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Der Schlag ins Gesicht

Der Pfalzgraf Karl Ludwig empfing bei seiner Zurückkunft die Nachricht von den zwei Fremden; er tadelte seine Tochter über das erbetene Geschenk und befahl der Gouvernante, daß sie künftig dergleichen nicht dulden solle; denn er, wie sein Haus, begehre von niemand etwas.

Die Stimmung des Herrn war schwer und bedrückt. Er setzte sich an einen Tisch in der Halle und stützte das Haupt in die Hand. Wenn man das Antlitz ansah, wie es sich jetzt, halb beschattet von der Hand, zeigte, so war es das eines noch schönen Mannes, obgleich die Jahre merklich darüber hingezogen waren. Das Auge war groß und dunkel, aber zugleich geheimnisvoll und düster; die Brauen hingen tief hinein, und sie sowohl als die Barthaare hatten einen Anflug von Grau, obgleich der Herr noch nicht volle vierzig Jahre zählte. Seine Gestalt war voll und stark; der einfache Jagdrock zeigte die Schönheit und das Ebenmaß der Glieder. In der Jugend war Karl Ludwig schwächlich gewesen, und der mindest schöne von den schönen Kindern des unglücklichen Böhmenkönigs und der lieblichen Prinzessin von England; später aber hatten Kriegsübungen seinen Körper gestählt, und die trüben Erfahrungen seiner Jugend waren ihm Lehren der Weisheit und Vorsicht geworden.

Das Kind, das noch immer mit seinem goldenen Bildchen spielte, drückte sich zwischen die Knie des Vaters, und indem es die klaren Augen nicht von der kummergedrückten Miene desselben wegwandte, liebkoste es schüchtern den trauernden Mann, indem es mit seinen Händchen über die breite und nervige Hand des Vaters fuhr. Madame Joli hatte sich entfernt.

»Was haben dir die Herren gesagt?« fragte der Vater seine Tochter, indem er sie mit mißtrauischen Blicken ansah.

»Nichts, Papa, gar nichts. Die waren ja selbst fremd!« erwiderte das Mädchen.

»Vielleicht waren es Späher,« murmelte der Fürst vor sich hin. »Ich habe überall Feinde.«

»Die hatten so offene, gute Gesichter,« sagte die Kleine. »Wenn sie alle in Frankreich so aussehn, möchte ich wohl hin.«

»So?« sagte Karl Ludwig, und seine Miene verzog sich etwas zum Lächeln. »In zehn Jahren wollen wir weiter davon sprechen. Ich werde dich aus dem Hause geben, Mädchen!«

Das Kind sah den Vater an. »Fortgeben willst du mich?« fragte es unwillig und überrascht. »Wohin denn? Gehör' ich nicht hierher? Bin ich nicht dein Kind?«

»Du sollst zu deiner Tante, der guten Kurfürstin von Hannover.«

»Zu der? Zu der Tante, die mir zu Weihnachten die schöne Puppe geschickt hat? Ja, zu der will ich.«

Die Kleine sah zufrieden und stolz ans, indem sie dies sagte. Der Vater fragte: »Also du gehst gern?«

»O – Vater!« rief sie und hing sich an seinen Hals, »wie kannst du nur so sprechen! Ich denke, du kommst mit!« sagte das Mädchen.

»Wie kann ich?« rief der Vater finster. »Weißt du denn nicht, daß ich hierbleiben muß?«

»Wegen Fräulein Luise?« fragte das Kind.

»Still!« rief der erschreckte Mann und hielt die Hand dem Kinde vor den Mund. »Du darfst nicht von ihr sprechen. Hörst du? Nie ihren Namen nennen. Die Arme hat es so schon schwer genug hier im Hause!« –

»Die liebe Tante Sophie!« rief das Kind, plötzlich wieder heiter. »Wird sie mich aber auch wollen, wenn ich ohne dich komme?« –

»Mama Joli wird dich hinbringen; dort wirst du eine andere Gouvernante erhalten, die dir die Tante ausgesucht hat.«

»Wo bleibt Joli?« fragte die Kleine.

»Sie geht nach Frankreich zurück, wo sie ihre Verwandten hat,« entgegnete der Vater und strich mit der Hand über das Lockenhaupt des Kindes. Er hielt plötzlich inne und lauschte nach einer Seite hin. »War es nicht, als ginge die Türe an der Kammer der Mutter?« fragte er, sich umsehend.

