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Wir müssen jetzt unter dem allgemeinen Namen Kontemplation alle die fortgeschritteneren Zustände der Innenkehr betrachten, in denen der Mystiker irgend etwas erreicht: die Folgen und Belohnungen der Disziplin der Sammlung und Ruhe. Wenn diese geistige Gymnastik ihre Wirkung getan hat, so hat sie nur eine Bewußtseinsform – ein Medium des Verkehrs mit der Wirklichkeit – an die Oberfläche gebracht, ausgebildet und für das Leben wirksam gemacht, die beim gewöhnlichen Menschen unentwickelt bleibt. Dank dieser Fähigkeit ist er nun imstande, den eigentümlich mystischen Akt zu vollziehen: eine zeitweise Vereinigung mit »jenem geistigen Urquell, der allen Gegenwirkungen von seiten der Sinnenwelt verschlossen ist, wo Gott und unsere Freiheit sich ohne Zeugen begegnen« Récéjac, Fondements de la Connaissance Mystique p. 176..
Auf den Stufen der Sammlung übte das Selbst sich in geistiger Aufmerksamkeit und erhob sich zugleich auf eine neue Wahrnehmungsebene, wo es mit Hilfe des Symbols, das den Sammelpunkt seiner Kräfte bildete, einen neuen Lebenszufluß erhielt. Auf den Stufen der Ruhe gelangte es dann zu einem Zustande angespannter Stille, wo es in jener Wirklichkeit ruhte, die es noch nicht anzuschauen wagte. Nun, auf der Stufe der Kontemplation, soll es sowohl über das Stadium des Symbols wie über das des Schweigens hinausgelangen und »sich begeistert auswirken« auf jenen hohen Ebenen, die dem Verstande dunkel, doch dem Herzen leuchtend hell sind. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß diese kontemplative Tätigkeit sich auf die verschiedenste Weise zeigt und die verschiedensten Namen annimmt, da ihr Typus in weitem Maße durch die individuelle Anlage bestimmt wird. Sie erscheint unter den Formen, die von den mystischen Schriftstellern als »ordentliche« und »außerordentliche«, »eingegossene« oder »passive« Kontemplation bezeichnet werden, und als das »Gebet der Einigung«, von dem wir bereits gesprochen haben Oben S. 319.. Bisweilen zeigt sie sich auch in Gestalt jener abnormen psychophysischen Zustände, wo das Selbst sich so intensiv auf seine übersinnlichen Wahrnehmungen konzentriert, daß es jedes Bewußtsein von der Außenwelt verliert und alle Botschaften der Sinne unbeachtet läßt. Das Subjekt ist dann in einem Zustande der Verzückung, dem eine körperliche Starrheit und mehr oder weniger vollständige Gefühllosigkeit eigentümlich ist. Dies sind die Zustände der Ekstase, deren physische Ähnlichkeit mit gewissen Symptomen der Hysterie die Feinde der Mystik so sicher gemacht hat.
Verzückung und Ekstase unterscheiden sich von der eigentlichen Kontemplation dadurch, daß sie vollständig unabhängig vom Willen sind. Verzückung, sagt die hl. Teresa, die sie häufig an sich erfuhr, ist durchaus unwiderstehlich, wir können sie nicht hindern. Wogegen das Gebet der Einigung, welches eine der Formen ist, in denen die reine Kontemplation auf dem höchsten Punkte ihrer Entwicklung erscheint, in weitem Maße vom Willen des Subjekts kontrolliert wird und »von ihm gehindert werden kann, wenn auch diese Hinderung schmerzvoll und gewaltsam ist S. Teresa, Vida Kap. 20, §§ 1 u. 3.« Es besteht also eine scharfe Scheidung zwischen dem kontemplativen und dem ekstatischen Zustande, in physischer wie in psychischer Hinsicht, und wir werden gut tun, diese Scheidung bei unserer Betrachtung ihres Charakters zu beachten.
Wir handeln nun zunächst von Kontemplation im eigentlichen Sinne. Sie ist eine erhabene Manifestation jener unteilbaren Erkenntniskraft, die allen unsern künstlerischen und geistigen Befriedigungen zugrunde liegt. In ihr wird die menschliche Dreifaltigkeit von Denken, Lieben und Wollen zu einer Einheit, und Gefühl und Wahrnehmung fließen in eins zusammen, wie es bei all unsern Wahrnehmungen der Schönheit und bei unsern besten Berührungen mit dem Leben der Fall ist. Die Kontemplation ist nicht ein Akt der Vernunft, sondern der ganzen Persönlichkeit, unter dem Antrieb mystischer Liebe. Daher kommen ihre Resultate der ganzen Persönlichkeit zugute, dienen ihrem Trieb zum Guten, Schönen und Wahren. Psychologisch genommen ist sie ein induzierter Zustand, bei dem das Bewußtseinsfeld sich sehr verengt, da das ganze Selbst, all seine Willenskräfte sich scharf auf Ein Ding konzentrieren. Wir gießen uns selbst aus, oder, wie es uns bisweilen erscheint, hinein in dies beherrschende Interesse, glauben jenes zu erreichen und mit ihm zu verschmelzen. Was es auch sein mag, in diesem Akt erkennen wir es, wie wir es durch die gewöhnlichen Denkmethoden nie erkennen können.
Dadurch, daß wir unsere Aufmerksamkeit von jener bestimmten und krausen Welt der Vielfältigkeit, jener Kinovorstellung, mit der der Verstand sich abzugeben gewohnt und fähig ist, abkehrten, sind neue Wahrnehmungskräfte in uns frei geworden, von denen wir nie wußten, daß wir sie besaßen. Anstatt den einzelnen Teil genau wahrzunehmen, fühlen wir die feierliche Gegenwart des Ganzen. Größere Tiefen der Persönlichkeit sind aufgeschlossen und strecken sich froh dem All entgegen. Dies All oder irgendeine Wirklichkeit, die zwischen ihm und uns verborgen ist, gibt dem »wahren Liebeswillen unseres Herzens« Antwort. Unsere nach innen gerichtete Konzentration wird ausgeglichen durch ein starkes Gefühl der Expansion nach außen, ein Gefühl, daß neue Welten uns zu eigen gegeben werden, wie das Leben des Universums in uns einströmt.
Delacroix hat den psychologischen Charakter der reinen Kontemplation mit großer Feinheit beschrieben. »Wenn die Kontemplation eintritt,« sagt er, »so bewirkt sie a) einen allgemeinen Zustand des Gleichmuts, der Freiheit und des Friedens, ein Sicherheben über die Welt, ein Gefühl von Glückseligkeit. Der Mensch hört auf, sich in der Vielfältigkeit und Geteiltheit seines allgemeinen Bewußtseins wahrzunehmen. Er wird über sich selbst emporgehoben. Eine tiefere und reinere Seele tritt an Stelle des normalen Selbst. b) In diesem Zustande, in dem das Bewußtsein der Ichheit und das Bewußtsein der Welt verschwunden sind, ist der Mystiker sich der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott selbst, des Teilhabens an der Gottheit bewußt. Die Kontemplation führt den Menschen zu einer neuen Daseins- und Erkenntnisart. Überdies neigen Sein und Erkennen dazu, am Ende eins zu werden. Der Mystiker hat immer mehr den Eindruck, daß er das ist, was er erkennt, und daß er das erkennt, was er ist Etudes d'Histoire du Mysticisme p. 370..« Indem er sich zeitweise tatsächlich zu der Ebene der Freiheit erhebt, erkennt er sich als wirklich und erkennt so die Wirklichkeit.
Nun ist der Gegenstand der mystischen Kontemplation immer irgendeine Form des unendlichen Lebens, d. h. »Gottes, der Einen Wirklichkeit«. Daher ist die Steigerung der Lebenskraft, welche Künstler oder andere nicht selbstbefangene Beobachter durch ihre Berührung mit vereinzelten Offenbarungen des Guten, Wahren und Schönen erfahren, beim Mystiker unendlich größer. Seine durchweg ekstatische Sprache allein ist hierfür Beweis genug. Bei dem Akt der Kontemplation überschreitet seine ganze Persönlichkeit, von seiner Liebe und seinem Willen geleitet, die Grenzen der Sinnenwelt, wirft ihre Fesseln ab und hebt sich zur Freiheit empor, um auf jenen hohen Ebenen tätig zu werden, wohin, wie Tauler sagt, »die Vernunft nicht gelangen kann«. Dort nimmt sie das Übersinnliche durch unmittelbare Berührung wahr und erkennt, daß sie in der Gegenwart des »Spenders wahren Lebens« ist. Eine solche Kontemplation, eine solche Erreichung des Absoluten ist das in seiner Vollkommenheit, wovon uns die Visionen der Dichter und die Intuitionen der Philosophen nur Andeutungen geben.
Der Akt selbst ist kurz. Selbst die größten Kontemplativen haben den Glanz dieser erhabenen Vision nur eine ganz kurze Weile zu ertragen vermocht. »Ein Blitz«, »ein Augenblick«, »die Dauer eines Ave Maria«, sagen sie.
»Der Verstand in mir«, sagt der hl. Augustinus in seinem Bericht über seinen ersten, rein kontemplativen Blick auf die Eine Wirklichkeit, »erhob sich zu der Kraft der höhern Einsicht und führte nun sein Denken weg von der Gewohnheit und befreite es von allem wirren Widerstreit geträumter Bilder, daß es finde, was für ein Licht es sei, das ihn erleuchtet … Und so gelangte mein Verstand zu dem, was ist, in einem Augenblick zitternden Gesichts. Und also habe ich, was unsichtbar an dir, geschaut durch das, was da geschaffen ist. Doch ich vermochte meines Blickes Schärfe nicht darauf zu richten; mein schwaches Auge ward zurückgestoßen und kehrte wieder zum Gewohnten. Und was ich mit mir führte, war nur ein Erinnern voller Liebe und etwas wie der Duft ersehnter Speise, die ich noch nicht genießen konnte Conf. VII, 17..«
Dieser Duft, wie der hl. Augustinus es nennt, bleibt für immer bei denen, die so, wenn auch nur auf einen Augenblick, in die Atmosphäre der Wirklichkeit eingeweiht wurden, und dies – die unsterbliche und unbeschreibliche Erinnerung an ihre Berührung mit dem, was ist, – gibt ihrem Werk den Duft der »Rosa Inviolata« und ist das Geheimnis ihrer magischen Kraft. Allein sie können uns nie in exakter menschlicher Sprache sagen, was es war, das sie auf ihrem ekstatischen Flug zum Gedanken Gottes, bei ihrem momentanen Eintauchen in das absolute Leben, erreichten.
»Das, was da ist«, sagt Augustinus; »das Eine«, »der Spender wahren Lebens«, sagt Plotin; »das wirkende Wort«, sagt St. Bernhard; »das ewige Licht«, sagt Dante; »der Abgrund«, sagt Ruysbroeck; »die reine Liebe', sagt die hl. Katharina von Genua. So dürftige Symbole der Vollkommenheit diese Äußerungen auch sein mögen, sie geben uns die wertvolle Versicherung, daß der Gegenstand ihrer Entdeckung eins ist mit dem Gegenstande unseres Suchens.
William James hat sehr richtig beobachtet, daß Unaussprechlichkeit ( ineffability) und Geistigkeit ( noetic quality) die ständigen Eigentümlichkeiten kontemplativer Erfahrung sind Varieties of Religious Experience p. 380 (Deutsche Bearb. S. 305).. Wer gesehen hat, ist ganz überzeugt; wer nicht gesehen hat, dem kann man es nicht sagen. Es gibt keine Gewißheit, die der des Mystikers gleicht, kein vollkommeneres Unvermögen als das, welches die befällt, die es mitzuteilen versuchen. »Von diesen unaussprechlichen göttlichen Wirkungen in der Seele, wodurch Gott sich selbst offenbart, kann der Mensch nicht reden oder auch nur stammeln«, sagt Angela von Foligno B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 27 (p. 103).. Doch immer wieder hat er versucht, davon zu reden, und der größte Teil der mystischen Literatur hat es mit solchen Versuchen zu tun. Unter den mannigfaltigsten Bildern, indem er sich bewußt die musikalischen und suggestiven Eigenschaften der Wörter zunutze macht, – dabei oft zu verwegenen Paradoxien greift, die nie verfehlen, die intuitive Kraft des Menschen anzuspornen, – versucht er, andern etwas von jenem Lande der Wahrheit, das »kein Auge geschaut hat«, kundzutun. Wenn er dabei irgendwelchen Erfolg hat, so läßt sich dies nur erklären auf Grund der Annahme, daß sich irgendwo in uns eine Kraft verbirgt, die dies Land von Anfang an gekannt hat, die in ihm wohnt, am reinen Sein teilhat und unter gewissen Bedingungen zum Bewußtsein aufgerüttelt werden kann. Dann bestätigt das aus seinem Schlaf erwachte »transzendentale Gefühl«, daß diese Erforscher des Unendlichen wirklich den geheimen Weltplan geschaut haben.
