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Bei unserer Betrachtung des Ersten mystischen Lebens, seiner Reinigung und Erleuchtung, haben wir einen Prozeß organischer Entwicklung, die Entfaltung einer Persönlichkeit, im einzelnen analysiert und betrachtet. Man kann diese Entwicklung mit gleichem Recht entweder ein Aufsteigen des Bewußtseins zu höheren Ebenen nennen oder eine Erneuerung des Bewußtseins, bewirkt durch das Auftauchen und Wachsen eines Faktors, der im gewöhnlichen Menschen schlummert, doch beim voll entwickelten mystischen Typus bestimmt ist, lebenbeherrschend zu werden. Wir haben gesehen, wie dieser Faktor, dieser Seelenfunke, mit seiner eingeborenen Fähigkeit, das Absolute wahrzunehmen, erwacht. Wir haben gesehen, wie er das alte sinnengenährte und selbstbefangene Leben des normalen Menschen angreift und erobert und es in eine neue, vom Unerschaffenen Licht erleuchtete Welt einführt. Dies sind die Vorgänge, die zusammen das »erste mystische Leben« ausmachen, eine vollkommene Rundung in der Spirale, die vom Menschen zu Gott emporführt.
Was wir gesehen haben, ist also ein Lebensprozeß, die Herstellung einer gewissen Harmonie zwischen dem Selbst und der Wirklichkeit; und wir haben diesen Lebensprozeß so betrachtet, als enthielte er nichts, was sich nicht auf natürliches und spontanes Wachstum, auf unwillkürliche Anpassung des Organismus an jene weitere oder höhere Welt, deren er sich allmählich immer mehr bewußt wird, zurückführen ließe.
Allein neben diesem organischen Wachstum her geht eine andere Art der Tätigkeit, die für den Mystiker charakteristisch ist, eine Form, unter der sein Bewußtsein am besten arbeitet und seine Wahrnehmung des Unendlichen reicher und bestimmter wird. Wir sind dieser Tätigkeit schon ein oder das andere Mal begegnet, haben ihren Einfluß mit in Rechnung stellen müssen, ebenso wie wir beim Studium anderer künstlerischer Typen das Medium, worin sie arbeiten, auch nicht ganz beiseite lassen können.
Kontemplation ist das Medium des Mystikers. Sie ist für ihn das, was die Harmonie für den Musiker, was Form und Farbe für den Bildhauer und Maler, was der Rhythmus für den Dichter ist: das Vehikel, mittels dessen er das Gute und Schöne am besten wahrnehmen, in Verbindung mit dem Wirklichen treten kann. Wie »Stimme« oder »Vision« das Mittel ist, wodurch sein tieferes Bewußtsein seine Entdeckungen an das Oberflächenbewußtsein weitergibt, so ist die Kontemplation das Mittel, wodurch es diese Entdeckungen macht, das Übersinnliche wahrnimmt. Das Wachsen seines Genius hängt daher von seinem Fortschreiten in dieser Kunst ab, und dies beruht zum großen Teil auf Selbsterziehung.
Der Maler kann, wie groß auch seine natürliche Begabung sein mag, kaum ganz ohne technische Übung auskommen; der Musiker tut klug daran, sich wenigstens mit den Elementen des Kontrapunktes vertraut zu machen. So auch der Mystiker. Zwar scheint es zuweilen, als ob er ganz plötzlich auf die Höhe gelangte, als ob er ohne vorherige Vorbereitung zur Ekstase hinaufgehoben würde, wie es auch vorkommen kann, daß ein Dichter durch ein plötzliches Meisterwerk die Welt in Erstaunen setzt. Allein, wenn sie nicht durch Disziplin unterstützt werden, so werden diese plötzlichen und vereinzelten Erleuchtungen nicht lange vorhalten und nicht für die Erzeugung großer Werke ausreichen. » Ordina quest'amore, o tu che m'ami« ist eine gebieterische Forderung, die das Gute, Wahre und Schöne, die jegliche Form der Wirklichkeit an die menschliche Seele stellt. Der Liebende und der Philosoph, der Heilige, der Künstler und der Forscher, alle müssen entweder gehorchen oder das Ziel verfehlen.
Das transzendentale Genie gehorcht also den Gesetzen, die für alle Arten von Genie gelten, indem es für Ausbildung empfänglich ist und in der Tat seine Kräfte ohne ein Erziehungsverfahren irgendwelcher Art nicht voll entwickeln kann. Diese eigenartige Kunst der Kontemplation, die der Mystiker naturgemäß sein ganzes Leben lang zu üben sucht, und die sich mit seiner visionären Kraft und mit seiner Liebe zugleich entwickelt, fordert von dem Menschen, der sich ihr widmet, dieselbe harte, mühselige Arbeit, dieselbe langwierige Trainierung des Willens, die hinter jeder großen Leistung liegt und der Preis aller wahren Freiheit ist. Der Mangel an solcher Willenszucht, an solcher übersinnlichen Trainierung, ist es, dem wir die Schuld geben müssen an der Unmenge von vagem, unwirksamem und bisweilen schädlichem Mystizismus, die es immer gegeben hat; an dem verwässerten kosmischen Gefühl und der schlappen Geistigkeit, die sich sozusagen den wahren Suchern des Absoluten an die Rockschöße hängen und ihre Wissenschaft in Mißkredit bringen.
Bei dieser wie bei all den andern und geringeren Künsten, die das Menschengeschlecht entwickelt hat, besteht die Ausbildung zum großen Teil in einer demütigen Willigkeit, sich der Zucht der Vergangenheit zu unterwerfen und sich ihre Lehren zunutze zu machen. Die Tradition muß neben der Erfahrung hergehen, Vergangenheit mit der Gegenwart zusammenarbeiten. Jede neue Seele, die voll Eifer dem einzigen Ziel der Liebe zueilt, kommt auf ihrem Wege an den Merkzeichen vorüber, die andere auf dem Pfade zur Wirklichkeit zurückgelassen haben. Wenn sie weise ist, schenkt sie ihnen Beachtung und findet in ihnen vielmehr eine Hilfe als ein Hindernis zur Erlangung jener Freiheit, die zum Wesen des mystischen Aktes gehört. Dieser Akt ist zwar letzten Endes eine Sache des Einzelnen, »die Flucht des einzig Einen zum einzig Einen [S. oben S. 109.]«, jenem höchsten Erleben, »wobei Gott und die Seele eins werden«. Zugleich aber kann hier wie anderswo der Mensch sein eigenes persönliches Leben nicht ohne Gefahr von dem der Menschheit losreißen. Die beste und wahrste Erfahrung wird nicht dem exzentrischen und individualistischen Pilger zuteil, dem seine Eingebungen sein einziges Gesetz sind, sondern vielmehr dem, der seine persönliche Eingebung der Führung unterwirft, die die allgemeine Geschichte des mystischen Typs bietet. Die, welche diese Führung ablehnen, setzen sich allen Gefahren aus, die auf den Individualisten eindringen, von der Ketzerei bis zum Wahnsinn.
Vae Soli! Nirgends sehen wir klarer als in der Geschichte der Mystik die notwendige Solidarität der Menschheit: die Strafe, welche die trifft, die sie nicht anerkennen wollen.
Nun besteht die Ausbildung, die die Tradition von jeher dem Mystiker vorgeschrieben hat, in der stufenweisen Entwicklung einer außerordentlichen Konzentrationsfähigkeit, einer geistigen Aufmerkungskraft. Es genügt nicht, daß er sich von selbst »des Absoluten bewußt« ist, er muß fähig sein, es zu betrachten; ebenso wie der bloße Besitz des Augenlichtes oder des Gehörs, wie scharf diese Sinne auch sein mögen, ergänzt werden muß durch ein ausgebildetes Wahrnehmungs- und Aufnahmevermögen, wenn wir die Meisterwerke der Musik oder der bildenden Kunst wirklich würdigen, mit Nutzen sehen und hören wollen. Auch die Natur enthüllt denen, die nur mit dem äußeren Ohr und Auge hören und sehen, nur wenig von ihrem Geheimnis. Die Voraussetzung für alles fruchtbare Sehen und Hören auf jeglicher Bewußtseinsebene ist nicht die Schärfe der Sinne, sondern eine besondere Haltung der ganzen Persönlichkeit: eine selbstvergessene Aufmerksamkeit, eine tiefe Konzentration, eine Versenkung des ganzen Selbst, die eine wirkliche Gemeinschaft zwischen dem Schauenden und dem Geschauten bewirkt, mit einem Worte: Kontemplation.
Die Kontemplation ist also eine Kraft, die wir nicht nur zur Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit, sondern zu jeder Wahrnehmung überhaupt anwenden können und oft anwenden müssen. Sie ist die Bedingung, unter der uns alle Dinge das Geheimnis ihres Lebens preisgeben. Jeder Künstler muß bis zu einem gewissen Grade kontemplativ sein. »Die Unschuld des Auges« ist kaum etwas anderes als dies, und nur durch sie kann er die Dinge, die er darstellen will, in ihrer Wahrheit sehen. Ich fordere die, welchen diese Behauptungen als ein Gemisch von billiger Psychologie und noch billigerer Metaphysik erscheinen, auf, alle Vorurteile aus ihrem Geiste zu verbannen und die Sache einmal praktisch zu prüfen. Wenn sie geduldig und ehrlich sind und nicht zu der Minderheit gehören, die von Natur zu dem einfachsten Akt der Kontemplation unfähig ist, so werden sie finden, daß dieser Versuch ihre Erkenntnis hinsichtlich der Beziehung zwischen dem menschlichen Geiste und der Außenwelt um ein weniges bereichert hat.
Alles, was verlangt wird, ist, daß wir eine kleine Zeitlang unsern Blick und unsere Aufmerksamkeit ungeteilt auf irgendeinen einfachen, konkreten äußeren Gegenstand richten.
Dieser Gegenstand unserer Kontemplation kann irgendein ganz beliebiger sein: ein Bild, eine Statue, ein Baum, eine ferne Hügelkette, eine grüne Pflanze, fließendes Wasser, kleine Lebewesen. Wir brauchen nicht mit Kant bis zum Sternenhimmel zu gehen. »Ein kleines Ding, nicht größer als eine Haselnuß«, wird uns dazu genügen, wie es Lady Juliane vor langen Jahren genügte Revelations of Divine Love Kap. 5.. Man bedenke, es ist ein praktisches Experiment, das wir machen wollen, keine schöngeistige pantheistische Meditation.
Blicke also den Gegenstand an, den du gewählt hast! Weise hartnäckig alle Botschaften zurück, die zahllose andere Erscheinungsformen der Welt senden, und konzentriere so deine ganze Aufmerksamkeit auf diesen einen Akt des Sehens, daß alle andern Gegenstände vom Bewußtseinsfelde ausgeschlossen sind! Denke nicht, sondern ströme gleichsam deine ganze Persönlichkeit in diese eine Richtung aus, lasse deine Seele in deinen Augen sein! Fast sofort wird diese neue Wahrnehmungsmethode ganz unerwartete Eigenschaften der Außenwelt enthüllen. Zuerst wirst du um dich eine eigentümliche und immer tiefer werdende Stille bemerken. Sodann wirst du in dem Gegenstande, den du ansiehst, eine erhöhte Bedeutung, ein gesteigertes Dasein spüren. Wie du mit deinem ganzen Bewußtsein dich ihm zuneigst, wird ein antwortender Strom dir entgegenkommen. Es ist, als ob die Schranke zwischen seinem und deinem Leben, zwischen Subjekt und Objekt, hinweggeschmolzen sei. Du bist mit ihm eins geworden, in einem Akt wahrer Kommunion, und erkennst das Geheimnis seines Wesens tief und unvergeßlich, und doch so, wie du es nie auszudrücken vermagst.
Auf diese Weise gesehen, hat eine Distel himmlische Eigenschaften, eine gesprenkelte Henne etwas Erhabenes. Unsere größeren Kameraden, die Bäume, die Wolken, die Flüsse, weihen uns in gewaltige Geheimnisse ein, flammen vor uns auf »wie Blitz geschwungener Klinge«. Das »Auge, das auf die Ewigkeit blickt«, ist nun in Tätigkeit getreten. Wir sind einen Augenblick eingetaucht in das »Leben des Alls«: eine tiefe und friedevolle Liebe vereint uns mit dem Wesen aller Dinge, eine »mystische Hochzeit« hat stattgefunden zwischen der Seele und einer Seite der Außenwelt. Cor ad cor loquitur, das Leben hat zum Leben gesprochen, aber nicht zur Oberflächenintelligenz. Diese weiß nur, daß die Botschaft wahr und schön war, weiter nichts.
