewig unveränderten« Natur um den Stoff verlegen gewesen sein, mit dem er den Geist seiner Zöglinge zerstreuen und laben solle; Master Toni wußte stets Auskunftsmittel. Er kletterte mit seinen jungen Genossen im Gebirge umher, stieg auf die Höhenzüge und ließ sich in die Schluchten hinab. Das Dorf Canongate mit seiner am Bergeshange gelegenen Meierei und seinem alten in Trümmer fallenden Kloster war zweimal die Woche der Zielpunkt der Wanderungen, die früh in den Nachmittagsstunden und, wenn der Sommer vorrückte, nach der Abendvesper unternommen wurden. Im Mondschein kehrte dann die kleine, wandernde Gesellschaft, zu der sich oft einige Knechte des Schlosses oder der Pfarrer des Kirchsprengels von Heathwood gesellte, zurück. Meistenteils machte Antonius seine Streifereien mit seinen jungen Gefährten allein.
Wenn dann der Mond über die Bergspitzen, die den See von Canongate einschlossen, emporstieg, oder wenn er sich auf die weithin schimmernden Wiesen der westlichen Talfläche mit seinem Glanz hinbreitete, so saß der Zwerg an irgendeiner bequemen Stelle und erzählte seine Geschichten. Am häufigsten sah man ihn auf einem kleinen Felsenplateau Platz nehmen, das hoch oben über dem See befindlich war und nicht ganz ohne Gefahr von rüstigen Kletterern erreicht wurde. Hier schwebte die kleine Gesellschaft, wenn die Nebel des Sees aufstiegen, wie in einer Wolke, und die Lieder, die das Landvolk hörte und den Geistern des Gebirges zuschrieb, tönten dann von den Lippen der drei nächtlichen Genossen.
Auf die an wilde, wechselnde Genüsse gewöhnte Seele Georgs fiel diese Einsamkeit zu Anfang wie eine Art Qual und wie ein Unglück. Erst nach und nach gewöhnte er sich, aus dem Fenster seines kleinen Studierzimmers, das einen Erker nach Sem See hin bildete, immer dieselbe schwarze Wand der Felsen, immer dasselbe unbewegliche, dunkle Gewässer zu seinen Füßen zu sehen. Er beklagte bitter, nicht mehr die lustige Schenke des guten Mannes Bertholet betreten zu dürfen, keinen Becher mehr zu leeren mit Paraclet, seinem gelehrten und würdigen Freunde, und keine Abenteuer mehr erleben zu können, ähnlich dem, das ihm den Verlust der hundert Goldstücke eingetragen. Selbst dem finstern Herrn Onofrius, der ihm diese Veränderung gebracht, wäre er gern wieder begegnet, da dieser ihn an das verlorene Paradies lebhaft erinnert hätte, aber der Arzt oder Magier war nicht zu erspähen; er war und blieb fort. Meister Ulrich war dem Jünglinge verhaßt, und er folgte nur gezwungen dessen Befehlen und Ratschlägen. Nur Toni wurde sein guter Freund und leistete ihm Ersatz für den Verlust gewohnter Freuden und eines ungebundenen, freien Lebens. Master Toni erkannte dies mit Dank an und neigte sich mehr zu ihm als zu dem jungen Olivier, dem Mitschüler oder vielmehr Mitgefangenen Georgs.
Olivier, ein Jahr älter als Georg, war der Enkel eines Edlen, dessen Großvater ein Jugendfreund des Schloßherrn gewesen; doch war er ein Schotte von Geburt. Der junge Deutsche und der junge Schotte vertrugen sich nicht zum besten miteinander. So lebhaft und genußsüchtig Georg war, so ernst, verschlossen und träumerisch war Olivier, den Toni mit Anspielung auf einen alten Helden der Tafelrunde und in Anbetracht der Vorliebe, die der Jüngling für die Ufer des Sees von Canongate hegte, »den Ritter vom See« nannte, ein Name den sich der so Getaufte gern gefallen ließ.