Nun ist die Kontemplation nicht, wie die Meditation, ein einfacher Zustand, der durch eine Reihe seelischer Bedingungen bestimmt wird. Es ist der Gesamtname für eine ganze Gruppe von Zuständen, die, wie alle andern Formen mystischer Betätigung, zum Teil von der Natur des Subjekts abhängig und von Gefühlszuständen begleitet sind, die zwischen der höchsten Ruhe oder dem »Frieden in dem entwordenen Leben« und der ekstatischen aktiven Liebe, in der »das Denken zu Gesang geworden ist«, variieren. Einige Arten der Kontemplation sind unentwirrbar verflochten mit dem Phänomen der »intellektuellen Vision« und der »innern Stimmen«. Andere erscheinen uns als eine höhere Stufe der »Ruhe«, ein Zustand, den der Mystiker uns als ein vollständiges Versunkensein, ein Dunkel oder eine »Kontemplation in caligine« beschreibt Vgl. Baker, Holy Wisdom, Tractat III, § 4, Kap. 4.. Bisweilen sagt uns der Kontemplative, daß er durch dies Dunkel zum Licht gelangt Siehe Hilton, The Scale of Perfection II, Kap. 6.; bisweilen scheint es ihm, daß er für immer in diesem »wohltätigen Dunkel« bleibt Siehe unten S. 449 f.. In einigen Fällen sagt die Seele, daß sie selbst in der Tiefe ihrer Versenkung »ihre Seligkeit erkennt«, in andern wird sie sich ihrer erst bewußt, wenn die Kontemplation vorüber ist und die Oberflächenintelligenz die Zügel wieder ergreift.
In diesem Durcheinander persönlicher Erfahrungen wird es nötig, einen gewissen Maßstab aufzustellen, eine Regel, wonach sich die wahre Kontemplation von andern introversiven Zuständen unterscheiden läßt. Solch ein Maßstab ist nicht leicht zu finden. Ich glaube jedoch, daß es zwei Merkmale des wahren Zustandes gibt: a) die Totalität und b) das gänzliche Aufgehen des Selbst, und diese beiden Merkmale können wir mit Sicherheit bei unserm Versuch, ihren Charakter zu bestimmen, zugrunde legen.
a) In welchen Ausdrücken der Mystiker seine Erfahrung auch schildern mag und wie schwach oder unklar seine Wahrnehmungen auch sein mögen, was er in der Kontemplation erlebt, ist das All. Es ist das Absolute selbst, was er erreicht hat, nicht, wie in der Meditation oder Vision, irgendein unvollkommenes Symbol oder irgendeiner seiner Aspekte.
b) Dies Ziel wird erreicht, diese Erkenntnis gewonnen, nicht durch Beobachtung von außen, sondern durch Teilhaben. Die passive Rezeptivität der Ruhe entwickelt sich hier zu einer aktiven Selbsthingabe. Ein Geben und Nehmen, eine göttliche Osmose wird zwischen dem endlichen und dem unendlichen Leben hergestellt. Nicht nur strömt das Absolute auf das Selbst ein, sondern das Selbst strömt sich freiwillig in das Absolute aus und verliert sich darin. Das furchtbare Bewußtsein einer beschränkten und einengenden Ichheit, die unser Suchen nach Freiheit und vollem Leben hemmt, ist fort und abgetan. Auf einen Augenblick wenigstens ist das selbständige Geistesleben erreicht. Der Kontemplative ist davon umschlossen und lebt darin, »wie der Fisch im Meer, wie der Vogel in der Luft«; er verliert, um zu finden, er stirbt, um zu leben.
»Wir müssen«, wie Dionysios der Areopagit sagt, »das Göttliche betrachten, nicht auf unsere Weise, sondern müssen ganz aus uns hinausgehen und ganz Gottes werden Von göttlichen Namen VII, 1..« Dies ist die »passive Einigung« der Kontemplation: ein vorübergehender Zustand, in dem der Mensch zugleich die Gewißheit eines unaussprechlichen Glückes und einer letzten Wirklichkeit empfängt. Er kann versuchen, dies Bewußtsein in Wort oder Bild zu übertragen, aber schließlich wird er bekennen müssen, daß er das, was er zu sagen hat, nur implicite mitteilen kann. Das Wesentliche ist, daß er dort war, wie für den heimkehrenden Verbannten weder die Landschaft noch die Sprache, sondern der Heimatsgeist des Ortes das Wesentliche ist.
»Das Schauen«, sagt Plotin in einer seiner schönsten Stellen, »und das Schauende ist nicht mehr Vernunft (Logos), sondern ist mehr als Vernunft; es ist diesseits aller Vernunft und jenseits aller Vernunft, wie auch das Geschaute … Und vielleicht darf man nicht einmal von Schauen reden, denn was das Geschaute anbetrifft – wenn anders man hier von zweien reden darf, dem Schauenden und dem Geschauten, und nicht vielmehr beide als eins bezeichnen muß – so nimmt der Schauende es nicht als etwas von ihm selbst Unterschiedenes wahr … Deshalb läßt sich auch ein solches Schauen schwer beschreiben, denn wie sollte jemand etwas als von sich selbst Verschiedenes schildern, was er, als er es schaute, nicht als ein Verschiedenes, sondern als eins mit sich selbst wahrnahm Sechste Enneade IX, 10.?«
Ruysbroeck, der in der mittelalterlichen Welt die besten Traditionen der neuplatonischen Mystik fortsetzte, schildert ebenfalls einen Zustand höchster Erkenntnis, eine Vision der Wahrheit, die augenscheinlich dieselbe ist, auf die Plotin hindeutet. »Dies Schauen«, sagt er, »versetzt uns in eine Reinheit und Lauterkeit über all unser Verstehen … Und niemand kann dazu gelangen durch Wissenschaft oder Scharfsinn noch mit irgendeiner Übung, sondern wen Gott sich in seinem Geiste vereinigen und durch sich selbst erleuchten will, der kann Gott schauen und sonst keiner … Zu diesem göttlichen Schauen können nur wenige Menschen gelangen wegen der eigenen Unfähigkeit und wegen der Verborgenheit des Lichtes, in dem man (Gott) schaut. Daher wird niemand den Sinn durch irgendeine Belehrung oder eigenes scharfsinniges Erwägen genau und von Grund auf verstehen; denn alle Worte und alles, was man geschöpflicherweise darüber lehren und davon verstehen kann, ist hier fremd und tief unter der Wahrheit, die ich meine. Wer aber mit Gott vereinigt und in diese Wahrheit eingeführt ist, der vermag die Wahrheit kraft ihrer selbst zu verstehen Die Zierde der geistlichen Hochzeit III, 1 (Verkade S. 184 u. 186)..«
Diese letzte, beglückende Erkenntnis der Wirklichkeit, dies Begreifen der Wahrheit durch die Wahrheit, ist im Grunde das, was alle Menschen ersehnen. Des Heiligen Durst nach Gott, des Philosophen Trieb zum Absoluten ist nichts anderes als diese schreiende Not des Geistes, die der Verstand und das Herz auf die verschiedenste Weise ausdrücken. Die Hypothesen der Wissenschaft, die Konstruktionen der Metaphysik, die Intuitionen der Künstler, alle drängen auf dieses selbe Ziel. Und doch ist es allein im Reich der Kontemplation zu finden, in »jener Stadt auf dem Berge«, die denen, welche sich außerhalb ihrer Tore befinden, so klein erscheint.
»Des Menschen Seele«, sagt Hilton, »bemerkt sehr wohl, daß es etwas über ihr gibt, was sie nicht kennt und noch nicht besitzt, was sie aber besitzen möchte und wonach sie sich brennend sehnt; und dies ist nichts anderes als der Anblick Jerusalems, das der Stadt gleicht, die der Prophet Ezechiel in seinen Visionen (Kap. 40 ff.) sah. Er sagt, daß er auf einem Berge gegen Mittag hin eine Stadt sah, die wurde vor seinen Augen gemessen und war nicht mehr denn eine Rute lang und eine Rute breit, das heißt um eine Handbreit mehr denn sechs Ellen. Aber sobald er in die Stadt geführt war und sich umsah, da sah er, daß sie wunderbar groß war, denn er sah viele Hallen und viele Gemächer, offene und verschlossene; er sah Tore und Vorhöfe drinnen und draußen und noch viele andere Gebäude außerdem, und die Länge und Breite (der Stadt) war viele hundert Ellen, und er verwunderte sich, daß diese Stadt, die seinem Blick von außen so klein erschienen war, von innen so lang und breit war. Diese Stadt bedeutet die vollkommene Liebe Gottes, die auf dem Berge der Kontemplation errichtet ist und die dem Blick einer Seele, welche, ohne sie zu fühlen, in Sehnsucht ihr zupilgert, zwar sichtbar ist, aber als ein kleines Ding, nicht mehr als eine Rute, d. h. als sechs Ellen und eine Handbreit. Die sechs Ellen bedeuten die Vollkommenheit des menschlichen Werkes, die Handbreit den ersten Anfang der Kontemplation. Er sieht wohl, daß es etwas gibt, was über das Verdienst aller menschlichen Werke hinausgeht, wie die Handbreit über die sechs Ellen, aber er sieht nicht, worin es besteht; doch wenn er in die Stadt der Kontemplation hineingelangen kann, so sieht er viel mehr, als er zuerst sah The Scale of Perfection II, Kap. 6..«
Wie bei der Vision, so muß auch hier alles, was wir, die wir auch nur »in Sehnsucht pilgern«, über die Kontemplation wirklich wissen können – über ihren Wert für das Leben, über die Erkenntnis, die sie verleiht –, von denen kommen, die »in die Stadt hineingelangt sind«, die, um Plotins Bild zu gebrauchen, »sich aufgeschwungen haben zum Gedanken Gottes«. Was können sie uns nun über die Erkenntnis der Wirklichkeit sagen, die sie in dieser kurzen Berührung mit dem Absoluten erlangten?
Sie sagen uns, wenn wir ihre Aussagen vergleichen, in der Hauptsache zwei anscheinend sich widersprechende Dinge. Sie reden fast im selben Atem von einer überschwenglichen Freude, einer Visio beatifica, einer innigen Gemeinschaft und einem liebenden Schauen, und von einer gänzlichen Leere, einer unfruchtbaren Wüste, einem unermeßlichen Abgrund, einem Nichtwissen, einem göttlichen Dunkel.
Wieder und wieder erscheinen diese beiden Gegensatzpaare in allen authentischen Beschreibungen reiner Kontemplation: Ferne und Nähe, Dunkel und Licht. Wenn wir eingedenk bleiben, daß diese vier Gruppen von Symbolen alle denselben Vorgang beschreiben, wie er »durch ein Temperament gesehen« wird, und uns die Reaktion dieses Temperaments auf die absolute Wirklichkeit vorstellen, so können wir vielleicht durch ihre Vergleichung eine schwache Vorstellung von dem unbeschreiblichen Etwas erhalten, das sie andeuten.
Man beachte zunächst, daß die Gefühle, die seine Wahrnehmungen begleiten, immer und unvermeidlich das Material sind, dem der Mystiker die suggestive Sprache entnimmt, um seine Erfahrung von übernatürlichen Dingen anzudeuten. Seine Beschreibungen werden immer mehr nach der impressionistischen als nach der wissenschaftlichen Seite hinneigen. Das »tiefe und doch blendende Dunkel«, der »unermeßliche Abgrund«, die »Wolke des Nichtwissens«, die »Umarmung des Geliebten«, all das stellt nicht das Transzendente selbst, sondern seine Beziehung zum Transzendenten dar; nicht ein Objekt, das er beobachtet, sondern einen überwältigenden Eindruck, den er mit der Totalität seines Wesens empfangen hat, bei seiner Berührung mit der Einen Wirklichkeit.