Der Preis dieser Erfahrung ist ein Stillegen dieses Oberflächengeistes, eine Sammlung all unserer zerstreuten Interessen, eine vollständige Hingabe an diese eine Tätigkeit, ohne nachzudenken oder uns unserer selbst bewußt zu sein. Über etwas nachdenken, heißt immer etwas verzerren, unser reflektierender Verstand ist kein guter Spiegel. Der Kontemplative begnügt sich damit, zu absorbieren und absorbiert zu werden, und gelangt so, auf diesem Wege der Bescheidung, zu einer Erkenntnisebene, zu der kein intellektueller Prozeß ihn führen kann.
Nun übt dieser einfache Versuch im kleinen Maßstabe und in bezug auf die sichtbare Natur die Fähigkeit, wodurch der Mystiker die unsichtbare Wirklichkeit wahrnimmt, mit dem Absoluten in Gemeinschaft tritt. Es ist natürlich etwas anderes, einen Augenblick die Blume in der Mauerritze in ihrer Wahrheit zu sehen, und den vollen Glanz der »ewigen Wahrheit, der wahren Liebe und der geliebten Ewigkeit« zu ertragen. Und doch ist beides in gleicher Weise, wenn auch in verschiedenem Maße, eine Funktion des inneren Auges, das in Tätigkeit tritt, wenn der bewußte Geist ausgeschaltet ist.
Diese demütige Empfänglichkeit, dies stille, unverwandte Schauen, wobei Fühlen, Wollen und Denken in eins zerfließen, ist das Geheimnis des großen Kontemplativen, der von Liebe zu dem entbrannt ist, was ihm zu schauen vergönnt wurde. Aber während die Betrachtung der Natur uns veranlaßt, aus uns hinauszugehen, zu etwas hin, was unzweifelhaft außerhalb von uns ist, bewirkt die geistige Kontemplation, wie es denen, die sie üben, erscheint, häufiger eine Introversion oder ein Einwärtskehren unserer Fähigkeiten, eine »Reise nach dem Zentrum«. Das Reich Gottes, sagen sie, ist in euch, sucht es also in den geheimsten Wohnungen der Seele.
Der Mystiker muß also lernen, alle seine Kräfte, sein ganzes Selbst, so auf das Unsichtbare und Ungreifbare zu konzentrieren, daß er alle sichtbaren Dinge vergißt; jenes so sehr in den Brennpunkt zu rücken, daß alles andere wie ausgelöscht ist. Er muß durch bewußte Willensübung seine zerstreuten Kräfte sammeln, seinen Geist von seinem ganzen Bilderschwarm, seinem ganzen Gedankentumult entleeren. Er muß, mystisch gesprochen, »in seine Nichtsheit versinken«, in die leere Ruhestätte, wohin der geschäftige, kluge Verstand nicht kommen kann. Dieser ganze Vorgang, dies Sammeln und Einwärtskehren aller Kräfte, dies Hineinschauen in den Grund der Seele, ist das, was man Introversion, Innenkehr, nennt.
Innenkehr ist eine Kunst, die der geborene Mystiker ebenso allmählich und sicher lernen kann, wie der geborene Musiker die Kunst des Klavierspiels erlernt. In beiden Fällen ist es das Genie des Künstlers, was seinen Gebrauch des Instruments wirksam macht, aber es ist auch seine Ausbildung im Gebrauch des Instruments, was sein Genie in den Stand setzt, sich in angemessener Weise auszudrücken. Eine solche mystische Ausbildung setzt natürlich ein Etwas voraus, das ausgebildet werden kann. Die »Neue Geburt«, das Erwachen des tieferen Selbst, muß stattgefunden haben, bevor jene beginnen kann. Sie ist ein psychologischer Prozeß, der psychologischen Gesetzen gehorcht; sie enthält nichts Unerwartetes oder Übernatürliches.
In ihren ersten Stadien ist die Übung der Innenkehr eine Sache des Willens und Entschlusses und eine schwierige Sache, ebenso wie es die ersten Stadien des Schreiben- und Lesenlernens sind. Aber wie das Lesen und Schreiben schließlich automatisch wird, so wird auch, je mehr die Übung des Mystikers in der Innenkehr fortschreitet, diese immer mehr zur Gewohnheit, und die so entwickelten kontemplativen Kräfte ordnen sich unter seine normalen Fähigkeiten ein. Bisweilen beherrschen sie diese Fähigkeiten gänzlich, entziehen sich der Kontrolle des Willens und treten spontan auf, indem sie sich des Bewußtseinsfeldes bemächtigen. Solche unwillkürlichen und gewaltsamen Invasionen der transzendentalen Kräfte, wobei diese das Oberflächenbewußtsein gänzlich überfluten und der Mensch infolgedessen von seiner gewohnten »Außenwelt« abgeschnitten wird, machen das typische Erlebnis der Verzückung oder Ekstase aus. Unter den weitgefaßten Formeln für solche plötzliche ekstatische Wahrnehmung, »nicht durch stufenweise Annäherung, sondern durch einen plötzlichen ekstatischen Flug, der sich aufschwingt zu der Herrlichkeit in der Höhe St. Bernhard, De Consideratione V, 3.«, drückt sich das mystische Bewußtsein der göttlichen Transzendenz am klarsten aus. Diese weiten, erhabenen Wahrnehmungen der Gottheit, die wir den Mystikern verdanken, erlangten sie nicht durch fleißige Meditation, sondern durch »ein Hinausgehen über alle Kreaturen, ein vollkommenes Hinausgehen aus sich selbst, durch Verharren in Verzücktheit des Geistes De Imitatione Christi III, Kap. 31.«. Daher haben die Erfahrungen, die diesen ekstatischen Zuständen eigentümlich sind, für den Erforscher mystischer Wissenschaft einen großen Wert. Wir werden sie in einem späteren Abschnitt dieses Buches detaillierter zu betrachten haben.
Die normale und vorsätzliche Übung der Innenkehr ist dagegen eng verbunden mit dem Gefühl der göttlichen Immanenz. Sie legt den Nachdruck auf den innewohnenden Gott, den man finden kann durch eine Reise zum Mittelpunkte, auf Grund der Überzeugung, daß »Engel und Erzengel bei uns sind, aber daß Er nicht nur bei uns, sondern in uns, und daher noch wahrhafter unser eigen ist St. Bernhard, De Consid. V, 5. Ebenso sagt Lady Juliane: »Wir sind alle in Ihm eingeschlossen und Er ist in uns eingeschlossen« (Revelations of Divine Love Kap. 57).«.
Die Kontemplation – wenn wir diesen Ausdruck in seinem weitesten Sinne, als die ganze mystische Kunst umfassend, nehmen – stellt eine Verbindung her zwischen der Seele und dem Absoluten, vermittels dieser beiden sich ergänzenden Weisen das Eine wahrzunehmen: 1. das gewöhnlich unkontrollierbare, entschieden nach außen gekehrte ekstatische Erleben, das Erreichen des reinen Seins oder die »Flucht zu Gott«; 2. das mehr kontrollierbare nach innen gekehrte Erleben, das Durchbrechen der Schranke zwischen dem Selbst der Oberfläche und jenem Selbst der Tiefe, wo wir Gott sehen und erkennen »in unserer Nichtsheit«, und wo eine geheimnisvolle Verschmelzung des göttlichen und menschlichen Lebens stattfindet. Das eine, sagt der christliche Mystiker, ist das »Hingehen zum Vater«, das andere ist die »Hochzeit mit dem Sohn«. Beide werden gewirkt durch den innewohnenden Geist, den »Seelenfunken«. Und doch sind diese beiden Erlebnisweisen trotz des scheinbaren Gegensatzes in der vom Raum genommenen Ausdrucksweise, die die Mystiker ständig auf sie anwenden, in ihrer höchsten Form wohl nur entgegengesetzte Seiten eines Ganzen: die sich ergänzenden Komponenten einer höheren Synthese, die jenseits unseres Begriffsfeldes liegt. In jener höchsten Erfüllung der Liebe, die Ruysbroeck »den Frieden der Gipfel« nennt, treffen sie zusammen: wo die Unterscheidungen zwischen innen und außen, nah und fern keinen Sinn mehr haben, in dem »dunklen Schweigen, in das Liebende sich verlieren«. »Aufsteigen zu Gott,« heißt es in einem Albertus Magnus zugeschriebenen Traktat, »das bedeutet: eingehen in sich selbst. Denn wer, indem er in sein Inneres eingeht und durch sein Inneres hindurchdringt, über sich selbst hinaussteigt, der steigt wahrhaftig zu Gott auf De adhaerendo Deo Kap. 7..«
Tauler sagt von diesem unbeschreiblichen Treffplatz, der für den Verstand eine Leere und für das Herz die Erfüllung aller Sehnsucht ist: »Da ist es so stille, so heimlich und einsam. Da ist nichts als lauter Gott. Darein kam nie Fremdes, nie Kreatur, Bild noch Weise. Diese Einöde, das ist seine stille, einsame Gottheit; dahinein führt er alle die, die für dies Einflüstern Gottes empfänglich werden sollen, nun und in der Ewigkeit Tauler 277, 34-278, 5 Vetter (Dritte Lehre von der Beichte; Lehmann II, 82, Pred. III, 226)..«
Von dieser ruhevollen »Einöde«, dieser stillen Seinsebene, die ihm so nahe ist, obwohl er ihr fern ist, wird der normale Mensch durch die ganze unruhvolle Wüste seiner sinnlichen Existenz getrennt. Und doch erstreckt sie sich bis in ihn hinein, als die Materie der Wirklichkeit, die den Grund seines Wesens selbst bildet, da sie, wie Juliane von Norwich sagt, »die Substanz alles dessen ist, was da ist«, und sein Wesen zugleich mit dem Universum und mit Gott verbindet. »Gott ist uns nahe, aber wir sind Ihm fern; Gott ist drinnen, wir sind draußen; Gott ist bei uns heimisch, wir sind Fremde«, sagt Meister Eckehart, indem er versucht, die Natur dieses »intelligiblen Wo« auszudrücken Eckehart, Pred. LXIX (Pfeiffer S. 223, 30 f; Büttner I, 115).. Soviel ist gewiß: wenn der Mensch es je gewahren soll, so muß er eine bestimmte Arbeit unternehmen, bestimmte Wahrnehmungskräfte ausbilden und das Bewußtsein, das für die Anforderungen der Welt des Werdens entwickelt worden ist, muß in die Welt des Seins, aus der es gekommen ist, eingeweiht werden.
Platon bestimmte schon vor langer Zeit das Wesen dieser Kunst der Kontemplation, wodurch die Seele aus der Wirklichkeit Nahrung schöpfen kann, als er in einer der Stellen, wo das Mystische in seiner Natur am reinsten herauskommt, sagte: »Wenn die Seele für sich selbst sucht, dann geht sie ein in das Reine und Selbstseiende und Unsterbliche und Immergleiche, und da sie sich verwandt fühlt, so ist sie immer dort jenem gesellt, wenn sie sich selbst überlassen ist und es ihr freisteht, und dann hat sie Ruhe von ihrer Irrfahrt Phaidon, Kap. XXVII (p. 79 C – D)..« Die »Kontemplation« Platons und der platonischen Schulen im allgemeinen ist jedoch eine rein intellektuelle Tätigkeit; bei ihm ist der Kopf und nicht das Herz der Treffplatz zwischen dem Menschen und der Wirklichkeit. »Im Altertum«, sagt Augustine Baker, »gab es eine gewisse Art falscher Kontemplation, die wir die philosophische nennen können und die von einigen gelehrten Heiden des Altertums geübt und von einigen in unserer Zeit nachgeahmt wurde, die als letztes und höchstes Ziel nur die Vervollkommnung des Wissens und ein angenehmes Behagen daran hat … Zu den Kontemplativen dieser Art kann man jene scholastischen Köpfe zählen, die viel Zeit mit der Erforschung und scharfsinnigen Prüfung der Glaubensgeheimnisse verbringen und denen es nicht um das Wachsen der göttlichen Liebe in ihrem Herzen zu tun ist Holy Wisdom Tractat III, § 4, Kap. 1..«
Wir können nicht lange die Werke der Mystiker lesen, ohne auf Schilderungen zu stoßen – oft Schilderungen aus erster Hand von hohem psychologischen Interesse – von den Prozessen, die der Mensch durchmachen, von der Disziplin, der er sich unterwerfen muß, wenn er die Kunst der Kontemplation erlernen will. Die meisten dieser Schilderungen weichen in den Einzelheiten voneinander ab, z. B. in bezug auf die gewählte Einteilung, die erlebten Empfindungen, die Anzahl der »Stufen«, die der Mensch ersteigen muß, vom ersten mühsamen Versuch, seine Kräfte zu sammeln, bis zu dem höchsten Punkt, wo er sich »in Gott verloren« fühlt. Alle diese Schilderungen haben den Stempel der Einzigartigkeit, die jedem Ausdruck des Lebens eigen ist: alle sind beeinflußt von dem Temperament und der Urteilskraft des Verfassers. Alle jedoch schildern eine gemeinsame Erfahrung: die fortschreitende, unter dem Antrieb der Liebe sich vollziehende Konzentration des ganzen Selbst auf das Anschauen der übersinnlichen Wirklichkeit. Wie der mystische Weg eine Erweiterung der Persönlichkeit, einen Aufstieg des ganzen Menschen zu höheren Daseinsebenen, seine Erlangung der Freiheit mit sich bringt, so bringt das Emporklimmen auf der Leiter der Kontemplation solch eine Erweiterung oder einen Aufstieg seiner wahrnehmenden Kräfte zu höheren Stufen der Freiheit mit sich.