»Nein, nein!« entgegnete die Kleine, »hier ist alles still und tot. Es ist wie im Grabe. Seitdem die Mutter böse ist, hört man keinen Laut hier. Zum Essen kommt aber Vetter Ernst; er hat es sagen lassen.«

»Hat man es der Mutter gemeldet?«

»Mama Joli ist drin gewesen,« erwiderte das Kind, »sie hat mit dem Kopf genickt, gesagt hat sie nichts.«

Der Fürst war in Nachdenken versunken. Er sah auf das Antlitz seines Kindes, und ihm die Haare aus dem Gesicht streichend, versenkte er sich tief und forschend in die hellen Augen. »Wirst du auch einmal die Qual und die Marter eines Mannes werden?« flüsterte er. »Ruht auch in dir der giftige Lindwurm, der unsere Tage verzehrt und uns vor der Zeit reif zum Grabe macht? Es wäre besser, du wärest nie geboren! Hier, mit dieser Hand könnte ich dich erwürgen! Dich von der Erde hinwegreißen, giftiges, kleines Unglücksgeschöpf!«

Seine Augen nahmen den Charakter einer ungezähmten Wildheit an, und das Kind, das sonst nicht furchtsam war, senkte seinen Blick und suchte zwischen den Knien des Vaters zu entschlüpfen. Er hielt sie aber nur fester.

»Bleib!« rief er drohend, »und höre, was ich dir sage. Du weißt, wo ich gestern abend war, zwischen zehn und elf Uhr?«

Das Kind neigte das Haupt bejahend.

»Dein Tod ist's, wenn du es der Mutter wiedererzählst!« sagte der Vater mit leiser und einschüchternder Stimme. »Hörst du – dein Tod!«

»Ich werde niemand etwas sagen!« versicherte das Mädchen.

»Darum mußt du fort!« sagte der Zürnende, halb vor sich hin. »Vor Teufeln kann ich mich wehren, aber nicht vor Engeln, die die Rolle der Teufel spielen. Jetzt geh und sieh, ob der Tisch gedeckt ist. Ich komme gleich hinab, sage das der Mutter, und sei freundlich und froh.«

Die kleine Elisabeth Charlotte, schon jetzt eingeweiht in die geheime Geschichte ihres Hauses, war die Vertraute des Vaters und des Fräuleins Luise von Degenfeld, während sie gegen die Kurfürstin, ihre Mutter, geheimnisvoll und verschlossen blieb. Diese Rolle, die das Kind spielen mußte, drückte ihre Spuren in seinen offenen und freien Charakter. Sie verstand, so jung sie auch war, schon zu heucheln und sich zu verstellen. Dies machte den Kummer und die Sorge der kleinen, unschuldigen Seele aus, die gern die ganze Welt zu Freunden haben wollte. Im Vorzimmer wartete die Joli auf sie, nahm sie auf den Arm und brachte sie ins Ankleidezimmer, wo der schöne, rote Festtagsrock lag, den sie heute anlegte.

Der Haushalt der Pfalzgrafen und Kurfürsten damaliger Zeit hatte etwas Einfaches, beinahe Bürgerliches. Frühmorgens stand der Herr auf, frühstückte allein, trank dazu eine Kanne Biersuppe, dann ging er auf dem Altan seines Schlosses, wo er seine Vertrauten hinbestellt hatte, auf und ab, und sich der herrlichen Fernsicht erfreuend, an schönen Morgen ungestört und unbelauscht, besprach er mit dem Kanzler Wellenritt die Angelegenheiten seines Hauses und seines kleinen Reiches. Wellenritt war ein ältlicher Mann, dessen Jugend in Kriegslagern dahingegangen war, im Dienste des Böhmenkönigs Karl Ludwig Viktor. Dann ging der Kanzler seinen Geschäften nach, und der Kurfürst begab sich in die untern Räume, wo gewöhnlich einige Herren von der Regierung sich einfanden, die Befehle erhielten und die Landeswünsche vortrugen. Alsdann wollte es die Pflicht, daß der Kurfürst in den Gemächern seiner Gemahlin sich einige Augenblicke aufhielt, von wo dann zur Tafel gegangen wurde. Diese, wenn keine Gäste da waren, wurde in althergebrachter Weise zusammen mit den Kindern, den zwei Edelfräulein der Kurfürstin, und den Ammen und Wärterinnen der Kinder zugebracht. Waren Gäste zugegen, so wurden nur die beiden Fräulein an die Tafel gezogen, die übrige kleine Welt tafelte für sich, doch immer in demselben Zimmer. Den Nachmittag ging der Kurfürst aus und blieb oft bis zum Abend fort, wo dann ein ebenso häuslicher Nachtimbiß die kleine Burggesellschaft versammelte. Gab es feierliche Gelegenheiten zu begehen, so war der Kurfürst durchaus kein Feind von Gelagen und späten Nachtessen. Alsdann erstrahlte die alte, pfalzgräfliche Burg zu Heidelberg im Glanze der Lichter bis spät in die Nacht, und unten die getreuen Städter erfreuten sich am Schall der musikalischen Instrumente, die bis tief zur Morgenröte hineintönten.