Es ist jedoch nicht billig, wenn man die Kontemplation deswegen in der Hauptsache als einen Gefühlszustand ansieht und ihr daher eine bloß subjektive Geltung beimißt, wie viele moderne Schriftsteller tun. Sie wird natürlich, wie alle höchsten Lebensakte der Menschheit, von gesteigerten Gefühlen begleitet, und da solche Gefühle das am wenigsten Abnorme an ihr sind, so sind sie das, was das Subjekt am leichtesten beschreiben kann. Diese verwirrenden Kombinationen von Furcht, Staunen, Verlangen, Freude sind ihm mehr oder weniger vertraut. Die Erfahrungen des Sinnenlebens haben sie entwickelt. Seine Sprache enthält Worte, die imstande sind, sie andern Menschen anzudeuten. Allein sein Gesamtleben geht über das bloße Gefühl hinaus, wie es auch über den bloßen Verstand hinausgeht. Es ist ein vollständiger Wahrnehmungsakt, der sich nicht durch Teilbezeichnungen ausdrücken läßt, und sein Subjekt ist der ganze Mensch, die ungeteilte Persönlichkeit, deren Natur und Kräfte in solchen Worten wie Liebe, Gedanke, Wille nur unvollkommen angedeutet werden.
Die Bewußtseinsebene jedoch, das objektive Etwas, das diese Persönlichkeit in der Kontemplation gewahrt, ist ihm nicht vertraut, noch hat es irgendwelche Beziehung zu seinen Gedankensystemen. Der Mensch, gewöhnt an räumliche Bilder, die den Bedürfnissen des täglichen Lebens angepaßt sind, hat überhaupt keine Sprache, um es auszudrücken. So würde auch jemand, der zum ersten Male ein Meisterwerk klassischer Musik hört, keine Sprache haben, um eine objektive Beschreibung davon zu geben; er könnte uns nur sagen, wie es auf sein Gefühl wirkte. Dies ist ein Grund, weshalb Gefühlszustände in allen Beschreibungen des mystischen Aktes vorwiegen. Irdische Gefühle bieten sich dem Mystiker als Gleichnis, um uns das anzudeuten, was er empfand; allein er kann uns nicht sagen, was es war, was diese Empfindungen in ihm erregte, weil ihm hierzu ein Maß der Vergleichung fehlt. Seine besten Bemühungen, dies unfaßbare Etwas in Worte zu fassen, haben gewöhnlich nur die Wirkung, ihm seinen Duft und seine Wahrheit zu nehmen. Was der hl. Augustinus von der Zeit sagte, gilt auch hiervon: er weiß, was es ist, solange er es nicht zu erklären versucht.
Wie symbolisch und durch das Temperament bedingt jegliche Beschreibung mystischer Tätigkeit ist, zeigt sich an der Form, die die Kontemplation in der musikliebenden Seele Richard Rolles annimmt. Ihm stellt sich das Erreichen der Wirklichkeit nicht als innige Vereinigung oder als ein Sichverlieren in den göttlichen Abgrund dar, sondern als Teilnahme der Seele an einer himmlischen Harmonie, als ein Einstimmen in den lieblichen Minnechor Gottes, wo »Denken sich in Gesang wandelt«.
»Mir«, sagt er, »erscheint die Kontemplation wie ein freudiges Lied von Gottes Liebe, das die Süße der Engelliebe hat. Es ist ein Jubellied, mit dem vollkommenes Gebet und höchste Hingabe in diesem Leben endet. Es ist jene Fröhlichkeit des Geistes, die der Liebende nun auf immer besitzt und die mit lauter Stimme hervorbricht … Die Süßigkeit der Kontemplation wird nicht ohne große Mühsal gewonnen, und ihr Besitz bringt unaussprechliche Freude. Sie ist wahrlich nicht des Menschen Verdienst, sondern Gottes Gnade, und doch konnte vom Anfang der Welt bis heute niemals ein Mensch zum Anschauen der Ewigen Liebe entrückt werden, bevor er alle Eitelkeit der Welt vollkommen abgetan hatte Richard Rolle, The Mending of Life Kap. 12..«
Wir können daher im Laufe unserer Untersuchung über die Natur der Wahrnehmungen des Absoluten beim Mystiker nicht umhin, viele verschiedene Gefühlsbeschreibungen heranzuziehen, zu prüfen und zu benutzen. Bei näherer Prüfung können wir feststellen, daß diese Gefühle sich leicht in zwei Gruppen sondern lassen. Ferner, daß diese beiden Gruppen den beiden Richtungen entsprechen, in die sich das mystische Bewußtsein der Wirklichkeit erstreckt, sowie den zwiefachen Vorstellungen der Gottheit, die wir durchweg als für die mystische Literatur charakteristisch erkannt haben, d. h. der persönlichen und der räumlichen, der immanenten und der transzendenten, dem innewohnenden Leben und dem Unbedingten Urquell; dem seltsamen, dunklen, unlotbaren Abgrund des reinen Seins, bei dem die Mystiker des metaphysischen Typus immer wieder verweilen, und dem geliebten göttlichen Gefährten der Seele, dessen Gegenwart so lebhaft empfunden wird von denen, die zu der Vorstellung einer göttlichen Persönlichkeit neigen.
A. Die Kontemplation der Transzendenz. – Die erste Gruppe von Gefühlszuständen, die mit Vorstellungen verknüpft ist, welche die theologische Idee der göttlichen Transzendenz betonen, entspringt aus des Mystikers Gefühl seiner eigenen Kleinheit, Unwürdigkeit und unheilbaren Unwissenheit im Vergleich mit der unaussprechlichen Größe der absoluten Gottheit, die er wahrgenommen hat und in die er sich zu verlieren trachtet; der gänzlichen und unausdrückbaren Artverschiedenheit zwischen dem Göttlichen und allem andern. Ehrfürchtige Scheu und Selbsterniedrigung und der paradoxe Trieb, sich ins All zu verlieren, beherrschen hier seinen Gefühlszustand. Alle positiven Aussagen erscheinen ihm als Gotteslästerung, so weit entfernt sind sie von einer unaussprechlichen Wahrheit, die »über alle Vernunft, vor aller Vernunft und nach aller Vernunft« ist. Zu dieser Gruppe von Gefühlen, die gewöhnlich mit einer instinktiven Neigung zum Neuplatonismus, einem ikonoklastischen Mißtrauen gegen jede Darstellung als Person, zusammengehen, verdanken wir alle negativen Beschreibungen der höchsten Wirklichkeit. Für diesen Typus ist Gott das Unbedingte, für das wir keine Worte haben und für das all unsere armseligen Symbole eine Schmähung sind. Ihn sehen heißt, in das Dunkel, »die Wolke des Nichtwissens«, eintreten und nur wissen, daß wir nichts wissen können. Nichts anderes kann diese übertriebene geistliche Demut befriedigen, die leicht in jene subtile Form des Stolzes ausartet, der sich in seine Beschränktheit nicht schicken will.
»Es ist kein anderer Gott als Er, den niemand erkennen kann, der nicht erkannt werden kann«, sagt die kontemplative Seele. »Nein, wahrlich, nein! Gewißlich nein«, sagt sie. »Er nur ist mein Gott, über den niemand ein Wort sagen kann, und von dem alle, die im Paradiese sind, kein einziges Pünktchen erreichen noch verstehen können, trotz allem, was sie von Ihm wissen The Mirror of Simple Souls Kap. 3..«
Wenn sie sich sehr bemühen, ihre Wahrnehmung des unbedingten Einen, der das einzige Land der Seele ist, und ihre Berührung mit Ihm mit geographischer Exaktheit zu beschreiben, so werden die Kontemplativen dieses Typus wie ihr großer Meister, der Areopagit, unpersönlich und abstrakt. Es ist, als wären sie zu einer unermeßlichen Höhe emporgehoben, wo die Luft zu dünn ist für die Lungen gewöhnlicher Menschen. Wenn wir sie über die Art des Lebens auf diesen Gipfeln befragen, so sind sie meistens gezwungen, die dionysianische Konzeption des göttlichen Dunkels zu übernehmen oder die ähnliche Vorstellung von dem unlotbaren Abgrund, der Wüste der Gottheit, oder der »stillen Wildnis« Eckeharts, »wo niemand zu Hause ist [Vgl. Pred. XLV, Pfeiffer 153; 16-19: Daher spricht unser Herr: »Ich will meine Braut in die Wüste führen und will da zu ihrem Herzen sprechen«, das bedeutet: in die Einöde von allen Kreaturen.]«.
Sonderbarerweise sind sie in ihren Aussagen über diesen Ort oder diese Ebene der Wirklichkeit, wo die Vereinigung mit der überwesentlichen Gottheit stattfindet, – dieses »lichte Dunkel und reiche Nichts« – bestimmter und positiver und bieten infolgedessen der gefühlsmäßigen volkstümlichen Frömmigkeit mehr Überraschungen als in irgendeinem andern Abschnitt ihres Werkes. Unzweifelhaft entsprechen diese Aussagen, diese erstaunlichen Nachrichten über eine »stille Einöde«, ein »weites Meer«, einen »ungeloteten Abgrund«, wo die »Leere«, das »Nichts«, das »Dunkel«, in dem der Mystiker die Stufe der »Ruhe« betrat, unendlich gesteigert ist und wo dennoch endlich eine wirkliche Befriedigung erreicht wird, einer bestimmten seelischen Erfahrung. Dies ist keine bloße konventionelle Schulsprache. Diese Schilderungen haben, so zusammenhangslos sie sind, einen eigentümlichen Ton von Gewißheit, einen noch eigentümlicheren von Leidenschaft, einen merkwürdigen Realismus von besonderer Art, – alles Merkmale, die uns nicht zweifeln lassen, daß sie auf persönlicher Erfahrung und nicht auf Tradition beruhen.
Obwohl diese Kontemplativen mit Notwendigkeit zur Negation alles dessen, was ihr Oberflächenbewußtsein je gekannt hat, getrieben werden und die aufs höchste gespannte Sprache überall versagt, vermögen sie uns dennoch ein bestimmtes Etwas zu vermitteln, uns Botschaft zu geben von einer gegebenen und tatsächlichen Wirklichkeit, einem unwandelbaren Absoluten, und von einer beseligenden Vereinigung mit ihm, die sie höchst wirklich erreicht haben. Sie stimmen in ihren Berichten dermaßen überein, daß kein Zweifel bleibt, sie alle haben in demselben Lande geweilt und denselben seelischen Zustand erfahren. Ja, auch unser eigenes innerstes Gefühl zeugt für sie. Wir begegnen ihnen auf halbem Wege. Wir wissen instinktiv und unwiderleglich, daß sie die Wahrheit sagen, und sie erwecken in uns ein leidenschaftliches Heimweh, ein bitteres Gefühl der Verbannung und des Verlustes.
Diese Erforscher des Unendlichen nehmen einer wie der andere ihre Zuflucht zu einer Sprache, die von großen und grenzenlosen Räumen redet. Bei ihrer Flucht aus der geschäftigen, aufgeregten Sinnenwelt sind sie auf den »Grund« der Seele und des Universums hinabgesunken, zum Sein, der Substanz von allem, was da ist. Die Vielfalt löst sich in Einheit auf, – eine Einheit, in der das wahrnehmende Selbst untergeht. So empfindet sich der Mystiker während dieser »Vereinigung mit dem Göttlichen«, wie Tauler sagt, »einfach in Gott«.