Die Sprossen der Leiter, der Inhalt der fortschreitenden Übungen, die das sich entwickelnde Selbst sich vornimmt, seine Ausbildung in der Kunst der Kontemplation, werden mit dem technischen Ausdruck »Gebetsstufen« bezeichnet. Doch handelt es sich hier nicht um Gebet im gewöhnlichen Sinne, mit den Vorstellungen konventioneller Frömmigkeit, Förmlichkeit und detaillierten Bitten, wobei man etwas Bestimmtes erbittet, eine bestimmte Pflicht erfüllt, indem man herkömmliche oder improvisierte Ansprachen an die anthropomorphe Gottheit der volkstümlichen Religion richtet. Solche Gebete geben keine Vorstellung von der Art der übersinnlichen Tätigkeit, die die Mystiker unter diesem Ausdruck verstehen.
Das »innere Gebet« hat nichts zu tun mit dem Bittgebet. Es ist unartikuliert, es hat keine Form. »Es ist«, wie »Der Spiegel des hl. Edmund« sagt, »nichts anderes als Sehnsucht der Seele Kap. 17..« Psychologisch angesehen, ist es eine stete Zucht, die der Mystiker seinem reichen subliminaren Geiste auferlegt, ein langsames Bereiten der Kanäle, in denen das tiefere Bewußtsein fließen soll, eine Art, diese unwillentlichen Zustände der Passivität, Verzückung und Intuition, die charakteristischen Wege, auf denen ein unbeherrschtes und ungepflegtes Gefühl für das Absolute herausbricht, in eine gewisse Ordnung zu bringen und fürs Leben wirksam zu machen. Dem Subjekte selbst erscheint es jedoch vielmehr als ein freier, gegenseitiger Akt der Liebe, ein wunderbar herrlicher »übernatürlicher« Verkehr zwischen der Seele und dem Göttlichen oder einer Erscheinungsform des Göttlichen: ein wortloses »Gespräch im Himmel »Ich entdecke alle Wahrheiten im Innern meiner Seele,« sagt Antoinette Bourignon, »besonders wenn ich mich in meiner Einsamkeit sammle in einer Vergessenheit aller Dinge. Dann hält mein Geist Zwiesprache mit einem andern Geiste, und sie unterhalten sich wie zwei Freunde, die von ernsten Dingen reden. Und diese Unterhaltung ist so süß, daß ich bisweilen einen ganzen Tag und eine Nacht darin zugebracht habe ohne Unterbrechung und ohne der Speise zu bedürfen« (Mac Ewen, Antoinette Bourignon, Quietist p. 109).«. Auf einigen Stufen ist es ein stilles, vertrauensvolles Warten auf Befehl von außen. Auf andern ist es ein wortloses Entzücken, ein schweigendes Anschauen Gottes. Die Mystiker haben alle Mittel aller Sprachen erschöpft in ihrem Bestreben, uns von den Belohnungen zu berichten, die denen zuteil werden, die sich dieser erhabensten und schwersten aller Künste widmen.
Wie wir unsere Freunde besser kennenlernen dadurch, daß wir mit ihnen verkehren, so dringt auch das Selbst durch diesen bewußt erstrebten Verkehr immer tiefer in das Herz der Wirklichkeit ein. Indem es wie Dante die Leiter der Kontemplation Sprosse um Sprosse erklimmt, gelangt es zuletzt zum höchsten Himmel, »wo jegliches Begehren vollendet, reif und ganz ist Paradies XXII, 64.«. »Am Ende der Pilgerschaft treffen die Liebenden zusammen.« Der wahre Endzweck des inneren Gebetes ist, wie das wahre Endziel der Mystik, die es pflegt, die letzte und höchste Begegnung zwischen dem Liebenden und der Geliebten, zwischen Gott und der Seele. Seine Methode ist die Methode des mystischen Lebens: Aufstieg über sich hinaus, eine stufenweise Annäherung des kontemplativen Selbst an die Wirklichkeit; die innere Bereitmachung für die Einswerdung. Dies bedingt eine Konzentration, ein Einwärtskehren all derjenigen Kräfte, die das normale Selbst gewohnt ist nach außen zu richten und an die mannigfachen Scheindinge des täglichen Lebens zu vergeuden. Es bedeutet, solange die Innenkehr dauert, eine Flucht und Ablehnung des Vielen, damit der Geist fähig wird, das Eine wahrzunehmen. »Höre,« sagt Boehme, »so du begehrst Gottes Licht in deiner Seele zu schauen und von Gott erleuchtet und geführt zu werden, so ist dies der kurze Weg, den du nehmen mußt: abzuwenden das Auge deines Geistes von allem Natürlichen und nichts darinnen eingehen zu lassen, weder Himmlisches noch Irdisches, sondern es in nacktem Glauben zu richten auf das Licht der göttlichen Majestät Dialogues of the Supersensual Life p. 66..«
»Was dies Öffnen des geistigen Auges ist,« sagt Hilton, »das kann der größte Gelehrte weder durch seinen Verstand sich vorstellen noch mit seiner Zunge voll aussprechen; denn es läßt sich nicht durch Studium erwerben, noch durch menschlichen Fleiß allein, sondern hauptsächlich durch die Gnade des Heiligen Geistes, zu der menschlicher Fleiß hinzukommen muß. Ich scheue mich davon zu reden, denn mich dünkt, ich kann es nicht, es geht über mein Vermögen, und meine Lippen sind unrein. Dennoch, da es mir scheint, als bäte mich die Liebe, ja, als geböte sie es mir, will ich etwas mehr darüber sagen, in der Hoffnung, daß die Liebe mich lehren wird. Dies Öffnen des geistigen Auges ist jenes lichte Dunkel und reiche Nichts, wovon ich vorhin sprach, und man kann es nennen Reinheit des Geistes und Ruhe des Gemüts, innere Stille und Frieden des Gewissens, Höhe des Denkens und Einsamkeit der Seele, ein lebendiges Gefühl der Gnade und Heimlichkeit des Herzens, den wachen Schlaf der Braut und das Kosten himmlischer Wonne, ein Brennen in Liebe und Strahlen in Licht, den Eintritt der Kontemplation und die Erneuerung des Fühlens, … dies alles ist dem Wort und Anschein nach verschieden, aber es ist alles eins in der Bedeutung und Wahrheit Hilton, The Scale of Perfection III, Kap. 10..«
»Menschlicher Fleiß«, sagt Hilton, »muß zu der Gnade hinzukommen.« Wenn das Auge des Geistes sich öffnen soll, muß Arbeit geleistet werden. Solange das Auge, das auf die Zeit blickt, »sich mit Dingen anfüllt« und sich des Bewußtseinsfeldes bemächtigt, kann das Auge der Seele, das »auf die Ewigkeit blickt«, überhaupt kaum in Tätigkeit treten; und dies Auge muß nicht nur geöffnet, es muß auch geübt werden, damit es das beständige Anschauen des Unerschaffenen Lichtes ertragen kann. Dies Üben und Läutern des übersinnlichen Gesichts wird unter mancherlei Bildern beschrieben, die »dem Wort und Anschein nach verschieden, doch eins in der Bedeutung und Wahrheit« sind. Es ist im wesentlichen ein fortschreitendes Reinigen des Spiegels, ein allmähliches Sichentleeren von allem, was nicht wirklich ist, das Erreichen jener Einheit des Bewußtseins, die eine reine, bildlose Wahrnehmung der letzten Wirklichkeit zuläßt. Denn die letzte Wirklichkeit ist ohne Bild und Gleichnis. »Nacktes Gebet«, »Leere«, »Nichtsheit«, »vollständige Hingabe«, »Entwerdung des Lebens zu friedevoller Liebe«, sagen die Mystiker immer wieder. Wo die Wahrnehmung des Göttlichen durch Stimme oder Vision geschieht, da ist es nur ein Zugeständnis an menschliche Schwäche, ein Zeichen, sagen sie, daß die Sinne noch nicht ganz abgetötet sind. Es ist die Übertragung der wahren Engelssprache in einen Dialekt, den sie verstehen können. Ein allmählicher Verzicht auf sinnliche Bildersprache, eine Beseitigung aller möglichen Täuschungsquellen, aller möglichen Antriebe zu Selbstsucht und Stolz – die die gefährlichsten Trugquellen sind – ist die Bedingung für das reine Schauen, und die »Gebetsstufen«, die »steilen Stufen der Liebe«, die sie so mühselig erklimmen, sind auf diese Notwendigkeit gegründet.
Nun sind die Ausdrücke, die die einzelnen Mystiker gebrauchen, die Einteilungen, die sie machen, wenn sie den Fortschritt des Selbst in dieser Gebetskunst schildern, von verwirrender Mannigfaltigkeit. Hier hat die Manie der Klassifizierung mehr als sonst von ihnen Besitz ergriffen. Wir bemerken auch, wenn wir sie mit einander vergleichen, daß die Sprache, die sie anwenden, nicht immer so genau ist, wie es scheint, daß sie die herkömmlichen Ausdrücke nicht alle in demselben Sinne gebrauchen. Bisweilen meinen sie mit dem Wort »Kontemplation« den ganzen Prozeß der Innenkehr, bisweilen schränken sie es ein auf das »Gebet der Einigung«, bisweilen setzen sie es gleich mit Ekstase. Delacroix hat darauf hingewiesen, daß selbst bei der hl. Teresa ihre Klassifizierung ihrer eigenen Zustände durchaus nicht klar und in jedem ihrer Hauptwerke verschieden ist Etudes d'Histoire du Mysticisme p. 18.. So scheint sie in ihrer Lebensgeschichte Sammlung und Ruhe in gleichem Sinne zu nehmen, während diese Zustände im »Camino de Perfeccion« scharf unterschieden werden. Im »Castillo Interior« verwendet sie ein ganz anderes System; hier wird das Gebet ein »Verkosten Gottes« genannt Vida Cap. XIV; Camino de Perfeccion Kap. XXXI; El Castillo Interior, Moradas Cuartas Kap. II.. Endlich behauptet Augustine Baker, wenn er über das »Gebet der innern Ruhe und Stille« spricht, daß Teresa unter »Ruhe« überhaupt nicht dies, sondern eine Art von »übernatürlicher Kontemplation« verstand Holy Wisdom, Tractat III, § 2, Kap. 7..
So werden wir allmählich zu dem Schluß gezwungen, daß die sogenannten »Gebetsstufen«, die asketische Schriftsteller so sorgfältig in eine Tabelle gebracht haben, zum größten Teil künstlich und symbolisch sind; daß der Prozeß, den sie zu beschreiben vorgeben, in Wahrheit einheitlich und kontinuierlich ist – nicht eine Treppe, sondern eine aufwärts führende Böschung – und daß die Einschnitte, die sie machen, nur schematische Bedeutung haben. Fast jeder Mystiker macht diese Einschnitte an einer andern Stelle, obwohl er die Sprache seiner Vorgänger übernimmt. Bei seinen Versuchen der Selbstanalyse sucht er seine Seelenzustände systematisch zu ordnen, indem er sie in einzelne Abteilungen und Unterabteilungen bringt, Verbindungen und Unterscheidungen unter ihnen aufstellt. Daher die Verwirrung, die alle befällt, welche versuchen, verschiedene Systeme der Kontemplation miteinander in Einklang zu bringen: die »Vier Stufen« Meditation, (Gebet der) Ruhe, eine namenlose Zwischenstufe, und das Gebet der Einigung. (Vida Kap. XI ff.) der hl. Teresa mit den vier Stufen Meditation, Selbstgespräch, Betrachtung, Verzückung (Hugo v. S. Victor, De Contemplatione). Hugos von St. Victor und mit Richards von St. Victor »vier Stufen inbrünstiger Liebe De Quatuor Gradibus Violentae Charitatis. Vgl. oben S. 183 f.« zu identifizieren oder Hiltons einfache und poetische »drei Stufen der Kontemplation The Scale of Perfection I, Kap. 4-8.« in dies Schema zu zwingen; die Stufen: Erkenntnis; Lieben; Erkennen und Lieben – wobei mehr der Träumer als der Systematiker spricht. Solche feinen Abschattungen, sagt Augustine Baker mit Bezug darauf, macht der Verfasser »vielmehr auf Grund der besonderen Wirkung, die er in seiner Seele erfährt und die vielleicht nicht bei allen dieselbe ist«, als aus irgendeinem allgemeineren Grunde Holy Wisdom, a. a. O. § 2, Kap. 1..