In dem Kopfe Oliviers spukten alle Helden, Gespenster und Gnomen seines sagenreichen Vaterlandes. Obgleich hoch und kräftig gewachsen, zeigte er doch in seiner ganzen Erscheinung etwas Weichliches, fast Weibisches. Er war träge, unentschlossen, träumerisch. Nur gezwungen mutete er seinem Körper Anstrengungen zu. In seinem bleichen Angesicht schimmerten dunkle, große Augen mit einem geisterhaften Glanze; von ungemeiner Frische waren Lippen und Wangen, und ein fast bläulicher Schatten überkleidete die hohe Stirn, über die die lichtbraunen Locken in wilder Unordnung niederfielen. Er trug die Arme und Beine, die von großer Schönheit waren, gern entblößt, auch schmückte er sich mit Ringen, von denen einige kostbare Steine, mit geheimnisvollen Charakteren geziert, enthielten.
Olivier war Meister Ulrichs Liebling, insoweit ein so strenger, finsterer Mann eine vorherrschende Neigung zu irgendeinem Menschen oder Dinge zu fühlen vermochte; er wirkte ihm immer wieder Verzeihung bei dem Schloßherrn aus, wenn der junge Schotte gegen das ausdrückliche Gesetz, das gemeinsame Spaziergänge vorschrieb, Tage und Nächte lang sich allein im Gebirge umhertrieb und wenig der Vorwürfe Master Tonis achtete, der endlich aufs bestimmteste erklärte, daß, wenn seinem Pflegebefohlenen einst ein Unglück zustoße, seine mangelnde Beaufsichtigung nicht daran schuld sei.
»Was treibt dich nur immer zu der Kapelle des heiligen Dunstan, mein Sohn?« fragte der Zwerg eines Abends, als die drei Genossen auf der Felsenplatte im Mondenscheine beisammensaßen und Antonius eben einige seiner schönsten vaterländischen Sagen erzählt und Georg ein Lied seiner Heimat dazu gesungen hatte. »Was suchst du dort? In der verflossenen Nacht bist du meiner Aufsicht wiederum entschlüpft, und wo haben dich die suchenden Knechte gefunden? Auf den Altarstufen dieses alten heidnischen Trümmerhaufens liegend und in einen Schlummer gesunken, der viel zu fest und viel zu ungewöhnlich war, als daß er ein natürlicher hätte sein sollen.«
Der Jüngling hörte die vorwurfsvollen Fragen mit einer Miene der Gleichgültigkeit an, die den Fragenden verletzte und ihn von weiterer Nachforschung abhielt. »Du antwortest mir nicht,« hub er nach einer Pause an; »ohne Zweifel hältst du mich nicht für würdig, der Teilnehmer deiner Geheimnisse zu sein; zu diesem Amte berufst du lieber den ersten besten ungeschlachten Köhler und Sackträger. Nun, ich muß es zufrieden sein, und wie ich in meinem ganzen Leben in keines Menschen Heimlichkeiten habe eindringen wollen, so will ich auch nicht den Schleier lüften, der auf deinen schwarzen Stunden ruht, armer Junge. Denn daß es schwarze Stunden sind, davon bin ich überzeugt, du würdest sonst nicht so bleich ausschauen und so scheu und verwildert heimkommen, wenn du einmal wieder die Nacht im Gebirge zugebracht hast.«
»Was hat dir der William getan, daß du auf ihn schmähst?« sagte Olivier. »Soviel ich weiß, ist er dir nie in den Weg gekommen. Er bringt seine Kohlen, liefert sie an dem bestimmten Ort ab und geht weiter. Es gibt kein harmloseres Geschöpf als diesen Alten. Freilich sind die Säcke, in denen er seine Ware trägt, schwarz, und wenn du, da ich mich ihm zur Hilfe oft mit diesen Säcken belade und meine Kleider schwärze, dies meine schwarzen Stunden nennst, so sollst du recht haben.«