»Die Weite, die sich da in dem Grunde zeigt, die hat weder Bild noch Form noch Weise; da gibt es weder hier noch dort. Denn es ist ein grundloser Abgrund, der in sich selbst schwebt ohne Grund, so wie die Wasser wallen und wogen: jetzt sinken sie in einen Abgrund, und es sieht aus, als ob kein Wasser da wäre; über ein kleines rauscht es wieder hervor, als ob es alle Dinge ertränken wollte. Dies führt in einen Abgrund. In diesem ist ganz eigentlich Gottes Wohnung, weit mehr als im Himmel oder in allen Kreaturen. Wer da hinein gelangen könnte, der fände da wahrlich Gott, und fände sich einfältig in Gott, denn Gott scheidet nie von hier; ihm wäre Gott gegenwärtig; und hier wird Ewigkeit empfunden und geschmeckt, und da gibt es weder Vorhergehendes noch Nachkommendes. In diesen Grund vermag kein geschaffenes Licht zu reichen noch zu leuchten, denn hier ist allein Gottes Wohnung und Statt. Diesen Abgrund können alle Kreaturen mit nichts füllen noch ergründen; sie können ihm nicht genugtun noch ihn zufriedenstellen, das vermag niemand als Gott mit Seiner Unendlichkeit. Abyssus abyssum invocat. Dieser Grund, wenn man mit Fleiß darauf achtet, wirft sein Licht in die Kräfte unter sich und neigt und reißt die obersten wie die niedersten zu ihrem Anfang und Ursprung, wenn der Mensch darauf achtete und bei sich selbst bliebe und horchte auf die minnigliche Stimme, die in der Wüste in diesem Grunde ruft und immer tiefer hineinführt. In dieser Wüste ist es so wüst, daß kein Gedanke je in sie eindringen kann. Nein, alle die vernünftigen Gedanken, die je ein Mensch dachte über die heilige Dreifaltigkeit, mit der sich manche viel beschäftigen, deren keiner kann hier hinein. Nein, denn dies ist so innig, so fern und so fern; es hat weder Zeit noch Statt. Es ist einfältig und ohne Unterschied, und wer recht hineingerät, dem ist, als ob er ewig hier gewesen sei und als ob er mit demselben eins sei Tauler S. 331, 2-28 Vetter (Predigt über St. Johannes den Täufer, über Joh. I, 7; Pred. III, 70)..«
Viele andere Mystiker haben sich im selben Sinne geäußert; sie haben glänzende Schilderungen gegeben von den unaussprechlichen Freuden und Schrecknissen im Abgrund des Seins, »wo der Mensch von Ewigkeit her in Gott existiert«, von den Abenteuern der Seele, wenn sie »von allem, selbst von ihrem Leben entblößt«, »die wilden Wogen der See der Gottheit durchschifft«. Allein ihre Worte erfüllen den Außenstehenden nur mit Staunen und sagen ihm wenig. Der Kontemplative, der dies wunderbare Land erreicht hat, kann einer erstaunten und ungläubigen Welt nur verkünden, daß hier sein größter Verlust zugleich seine größte Freude ist, daß hier die Extreme von Besitz und Hingabe zusammenfallen, daß Unwissenheit, Licht und Dunkel eins sind. Die Liebe hat ihn in jene zeit- und raumlose Welt des Seins geführt, die der friedevolle Grund, nicht allein der strebenden Einzelseele, sondern auch des strebenden Universums ist, und er kann nur mit Philippus ausrufen: » Es ist genug.« [Ev. Joh. 14, 8.]
»Hier«, sagt Maeterlinck, »stehen wir plötzlich an den Grenzen des menschlichen Denkens und weit jenseits des geistigen Polarkreises. Es ist äußerst kalt hier, es ist äußerst dunkel, und doch finden wir hier nichts anderes als Flammen und Licht. Aber für die, die ankommen, ohne ihre Seele auf diese neuen Wahrnehmungen eingeübt zu haben, sind dies Licht und diese Flammen so dunkel und so kalt, als ob sie gemalt wären. Es handelt sich hier um die exakteste aller Wissenschaften. Es handelt sich darum, die schroffsten und ungastlichsten Vorgebirge des göttlichen ›Erkenne dich selbst‹ zu umschiffen, und die Mitternachtssonne herrscht über die wogende See, wo die Psychologie des Menschen mit der Psychologie Gottes sich mischt Maeterlinck, Einleitung zu Ruysbroecks Zierde der geistlichen Hochzeit S. V..«
Auf der einen Seite »Flammen und Licht« – die Flamme lebendiger Liebe, die das Weltall erfüllt –, auf der andern die »stille Wüste der Gottheit«, das göttliche Dunkel. Unter diesen beiden Sinnbildern, einem positiven und einem negativen – zu dem verwegensten Paradoxon zusammengefaßt – hat das gesamte menschliche kontemplative Erleben des Absoluten seinen Ausdruck gefunden. Wir haben die negative Beschreibung äußerster Transzendenz betrachtet: das Bekenntnis »göttlicher Unwissenheit«, die eine höhere Form der Erkenntnis ist. Allein diese wird bei einigen auserlesenen Geistern aufgewogen durch eine positive Kontemplation der Wahrheit, ein ekstatisches Erfassen des »geheimen Planes«.
Einige seltene Mystiker scheinen imstande zu sein, uns eine Visio beatifica zu schildern, die sie hier und da erlebt haben, eine Erkenntnis durch Berührung mit dem flammenden Herzen der Wirklichkeit, die die Ebenen des Seins und des Werdens, den »festen Punkt der Gottheit«, den ewigen Vater und Seine Offenbarung in dem »lebenspendenden Wort« in ein großes Ganzes zusammenfaßt. Wir sahen einiges von dieser Kraft, die für das mystische Genie höheren Ranges charakteristisch ist, als wir die Eigentümlichkeiten der Erleuchtung betrachteten. Ihr schönster literarischer Ausdruck findet sich in der Stelle von Dantes Paradies, wo der Dichter uns erzählt, wie er auf einen Augenblick das Geheimnis des höchsten Himmels durchdringt. Ihm war bereits eine symbolische Vision der zwiefachen Wirklichkeit geworden als dahingleitender Strom des Lichts und stille weiße Rose Par. XXX, 61-128. Vgl. S, 373 f.. Nun verschwinden diese beiden Erscheinungen, und er sieht den Einen.
»… mein Gesicht ward plötzlich hell und klar,
Und tief und tiefer durch das Leuchten drang es
Des hohen Lichts, das in sich selbst ist wahr.
Von nun an war mein Sehen höhern Ranges
Als Menschenwort, das solchem Schaun gebricht,
Wie auch Gedächtnis solches Überschwanges.
Wie einer Dinge sieht im Traumgesicht
Und nach dem Traum Gefühl, das er empfunden,
Zurückbleibt und vom andern weiß er nicht,
So geht es mir: fast ganz ist mir entschwunden
Die Vision, doch träuft durch Herz und Sinn
Die Süße noch, die ich in ihr gefunden.
*
Mich dünkt, vor dem lebend'gen, scharfen Licht,
Das ich bestand, war' ich dahingeschwunden,
Hätt' ich von ihm gewendet mein Gesicht.
Dies machte kühn mich, daß unüberwunden
Ich es ertrug, daß fest mein Auge hing,
Bis mit der Allmacht ich mein Schaun verbunden.
*
So schaut', in Spannung schwebend, immer neuer,
Mein Geist aufmerksam, unverrückt hinan,
Im Schauen stets entflammt von stärkrem Feuer.
Denn jenes Licht übt so erhabnen Bann,
Daß nimmermehr von ihm der Blick verblendet
Nach anderem zu schaun einwill'gen kann.
Das Gut, zu dem sich ja der Wille wendet,
Ist ganz in ihm vereint; aus ihm versetzt
Ist alles mangelhaft, nur dort vollendet
Par. XXXIII 52-63, 76-81, 97-105..«
In der Mitte zwischen der Danteschen Vorstellung von der ewigen Wirklichkeit und der kontemplativen Gemeinschaft mit der göttlichen Persönlichkeit steht der Typus des Mystikers, dessen Vorstellungen vom Übersinnlichen weder ganz persönlich noch ganz kosmisch und transzendent sind. Für ihn ist Gott vor allem das Vollkommene – das Gute, Wahre und Schöne; Licht, Leben und Liebe –, das das suchende Selbst in einem Augenblick der Hellsichtigkeit vor seiner Türe wartend erkennt. Hier sind die Symbole, unter denen Gott wahrgenommen wird, immer noch die abstrakten Begriffe der Philosophie, allein in den Händen des Mystikers hören sie auf, abstrakt zu sein und werden mit Leben gefüllt. Solche Kontemplative bewahren die Bildlosigkeit und Unaussprechlichkeit des Absoluten, aber das Anschauen desselben erregt in ihnen eine freudige, persönliche Liebe.
»Als ich einstmals im Gebet lag und mein Geist erhoben war,« sagt Angela von Foligno, »sprach Gott viele huld- und liebevolle Worte zu mir. Und da ich aufschaute, sah ich Gott zu mir sprechen. Aber wenn du fragst, was ich sah, so kann ich dir nichts anderes sagen, als daß ich eine Fülle, eine Klarheit sah, von der ich mich so erfüllt fühlte, daß ich es nicht sagen noch überhaupt irgendein Gleichnis davon geben kann. Denn ich sah nichts Körperhaftes, sondern es war wie eine himmlische Erscheinung, von so großer Schönheit, daß ich nichts anderes sagen kann, als daß ich die höchste Schönheit sah, die alles Gute in sich enthält.« Und wiederum: »Ich schaute die unaussprechliche Fülle der Gottheit, aber ich kann nichts darüber sagen, als daß ich die Fülle der göttlichen Weisheit gesehen, worin alles Gute eingeschlossen ist B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 21 u. 23..«
B. Die Kontemplation der Immanenz. – Die zweite Gruppe der Kontemplativen wird von jener Liebe beherrscht, »die die Furcht austreibt«: von einem vorwaltenden Gefühl der Nähe, Vertrautheit und Süße jenes selben unendlichen Lebens, das der ersten Gruppe als etwas Fremdes und unerreichbar Fernes erschien und dessen Dasein sie nur durch staunenerregende Bilder andeuten konnte, die der Poesie der Metaphysik entlehnt zu sein scheinen. »Ihre Seele nährt sich von dem Anblick Seines unsichtbaren heiligen Antlitzes The Scale of Perfection III, Kap. 11.«, wie Hilton es in einem lieblichen Bilde ausdrückt. Es sind vielmehr alle die Gefühle, die der Freude, dem Vertrauen und der Liebe entspringen, als die, welche sich auf Verzückung und heilige Scheu gründen – obwohl eine solche Scheu immer in gewissem Maße vorhanden ist, wie sie zu jeder vollkommenen Liebe gehört, – die hier die Wahrheit zum Ausdruck bringen.
Diese Kontemplativen schildern uns ihr Erreichen dessen, was da ist, als die engste und beglückendste Gemeinschaft: ein Kommen des Bräutigams, ein beseligtes Eintauchen in das Unerschaffene Licht. »Es gibt nichts Heilbringenderes und nichts Froheres als die Gnade der Kontemplation!« ruft Rolle, »die uns von dieser Tiefe zu Gott emporhebt. Was ist die Gnade der Kontemplation anderes als der Anfang der Freude? Was ist Vollkommenheit der Freude anderes als eine solche Bestätigung der Gnade The Mending of Life, Kap. 12.?«
In einer solchen »heiteren Kontemplation«, heißt es im »Mirror of Simple Souls«, »ist die Seele voller Freude und Fröhlichkeit«. Höchster Friede und maßloses Entzücken: kein Glückszustand des normalen menschlichen Bewußtseins kann eine Vorstellung von ihrer Freude geben. Sie hat für einen Augenblick teil am göttlichen Leben; weiß alles und weiß nichts. Sie hat das Geheimnis der Welt erfahren, nicht durch Erkenntnis, sondern durch Sein, die einzige Art, etwas wirklich zu erkennen.
Wo das herrschende Gefühl das Gefühl inniger Liebe ist und wo Erziehung oder Anlage den Mystiker mehr dazu neigen läßt, beim Christentum die persönliche Seite der Inkarnation als die abstrakte der Trinität zu betonen, da wird der Kontemplative dieses Typus immer geneigt sein, uns sein Geheimnis vor allem als ein Erlebnis wunderbarer Freundschaft zu schildern. Für ihn ist die Wirklichkeit nicht ein Zustand, sondern eine Persönlichkeit. Das Gebet der Einigung ist in seinem Erleben eine vollkommene Gemeinschaft, eine Verschmelzung seines Selbst mit diesem andern durchaus persönlichen Selbst. »Gott«, sagt er, »begegnet der Seele in ihrem Grunde«, d. h. in jener Welt des reinen Seins, zu der sie nach göttlichem Rechte gehört. Offenbar ist hier die »Stufe der Kontemplation«, der psychologische Zustand, derselbe wie der, in dem der Mystiker des unpersönlichen Typus den »Abgrund« erreicht. Allein vom Standpunkte des Subjekts aus ist diese freudige und persönliche Begegnung zwischen dem Liebenden und der Geliebten ein ganz anderes Erlebnis als das Eingehen der Seele in die »Wüste der Gottheit«, wie es uns von Eckehart und seiner Schule beschrieben wird. »In diesem Einswerden«, sagt Hilton, »besteht die Vermählung zwischen Gott und der Seele, und diese Ehe wird nie gelöst oder gebrochen The Scale of Perfection I, 1, 8..«
Die hl. Teresa ist das klassische Beispiel dieser intimen und gefühlsmäßigen Art der Kontemplation, aber auch die hl. Gertrud, Seuse, Juliane, Mechthild von Magdeburg und zahllose andere gehören zu diesem Typus. Ihm verdanken wir die schönsten und rührendsten Ausdrücke mystischer Liebe.