Irgendein System jedoch, irgendein festes Schema, muß der, der über Innenkehr schreibt, haben, wenn er die Entwicklung des kontemplativen Bewußtseins mit einiger Klarheit schildern will; und solange man sich nur der methodologischen Bedeutung dieses Schemas bewußt bleibt, ist gegen seinen Gebrauch wenig einzuwenden. Wir wollen daher den fortlaufenden und gesetzmäßigen Strom der Erfahrung, den Prozeß beständiger Wandlung, wodurch das mystische Bewußtsein von den sichtbaren zu den unsichtbaren Dingen gewendet wird, unter drei Abschnitten betrachten. Wir wollen diesen drei Abschnitten Namen geben, die allen Lesern asketischer Literatur vertraut sind: Sammlung, Ruhe, Kontemplation. Alle diese drei Stufen introversiven Erlebens lassen sich im Keim erkennen bei jenem kleinen Versuch, zu dem ich den Leser aufforderte: der Akt der Konzentration, das Schweigen, die neue Wahrnehmung, die daraus entspringt. Jede Stufe hat einen charakteristischen Anfang, der sie mit der vorhergehenden verbindet, und ein charakteristisches Ende, das allmählich in den nächsten Zustand übergeht. So beginnt die Sammlung mit Meditation und entwickelt sich zum »Gebet des innern Schweigens«, das dann in die wahre »Ruhe« übergeht. Wie die »Ruhe« tiefer wird, geht sie in passive Kontemplation über, und diese entwickelt sich über eigentliche Kontemplation zu jenem Gebet der passiven Einigung, das den höchsten der nicht ekstatischen introversiven Zustände bildet. Sobald wir die Entwicklung so betrachten, sehen wir, wie gleichmäßig fortlaufend der Lebensprozeß der Seele ist.
Der Zweck des inneren Gebetes, wie jeder Erziehung überhaupt, ist, gewisse Kräfte zu entwickeln, ihnen eine bestimmte Richtung zu geben. Hier handelt es sich um die Kräfte des »übersinnlichen Selbst«, des »neuen Menschen« – um alle die Kräfte, die mit dem transzendentalen Bewußtsein zusammenhängen. Allein die »Söhne Gottes« beginnen ebenso wie die Söhne der Menschen als kleine Kinder, und ihre ersten Aufgaben dürfen nicht zu schwer sein. Daher paßt sich der Erziehungsprozeß bei jedem Schritt dem natürlichen Wachstumsprozesse an und macht ihn sich zunutze, ebenso wie wir bei der Erziehung unserer Kinder die natürliche Ordnung, in der ihre Fähigkeiten sich entwickeln, zur Basis unseres Erziehungsplanes machen. Sammlung, Ruhe und Kontemplation entsprechen also der Reihenfolge, in der sich die Kräfte des Mystikers entfalten. Man könnte etwa sagen, daß die Form der geistigen Aufmerksamkeit, die man als Meditation oder Sammlung bezeichnet, mit der Reinigung zusammenfällt, daß der Zustand der »Ruhe« für die Erleuchtung charakteristisch ist, daß »Kontemplation«, jedenfalls in ihren höheren Formen, meistens der Zustand derer ist, die den Weg der Einigung erreicht oder nahezu erreicht haben. Und wiederum, ebenso wie das Selbst in seinem »ersten mystischen Leben«, bevor es durch die dunkle Nacht des Willens hindurchgegangen ist, erst die ganze Skala geistlicher Zustände durchzumachen und schon das Einssein mit dem Absoluten, das es sucht, zu erreichen scheint, – obwohl es tatsächlich jene höheren Bewußtseinsebenen, auf denen die wahre und dauernde Vereinigung stattfindet, noch nicht erreicht hat – so erlebt es sie auch beim inneren Gebet. An irgendeinem Punkte seiner Entwicklung kann es auf eine kurze Zeit das bildlose und überwältigende Gefühl des Einsseins mit dem absoluten Leben haben – das liebende und begeisterte Sich-in-Gott-Verlieren, das man »passive Einigung« nennt, und das den Bewußtseinszustand vorausnimmt, der für das vergottete Leben charakteristisch ist. Immer wieder rekapituliert es in seinem Gebetsleben im kleinen den ganzen Prozeß seines Lebens. Es erhebt sich einen Augenblick zu Höhen, wo zu weilen es noch nicht stark genug ist. Daher dürfen wir es nicht zu genau nehmen bei unserer Identifikation der Erziehungs- und Wachstumsstadien.
Diese Erziehung ist, richtig verstanden, ein zusammenhängender Prozeß: sie besteht in einem stetigen, freiwilligen Sichhingeben des erwachten Bewußtseins, des Fühlens, Denkens und Wollens, an das Spiel jener übersinnlichen Einflüsse, jener einströmenden Lebenskraft, die es als göttlich begreift. In dem vorbereitenden Prozeß der Sammlung wird der widerspenstige Geist zur Harmonie gebracht. In der »Ruhe« lernt der heftige Wille schweigen, das Rad der Einbildungskraft wird angehalten. In der Kontemplation kommt das Herz endlich zu dem Seinen – Cor ad cor loquitur. Diese drei Akte sind in ihrer einfachsten, unentwickeltsten Form die bewußte Konzentration auf das höchste Ziel menschlicher Sehnsucht, das hingegebene Ruhen in ihm und das freudevolle Verbundensein mit ihm. Sie bringen eine fortschreitende Sammlung der mystischen Kräfte mit sich, ein allmähliches Übergehen der Herrschaft von der Oberflächenintelligenz auf das tiefere Selbst, ein immer vollständigeres Aufnehmen des einströmenden göttlichen Geistes. Im Zustande der Sammlung hat die Oberflächenintelligenz noch sozusagen die Zügel in der Hand, in dem der »Ruhe« jedoch liefert sie sie ganz aus und gestattet dem Bewußtsein, in »jenes selige Schweigen« zu versinken, »in dem Gott wirkt und spricht«. Dieser Akt der Hingabe, diese entschiedene Verneinung des Denkens, ist eine wesentliche Vorbereitung auf den kontemplativen Zustand. »Liebende löschen die Kerzen aus und ziehen die Vorhänge zu, wenn sie den Gott und die Göttin sehen wollen; und in der höheren Vereinigung ist die Nacht des Denkens das Licht der Wahrnehmung Coventry Patmore, The Rod, the Root, and the Flower, Aurea Dicta XIII..«
Die hl. Teresa vergleicht in einem berühmten Abschnitt ihrer Lebensgeschichte die Erziehung auf den vier verschiedenen Gebetsstufen mit viererlei Arten, den Garten der Seele zu begießen, auf daß er Blüten und Früchte trage Vida Kap. II, § 10-11.. Die erste und primitivste dieser Arten ist die Meditation. Sie gleicht der langsamsten und mühevollsten Art des Bewässerns, wo man den Eimer mit der Hand aus einem tiefen Brunnen heraufzieht. Danach kommt das Gebet der Ruhe, das etwas besser und leichter ist, denn hier erhält die Seele schon etwas Hilfe dadurch, daß mit dem Stillewerden der Sinne die unterbewußten Kräfte ins Spiel treten können. Der Brunnen ist jetzt mit einem Zugrade ausgestattet – mit jenem kleinen maurischen Wasserrade, wie man es auf jedem kastilischen Landgute findet. So erhalten wir für die Kraft, die wir ausgeben, mehr Wasser: mehr Bewußtsein der Wirklichkeit für unsere Abkehr vom Unwirklichen. Auch »steht das Wasser höher, und die Arbeit ist daher weit geringer als damals, wo das Wasser aus der Tiefe des Brunnens heraufgezogen werden mußte. Ich meine, das Wasser ist näher, weil die Gnade sich jetzt deutlicher der Seele offenbart«. Auf der dritten Stufe geben wir jede bewußte Geistestätigkeit auf: der Gärtner braucht sich jetzt nicht mehr anzustrengen, der Kontakt zwischen Subjekt und Objekt ist hergestellt, alles geht mühelos wie von selbst. Es ist jetzt, wie wenn ein kleiner Fluß durch unsern Garten fließt und ihn bewässert. Wir brauchen nur die Strömung zu leiten. Auf der vierten und höchsten Stufe bewässert Gott selbst unsern Garten, indem Er seinen himmlischen Regen auf ihn tropfen läßt. Die Haltung des Menschen ist jetzt die vollkommener Rezeptivität, »passiver Kontemplation«, liebenden Vertrauens. Die Tätigkeit des Einzelnen ist in das »große Leben des Alls« versunken.
Nun ist der Maßstab für den wirklichen Fortschritt des Mystikers immer das Maß seiner Liebe: denn sein Wahrnehmen ist ein Wahrnehmen des Herzens. Seine Selbsterziehung, sein Bewässern des Gartens der Seele, ist eine Pflege dieser einen Blume, dieser Rosa mystica, die ihre Wurzel in Gott hat. Die Stufen seines Gebets werden also Schritt für Schritt von jenen andern Stufen erhöhter Gefühlszustände begleitet, die Richard von St. Victor die Stufen inbrünstiger Liebe nannte. Ohne sie wird alle Übung der Welt den Mystiker nicht zu dem wahren kontemplativen Zustande bringen, obwohl er durch sie leicht abnorme Wahrnehmungskräfte hervorrufen kann, von der Art, wie sie den Erforschern des Okkulten vertraut sind.
Unsere Theorie von der mystischen Erziehung ist also unserer Theorie vom mystischen Leben sehr ähnlich. In beiden siegt die Liebe immer mehr, und das Selbst gibt sich immer mehr hin; bei beiden kommt das »Ich, Mir, Mein«, das durch alle Sinne und durch alle seine eigenen Begierden an die geschäftige Welt der sichtbaren Dinge gekettet ist, zum Schweigen. Diese allmähliche Hingabe erscheint in der Übung des inneren Gebets als ein allmähliches Sichzurückziehen von der Peripherie zum Mittelpunkte hin, zu jenem Seelengrunde, jenem wesentlichen Etwas im Menschen, das für die meisten von uns unter dem großen Kehrichthaufen unserer Oberflächeninteressen begraben ist, wo menschliches und göttliches Leben sich begegnen. Diesen Kehrichthaufen beiseite zu räumen, um zu diesem Schatzhause gelangen zu können, ist in einer Hinsicht die erste Aufgabe des Kontemplativen. Dies Beiseiteschaffen bildet den ersten Teil der »Innenkehr« – jener Reise nach innen zu seinem eigenen Mittelpunkte hin, wo er, all seiner Klugheit und all seines Wertes entblößt, in seiner ganzen »Nichtsheit« »sich ohne Mittler mit Gott vereinen kann«. Dieser Seelengrund, dies wunderbare innere Heiligtum, wohin der normale Mensch so selten dringt, ist, wie Eckehart sagt, »von Natur für nichts empfänglich als allein für das göttliche Wesen ohne alle Vermittlung«, und »niemand bewegt den Grund in der Seele als Gott allein Pred. I (Pfeiffer S. 5, 2 f., 4 f.; Büttner I, 35; Lehmann 138).«. Dort trifft das endliche Selbst mit dem Unendlichen zusammen, dort wird es durch nahe liebende Vereinigung mit und Gespeistwerden von den Attributen der göttlichen Substanz für das absolute Leben neu geschaffen. Diese Begegnung, die Vollendung mystischer Ausbildung, ist das, was wir unter Kontemplation in ihrer höchsten Form verstehen. Hier stehen wir unmittelbar vor jenem großen Akt vollständiger Selbstaufgabe, der das Wesen reiner Liebe ist, den die Wirklichkeit von uns verlangt und den wir unbewußt von Ihr ersehnten. Hier sind Kontemplation und Vereinigung eins. »So wachsen wir,« sagt Ruysbroeck, »und über uns emporgehoben, über die Vernunft, geradewegs ins Herz der Liebe, werden wir mit der Speise des Geistes genährt, und indem wir auf den Schwingen der bloßen Liebe zur Gottheit auffliegen, gelangen wir zur Begegnung mit dem Bräutigam, zur Begegnung mit Seinem Geiste, nämlich Seiner Liebe; und diese ungeheuere Liebe verbrennt und verzehrt uns im Geiste und zieht uns zu einer Vereinigung hin, wo höchste Seligkeit unser wartet Ruysbroeck, Von dem weißen Steine Kap. IX. [Sehr knappe und freie Zusammenfassung.].«
Sammlung.