»Nein, nein, so meine ich's nicht!« sagte Master Toni unmutig. »Lehre mich den Alten nicht kennen. War ich nicht gegenwärtig, als er dir einmal versprach, er wolle dich, der Himmel weiß durch welch ein Zaubermittel, in die Tiefe des Sees bringen und dich dort in den Straßen und auf den Plätzen der versunkenen Stadt wandeln lassen?«
Das dunkle Auge Oliviers blitzte auf. »Ja,« rief er, »das hat er mir versprochen, und ich zweifle keinen Augenblick, daß er sein Versprechen zu halten vermag! Denkt nur, Freund Antoni, wie herrlich es sein muß, wenn ich in stiller Mitternacht dort unten wandeln und mir die Schlummernden, die in einem viele hundert Jahre dauernden Schlafe liegen, anschauen werde! Aber sie schlafen nicht alle. Ich weiß es. Die schöne Jungfrau, die in dem Palaste einsam auf silberschimmernden Polstern ruht, in der Hand das Szepter von Korallen und auf der Stirn die Perle der Königin Laraith, ein Talisman, der ewige, unzerstörbare Jugend und Schönheit verleiht, diese schlummert nicht. Aber der See ist nicht das Einzige und nicht das Wichtigste, was mir Willi zu zeigen vermag; er ist der Herr über noch ganz andere Geheimnisse.«
»Er ist der Herr über tausend Narrheiten!« rief der Zwerg unwillig. »Ich kann mich mit den Leuten nicht vertragen, die stets mit wundersamen Dingen sich umgeben und nur dunklem und verbotenem Wissen nachstreben.«
»Alsdann muß dir auch der Schloßherr als ein verachtungswertes Wesen erscheinen,« sagte Olivier rasch; »denn schließt er sich nicht ganze Tage und Nächte mit Onofrius ein, wenn dieser auf seinen geheimnisvollen Reisen hier einmal einen längeren Aufenthalt macht? Und beschwört er nicht mit diesem Gehilfen Geister und macht Gold?«
»Wir wollen davon nicht sprechen,« sagte Antonius, kurz abbrechend. »Was der Mann tut und was der Knabe tut – kann nicht einunddasselbe sein, wenn es auch denselben Namen führt. Was sagst du, Georg; möchtest du auch die Stadt Hath sehen auf dem Seegrunde?«
»Viel lieber die alte Stadt Paris auf der lichten Erdoberfläche!« rief der Gefragte. »Ach, welch ein schönes Leben dort drüben auf der sonnenbeschienenen Erde Frankreichs!« –
»Mich schaudert wenn ich an das Gewühl der Städte denke!« sagte Olivier. »Was erschaut nur das Auge an diesen zahllosen, durcheinander irrenden Gestalten? Alles irdische, vergnügungssüchtige, Beweglichkeit, und getrieben von einer leeren Sucht nach Gepränge und Ziererei.«
»Denke an die schönen Frauen!« warf Georg ein.
»Gerade die sind mir am meisten verhaßt. Du lieber Himmel, was sind das für Weiber! Wenn man sie anschaut, überfällt einen der Ekel, und man fühlt sich an alles Erbärmliche erinnert, was die Erde trägt.«
»Freilich, für einen der in den Grüften und unter einem Sargdeckel seine Liebschaften aufsucht, sind diese armen Weiber nichts!« sagte Antonius. Diese Worte waren so leise hingesprochen, und der Schall wurde absichtlich zu den Nebeln des Sees hingelenkt, daß beide Jünglinge nichts von ihm vernahmen; aber in das Ohr eines dritten gelangten sie; dies war der Köhler William, der auf einem Vorsprung des Felsens, wenige Fuß tiefer stand und, unbemerkt und unbeweglich an die finstere Wand sich lehnend, dem Gange der Unterhaltung der über ihm Sitzenden gefolgt war.
»Ei, wie klug!« murmelte er vor sich hin. »Was weißt du, roter Lichtkäfer, von den Liebschaften meines Jungen? Sieh doch! Sei vorsichtig, mein Olivier.«
Georg erzählte jetzt von seinen Wanderungen in früher Jugend und seinem Aufenthalt in den volkreichen Städten, Olivier und Antonius hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Es war weit über Mitternacht, als die drei Nachtschwärmer nach Hause kamen.