Julianens »ich sah Ihn und suchte Ihn, und ich hatte Ihn und sehnte mich nach Ihm« drückt in epigrammatischer Kürze die Verbindung von freudigem Finden und unersättlichem Verlangen aus, die diesem Typus eigen ist; sein Wahrnehmen einer Gegenwart, die zugleich Freundesnähe und Gottesferne einschließt. Ebenso ihre Beschreibung der zehnten Offenbarung der Liebe, wo »Er in diesem süßen Genuß meinem Verstande die heilige Gottheit zum Teil offenbarte und so die arme Seele die endlose Liebe ahnen und denken ließ, die ohne Anfang war und ist und immer sein wird. Und dabei sprach unser guter Herr freudevoll: Sieh, wie ich dich geliebt habe, als wenn Er sagte, Mein Liebling, sieh her und erblicke deinen Herrn, deinen Gott, der dein Schöpfer ist und deine endlose Freude Revelations of Divine Love Kap. 24.«.
»Und da wurden die Augen meiner Seele aufgetan«, sagt Angela von Foligno, »und ich sah die Liebe freundlich auf mich zukommen, und ich sah den Anfang, aber nicht das Ende, sondern nur die Fortsetzung. Und ich weiß nichts, was ihr an Farbe gliche. Und sobald die Liebe zu mir gelangte, sah ich mit den Augen der Seele dies alles deutlicher, als man irgend etwas mit den Augen des Leibes zu sehen vermöchte. Und die Liebe kam zu mir wie eine Sichel. Das ist nicht so zu verstehen, als ob irgendeine äußere meßbare Ähnlichkeit dagewesen wäre, sondern sie war wie eine Sichel, indem sie sich am Anfang darbot und dann zurückzog und sich nicht so ganz hingab, wie sie hatte erwarten lassen. Und sogleich wurde ich erfüllt von Liebe und unaussprechlicher Zufriedenheit B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 25, p. 87..«
Die vollkommenste Beschreibung des Verkehrs des Mystikers mit seinem Freunde verdanken wir Mechthild von Magdeburg, deren Kontemplation sehr ausgesprochen diesen intimen Charakter zeigt. »Das Gebet«, sagt sie, »zieht den großen Gott hernieder in das kleine Herz, es treibt die hungrige Seele hinauf zu dem Gott der Fülle; es bringt die zwei Liebenden, Gott und die Seele, zusammen an einer wonniglichen Stätte, wo sie viel von Liebe reden Das fließende Licht der Gottheit V, Kap. 13..«
Wir haben bereits gesehen, daß die Lehre von der Dreieinigkeit es christlichen Mystikern, und noch mehr der christlichen Mystik im ganzen, möglich macht, diese Art, die Wirklichkeit wahrzunehmen, mit der negativen und unpersönlichen Wahrnehmung des unaussprechlichen Einen, des Absoluten, »das kein Bild hat«, in Einklang zu bringen. Obgleich sie in ihren Extremen so scharf entgegengesetzt sind, daß Eckeharts berühmte Unterscheidung zwischen der unerkennbaren Totalität der Gottheit und der erkennbaren Persönlichkeit Gottes gerechtfertigt scheint, so sind doch »das Bild« und »der Kreis« Aspekte ein und desselben Etwas. Alle Mystiker haben als instinktive Monisten die Überzeugung Dantes – und die deutsche Schule besonders hat dies zum Ausdruck gebracht –, daß diese beiden Aspekte der Wirklichkeit, diese beiden Ebenen des Seins, wie weit verschieden voneinander sie auch scheinen mögen, doch Eines sind Par. XXXIII, 137.. Beide sind in ihrer Weise Darstellungsformen jener absoluten Wahrheit, die »gegenwärtig und doch abwesend, nahe und doch fern« ist, jener Dreieinheit di tre colori e d'una continenza, die Gott ist. Beide sind notwendig, wenn wir uns irgendeine Vorstellung von der vollständigen Wirklichkeit machen sollen. Es ist, wie wenn zwei Menschen zusammen in ein unentdecktes Land reisen; da bringt der eine Kunde heim von seiner großen Ausdehnung, von seiner landschaftlichen Schönheit, und der andere von seiner Bodenbeschaffenheit oder von seinem Tier- und Pflanzenleben, und beide müssen in Betracht gezogen werden, bevor man eine richtige Schätzung des Landes gewinnen kann.
Da es zum Wesen der christlichen Religion gehört, die persönliche und die metaphysische Wahrheit, einen transzendenten und einen immanenten Gott zu kombinieren Vgl. oben I, Kap. 5., so ist es nicht überraschend, daß wir im Christentum eine philosophisch-theologische Basis für diese Paradoxie der kontemplativen Erfahrung finden. Sehr häufig, wenn auch nicht immer, identifiziert der christliche Mystiker den persönlichen und vertrauten Liebhaber der Seele, dessen ungreifbare Gegenwart er so lebhaft empfindet, mit der Person Jesu, die unerkennbare und transzendente Gottheit mit jenem Ewigen Licht, dem Undifferenzierten Einen, in dem die Dreiheit der Personen zusammengefaßt ist.
Ihrer Naturanlage nach neigen die meisten praktischen Kontemplativen entweder zu der einen oder der andern dieser Auffassungen der Wirklichkeit; zu einer persönlichen und immanenten Begegnung im »Grunde der Seele« oder zu den herben Freuden der »entwordenen Seele«, die sich erniedrigt vor einer unpersönlichen Transzendenz, die sich durch keine Sprache als die der Verneinung bestimmen läßt. In einigen jedoch scheinen beide Vorstellungstypen nebeneinander zu bestehen, und die sprechen abwechselnd von Licht und Dunkel, von der beseligenden Begegnung mit der Liebe und dem gänzlichen Sichverlieren in den nackten Abgrund, in die Wüste des göttlichen Seins. Ruysbroeck ist das vollkommene Beispiel dieses kontemplativen Typus, und seine Werke enthalten zahlreiche wertvolle Schilderungen jener synthetischen Erfahrung, die die persönliche und die transzendente Seite der mystischen Tatsache zusammenfaßt.
»Wenn wir derart sehend geworden sind,« sagt er, d. h. wenn wir die geistige Hellsichtigkeit erlangt haben, »so können wir freudig die ewige Ankunft unseres Bräutigams schauen, und das ist der zweite Punkt, von dem wir sprechen wollen. Was ist nun die Ankunft unseres Bräutigams, die kein Ende nimmt? Es ist die neue Geburt und eine neue Erleuchtung, die sich immerfort wiederholt; denn der Grund, aus dem die Klarheit leuchtet, und der selbst das Licht ist, ist lebendig und fruchtbar; daher wird die Offenbarung des ewigen Lichtes ohne Aufhören in der Verborgenheit des Geistes erneuert. Sehet, alles geschöpfliche Wirken und alle Tugendübung muß hier unterbleiben, denn hier wirkt Gott sich selbst allein in die höchste Edelheit des Geistes. Und hier ist nichts anderes als ein ewiges Schauen und Hinstarren auf das Licht, mittels des Lichtes und in dem Lichte. Und die Ankunft des Bräutigams geschieht so rasch, daß er immerfort kommt, und in uns bleibt mit grundlosem Reichtum und persönlich fortwährend aufs neue mit solcher stets neuen Klarheit kommt, gerade wie wenn er nie zuvor gekommen wäre. Denn sein Kommen geschieht zeitlos in einem ewigen Nun, das man stets mit neuer Lust und neuer Freude entgegennimmt. Sehet, die Wonne und die Freude, die dieser Bräutigam bei seiner Ankunft bringt, die ist bodenlos und grenzenlos, denn er selbst ist diese Freude und diese Wonne. Und daher sind die Augen des Geistes, mit denen er seinen Bräutigam schaut und anstarrt, so weit geöffnet, daß sie sich nimmermehr schließen … Nun ist diese tätige Begegnung und dieses minnigliche Umfangen in seinem Grunde genießend und ohne Weise; denn die abgründige Unweise Gottes ist so dunkel und weiselos, daß sie alle göttlichen Weisen und Werke und die Eigenschaften der Personen in der reichen Umarmung der Wesenseinheit in sich faßt und ein göttliches Genießen erzeugt im Abgrunde der Unaussprechlichkeit. Und hier findet ein genießendes Hinübergehen und ein zerfließendes Untertauchen in die wesentliche Nacktheit statt, wo alle göttlichen Namen, alle Weisen und alle lebendigen Ideen, die im Spiegel der göttlichen Wahrheit sich abbilden, in das einfache Namenlose ohne Weise und Vernunft verfallen. Denn in diesem grundlosen Strudel der Einfachheit werden alle Dinge in genießender Seligkeit umfangen, und der (Wesens-) Grund selber bleibt gänzlich unverstanden, es sei denn durch die wesentliche Einheit. Hiervor müssen die Personen und alles, was in Gott lebt, weichen; denn hier ist nichts als ein ewiges Ruhen in einer genießenden Umarmung minniglicher Zerflossenheit. Und das ist das weiselose Wesen, von allen innigen Geistern über alles erkoren. Das ist die dunkle Stille, darin alle Liebenden sind verloren Die Zierde der geistlichen Hochzeit III, Kap. 3 u. 6 (Verkade S. 188 f. u. 195 f.)..«
Hier beginnt Ruysbroeck mit einem Symbol der göttlichen Persönlichkeit als Bräutigam der Seele, wie es der Geistesart der hl. Katharina von Siena gemäß sein würde, und endet auf den Gipfeln christlicher Metaphysik mit einer Schilderung liebenden Versinkens in den unbedingten Einen, der über alle Personen der Theologie hinaus ist und der der menschlichen Sprache spottet. Wir sehen, wie er verzweifelt nach Worten und Gleichnissen greift, die uns eine Ahnung von der Wirklichkeit geben könnten, die die Seele kostet, von dem unermeßlichen Abstand zwischen ihr und den Träumen und Konstruktionen anthropomorpher Religion. Seine seltsamen Beschreibungen dieses göttlichen Abgrundes lassen sich gleichstellen mit den bereits angeführten aus den Werken anderer Mystiker, die sich von ihren Gefühlserlebnissen nicht hinreißen lassen wollten und sich bestrebten, uns nicht nur von dem zu berichten, was sie empfanden, sondern auch von dem, was sie schauten. Das große mystische Genie Ruysbroecks, die Tiefe und Totalität seiner Intuition der Wirklichkeit, macht es ihm unmöglich, sich zu begnügen mit einer bloß räumlichen oder metaphysischen Beschreibung der Gottheit. Er erkennt, daß die »tätige Begegnung« und das »minnigliche Umfangen« ein wesentlicher Teil des wahren kontemplativen Aktes sind. In der »dunklen Stille, darin alle Liebenden sich verlieren«, trifft Person auf Person, und dies ist es, nicht das Absolute der Philosophie, was »alle innigen Seelen über alles erkoren haben«.
Wir müssen jetzt die Methode, wodurch der Kontemplative seine einzigartige Gemeinschaft mit dem absoluten Leben erreicht, die Art der Tätigkeit, die ihm als für seine Verschmelzung mit der Wirklichkeit charakteristisch erscheint, näher ins Auge fassen. Wie wir erwarten können, ist diese Tätigkeit, ebenso wie ihr Resultat, zweierlei Art, persönlich-positiv und unpersönlich-negativ. Es ist einleuchtend, daß da, wo die göttliche Vollkommenheit als der Gefährte der Seele, der Bräutigam, der Geliebte vorgestellt wird, die Art der Annäherung sehr verschieden ist von der, die mit dem Eintauchen der Seele in den paradoxen Glanz des Abgrundes, in die »stille Wüste, wo niemand zu Hause ist«, endet. Es ist der gleiche Unterschied wie zwischen den Vorbereitungen für eine Hochzeit und denen für eine Nordpolexpedition. Daher finden wir an dem einen Ende der Skala jene extreme Form persönlicher und intimer Gemeinschaft, jenes Ausgehen der liebenden Seele zur Begegnung mit dem Geliebten, das die Mystiker »das Gebet der Einigung« nennen, und an dem andern die »dunkle Kontemplation«, durch die allein die Mystiker des transzendenten und unpersönlichen Typus dem unbedingten Einen nahezukommen behaupten.
Für die dunkle und unaussprechliche Kontemplation der namenlosen Transzendenz, die bildlose Versenkung in das Absolute, bietet natürlich Dionysios der Areopagit das klassische Beispiel. Er war es, der ihr den Namen »göttliches Dunkel« gab, und alle spätem Mystiker dieses Typus entlehnen ihre Sprache von ihm. Seine Anweisungen über diesen Gegenstand sind außerordentlich klar und deutlich, seine Beschreibungen sind, wie die des hl. Augustinus, durchglüht von einem jubelnden Gefühl der Wirklichkeit, die er erreicht hat und die auch andere erreichen können, wenn sie ihm nur dahin folgen wollen, wohin er führt.