Der Anfang des Vorganges der Innenkehr, der erste mechanische Akt, in dem das Selbst sich umwendet, um den inneren Pfad zu betreten, besteht nicht darin, daß wir lediglich einem Instinkt, einem natürlichen Hang zur Träumerei nachgeben; er ist ein bewußtes und zweckhaftes Handeln. Wie die Bekehrung, so bringt auch er einen Bruch mit dem, was vor Augen liegt, mit sich, der notwendigerweise das ganze normale Bewußtsein in Mitleidenschaft ziehen und beeinflussen muß. Er wird durch die Liebe des Mystikers hervorgerufen und durch seine Vernunft geleitet, aber er kann nur durch angestrengte Übung seines Willens durchgeführt werden. Diese vorbereitenden Arbeiten des kontemplativen Lebens – diese ersten Schritte auf der Leiter – sind, wie die hl. Teresa sagt, sehr schwer und erfordern mehr Mut als alle übrigen Vida Kap. XI, § 17.. Alle zerstreuten Interessen des Selbst müssen hier gesammelt werden; die Aufmerksamkeit muß auf unnatürliche Weise angespannt, alle Bilder, die nicht damit in Einklang stehen, müssen gewaltsam aus dem Bewußtsein verdrängt werden – eine mühsame und undankbare Aufgabe. Da an diesem Punkte die übersinnlichen Kräfte noch jung und schwach, die Sinne noch nicht ganz abgetötet sind, bedarf es einer festen Entschlossenheit, einer »willentlichen Wahl«, wenn es uns gelingen soll, unsere Aufmerksamkeit auf die uns von innen zugeflüsterten Botschaften zu konzentrieren, ohne uns von den lauten Stimmen, die uns von außen bedrängen, ablenken zu lassen.
»Wie«, sagt der Jünger zum Meister in einem von Boehmes Dialogen, »soll ich im Zentrum diesen Quell des Lichtes suchen, der mich zu erleuchten und meine Eigenschaften in vollkommene Harmonie zu bringen vermag? So ich in der Natur stehe, wie vermag ich durch die Natur und durch ihr Licht hindurch zu gelangen in den übernatürlichen und übersinnlichen Grund, aus dem dies wahre Licht, das das Licht der Seele ist, quillt, ohne dabei meine Natur zu zerstören oder ihr Licht, nämlich die Vernunft, auszulöschen?«
Meister: »Indem du ablässest von deinem eigenen Tun und deinen Blick stetig richtest auf Einen Punkt … Zu dem Ende sammle alle deine Gedanken und dringe mit Hilfe des Glaubens in das innerste Zentrum, indem du dich an das Wort Gottes hältst, das unfehlbar ist und das dich gerufen hat. Sei diesem Ruf gehorsam und sei stille vor dem Herrn, indem du allein mit Ihm in deiner innersten und verborgensten Zelle sitzest, so daß dein Geist ganz in sich gesammelt ist und in der Geduld der Hoffnung auf Seinen Willen harrt. So wird dein Licht wie die Morgenröte hervorbrechen und, nachdem sein Morgenrot vergangen, wird die Sonne selbst, auf die du wartest, dir aufgehen, und unter ihren heilenden Flügeln wirst du frohlocken und dich in ihren hellen und heilenden Strahlen auf und ab wiegen. Siehe, dies ist der wahre übersinnliche Grund des Lebens Dialogues of the Supersensual Life p. 56..«
In diesem kurzen Abschnitt schildert Boehme den seelischen Zustand, mit dem alle Innenkehr beginnen muß. Als erstes die Vereinheitlichung des Bewußtseins, das stete Fixieren des Seelenauges auf Einen Punkt, das Einwärtskehren aller Willenskräfte zu einem Zwecke, den er mehr ahnt als kennt, durch den zum Mittelpunkte drängenden Glauben.
Das Wort » Sammlung« ist der in der mystischen Literatur herkömmliche Ausdruck für eben diese willentliche Konzentration, eben dies Sammeln und Zusammenziehen der Aufmerksamkeit auf seine »verborgenste Zelle« hin. Das Selbst ist bis jetzt noch unbekannt mit der wunderbaren, unwandelbaren und unbeschreiblichen Ebene des Schweigens, die denen, welche auch nur die ersten Schritte des kontemplativen Lebens versucht haben, so bald vertraut wird; wohin der Lärm der Welt nie dringt und wo die großen Abenteuer des Geistes sich abspielen. Es steht hier zwischen zwei Ebenen des Seins; das Auge der Zeit ist noch wach. Es weiß, daß es hineingelangen möchte in die innere Welt, in »den inneren Palast, wo der König der Könige zu Gast ist S. Teresa, Camino de Perfeccion Kap. XXX.«; allein es muß irgendein Mittel finden, über die Schwelle zu gelangen oder, um in der Sprache der modernen Psychologie zu reden, diese Schwelle zu verlegen, damit seine unterbewußte Wahrnehmung des Absoluten emportauchen kann.
Dies Mittel ist in der Regel die Übung der Meditation, womit der Zustand der Sammlung gewöhnlich beginnt, d. h. das vorsätzliche Beobachten und Sichversenken in eine bestimmte Erscheinungsform der Wirklichkeit, – eine Erscheinungsform, die meistens aus den religiösen Glaubensvorstellungen des Menschen gewählt wird. So pflegen indische Mystiker über ein heiliges Wort nachzudenken, während christliche sich einen der Namen oder eines der Attribute Gottes, eine Stelle aus der Heiligen Schrift oder eine Begebenheit aus dem Leben Jesu vor Augen halten und diese Betrachtung und die Gedanken und Gefühle, die davon ausgehen, ihr ganzes Geistesfeld beherrschen lassen. Diese mächtige Suggestion, die durch einen Willensakt dem Bewußtsein aufgezwungen wird, gewinnt die Herrschaft über alle die kleinen Suggestionen, die dem Geiste unaufhörlich von der Außenwelt zuströmen. Das Selbst, das ganz auf die eine Vorstellung oder Idee konzentriert ist und mehr in ihr lebt als über sie nachdenkt, wie man wohl ein Bild, das man liebt, unverwandt anschaut, verfällt allmählich unbewußt in den Zustand der Träumerei, und durch diesen heiligen Wachtraum gegen den verwirrenden Traum des Lebens geschützt, versinkt es in sich selbst und wird, wie es in der Sprache der Mystik heißt, »gesammelt«. Obwohl es seine ganze gewohnte Außenwelt bewußt ignoriert, sind seine Kräfte doch vollkommen wach, alle haben an der absichtlichen Hervorbringung dieses Bewußtseinszustandes mitgewirkt, und das ist es, was die Meditation und Sammlung von den höheren oder »passiven« Gebetsstufen unterscheidet.
Eine solche Meditation, sagt Richard von St. Victor, ist die eigentümliche Tätigkeit des Mystikers, der die erste Stufe inbrünstiger Liebe erreicht hat. Durch sie »geht Gott in die Seele ein«, und »die Seele geht in sich selbst ein« und empfängt so in ihrer innersten Zelle »den ersten Besuch des Geliebten«. Sie ist eine Art Zwischenstation zwischen der Wahrnehmung des Scheins und der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wer zu diesem Zustande gelangt ist, dessen Bewußtsein ist wie ein leeres Feld, bis auf den »einen Punkt in der Mitte«, den Gegenstand der Meditation. Auf diesen Brennpunkt drängt das Einkehr haltende Selbst von allen Seiten, wobei es sich des Gesumms der Außenwelt jenseits seiner Wälle immer noch dumpf bewußt ist, allein auf ihre Rufe nicht antwortet. Bald beginnt der Gegenstand der Meditation eine neue Bedeutung anzunehmen und glüht von Leben und Licht. Der Kontemplative fühlt plötzlich, daß er ihn kennt, auf die vollkommene, lebendige, aber unbeschreibliche Art, wie man einen Freund kennt. Und ferner fühlt er, daß er ihm Kunde bringt von mächtigeren, namenlosen Dingen. Er hört auf, ein Bild zu sein, und wird ein Fenster, durch welches der Mystiker mit Anspannung aller seiner Kräfte in die Welt des Geistes zu spähen und – obwohl er nicht weiß, wie – die wirkliche Gegenwart Gottes bis zu einem gewissen Grade wahrzunehmen vermag.
In diesem Zustande der Meditation und der Sammlung fühlt das Selbst noch sehr deutlich die Grenze seiner Persönlichkeit, seine Getrenntheit von dem »Andern«, der göttlichen Wirklichkeit, die der Seele gegenübersteht. Es ist sich dieser Wirklichkeit bewußt: der Gegenstand seiner Meditation wird zum Symbol, wodurch es deutlich Botschaft von der übersinnlichen Welt erhält. Aber es kommt noch nicht zu einem bewußten Verschmelzen mit einem größeren Leben, noch nicht zu einem Ruhen in der göttlichen Atmosphäre, wie im Zustande der »Ruhe«, noch nicht zu einem unwillkürlichen und ekstatischen Aufschwung der Seele zur unmittelbaren Wahrnehmung der Wahrheit, wie in der Kontemplation. Sammlung ist ein ganz bestimmter seelischer Zustand mit durchaus folgerichtigen seelischen Resultaten. Ursprünglich durch Meditation oder traumhaftes Sinnen über gewisse Aspekte der Wirklichkeit hervorgerufen, entwickelt er durch energische Herrschaft des Willens über den Verstand die Kraft, die Verbindung zwischen dem Selbst und der Außenwelt abzuschneiden und sich nach Belieben in die innere Welt des Geistes zurückzuziehen.
»Die wahre Sammlung«, sagt die hl. Teresa, »hat charakteristische Merkmale, woran man sie leicht erkennen kann. Sie bringt eine bestimmte Wirkung hervor, die ich nicht zu erklären weiß, aber die diejenigen, welche sie erfahren haben, sehr wohl verstehen … Zwar gibt es verschiedene Grade der Sammlung, und am Anfang fühlt man jene große Wirkung nicht, weil sie noch nicht tief genug ist. Allein ertragt die Schmerzen, die ihr zuerst bei der Sammlung fühlt, achtet nicht der Empörung der Natur, überwindet den Widerstand des Körpers, der eine Freiheit liebt, die ihn zum Verderben führt, lernt Selbstüberwindung und harrt so eine Zeitlang aus, und ihr werdet deutlich die Vorteile sehen, die ihr dabei gewinnt. Sobald ihr euch des Gebetes befleißigt, werdet ihr fühlen, wie eure Sinne sich sammeln; sie sind wie Bienen, die zu ihrem Stock zurückkehren und sich dort einschließen, um Honig zu bereiten; und dies wird geschehen, ohne daß ihr euch weiter anstrengt. Gott belohnt so die Gewalt, die eure Seele sich angetan hat, und gibt ihr eine solche Herrschaft über die Sinne, daß, wenn sie sich sammeln will, ein Zeichen genügt, daß sie gehorchen und sich sammeln. Beim ersten Ruf des Willens kommen sie schneller und schneller heim. Und schließlich, nach vielen Übungen dieser Art, versetzt Gott sie in einen Zustand absoluter Ruhe und vollkommener Kontemplation Camino de Perfeccion Kap. XXX..«
Eine Schilderung wie diese macht es klar, daß »Sammlung« eine Art geistiger Gymnastik ist, die weniger wertvoll an sich ist als durch die Ausbildung, die sie gibt, die Kräfte, die sie entwickelt. In diesem Zustande, sagt die hl. Teresa weiter, betritt die Seele mit ihrem Gott das Paradies, das in ihr selbst ist, und schließt die Tür hinter sich, alle Dinge der Welt draußen lassend. »Ihr müßt wissen, meine Töchter,« fährt sie fort, »daß dies nicht etwas Übernatürliches ist, sondern daß es auf unserm Willen beruht und wir es mit der Gnade Gottes ausführen können, deren wir zu allen unsern Taten und selbst zu jedem guten Gedanken bedürfen. Denn dies ist kein Schweigen der Kräfte unserer Seele, sondern ein Zurückziehen derselben in sich selbst. Es gibt verschiedene Arten, dahin zu gelangen, und diese sind in verschiedenen Büchern beschrieben. Es heißt dort, daß wir unsern Geist von äußern Dingen abziehen müssen, um uns innerlich Gott zu nahen, ja, daß wir selbst bei den unerläßlichen Tätigkeiten uns in uns selbst zurückziehen müssen, wenn auch nur auf einen Augenblick, daß der Gedanke an einen Gott, der uns innerlich begleitet, eine große Hilfe für uns ist und endlich, daß wir uns nach und nach daran gewöhnen, in der Stille mit Ihm Zwiesprache zu halten, auf daß Er uns Seine Gegenwart in der Seele fühlbar macht Ebenda Kap. XXXI..«
Ruhe.