Ein solches Fest wurde gefeiert, als das junge Fräulein von Degenfeld an den Hof kam, um die Stelle einer Dame der Kurfürstin anzutreten. Damals war alles Freude und Glanz. Die Kurfürstin hatte die Mutter des jungen Fräuleins geliebt, sie hatte ihr auf ihrem Totenbette versprechen müssen, für das Mädchen zu sorgen, und als sie nun herangewachsen sich ihr vorstellte, glaubte die Beschützerin in ihr alle Eigenschaften zu entdecken, die wert waren, das Glück zu gründen, das durch den neuen Ankömmling heraufbeschworen war. Luise von Degenfeld war ebenso schön, wie sie sanft und liebenswürdig war. Dem kurfürstlichen Hause war in ihr ein neuer Stern aufgegangen, der seine friedebringenden Strahlen weit über alle Verhältnisse des Hauses warf. Alle Mißhelligkeiten wurden versöhnt, Widerwärtigkeiten geschlichtet, neue freudige Annäherungen geschlossen, bis plötzlich, in einer unglücklichen Stunde der Genius der Zwietracht erwachte und der böse Engel der Eifersucht sich des Herzens der Kurfürstin bemächtigte.

Die Gelegenheit war auf einem Balle. Schon war Luise drei Jahre Hausgenossin gewesen, und der Kurfürst, seiner Gemahlin treu, hatte ihr nicht die mindeste Annäherung gezeigt. Während die tanzenden Paare im Saale sich bewegten, vermißte man Luisen. Sie wurde gesucht und nicht gefunden. Die Kurfürstin flüsterte ihrem Gemahl zu, daß sie bemerkt habe, wie der Truchseß von Leuberg, der schon lange für das schöne Fräulein brannte, in eines der Nebengemächer mit ihr verschwunden sei. Diese Nachricht schmerzte den Herrn; er hatte bis jetzt den Ruf des Fräuleins für unverletzbar gehalten, und jetzt mußte er vernehmen, daß sie im Einverständnis mit einem Manne sich heimlich von der Gesellschaft entfernt habe. Er beschloß sogleich, sie selbst zu suchen, und fände er sie mit dem Truchseß zusammen, vor aller Welt die Verbindung zu verkündigen; denn er wollte durchaus nichts Heimliches in seinem Hause dulden. Er ging die große Stiege hinab, er durchsuchte die Gemächer, die abseits vom Tanzsaal lagen; er öffnete die Kabinette, die von der höheren Dienerschaft bewohnt wurden, nirgends entdeckte er etwas. Endlich näherte er sich dem Zimmer des Fräuleins. Leise schluchzende Worte drangen an sein Ohr; er glaubte die Stimme des frechen Ehrenräubers zu erkennen. Einem Tritt des Fußes wich die Tür. Was erblickte er? Auf dem Boden hingestreckt, lag eine alte Frau, in elende Lumpen gekleidet, und über sie gebeugt, mit einem Tuche in der Hand, kniete Luise. Beim Eintritt des Herrn sprang sie auf und nahte sich, schüchtern und um Verzeihung bittend, dem finster Forschenden.

»Wie? Sie hier, mein Fräulein, und in dieser Tracht einer Krankenwärterin?« rief der Kurfürst, angenehm überrascht, seine Vermutung nicht bestätigt zu finden.

»Gnädiger Herr,« erwiderte das Fräulein, »diese Frau begegnete mir auf der Treppe, als ich im Begriff stand, in den Ballsaal zu gehen. Sie war hinfällig und krank, unfähig, den Gang zu vollenden, den sie sich vorgenommen, und der sie mit einer Bitte zu Euer kurfürstlichen Gnaden führen sollte; was sollte ich tun? Sie ihrem Schicksal im Gewirr überlassen? Ich führte sie mit Hilfe eines Dieners hierher, und hier beschäftige ich mich mit ihrer Pflege.«

Der Fürst sah die alte Frau genau an und fragte: »Woher bist du?«

»Aus Hechingen, gnädiger Herr!« erwiderte sie, sich mühsam aufrichtend. »Mein Sohn hat die Ehre, in kurfürstlichen Diensten zu stehen. Man sagte mir, er sei in Ungnade gefallen und sollte aus dem Dienst entlassen werden. Da machte ich mich auf, für ihn Fürbitte einzulegen.«

Während die Alte sprach, hatte der Kurfürst seinen Blick auf die jungfräuliche Gestalt der helfenden jungen Dame gerichtet. Mochte es nun das Ungewohnte der Situation, mochte es die ungewöhnliche Färbung sein, die ihr Gesicht durch das Niederbeugen rötete, er fand sie schön und sagte ihr dies mit leisem Flüstern, indem er, sich umwendend, bemerkte, daß ein Diener ihm gefolgt war. Er gab ihr den Arm, überließ dem Diener die Alte und führte sie in den Tanzsaal, worauf er daselbst laut vor der Kurfürstin und den Gästen die schöne Tat des Fräuleins lobpreisend erzählte.