»Du aber, mein lieber Timotheus,« sagt er, »übe dich unablässig in mystischer Kontemplation. Laß die sinnlichen Wahrnehmungen und die Tätigkeiten des Verstandes und alles Sinnliche und Intelligible, alles Nichtseiende und Seiende, und erhebe dich ohne Hilfe gewöhnlicher Kenntnis zur Einigung mit dem, der über alle Wesenheit und Erkenntnis ist. Denn nur durch ein spontanes und unbedingtes Hinaustreten aus dir selbst und allen andern Dingen wirst du hinaufgetragen zum geheimnisvollen Glanz des göttlichen
Dunkels
Dionysios der Areopagit, Von mystischer Theologie I, 1..« Und weiter: »Das göttliche Dunkel ist das unzugängliche Licht, in welchem, nach der Schrift, Gott wohnt. Und obwohl es unsichtbar ist wegen seiner überschwenglichen Helle und unzugänglich wegen der Überfülle seiner Lichtergießung, so gelangt dazu jeder, der Gott zu erkennen und zu sehen gewürdigt wird, indem er eben durch das Nichtsehen und Nichterkennen in das gelangt, was über alles Sehen und Erkennen ist
Ders., Brief an den Diakon Dorotheos. Diese Stelle scheint die Quelle zu sein für die berühmte Strophe des Gedichts »The Night« von Vaughan:
Es ist in Gott, wie einige uns künden,
Ein Dunkel, tief, doch blendend licht,
Wie man, wenn dem umflorten Blick die Dinge schwinden,
Von Dämmerung und Spätsein spricht.
Oh, daß ich könnte jene Nacht ereilen
Und unsichtbar und dunkel in Ihm weilen!.«
Es ist bei Autoren, die über Mystik schreiben, zum Gemeinplatz geworden, daß alle späteren Kontemplativen diese Vorstellung vom »göttlichen Dunkel« und vom Eingehen in dasselbe als dem höchsten Vorrecht der Seele von Dionysios entlehnt, sie sozusagen fertig und auf Treu und Glauben übernommen und ihrer Tradition einverleibt hätten. Allein wenn man dies behauptet, so vergißt man, daß die Mystiker vor allem Praktiker sind. Sie schreiben nicht, um ein philosophisches Schema weiterzugeben, sondern um etwas zu schildern, was sie selbst erfahren haben, etwas, was sie als von überragender Bedeutung für die Menschheit empfinden. Wenn sie daher bei der Beschreibung ihrer kontemplativen Abenteuer dies Gleichnis vom »Dunkel« immer wieder benutzen, so kann dies nur darin seinen Grund haben, daß es genau den Tatsachen entspricht. Man braucht einem Hegelianer nicht erst zu versichern, daß man die Antithese hinzufügen muß, um der Wahrheit nahezukommen, und es ist gerade die Antithese dieser »dunklen Unwissenheit«, was die Mystiker des fröhlichen oder »intimen« Typus, die ihre höchste Befriedigung in der positiven Erfahrung der »Einigung«, der »mystischen Hochzeit der Seele« finden, uns bieten.
Was meinen nun die, die dieses Bild des »Dunkels« gebrauchen, in Wirklichkeit damit? Sie meinen, daß Gott in Seiner absoluten Wirklichkeit dem menschlichen Verstande, der, wie Bergson uns zu bedenken gibt, für ganz andere Zwecke als das Schauen Gottes eingerichtet ist, unerkennbar, dunkel ist. Wenn unter dem Antrieb mystischer Liebe die ganze Persönlichkeit des Menschen mit jener Wirklichkeit in Berührung kommt, so betritt sie ein Erfahrungsgebiet, auf das keine der Verstandeskategorien sich anwenden läßt. Der Verstand befindet sich im ganz buchstäblichen Sinne »im Dunkel« – in die Wolke des Nichtwissens eingehüllt. Diese Dunkelheit und Verlorenheit des Geistes ist also ein notwendiger Teil des mystischen Aufstiegs zum Absoluten. Dies Absolute läßt sich nicht »durch das Herz erkennen«, bis wir einsehen, daß Es »durch den Verstand unerkennbar« ist, und bis wir die Mahnung des Dionysios, »die Tätigkeiten des Verstandes zu unterlassen«, befolgt haben. Das Streben des Kontemplativen muß von seiner ganzen Persönlichkeit ausgehen, er muß sich »frei und fessellos« an den Busen der Wirklichkeit werfen. Nur wenn er so über alles Sehen und Erkennen hinausgelangt ist, kann er sicher sein, daß er auch die Welt, für die jene zuständig sind, überschritten und das erreicht hat, was alles Wesen und alles Denken übersteigt.
»Dies ist Liebe: himmelwärts zu fliegen,
Eine Hülle nach der andern sprengen.
Erster Schritt: das Leben hinzugeben,
Letzter Schritt: zu wandeln ohne Füße,
Dieser Welt die Augen zu verschließen
Und von allem, was erscheint, nichts sehen
Dschelal ed Din; nach: Jalalu'd Din, Selected Poems from the Divan p. 137..«
Dies Geständnis unserer intellektuellen Unwissenheit, diese demütige Selbstaufgabe bedeutet den Eintritt in »die Wolke des Nichtwissens«, ist der erste Schritt zur Erkenntnis des Absoluten. »Denn Wahrheit und Demut sind wahre Schwestern,« sagt Hilton, »die in Liebe und Barmherzigkeit miteinander fest verbunden sind, und zwischen ihnen besteht keine Meinungsverschiedenheit The Scale of Perfection III, Kap. 13..«
»Du fragst mich«, sagt der Verfasser der »Wolke des Nichtwissens«, »und sprichst: Wie soll ich an Ihn denken, und was ist Er? Darauf kann ich dir keine Antwort geben als: Ich weiß es nicht.
»Denn du hast mich mit deiner Frage in dieselbe Dunkelheit und Wolke des Nichtwissens gebracht, wo ich wollte, daß du selbst wärest. Denn von allen andern Kreaturen und ihren Werken kann der Mensch die Fülle des Wissens haben; aber Gott selbst kann niemand denken, und daher will ich alles das lassen, was ich denken kann, und für meine Liebe das erwählen, was ich nicht denken kann. Und warum? Weil man Ihn wohl lieben, aber nicht denken kann. Durch die Liebe kann man Ihn gewinnen und festhalten, aber niemals durch Denken … Schwinge dich in sehnsüchtiger Liebe zu dieser dichten Wolke des Nichtwissens empor und laß dich nicht wieder von dort herab, was auch geschehen möge The Cloud of Unknowing VI..«
Solange also der Gegenstand der mystischen Kontemplation dem Denken zugänglich ist, etwas ist, was er »wissen« kann, kann er ganz sicher sein, daß es nicht das Absolute ist, sondern nur ein unvollkommenes Bild oder Symbol des Absoluten.
Um jene letzte Wirklichkeit zu finden, muß er in die »Wolke des Nichtwissens« eingehen, muß über die Ebene hinausgelangen, wo der Verstand sich betätigen kann.
»Wenn ich Dunkelheit sage,« sagt derselbe große Mystiker, »so verstehe ich darunter einen Mangel an Wissen. Und daher nenne ich es nicht eine Wolke, wie sie in der Luft ist, sondern eine Wolke des Nichtwissens, die zwischen dir und deinem Gott steht Ebenda IV..«
Die Aufgabe des Kontemplativen ist also, in diese Wolke einzugehen, in dies »gute Dunkel«, wie Hilton es nennt. Die bewußte Einstellung jeglichen Denkens, wie sie in dem »Gebet der Ruhe« stattfindet, ist eins der Mittel, wodurch dies Eingehen bewirkt wird, ein anderes Mittel ist intellektuelle Selbstaufgabe und »Selbstvernichtung«. Wer vermittelst Loslösung und Innenkehr in die »Nichtsheit« oder den »Seelengrund« eintritt, geht auch in das »Dunkel« ein: eine Tatsache, die uns ganz einfach erscheint, solange wir uns nicht klarmachen, was sie bedeutet.
»Oh, wo«, sagt der verwirrte Jünger in einem von Boehmes Dialogen, »ist dieser nackte, allen Selbstes bare Seelengrund? Und wie soll ich zu dem verborgenen Mittelpunkt kommen, wo Gott wohnt und nicht der Mensch? Lehre mich doch, lieber Meister, wo er ist und wie ich ihn finden und hineingelangen mag!
Meister: Da, wo die Seele ihren eigenen Willen getötet hat und nichts mehr will von sich aus …
Jünger: Aber wie soll ich ihn begreifen?
Meister: Wenn du ihn zu begreifen suchst, so wird er dir entfliehen; aber wenn du dich ihm ganz hingibst, so wird er bei dir bleiben und das Leben deines Lebens werden und dir natürlich sein Three Dialogues of the Supersensual Life p. 71..«
Der Verfasser der »Wolke des Nichtwissens« verweilt mit besonderer Ausführlichkeit bei dem Gefühl der Trübheit und Verwirrung, das die Seele überwältigt, wenn sie zuerst dieses Dunkel betritt, – ein Vorgang, der jener gänzlichen Einstellung des Denkens zugunsten einer passiven Empfänglichkeit analog ist, die wir in der »Ruhe« beobachteten.
»Das erste Mal«, sagt er von den ersten unsicheren Schritten des Neophyten in der Kontemplation, »findest du nur ein Dunkel, gleichsam eine Wolke des Nichtwissens, – nämlich einen finsteren Nebel, der zwischen dir und dem Lichte, wohin du strebst, zu stehen scheint – und du weißt nichts, nur daß du in deinem Willen ein gewisses nacktes Streben nach Gott fühlst, d. h. ein gewisses unvollkommenes und bloßes Streben (wie es sich zuerst bemerkbar macht), zu etwas hin zu gelangen, ohne die geeigneten Mittel dazu. Diese Wolke ist (wie sehr du dich auch abmühst) immer zwischen dir und deinem Gott und hindert dich, daß du Ihn nicht deutlich beim Lichte des Verstandes sehen, noch durch die Süße der Liebe in deinem Herzen fühlen kannst. Und daher schaffe, daß du in diesem Dunkel verweilst, solange du kannst, und rufe immer nach Ihm, den du liebst, denn wenn du Ihn jemals fühlen oder schauen solltest in solcher Weise, wie Er in diesem Leben gefühlt oder geschaut werden kann, so wird es immer nur in dieser Wolke und in diesem Dunkel geschehen The Cloud of Unknowing III. Die fehlenden Sätze sind nach Collins Ausgabe ergänzt..«
Aus demselben Jahrhundert, aber aus einem ganz andern Lande und von einem sehr verschiedenartigen Temperament stammt ein anderes Zeugnis über den unermeßlichen Wert dieser dunklen Kontemplation des Göttlichen, diese Versenkung jenseits der Sphäre des Denkens und Fühlens in die »Substanz von allem, was da ist«. Es ist einer der lebendigsten und detailliertesten Berichte, die wir über diese eigenartige Form des Bewußtseins besitzen, und verdient, daß man ihn aufmerksam vergleicht mit dem, was die »Wolke des Nichtwissens« und St. Johannes vom Kreuz darüber aussagen. Wir verdanken dies Zeugnis jener bemerkenswerten Persönlichkeit, der Seligen Angela von Foligno, die von einem weltlich gerichteten Leben nicht nur zu einer Christin, sondern auch zu einer Franziskanerin und Platonikerin bekehrt wurde. Es ist uns, als hörten wir die Stimme Plotins aus dem Tal von Spoleto sprechen.