Noch wichtiger für uns, weil noch ausgesprochener mystisch, ist die nächste Hauptgebetsstufe: der eigenartige und äußerst bestimmte geistige Zustand, den die Mystiker das Innere Schweigen oder »Gebet der Ruhe« nennen. Dieser Zustand ist das Ergebnis eines weiteren Grades jener innern Einkehr, die mit der Sammlung begann.
Aus dem tiefen, dumpfen Brüten und Sinnen über irgendein Geheimnis, irgendein unfaßbares Bindeglied zwischen ihm selbst und der Wirklichkeit, gleitet der Kontemplative – vielleicht durch eine Reihe von Stimmungen, die sein analytischer Verstand ihn »genau unterscheiden« läßt – fast unmerklich zu einer Wahrnehmungsebene hinüber, für die die menschliche Sprache wenig entsprechende Bezeichnungen hat. Es ist eine Ebene, deren Eigentümlichkeit offenbar in einer außerordentlich vermehrten Empfänglichkeit des Selbst und in einer fast vollständigen Aufhebung seines Denkvermögens besteht. Das eigentümliche Schweigen, das das hervorstechende Merkmal dieses Zustandes ist –, fast das einzige Merkmal, das die Oberflächenintelligenz mit Gewißheit feststellen kann – läßt sich nicht beschreiben. Hiervon gilt das, was Samuel Rutherford von einem andern Geheimnis des Lebens sagte: » Kommt und seht, sagt euch viel; Kommt näher, sagt euch mehr.« Hier ist das Selbst über die Stufe hinausgelangt, wo seine Wahrnehmungen sich vom Denken erfassen lassen. Es kann keine »Aufzeichnungen« mehr machen, kann sich nur dem Strom eines einfließenden Lebens und der Führung eines größeren Willens überlassen. Das geschäftige, zerlegende utilitaristische Denken würde diesen Prozeß nur stören, wie es die Lebensprozesse des Körpers hemmt, wenn es sie unter seine Herrschaft bekommt. Das Denken, das schon durch Sammlung diszipliniert, zusammengehalten und im Dienste des transzendentalen Geistes zu arbeiten gezwungen ist, ist also jetzt gänzlich stillgelegt.
Wie die Sammlung tiefer wird, gleitet das Selbst in ein traumhaftes Bewußtsein des Unendlichen. Sobald die Tür nach der Sinnenwelt hin fest verschlossen ist, wird es gewahr, daß es in eine wirklichere Welt eingetaucht ist, die es nicht definieren kann. Es verharrt ruhig in diesem Gewahrwerden, ganz still, in vollkommenem Frieden. An Stelle des Ringens nach vollständiger Konzentration, das den Anfang der Sammlung bezeichnet, ist jetzt ein gänzliches Aufgeben des Wollens und Handelns, ja, selbst der freien Wahl, getreten, und diese Hingabe an etwas Größeres bringt ebenso wie die Hingabe der Bekehrung eine ungeheure Entspannung mit sich. Dies ist »Ruhe« in ihrer vollkommensten Form: das Kind des Unendlichen sinkt gleichsam in die Arme seines Vaters.
Die Aufgabe der Ichheit, der Prozeß der Selbstentäußerung, den wir als das eigentliche Wesen der Reinigung erkannt haben, findet in diesem Teil des kontemplativen Erlebens seine Entsprechung. Hier, in dieser vollständigen Aufgabe des stolzen menschlichen Bestrebens, etwas aus sich selbst zu tun, zeigt sich die Demut, die die vierte Stufe der Liebe beherrscht, in ihrer paradoxen Schönheit und Kraft. Das Bewußtsein verliert hier, um zu finden, und stirbt, damit es lebe. Es ist nicht länger, wie Rolle treffend sagt, »ein Räuber an der Macht Gottes und Seiner Majestät« Prose Treatises of Richard Rolle (E. E. T. S. 20) p. 42.. So ist der Akt, wodurch es in den Zustand der Ruhe übergeht, ein Sakrament der ganzen mystischen Suche: des Sichabwendens vom Tun zum Sein, der Aufhebung der Absonderung im Interesse des absoluten Lebens.
Der Zustand der »Ruhe« bringt also eine gänzliche Aufhebung des Oberflächenbewußtseins mit sich; allein das Bewußtsein der Persönlichkeit bleibt bestehen. Dieser Zustand folgt gewöhnlich auf eine Periode bewußter und liebevoller Sammlung, allmählichen und stetigen Abziehens der Aufmerksamkeit von den Bahnen der Sinne. Dem, der in diese Gebetsstufe eintritt, rückt die Außenwelt ferner und ferner, bis schließlich nichts als die Grundtatsache seiner Existenz übrig bleibt. So erschreckend ist sehr häufig der Verlust all seiner gewohnten geistigen Ausrüstung, all der Geräusche und Blitze der übermittelnden Sinneswerkzeuge, daß die negative Seite seines Zustandes das Bewußtsein beherrscht und er ihn nur als eine Nichtsheit, eine Leere, ein »nacktes« Gebet beschreiben kann. Er fühlt sich gleichsam in der Schwebe, ruhend, wartend, er weiß nicht worauf; er ist sich nur bewußt, daß selbst in dieser äußersten Leere alles gut ist. Bald jedoch wird er gewahr, daß Etwas diese Leere erfüllt: etwas Allgegenwärtiges, Unfaßbares, wie sonnige Luft. Indem er es aufgibt, auf die Botschaften von außen zu achten, fängt er an, das wahrzunehmen, was immer drinnen gewesen ist. Sein ganzes Wesen öffnet sich diesem Einfluß; er durchdringt sein Bewußtsein.
Es gibt also zwei Aspekte des Gebetes der Ruhe: den des Verlustes, der Leere, womit dieser Zustand beginnt, und den Aspekt des Gewinns, des Neugefundenen, worin er sich vollendet. Alle Mystiker neigen, indem sie ihn schildern, mehr nach der einen oder der andern Seite, betonen entweder mehr das positive oder das negative Element, das er enthält. Die strenge Mystik Eckeharts und seiner Schüler, ihre natürliche Sympathie mit der neuplatonischen Sprache des Areopagiten ließ sie ihn – und sehr häufig auch den höheren Zustand der Kontemplation, zu dem er hinführt – vor allem als eine Leere, als ein erhabenes Dunkel, einen in Verzückung versetzenden Verlust schildern. Sie wollen die tiefe Befriedigung, die er gewährt, nicht durch die unzulänglichen Ausdrücke für irdische Ruhe und Freude entweihen, und so greifen sie, ihrer Schule getreu, auf die seltsam suggestive Kraft der Verneinung zurück. Der hl. Teresa dagegen und Mystikern ihres Typus erscheint auch ein schwaches und unzulängliches Bild seiner Wonne besser als gar keines. Für sie ist er ein holdes Schweigen, eine süße Ruhe, in der die Liebende die Gegenwart des Geliebten wahrnimmt; ein gottgewährter Gnadenzustand, über den das Selbst wenig vermag.
Eckeharts Schriften sind überreich an begeisterten Schilderungen der Ruhe, der innern Stille und Passivität als Frucht einer willentlichen Sammlung. In seinen Augen ist dieser seelische Zustand der Ruhe vor allem der, in dem die menschliche Seele anfängt, mit ihrem »Grunde«, dem reinen Sein, eins zu werden. Die Räumung des Bewußtseinsfeldes, seine Entleerung von allen Bildern – selbst von denjenigen Symbolen der Wirklichkeit, die Gegenstand der Meditation sind – ist die notwendige Bedingung, unter der allein diese Begegnung stattfinden kann.
»Die Seele«, sagt er, »hat sich mit den Kräften nach außen zerspreitet und zerstreut, eine jede in ihre Wirkung: die Kraft des Gesichts in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher ist ihre Wirkung nach innen umso schwächer, denn eine jede zerspreitete Kraft ist unvollkommen. Darum, will sie inwendig wirken, so muß sie ihre Kräfte wieder heimrufen und sie sammeln aus allen zerspreiteten Dingen zu einem inwendigen Wirken … Wenn der Mensch ein inneres Werk wirken soll, so muß er alle seine Kräfte einziehen, gleichsam in einen Winkel seiner Seele, und da kann er dann wirken. Hier muß er in ein Vergessen und ein Nichtwissen kommen. Eine Stille muß sein und ein Schweigen, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann zu diesem Wort nicht besser kommen als mit Stillesein und Schweigen. Da kann man es hören und da versteht man es recht in dem Unwissen. Wo man nichts weiß, da weist und offenbart es sich … Dann werden wir wissend werden mit dem göttlichen Unwissen, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier, wo wir leidend sind, sind wir vollkommener, als ob wir wirkten Meister Eckehart, Pred. II (Pfeiffer 13, 16-23; 14, 31-39; 15, 7-11, Büttner I, 48-51; Lehmann 149-151)..«
Der seelische Zustand der Ruhe hat noch einen andern Wert für den Mystiker als intellektuelles Gegenstück und Ausdruck des sittlichen Zustandes der Demut und Empfänglichkeit: gerade desjenigen Zustandes, der nach Eckehart die Vorbedingung für die Neue Geburt ist. »Die andere Frage ist, was dem Menschen zukomme an seinem Teile hierbei zu tun, womit er es erwürbe und verdiente, daß diese Geburt in ihm geschehe und vollbracht werde; ob es nicht besser sei, daß der Mensch hierbei mitwirke, etwa indem er sich Gott vorstelle oder an Ihn gedenke, oder daß der Mensch sich in Schweigen und Stille und Ruhe halte und also Gott in ihm spreche und wirke und er allein auf Gottes Wirken in ihm warte? Ich sage aber …, daß es das Allerbeste und Alleredelste ist, wozu man in diesem Leben gelangen kann, daß du schweigst und Gott da wirken und sprechen lassest. Wo alle Kräfte von ihren Werken und Vorstellungen abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen Pred. I (Pfeiffer 6, 32-7, 7; Büttner 1, 38; Lehmann 141)..«
Eckeharts Ansicht von der hervorragenden Bedeutung der »Ruhe« als des eigentlichen introversiven Zustandes wird von allen denjenigen mittelalterlichen Mystikern geteilt, die den Nachdruck mehr auf die psychologische als die objektive Seite des geistlichen Lebens legen. Sie betrachten ihn als die notwendige Vorbereitung aller Kontemplation und schildern ihn als eine normale Phase innern Erlebens, die für alle erreichbar ist, welche sich genügend in der Geduld, Sammlung und Demut geübt haben.