Von dieser Zeit an entspann sich ein Verhältnis zwischen dem Kurfürsten und dem Fräulein.

Das war nun bereits zwei Jahre her. Die Kurfürstin kämpfte dagegen mit allen Waffen, die Eifersucht und beleidigte Eitelkeit ihr eingaben; aber vergebens. Sie bewirkte nur, daß die Flamme, die ihr Gemahl für das schöne, tugendsame Fräulein hegte, an Lebhaftigkeit zunahm und an Dauer wuchs.

An dem Abend, von dem hier die Rede ist, sollte der eifersüchtige Kampf zu einer Entscheidung gedeihen. Es war nur ungünstig, daß ein dritter, und zumal der Prinz von Baden, dabei zugegen war.

Als man sich bei Tische versammelte, bemerkte der Kurfürst eine Wolke auf der Stirn seiner Gemahlin. Sie saß schweigend und still da, währender Prinz und der Kurfürst eine gezwungene Unterredung führten. Fräulein von Degenfeld hielt ein Unwohlsein an ihr Zimmer gefesselt. Die kurfürstlichen Kinder mit ihren Bonnen und Gouvernanten saßen an einem Tischchen in der Ecke des Gemaches.

Der Unwille des Fürsten stieg von Minute zu Minute. Er mutmaßte, seine Gemahlin habe sich bei dem Gaste über ihn beschwert, und er drang jetzt darauf, ein freundliches Gesicht von ihr zu sehen.

»Warum so übler Laune, Madame?« fragte er gespannt und die Augen nur halb öffnend, wie er es zu tun pflegte beim Heranrücken eines Sturmes.

»Sie fragen mich, mein Herr?« bemerkte die Kurfürstin in einem gleichgültigen Tone.

»Wen sonst?« entgegnete er. »Was ist Ihnen geschehen, was Ihre Laune dermaßen verschlimmert hat, daß Sie ganz zu vergessen scheinen, daß wir einen Gast haben?«

»Die Frau Cousine«, bemerkte der Prinz von Baden, »war noch vor einer Stunde die Fröhlichkeit und Liebenswürdigkeit selbst.«

»So! Also meine Gegenwart ist's alsdann, die so übel wirkt,« sagte der erzürnte Fürst. »Ist's so, Madame?«

Keine Antwort. Nur ein stilles, verdrießliches Vorsichhinsehen.

»Ich will Antwort!« rief der Fürst jetzt im vollen Zornes. »Man spreche es laut aus, was mißfällt und was man anders wünscht.«

»O, sehr vieles!« sagte jetzt die Kurfürstin in einem schnellen und leidenschaftlichen Tone. »Wenn das Aussprechen nur hülfe. Kann man einen Hof sehen, an welchem es übler zugeht als hier!«

»Wer beträgt sich hier schlecht?« rief der Fürst wahnsinnig laut.

Die Kurfürstin blieb still und verwundert sitzen.

»So sei dies die Antwort!« schrie der Fürst, indem er seiner Gemahlin einen Schlag ins Gesicht gab, so daß die Tischgäste entsetzt aufsprangen. Die Kurfürstin warf ihrem Gemahl einen Blick zu, in dem sich Zorn und Verachtung aussprachen, und verließ den Saal. »Ich will Ruhe haben!« tobte der Zornige weiter, »und kann ich sie nicht auf anderen Wegen erreichen, so auf diesem. Sie ist die Tückische, die mich immerdar zum Zorne reizt. Es muß anders werden. Ich schwöre es bei dem Andenken meines Vaters.«

Die Kinder hatten sich erhoben. Der Knabe lief der Mutter nach, das kleine Mädchen aber kam zum Vater, klammerte sich an dessen Knie und bat: »Schlage mich, Vater, wenn du jemand schlagen willst, nur nicht die Mutter.«

Der Zorn des Fürsten war verzogen. Er hob das Kind auf, küßte es und rief unter vorquellenden Tränen: »Es ist gut, Kleine; es wird alles gut werden! O, was das Dasein für eine Qual ist!«


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