»Einmal«, sagt sie, »ward meine Seele erhöht, und ich schaute Gott in solcher Klarheit und Vollkommenheit, wie ich Ihn nie zuvor geschaut hatte. Allein die Liebe sah ich hier nicht, ich verlor vielmehr die Liebe, die ich schon gehabt hatte, und war ohne Liebe. Und darauf sah ich Ihn in einer Finsternis, und deshalb in Finsternis, weil er ein größeres Gut ist, als man denken oder begreifen kann; und alles, was man denken oder begreifen kann, reicht daran nicht hinan. – In diesem allergewissesten Gute, das ich unter dieser Finsternis verstehe, habe ich all meine Hoffnung; und im Schauen habe ich alles, was ich haben will, ganz, weiß ich alles, was ich wissen will, ganz und sehe dort alles Gute. Und indem ich es sehe, kann meine Seele nicht glauben, daß es von ihr geschieden würde oder sie von ihm oder daß sie in Zukunft je davon scheiden müßte; sondern sie hat an jenem Gute unaussprechliche Wonne, doch sie schaut nichts, was die Zunge aussagen noch das Herz sich vorstellen kann. Sie sieht nichts und sieht doch alles; und weil dies Gut mit Finsternis verbunden ist, so ist es um so mehr das gewisseste und übertrifft alles andere, je mehr es in Finsternis erscheint; und es ist das Allergeheimste. Und alles andere ist Finsternis, und alles, was man sich denken kann, ist geringer als dies Gut. Und selbst wenn die Seele die göttliche Macht und die göttliche Weisheit sieht, ja sogar, wenn sie den Willen Gottes sieht (wie ich sie zu andern Zeiten auf wunderbare und unaussprechliche Weise gesehen habe, so ist das alles weniger als dies höchst gewisse Gut. Denn dies ist das Ganze, aber jene andern Dinge alle sind nur ein Teil. Ein weiterer Unterschied ist der, daß jene andern Dinge, wenn sie auch unaussprechlich sind, doch große Freude bringen, die sogar körperlich empfunden wird. Allein wenn Gott auf jene Weise in Finsternis geschaut wird, so bringt er kein Lächeln auf die Lippen, keine Inbrunst oder Andacht oder Liebesglut ins Herz; der Leib erzittert nicht und wird nicht erregt oder verändert, wie er es sonst tut. Denn der Leib sieht nichts, sondern die Seele sieht, und der Leib ruht und schläft, und die Zunge ist gelähmt und kann nichts sprechen … Zu dieser höchsten und ganz unaussprechlichen Weise, Gott in Finsternis und überwunderbarer Gesichtsgnade zu schauen, ward mein Geist nur dreimal emporgehoben, obwohl ich jenes Allgut viele und unzählige Male gesehen habe, immer mit Finsternis, aber nicht auf die vorbesagte allerhöchste Weise mit so großer Finsternis … Und es ist mir, als stehe und weile ich in seiner Mitte; und jenes zieht mich mehr als irgend etwas anderes, was ich je geschaut, oder als irgendeine Gnade, die ich je empfangen habe, so daß nichts sich dem vergleichen läßt B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 26, p. 91-95..«
Diese Worte, ja, die ganze Idee, die der »dunklen Kontemplation« zugrunde liegt, läßt sich vielleicht noch besser verstehen im Lichte des tief bedeutungsvollen Ausspruchs des Barons von Hügel: »Seelen, die Gott in Seiner unendlichen Individualität lieben, werden Ihn mit Notwendigkeit über ihr verstandesmäßiges Begreifen hinaus lieben; das Element frommen Vertrauens und freier Selbsthingabe an Einen, den man nur in und durch einen solchen Akt voll erfaßt, wird so dem Menschen nie verloren gehen The Mystical Element of Religion II, p. 257..« Daher bedeutet die Kontemplation, die ein Akt liebender und selbstvergessener Konzentration auf das Göttliche, das Aufgehen der kleinen und endlichen Persönlichkeit des Menschen in der absoluten Persönlichkeit Gottes ist, insofern als sie jenseits alles Denkens ist, Dunkel für den Verstand, aber sie kann leuchtende Helle für das Herz bedeuten. Psychologisch bedeutet sie die notwendige Entleerung des Oberflächenbewußtseins, das Stilllegen des Mechanismus des Denkens im Interesse eines andern Bewußtseinszentrums. Da das neue Zentrum ungeheure Anforderungen an den Vorrat von Lebenskraft stellt, so bedeutet seine Errichtung, solange es in Tätigkeit ist, eine Kraftentziehung von andern Zentren her. So wird die »Nacht des Denkens« die streng logische Folge des »Lichtes der Wahrnehmung«.
Niemand hat diesen doppelten Charakter des göttlichen Dunkels, seine Nichtsheit für das Seziermesser des Verstandes, seine außerordentliche Fruchtbarkeit für tätig sich ausbreitende Liebe, mit so feinem Verständnis zum Ausdruck gebracht wie St. Johannes vom Kreuz. In seinem Werk erhalten die exakten und zuweilen dürren Beschreibungen der neuplatonischen Mystik durch den christlichen Hauch persönlicher Begeisterung Kraft und Leben. Nicht nur ein großer Mystiker, sondern auch ein großer Dichter, läßt er in seinem Gedicht auf die »dunkle Nacht« bei der Schilderung dieses unaussprechlichen Erlebnisses der nach innen gekehrten Seele alle höchsten Kräfte künstlerischen Ausdrucks, alle Mittel des musikalischen Rhythmus, alle suggestiven Eigenschaften bildhafter Sprache spielen.
In einer Nacht gar dunkel,
Da ganz mein liebend Herz vor Inbrunst glühte,
O hochbeglückte Stunde!
Entschlich mit leisem Tritte
Ich meiner tief in Ruh' versunknen Hütte.
Im sichern Schutz des Dunkels
War die geheime Leiter bald erstiegen;
O hochbeglückte Stunde!
Verhüllt und tief verschwiegen
Ging ich und ließ in Ruh' die Hütte liegen.
O seligste der Nächte,
Da ich beherzt den dunklen Pfad erklimmte,
Da mich kein Blick erspähte,
Kein Licht den Tritt bestimmte,
Als das, das in der innern Brust mir glimmte.
In dieses Lichtes Glanze
Fand sichrer ich als bei des Mittags Helle
Den Ort, wo meiner harrte
Der Liebste meiner Seele
Dort in der Öd', an unbetretner Stelle.
O Nacht, die mich beglückte,
Wie lieb ich dich ob Morgenrotes-Scheine;
Dein Dunkel ja mich führte
Zum seligsten Vereine,
Wo ich, in ihn gewandelt, ward die seine!
An meinem blühnden Busen,
Den unversehrt ich stets für ihn bewachte,
Sank er in sanften Schlummer,
Indes ich für ihn wachte
Und mit dem Zederzweig ihm Kühlung fachte.
Und als Aurorens Atem
Sein lockig Haar begann umherzuspreiten,
Ließ sanft um meinen Nacken
Er seine Rechte gleiten,
Mir schwanden alle Sinn' in Seligkeiten.
Von heil'ger Wonne trunken,
Durft' ich mein Haupt auf den Geliebten lehnen;
Die Welt war mir entsunken,
Gestillet all mein Sehnen,
Begraben unter Lilien Harm und Tränen
En una noche obscura,
Con ansias en amores inflamada
– Oh dichosa ventura! –
Salí sin ser notada,
Estando ya mi casa sosegada:
A obscuras y segura
Por la secreta escala disfrazada
– Oh dichosa ventura! –
A obscuras y encelada,
Estando ya mi casa sosegada:
En la noche dichosa,
En secreto que nadie me veía,
Ni yo miraba cosa,
Sin otra luz, ni guía,
Sino la que en el corazon ardía.
Aquesta me guiaba
Mas cierta que la luz del medio día,
Adonde me esperaba
Quien yo bien me sabía,
En parte, donde nadie parecía.
Oh noche, que me guiaste!
Oh noche amable más que el alborada!
Oh noche, que juntaste
Amado con amada,
Amada en el amado transformada!
En mi pecho florido,
Que entero para él solo se guardaba,
Alli quedó dormido,
Y yo le regalaba,
Y el ventalle de cedros aire daba.
El aire del almena
Cuando ya sus cabellos esparcía,
Con su mano serena
En mi cuello hería,
Y todos mis sentidos suspendía.
Quedéme, y olvidéme!
El rostro recliné sobre el amado;
Cesó todo, y dejéme
Dejando mi cuidado
Entre las azucenas olvidado.
(Übersetzung von Diepenbrock.).
Man beachte in diesen Versen die wunderbare Verschmelzung von persönlicher und metaphysischer Bildersprache, die durch ihre suggestive Kraft vereint eine Gesamtwirkung ergeben, die uns, ohne daß wir eigentlich merken wie, die dunkle und doch flammende Verzücktheit des Mystikers, das positive Moment seiner brennenden Liebe und zugleich das negative seiner geistigen Dunkelheit und Ruhe vermitteln. Hier ist alles: die Verborgenheit des wahren Lebens des Kontemplativen für die Augen anderer Menschen, sein freiwilliger, aktiver Verzicht auf das bequeme Haus der Sinne, die dunkle, unbekannte Seinstiefe, in die sein feuriger Geist hinabtauchen muß, – eine »Nacht, süßer als der Morgen« – das innere Licht, das Feuer mystischer Liebe, das seine Schritte leitet »sichrer als bei des Mittags Helle«, die ekstatische Selbsthingabe der Vollendung, in der die Liebende »zum seligsten Vereine« mit dem Geliebten geführt wird.
In seinem Buch »Die dunkle Nacht der Seele« erläutert St. Johannes vom Kreuz die Anfangsstrophe dieses Gedichts, und diese Stellen gehören zu den schönsten und feinsten psychologischen Beschreibungen der Kontemplation, die wir besitzen.
»Die Seele«, sagt er, »nennt diese dunkle Kontemplation, auf der sie zur Liebesvereinigung mit Gott gelangt, eine ›verborgene‹ Leiter wegen der zwei Eigentümlichkeiten, die sie an sich hat … Zuerst nennt sie diese dunkle Kontemplation eine ›verborgene‹, weil sie, wie wir oben angedeutet haben, die mystische Gottesweisheit ist, welche die Theologen eine verborgene Weisheit nennen. Diese wird nach den Worten des hl. Thomas der Seele durch die Liebe verliehen und eingegossen, was auf geheime Weise geschieht, während die natürliche Wirksamkeit des Verstandes und der übrigen Seelenkräfte im Dunkel sich befindet. – – – Überdies hat die Seele gar kein Verlangen, ihr einen Namen zu geben, und findet auch keine passende Form, keine Ähnlichkeit und kein Mittel, um in genügender Weise eine so erhabene Erkenntnis und eine so zarte geistige Empfindung zum Ausdruck zu bringen. Und wenn sie auch den innigsten Wunsch hätte sich auszudrücken und noch so viel Bezeichnungen anführen wollte, sie bliebe immer für ihre Sprachweise etwas Verborgenes, denn jene innere Weisheit ist ein so einfacher, allgemeiner und geistiger Begriff, daß er in keine Vorstellung gefaßt noch als Sinnenbild dargestellt in den Verstand eingetreten ist. Und da sie durch die Sinne und die Einbildungskraft noch niemals aufgenommen wurde und diese ihre Form und ihr Wesen nicht wahrgenommen haben, so vermögen sie auch darüber keine Auskunft zu geben, noch auch sich eine Vorstellung davon zu machen, um sich richtig auszudrücken, wenn auch die Seele ganz deutlich erkennt, daß sie jene wonnevolle und ungewöhnliche Weisheit empfinde und koste. Es ist gerade so, wie wenn jemand etwas, das er noch nie gesehen, noch auch etwas diesem Ähnliches geschaut, zu Gesicht bekommen würde. Würde er es jetzt erkennen und genießen, so könnte er ihm doch trotz aller Mühe keinen Namen geben noch auch sagen, was es sei, wenn er es auch mit den Sinnen wahrgenommen. Und wie viel weniger wird er sich dann über etwas aussprechen können, was er nicht durch die Sinne in sich aufgenommen? – Aber nicht bloß deshalb wird diese mystische Weisheit ›verborgen‹ genannt, sondern auch, weil sie die Eigenschaft besitzt, die Seele in sich zu verbergen. Denn außer diesen gewöhnlichen Wirkungen bemächtigt sie sich der Seele derart und zieht sie in einer Weise in ihren verborgenen Abgrund, daß diese deutlich erkennen kann, wie ferne sie allen Geschöpfen steht und von ihnen verlassen ist. So kommt es ihr vor, man habe sie in eine sehr tiefe und weite Einsamkeit versetzt, wohin kein menschliches Wesen dringen kann, in eine unermeßliche Wüste, die nach keiner Seite hin begrenzt ist. Und dies ist ihr um so angenehmer, wohltuender und lieblicher, je tiefer, weiter und einsamer sie ist. Da fühlt sich die Seele um so verborgener, je mehr sie sich erhaben sieht über jedes geschaffene Wesen. Und dieser Abgrund der Weisheit erhebt und bereichert die Seele in hohem Maße und setzt sie an die Quelle der Wissenschaft der Liebe. Dadurch läßt er die Seele erkennen, wie tief die Geschöpfe stehen, wenn man das erhabene göttliche Erkennen und Empfinden in Betracht zieht, und bringt sie auch zur Einsicht, wie ungenügend, unzulänglich und sozusagen ungeeignet alle Bezeichnungen und Worte sind, mit denen man in diesem Leben von göttlichen Dingen redet. Ebenso läßt er sie zur Überzeugung kommen, daß es auf natürlichem Wege unmöglich sei, so erhaben und geistreich man auch davon zu reden vermag, zu erkennen und zu empfinden, wie diese göttlichen Dinge in sich sind, wenn es nicht durch die Erleuchtung dieser mystischen Gottesweisheit geschieht. Und weil die Seele durch ihre Erleuchtung zur Erkenntnis dieser Wahrheit gelangt, die man durch menschliche und gewöhnliche Ausdrücke nicht wiedergeben, noch weniger erklären kann, so nennt sie dieselbe mit Recht eine ›verborgene Noche Escura del Alma II, Kap. 17. [Nach der Übers. von P. Aloysius ab Immac. Conceptione.] Es ist vielleicht angezeigt, den Leser darauf hinzuweisen, daß Johannes vom Kreuz in diesem Werk das Bild der »Dunkelheit« für drei durchaus verschiedene Dinge gebraucht, nämlich für eine Form der Reinigung, die er »die Nacht der Sinne« nennt, für dunkle Kontemplation oder das »göttliche Dunkel« des Dionysios und für die eigentliche »dunkle Nacht der Seele«, die er die »Nacht des Geistes« nennt. Die Folge hiervon ist eine ziemliche Verwirrung in bezug auf die »dunkle Nacht« bei modernen Schriftstellern, die über Mystik schreiben.‹.«
In dieser wichtigen Stelle werden die vier hauptsächlichsten Bilder, unter denen die Kontemplation beschrieben wird: das Dunkel und das Licht, die Wüste und die Einigung der Liebe, mit einander in Einklang gebracht, nämlich das Gefühl einer Unwissenheit, die höchste Weisheit ist, und das einer Einsamkeit, die innigste Gemeinschaft ist. In bezug auf diese letzte Antithese, die Wüste, die um so köstlicher, süßer und lieblicher ist, je weiter, wüster und einsamer sie ist, kann ich es mir nicht versagen, als Glosse zu der erhabenen Sprache des spanischen Mystikers die schlichten, sinnigen Worte Richard Rolles anzuführen.