In einem alten englischen mystischen Werke, das noch immer nur als Manuskript vorliegt – einem jener Traktate des 14. Jahrhunderts, von denen »The Cloud of Unknowing« der bekannteste ist – findet sich eine merkwürdige ausführliche Unterweisung über die Geistesverfassung, die dieser Gebetsstufe eigen ist. Sie verdankt augenscheinlich vieles der Lehre des Areopagiten, manches vielleicht Eckehart selbst, einiges jedoch – nach der lebendigen und genauen Art ihrer Anweisungen zu urteilen – persönlicher Erfahrung. »Wenn du zu dir selbst kommst,« sagt der Meister zu dem Schüler, an den diese Epistel gerichtet ist, »denke nicht vorher darüber nach, was du dann tun willst, sondern laß alle Gedanken, sowohl gute wie böse, und bete nicht mit dem Munde, sondern hebe dich ganz empor … Und siehe zu, daß nichts in deinem wirkenden Geiste lebendig sei als ein nacktes Streben, das sich nach Gott streckt, nicht gekleidet in irgendeine besondere Vorstellung von Gott, wie Er in sich selbst oder in irgendeinem Seiner Werke ist, sondern nur, daß Er ist, wie Er ist. Laß Ihn so sein, ich bitte dich, und mache Ihn nicht zu etwas anderm, noch forsche in Ihm mit Feinheit des Verstandes, sondern glaube mit dem Seelengrunde. Dies nackte Streben, das im Glauben selbst seinen Ankergrund hat, soll für dein Denken und Fühlen nichts anderes sein als ein nacktes Denken und ein blindes Fühlen deines eigenen Seins … Dies Dunkel sei dein Spiegel und dein ganzer Sinn. Denke auch ebensowenig an dich selbst, wie ich dich bitte, an deinen Gott zu denken, so daß du im Geist und im Denken mit Ihm eins werdest, ohne dich ablenken oder zerstreuen zu lassen, denn Er ist dein Sein und in Ihm bist du, was du bist; nicht nur durch Ursache und Sein, sondern Er ist auch in dir sowohl deine Ursache wie dein Sein. Und daher denke an Gott, wie du an dich selbst denkst, daß Er ist, wie Er ist, und du bist, wie du bist, und laß deine Gedanken nicht ablenken und zerstreuen, sondern laß sie eingeschlossen sein in Ihm, der Alles ist An Epistle of Private Counsel (B. M. Harl. 674)..«
»Laß Ihn so sein, ich bitte dich!« Es ist eine Warnung vor geistiger Selbstquälerei, eine dringende Bitte – an einen, der sich schon damit abmüht, sich seine Erfahrung nach seinen eigenen Begriffen zurechtzulegen –, die Dinge sein zu lassen, wie sie sind, sich damit zu begnügen, sie hinzunehmen. Laß das Tun, damit du wahrhaft sein kannst. Laß das Analysieren, damit du erkennen kannst. »Jenes bescheidene Dunkel sei dein Spiegel« – demütiges Empfangen ist das Losungswort dieses Zustandes. »Darum sagen etliche Meister,« sagt Eckehart, »daß die Seele darin Gott ebenmäßig sei. Denn wie Gott im Geben ohne Maß ist, so ist auch die Seele ohne Maß im Nehmen oder Empfangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele abgründig im Erleiden. Und darum wird sie mit Gott und in Gott überformt … Den heiligen Dionysius fragten seine Jünger, warum Timotheus sie alle an Vollkommenheit überträfe. Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein Gott erleidender Mann. Wer sich darauf wohl verstünde, der würde alle Menschen übertreffen. Und also ist dein Nichtwissen nicht ein Mangel, sondern deine höchste Vollkommenheit, und dein Erleiden ist dein oberstes Werk. Und in dieser Weise mußt du all dein Wirken abtun und alle deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in der Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst Pred. II (Pfeiffer 15, 32-16, 8; Büttner I, 52 f.; Lehmann 152)..«
Es ist interessant, diese Schilderungen der Ruhe mit der Art zu vergleichen, wie derselbe seelische Zustand auf die hl. Teresa wirkt. Während der englische Mystiker in seiner Unterweisung immer wieder an den Willen appelliert, will die spanische Heilige nur ein unwillkürliches oder, wie sie es nennen würde, »übernatürliches« Handeln der Seele. »Dies Gebet der Ruhe«, sagt sie, »ist eine übernatürliche Gabe. Wir können dieselbe mit aller Anstrengung, die wir anwenden, nicht erwerben. Sie besteht in einem Stillewerden der Seele oder vielmehr in einem Gestilltwerden der Seele durch die Gegenwart des Herrn, wie es dem gerechten Simeon geschah. Alle ihre Kräfte gelangen dabei zur Ruhe. Sie empfindet, aber auf andere Art als durch die Sinne, daß sie ihrem Gott immer näher kommt und am Ende durch Einigung mit Ihm eins werden wird. Sie sieht dies weder mit dem Auge des Leibes noch mit dem der Seele … Es ist wie das Ausruhen des Wanderers, der bald am Ziel angelangt ist und noch einmal anhält und Atem schöpft, um dann mit neuer Kraft seinen Weg fortzusetzen. Der Leib fühlt sich gestärkt und getröstet, und die Seele ist so glücklich in dem Bewußtsein, der Quelle nahe zu sein, daß sie, auch ohne von dem Wasser getrunken zu haben, sich schon erfrischt fühlt. Sie glaubt, schon nichts mehr zu bedürfen, alle Kräfte sind beruhigt und möchten sich nicht mehr regen, denn ihr ist, als ob die geringste ihrer Bewegungen sie stören oder in ihrer Liebe hemmen könnte … Die in diesem Zustande sind, möchten unbeweglich darin verharren, denn sie haben das Gefühl, daß die geringste Bewegung diesen süßen Frieden stören könnte … Sie sind im Palaste, in der unmittelbaren Nähe des Königs – sie sehen, wie er anfängt, ihnen Sein Reich zu geben. Sie haben das Gefühl, nicht mehr in der Welt zu sein, und sie möchten diese weder sehen noch hören, sondern nur Gott allein … Hierin unterscheidet sich dies Beten von demjenigen, in welchem die Seele völlig mit Gott vereinigt ist, daß in letzterem die Seele nicht mehr von Gott gespeist wird, sondern ihre Nahrung bereits in sich findet, ohne zu wissen, wie der Herr sie dahin gebracht hat, während, wie es scheint, das Gebet der Ruhe einer leisen Anstrengung bedarf, die jedoch von einer so süßen Empfindung begleitet ist, daß sie fast nicht gespürt wird Camino de Perfeccion, Kap. XXXI. Es empfiehlt sich, das ganze Kapitel, ein Wunder feinsinniger Analyse, in diesem Zusammenhange zu lesen..«
»Eine leise Anstrengung«, sagt die hl. Teresa. »Ein nacktes Streben«, sagt die »Pystle of Private Counsel«. In diesen Worten liegt der Unterschied zwischen dem echten und gesunden mystischen Zustande der »Ruhe« und seiner krankhaften Verkehrung im »Quietismus«: der Unterschied zwischen der straff gespannten Ruhe des Athleten und der schlaffen Passivität des Faulenzers, der in Wahrheit träge ist, wenn er auch resigniert aussieht. Wahre »Ruhe« ist Mittel, nicht Zweck; ist etwas, was man aktiv ergreift, nicht passiv erleidet. Sie ist eine Durchgangsstufe in der kontemplativen Entwicklung der Seele, eine Brücke, die von ihrem alten, nicht koordinierten Leben geschäftiger Tätigkeit zu ihrem neuen, zur Einheit gelangten Leben tiefen Wirkens, dem wirklichen »mystischen« Leben des Menschen führt. Nach diesem Zustande sehnt sich der Mystiker, nicht, damit das Bewußtsein ein leeres Blatt bleibe, sondern damit »das lebendige Wort« darauf geschrieben werde. Zu oft jedoch hat man diese Grundtatsache übersehen und haben verkehrte Metaphysiker das Innere Schweigen eigenwillig zu anderen, weniger lobenswerten Zwecken benutzt.
»Ruhe« ist die Gefahrzone der Innenkehr. Von allen Formen mystischer Tätigkeit ist diese vielleicht die am meisten gemißbrauchte und am wenigsten verstandene. Ihre Theorie, deren man sich bemächtigte, sie aus ihrem Zusammenhang löste und ins Extrem trieb, erzeugte die törichten und gefährlichen Übertreibungen des Quietismus, und diese hatten ihrerseits eine allgemeine Verdammung des Prinzips der Passivität zur Folge, so daß viele oberflächliche Menschen dazu kamen, das »nackte Gebet« als etwas absolut Ketzerisches anzusehen Man beachte z. B. die vorsichtige Sprache in Holy Wisdom, Tractat III, § 3, Kap. 7.. Der Vorwurf des Quietismus wurde gegen viele Mystiker erhoben, deren einziger Fehler ein Mangel an Präzision des Ausdrucks war, wodurch sie sich dem Mißverständnis aussetzten. Andere jedoch haben es tatsächlich fertig gebracht, die vorsätzliche Erzeugung eines halb hypnotischen Zustandes der Passivität zu rechtfertigen, indem sie das, was große Kontemplative über diesen Punkt gelehrt haben, aus seinem Zusammenhang lösten und seinen Sinn verkehrten. Mit diesem sinnlosen Zustande der »Versenkung in gar nichts« begnügten sie sich und behaupteten, daß sie in diesem Zustande mit dem göttlichen Leben in Berührung und daher von den gewohnten Pflichten und Beschränkungen des menschlichen Daseins befreit seien. Der »Quietismus«, wovon man gewöhnlich unbilligerweise in Verbindung mit Madame Guyon redet, existierte schon in einer weit gefährlicheren und verderbteren Form im Mittelalter und wurde von Ruysbroeck, einem der größten Meister wahrer Innenkehr, die die christliche Welt je gekannt hat, mit Heftigkeit angegriffen.
»Es ist im geistlichen Leben wichtig,« sagt er, »daß wir allen Quietismus erkennen, verurteilen und zunichte machen. Diese Quietisten verharren im Zustande gänzlicher Passivität, und um ihre falsche Ruhe noch ungestörter zu genießen, enthalten sie sich jedes äußern und innern Handelns. Eine solche Ruhe ist Verrat an Gott, ist Majestätsverbrechen. Sie verblendet den Menschen, läßt ihn in jene Unwissenheit versinken, die nicht höher, sondern tiefer denn alles Wissen steht; ein solcher Mensch bleibt müßig und untätig in sich selbst versunken. Diese Ruhe ist nichts als Trägheit, ein Vergessen Gottes, seiner selbst und seines Nächsten. Sie ist das gerade Gegenteil von göttlichem Frieden, das Gegenteil von dem Frieden des Abgrundes, von jenem wunderbaren Frieden, der voll Tätigkeit ist, voll Liebe, voll Verlangen, voll Suchen; von jenem brennenden und unersättlichen Frieden, den wir immer mehr erstreben, je mehr wir ihn gefunden haben. Zwischen dem Frieden der Höhe und dem Quietismus der Tiefe ist der ganze Abstand wie zwischen Gott und dem irrenden Geschöpf. Furchtbarer Irrtum! Die Menschen suchen sich selbst, sie richten sich behaglich in sich selbst ein und suchen nicht mehr Gott, nicht einmal mit ihrer Sehnsucht. Doch Er ist es nicht, den sie in ihrer trügerischen Ruhe besitzen Ruysbroeck, Die Zierde der geistlichen Hochzeit II, Kap. 74-75. (Dieser Abschnitt ist eine freie Zusammenfassung der angegebenen Kapitel durch die Verfasserin.).«
Es läßt sich nicht bezweifeln, daß diese »trügerische Ruhe« für Menschen von einer gewissen seelischen Veranlagung nur zu leicht zu erlangen ist. Sie können diese Leere, dieses innere Schweigen, durch willkürliche Autosuggestion bewußt in sich erzeugen und in ihren friedlichen Wirkungen schwelgen. Dies aus selbstischen Motiven oder in übertriebener Weise zu tun, so daß »tätige Liebe« untergeht in »friedlichem Genuß«, ist ein mystisches Laster, und ein solcher Mißbrauch der geistlichen Fähigkeiten hat, wie der Mißbrauch der natürlichen Fähigkeiten, Entartung zur Folge. Er führt zu Absurditäten wie die »heilige Gleichgültigkeit« und endet in der vollkommenen Abstumpfung des geistigen und sittlichen Lebens. Der wahre Mystiker versucht nie vorsätzlich, diese Gebetsstufe zu betreten; mit der hl. Teresa betrachtet er sie als eine übernatürliche Gabe, über die er keine Macht hat, wenn sie auch von seinem Willen und seiner Liebe genährt wird. Das heißt: wo sie sich in gesunder Form zeigt, da zeigt sie sich als natürlicher, obwohl unwillkürlicher Zustand, der das Ergebnis normaler Entwicklung ist, nicht als ein willkürlich herbeigeführter Zustand, ein seelischer Kunstgriff.
Die Summe aus den Betrachtungen über diese Stufe der Innenkehr läßt sich, wie es scheint, nur in paradoxer Form ausdrücken: Der wahre Zustand der Ruhe ist, nach den großen Mystikern, zugleich aktiv und passiv; er ist reine Hingabe, aber eine Hingabe, die kein schlaffes Sichaufgeben ist, sondern vielmehr das freie und stets erneuerte Sichverschenken und Sichausströmen einer brennenden Liebe. Der Intellekt mit seinen verschiedenen Abteilungen ist zum Schweigen gebracht, aber die Totalität der Persönlichkeit ist dem Einfluß der Wirklichkeit aufgetan. Die Persönlichkeit ist nicht verloren, nur ihr fester Rand ist beseitigt. Es ist eine »höchst geschäftige Ruhe«, wie Hilton sagt. Es ist wie das Aufsteigen eines Adlers, sagt Augustine Baker, wo »der Flug lange Zeit mit großer Schnelligkeit fortgesetzt wird, aber doch mit großer Gelassenheit, Ruhe und Leichtigkeit, ohne den leisesten Flügelschlag oder die geringste Anspannung irgendeines Gliedes, als ob der Vogel in seinem Neste ruhte Holy Wisdom, Tractat 3, § 3, Kap. 7..«
»Nach dem, was die erfahrensten und deutlichsten unter den ausgesprochen theistischen und christlichen Mystikern einstimmig lehren,« sagt von Hügel, »ist der Anschein und Eindruck, den die Seele selbst hat, daß in Zeiten besonderer Einswerdung mit Gott oder entschiedenen geistlichen Fortschritts Leben und Tatkraft der Seele nachließe, nur eine Täuschung. Ja, dieser zu solchen Zeiten starke Eindruck der Ruhe entspringt ganz sicher einem ungewöhnlich großen Maß von ausgelöster Energie, einer Energie, die nun die ganze Seele durchdringt und in jeder ihrer Poren und Fibern sich ausdrückt. Der ganze sittliche und geistige Mensch dehnt sich und ruht, ja, aber diese Ruhe selbst wird erzeugt durch Handeln, das nicht wahrgenommen wird, weil es »so flüchtig, so nahe und so allerfüllend ist« Von Hügel, The Mystical Element of Religion II, p. 132..