»In der Wüste … spricht die Geliebte zum Herzen des Liebenden wie ein schüchterner Liebhaber, der sein Liebchen vor den Leuten nicht drängt und sie auch nicht vertraulich wie ein Freund, sondern leicht wie ein Fremder küßt. Wenn eine fromme Seele sich von allen weltlichen Geschäften mit Leib und Seele freigemacht hat … da naht sogleich himmlische Freude mit wunderbar fröhlicher Melodie, und die Seele springt auf ihr Zeichen zu ihr und mag hinfort weltliche Töne nicht mehr hören. Dies ist geistliche Musik, von der alle, die mit weltlichen Dingen, ob gerechten oder ungerechten, beschäftigt sind, nichts vernehmen. Niemand hat sie vernommen, denn der allein, der sich bemüht hat, sein ganzes Sinnen auf Gott zu richten The Fire of Love II, Kap. 7..«
Ohne Zweifel kommt die »dunkle Transzendenz«, von der alle Mystiker des dionysianischen Typus nicht müde werden zu erzählen, von allen unsern Gottesvorstellungen der Wahrheit am nächsten Vgl. Baker, Holy Wisdom, Tractat III, § 4, Kap. 4.; obwohl nur im paradoxen Sinne, indem sie durch die suggestiven Eigenschaften der Verneinung – das Dunkel, dessen Existenz selbst schon die des Lichtes einschließt – die unendliche Bejahung als alles, das da ist, andeutet. Aber je näher diese Sprache dem Absoluten kommt, je ferner steht sie uns. Wenn man sich ihrer nicht mit Vorsicht bedient, so kann sie, indem sie vermeidet, Falsches zu sagen, leicht dahin kommen, daß sie uns überhaupt nichts sagt. Der Mensch ist noch nicht reiner Geist und hat das Ewige noch nicht erreicht. Er ist auf dem Wege und wird nie ans Ziel kommen, wenn ungeduldige Liebhaber der Wirklichkeit ihm eigensinnig den Boden unter den Füßen fortziehen. Wie Dante bedarf er einer Leiter zu den Sternen, einer Leiter, die ganz vom Menschlichen bis zum Göttlichen hinaufreicht. Daher muß die philosophische Genauigkeit dieser Beschreibungen als Dunkel in den persönlichen, menschlichen und symbolischen Bejahungen als Liebe ihr Gegengewicht erhalten wie es bei dem hl. Johannes vom Kreuz der Fall ist, wenn wir nicht einen falschen Begriff erhalten sollen von der Wirklichkeit, die der Kontemplative auf seinem höchsten »Fluge zu Gott« erreicht. Das Bewußtsein braucht Hilfe, um über die Kluft hinüberzugelangen, die es von seiner Heimat trennt.
Die »Wüste«, der furchtbare Abgrund, muß durch die Stimme des Liebenden, »der sein Liebchen vor den Leuten nicht drängt«, heimisch gemacht werden. Wenn wir auch wissen, daß solch ein Bild unserer Gemeinschaft mit dem Absoluten nur annähernd entspricht, so bedeutet es doch einen wirklichen Ausdruck der kontemplativen Erfahrung, die sich der Herrschaftssphäre metaphysischen Denkens entzieht. Blake faßt mit echt mystischer Einsicht die beiden extremen Formen der Kontemplation zusammen, wenn er sagt Auguries of Innocence.:
»Den Seelen, über die sich Dunkel breiten,
Erscheint Gott als ein strahlend Licht;
Doch denen, die im Reich des Tages schreiten,
Zeigt Er ein Menschenangesicht.«
Im »Gebet der Einigung« und in der »Geistlichen Hochzeit« wird den Kontemplativen, die von Natur dazu neigen, »im Reich des Tages zu schreiten«, eben solch eine Offenbarung in menschlicher Gestalt zuteil – eine Offenbarung, die in dem christlichen Dogma von der Menschwerdung Gottes ihren Gipfel erreicht. Sie erfassen die persönliche und gefühlsmäßige Seite des unendlichen Lebens und die zugleich innige und allumfassende, allfordernde und allentsagende Liebe, die wie ein Blitz zwischen diesem Leben und der verlangenden Seele hin- und herfährt. »Du sagtest zu mir, meine einzige Liebe, daß du mich zu dir selbst machen wolltest; und daß du ganz mein wärest mit allem, was du hättest, und mit dem ganzen Paradiese, und daß ich ganz dein wäre. Daß ich alles oder vielmehr das Nichts aufgeben sollte, und daß du mir das All geben wolltest. Und daß du mir nicht ohne guten Grund diesen Namen gegeben hättest – und bei diesen Worten hörte ich in mir » dedi te in lucem gentium«. – Und dann war mir, als ob ich nichts anderes ersehnte als die reinste Einigung ohne irgendwelche Vermittlung, so wie du sie mich in allen Einzelheiten hattest schauen lassen. Und so sprach ich zu dir: Gib all diese andern Dinge, wem du willst; gib mir nur diese reine, unmittelbare Einigung mit dir Battista Vernazza, Gespräche; angeführt bei von Hügel, The Mystical Element of Religion I, p. 350..«
»Unsere Aufgabe ist, Gott zu lieben«, sagt Ruysbroeck. »Unser Glück liegt in der Hingabe an die göttliche Umarmung [Von sieben Stufen der Minne Kap. XIV; Werken IV, 56, 8 f.].« Diese gänzliche und jähe Hingabe an die göttliche Umarmung ist das Wesen jener Form der Kontemplation, die als Gebet der Einigung bezeichnet wird. »Hingabe« ist ihr Geheimnis, persönliche Hingabe, nicht nur des Endlichen an das Unendliche, sondern der Braut an den Bräutigam, des Herzens an das Herz. Diese Hingabe ist bei Kontemplativen eines bestimmten Typus so vollständig und ekstatisch, daß sie eine mehr oder weniger vollständige Aufhebung des normalen Bewußtseins, eine Verzücktheit mit sich bringt und oft die Grenze, die die Kontemplation von der eigentlichen Ekstase trennt, überschreitet, indem sie in dem Subjekt sowohl physische wie psychische Wirkungen hervorruft. »In diesem Zustande«, sagt die hl. Teresa, »hat man kein anderes Gefühl als das eines reinen Genießens, ohne jedoch zu verstehen, was es ist, dessen Genuß einem zuteil wird. Man ist sich nur bewußt, daß es ein Gut ist, das alles Gute zugleich in sich schließt, aber was dies Gute ist, begreift man nicht. Alle Sinne sind so mit diesem Genuß beschäftigt, daß keiner von ihnen auf irgend etwas anderes acht geben kann, weder nach innen noch nach außen … Aber dieser Zustand völliger Versunkenheit sowie die gänzliche Ruhe der Einbildungskraft – denn ich glaube, daß die Einbildungskraft dabei vollkommen ruht – dauert nur kurze Zeit; obwohl die Kräfte sich nicht so schnell erholen, so daß sie noch einige Stunden lang gestört sind … Wer dies an sich erfahren hat, wird meine Worte bis zu einem gewissen Grade verstehen, denn es läßt sich nicht so klar beschreiben, weil das, was geschieht, so dunkel ist. Alles, was ich sagen kann, ist, daß die Seele sich Gott nahe fühlt, und daß sie diese Nähe so gewiß und stark empfindet, daß sie nicht anders kann als daran glauben. Alle Kräfte versagen sodann und sind so völlig aufgehoben, daß man, wie ich schon sagte, ihr Wirken nicht mehr spüren kann … Der Wille geht ganz in der Liebe auf, aber er weiß nicht, wie er liebt; der Verstand, wenn er begreift, begreift nicht, wie er begreift. Er begreift nicht, scheint mir, weil, wie ich schon sagte, dies etwas ist, was sich nicht begreifen läßt Vida Cap. XVIII, §§ 2; 17; 19..« Offenbar ist der psychologische Zustand hier derselbe wie der, in dem Mystiker des unpersönlichen Typus sich in die Wolke des Nichtswissens oder das göttliche Dunkel eingehüllt fühlen.
»Glaubt nicht,« sagt die hl. Teresa an einer andern Stelle, »daß dies Gebet (der Einigung) wie das vorige (der Ruhe) eine Art Traumzustand ist. Ich sage ›Traumzustand‹, weil dort die Seele weder ganz schlafend noch ganz wach war, sondern dämmerte. Hier dagegen ist sie ganz tief entschlafen für die Dinge der Welt und für sich selber. Denn sie bleibt in Wahrheit während der kurzen Zeit der Einigung wie ohne Empfindung und ohne Fähigkeit zu denken, wenn sie auch wollte. So braucht sie nicht gewaltsam ihr Denken oder auch ihr Lieben zu hemmen … sie ist gleichsam der Welt gänzlich abgestorben, um desto mehr in Gott zu leben.«
Man kann fragen, inwiefern sich solche Kontemplation von Bewußtlosigkeit unterscheidet. Der Unterschied besteht nach der hl. Teresa in dem bestimmten Etwas, das während dieser Hemmung des Oberflächenbewußtseins stattfindet, einem Etwas, das dem Oberflächenbewußtsein nach dem Erwachen bewußt wird. Während dieser scheinbaren Passivität ist das tiefere Selbst am Werke gewesen. Es hat seine Fesseln gelöst, ist zur Freiheit aufgestiegen und bringt Nachrichten von dem Orte, wo es war. Wir müssen uns erinnern, daß Teresa hier aus Erfahrung spricht, und daß die Form dieser Erfahrung durch die Besonderheit ihrer Naturanlage modifiziert ist. »Die Seele«, sagt sie, »kann in der Zeit, wo sie in diesem Zustande ist, weder hören, noch sehen, noch verstehen. Diese Zeit ist immer kurz und erscheint der Seele noch kürzer, als sie ist. Gott drückt sich dergestalt dem Innern einer solchen Seele ein, daß, wenn sie zu sich kommt, sie in keiner Weise zweifeln kann, daß sie in Gott und Gott in ihr war. Diese Wahrheit bleibt ihr so fest eingeprägt, daß, obwohl Jahre vergehen, ohne daß Gott ihr wiederum solche Gnade erweist, sie das Erlebte nie vergißt, noch an seiner Wirklichkeit zweifelt … Nun werdet ihr fragen: Wie konnte die Seele es denn sehen und verstehen, wenn sie weder sah noch verstand? Ich sage nicht, daß sie es damals sah, sondern daß sie es hinterher deutlich erkannte, und zwar nicht als eine Vision, sondern als eine Gewißheit, die in der Seele bleibt und die Gott allein ihr einflößen kann El Castillo Interior, Moradas Quintas Kap. I..«