Die großen Lehrer des Quietismus, die den seelischen Zustand der »Ruhe« erreicht und erlebt und den unaussprechlichen Frieden und die Gewißheit und Seligkeit, die der vollständigen Hingabe folgt, das gänzliche, wortlose Ruhen im Absoluten erfahren haben, glaubten, daß sie in dieser Zwischenstation das Ziel der mystischen Suche gefunden hätten. Wenn daher auch vieles von ihren Lehren bestehen bleibt, als wahre Schilderung eines wirklichen und echten Zustandes, den fast alle Kontemplativen im Laufe ihrer Entwicklung erfahren haben, so war doch die Folgerung, die sie daraus zogen, daß die Seele in diesem bloßen leeren Verweilen in der Tiefe ihr Ziel erreicht hätte, unwahr und für das Leben gefährlich.
So gibt Molinos in seinem Geistlichen Führer viele vortreffliche Grundsätze in bezug auf das innere Schweigen: »Dadurch, daß der kontemplative Geist weder spricht, noch wünscht, noch denkt,« sagt er sehr richtig, »erreicht er den Zustand wahren, vollkommenen mystischen Schweigens, in dem Gott mit der Seele spricht, sich ihr mitteilt und sie im Abgrund ihrer eigenen Tiefe die vollkommenste und erhabenste Weisheit lehrt. Er ruft und führt sie zu dieser innern Einsamkeit und zu diesem mystischen Schweigen, wenn Er sagt, daß Er zu ihr allein sprechen will, im geheimsten und verborgensten Winkel des Herzens.« Hier spricht Molinos die Sprache aller Mystiker, und doch war das Gesamtergebnis seiner Lehre, daß sie dem Durchschnittsmenschen die Vorstellung gab, es sei eine besondere Tugend, überhaupt nichts zu tun, und jede bewußte geistige Tätigkeit sei verwerflich. Er geht so weit, daß er in einem seiner von der Kirche verdammten Lehrsätze sagt: » Oportet hominem suas potentias annihilare« (Der Mensch muß seine Kräfte vernichten), und » velle operari active est Deum offendere« (tätig wirken wollen heißt Gott beleidigen).
Ein großer Teil der Pseudomystik, die heutzutage eifrig gepredigt wird, ist grob quietistisch. Sie spricht viel von der Notwendigkeit, »in die Stille zu gehen«, und ist sogar verwegen genug, vorbereitenden Unterricht in unterbewußter Meditation zu geben: ein Verfahren, das wohl angetan ist, die Heiligen zum Lachen zu reizen. Die versammelten Gläubigen werden unterwiesen, wie sie durch Übungen in der Sammlung zur »Ruhe« gelangen können. Durch diesen geistigen Kunstgriff erreicht der moderne Mystizist natürlich einen Zustand leerer Gelassenheit, in dem er ruht; und »indem er in zerstreuter Müßigkeit verharrt und seine Zeit mit der Erwartung von Besuchen aus der andern Welt vergeudet«, glaubt er – mit einer Zuversicht, um die ihn viele Rechtgläubige beneiden könnten –, daß er hier »mit seinem Ursprung vereinigt« sei. Aber obwohl der seelische Zustand, den die Kontemplativen das Gebet der Ruhe nennen, eine ganz allgemeine Voraussetzung für mystische Erlebnisse ist, so ist er an sich durchaus nicht mystisch. Es ist ein Zustand der Vorbereitung, ein Öffnen der Tür. Das, was hereinkommt, wenn die Tür geöffnet wird, ist das, was wir wahrhaft und leidenschaftlich ersehnen. Der Wille ebnet den Weg: das Herz – der ganze Mensch – bedingt den Gast. Der wahre Kontemplative wünscht sich, wenn er auf diese Ebene völliger Stille kommt, keine »außerordentlichen Gunstbezeugungen und Heimsuchungen«, sondern das Vorrecht, eine kleine Weile die Luft der Liebe zu atmen. Er ist in dem begriffen, was der hl. Bernhard »die Arbeit aller Arbeiten« nennt, er macht sich in vollkommener Einfalt zur Begegnung mit der Vollkommenheit auf, nicht zur eigenen Entwicklung.
So sehen wir, wie selbst auf dieser anscheinend am meisten passiven Stufe seiner Entwicklung sein Verhalten bei näherer Prüfung doch einen dynamischen und zweckhaften Charakter hat; sein Ruhen selbst ist das Resultat von Anspannung. Er ist ein Pilger, der immer noch seine Heimat sucht. Von seinem eingeborenen Hang zum Übersinnlichen getrieben, ist er auf dem Wege zu höheren Daseinsebenen, hehreren Erfüllungen, größerer Selbsthingabe. Wenn er auch alle oberflächliche Tätigkeit aufgegeben haben mag, so bleibt er doch in der Tiefe eifrig wirksam. »Ohne Übung von Minne«, sagt Ruysbroeck, »können wir Gott nimmermehr besitzen. Und wer anders fühlt oder glaubt, der ist im Irrtum. Und so leben wir ganz in Gott, da wir unsere Seligkeit besitzen; und wir leben ganz in uns selbst, da wir uns in Minne zu Gott üben. Und obgleich wir ganz in Gott leben und ganz in uns selbst, so ist es doch nur Ein Leben: denn arm und reich, hungrig und satt, arbeitend und müßig, diese Dinge sind zumal Gegensätze, dennoch liegt hierin unser höchster Adel, nun und ewiglich Vom weißen Steine Kap. IX (Werken VI, 222, 3-12)..« Den wesentlichen Unterschied zwischen dieser wahren »aktiven« Ruhe und jeglicher Art von Quietismus hat Baron von Hügel vortrefflich ausgedrückt: »Der Quietismus, die Lehre von dem Einen Akt; die Passivität im buchstäblichen Sinne, als Unfähigkeit oder Unlust der Seele zu irgendwelcher Initiative: diese Lehren wurden am Ende verdammt, und zwar gerechter- und notwendigerweise verdammt. Das Gebet der Ruhe und die verschiedenen Zustände und Stufen eines stets zunehmenden Übergewichts der Tat über die Tätigkeit – einer Tat, die um so mehr der Seele zu eigen gehört, als sie durch Gottes Tun und Antrieb veranlaßt und geleitet wird –, dieser wesentliche Zug der alten mystischen Erfahrung und Übung bleibt wie alle andern so wahr, einwandsfrei und notwendig wie je The Mystical Element of Religion II, p. 143..«
»Das immer zunehmende Übergewicht der Tat über die Tätigkeit«, die tiefere Lebensbewegung der gesamten Persönlichkeit, in deren Tiefe das Selbstbewußtsein nicht hinabreicht über die geschäftig lärmenden Tätigkeiten der Oberfläche, das ist das wahre Ideal des innern Gebets. Dies muß das ganze Streben des Menschen richten auf die Vereinigung mit dem absoluten Leben und der Liebe, die vor der Tür wartet. Es ist ein Ideal, das die »Ruhe« so gewißlich einschließt, wie es den Quietismus ausschließt.
Was die hier erwähnte Lehre von dem Einen Akt anbetrifft, die von den extremen Quietisten verkündet wurde, so war sie, wie alles übrige in dieser Bewegung, die Verkehrung einer großen mystischen Wahrheit. Sie lehrte, daß die Hinwendung der Seele zur Wirklichkeit, das Aufgehen des Willens in Gott, das das Herz des mystischen Lebens ist, ein einmaliger, nie zu wiederholender Akt sei. Wäre der geschehen, so hätte der Mensch nichts mehr zu tun, als im göttlichen Leben zu ruhen, sein williges Werkzeug zu sein. Reine Passivität und Indifferenz waren ihr Ideal. Jede Tätigkeit war verboten, jede Entscheidung für etwas galt als Verneinung der Hingabe, jedes Streben als nutzlos und unrecht. Der Mensch brauchte hinfort nur zu ruhen und »Gott wirken und im Schweigen sprechen zu lassen«. Diese Lehre weicht so gänzlich von allem ab, was wir von den Gesetzen des Lebens und Wachstums wissen, daß sie kaum der Verdammung zu bedürfen scheint. Ein solcher Zustand von Indifferenz, – den die Quietisten vergeblich dem Zustand reiner Liebe gleichzusetzen suchten, die »nicht das Ihre sucht« in geistlichen Dingen – ist unvereinbar mit irgendeiner jener Stufen inbrünstiger Liebe, durch die der Geist des Menschen auf seinem Wege zu dem Einen hindurch muß, und dies allein genügt, seinen nicht-mystischen Charakter zu beweisen.
Man läßt Madame Guyon nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn man sagt, daß man ihr billigerweise nicht den Vorwurf machen kann, diese übertriebene Passivität gepredigt zu haben, was für Schlüsse auch immer ihre Feinde und ihre noch törichteren Anhänger bei ihrer unpräzisen und fließenden Schreibweise aus ihren Werken haben ziehen können. »Einige Menschen«, sagt sie, »sind, wenn sie von dem Gebet der Ruhe hören, in dem Wahn, die Seele verharre dabei in einem Zustande der Dumpfheit, Leblosigkeit und Untätigkeit. Doch ohne Zweifel ist sie hier in einem edleren und weiteren Sinne tätig als je zuvor, denn Gott selbst ist es, der sie treibt, und die Seele handelt jetzt unter der Wirkung Seines Geistes … Anstatt also der Trägheit Vorschub zu leisten, befleißigen wir uns der höchsten Tätigkeit, wenn wir uns ganz dem Geiste Gottes als unserm treibenden Prinzip überlassen, denn in Ihm leben, weben und sind wir. Dies demütige Vertrauen auf den Geist Gottes ist unbedingt notwendig, um die Seele wieder zu ihrer ursprünglichen Einheit und Einfalt zurückzuführen, auf daß sie dadurch das Ziel ihrer Schöpfung erreicht … Unsere Tätigkeit muß daher in dem Bestreben bestehen, dauernd einen Zustand zu erreichen, in dem wir für göttliche Eindrücke am empfänglichsten und den Einwirkungen des Ewigen Wortes am meisten zugänglich sind. Solange die Leinwand nicht fest gespannt ist, ist der Maler nicht imstande, ein getreues Abbild zu entwerfen; so erzeugt auch jede Tat unseres eigenen selbstsüchtigen Geistes falsche und verkehrte Züge, unterbricht und vereitelt das Werk dieses erhabenen Künstlers. Wir müssen uns also ruhig verhalten und uns nur auf seinen Antrieb hin regen Moyen Court, Kap. 21. Madame Guyons vage und schwankende Ausdrucksweise läßt jedoch bisweilen andere und ausgesprochener »quietistische« Deutungen zu..«
Um ein anderes Bild zu gebrauchen: die Entwicklung des Kontemplativen muß von dem tätigen, mühevollen Bewässern des Seelengartens, das er in der Meditation übte, zu jenem Zustand erhöhten Daseins fortschreiten, wo der Strom des Lebens ungehemmt durch ihn hindurchfließt oder, wie die hl. Teresa an einer andern Stelle sagt, aus einem verborgenen Brunnen emporquillt und nicht von außen durch eine Wasserleitung hineingelangt El Castillo Interior, Moradas Cuartas Kap. III..
Die wahren Mystiker, bei denen sich das Gebet der Ruhe zu diesem Zustande der Empfänglichkeit entwickelt, schildern ihn selten in der Sprache »heiliger Gleichgültigkeit«. Ihre Liebe und Begeisterung lassen dies nicht zu. Zwar sind sie gleichgültig gegen alles andere als die höchsten Forderungen der Liebe, aber von der Liebe sprechen sie ja. »Ich schlafe, aber mein Herz wacht«. »Dies«, sagt die hl. Teresa, »ist ein Schlaf der Seelenkräfte, die sich weder gänzlich verlieren noch ein Bewußtsein ihrer Wirksamkeit haben … es kommt mir nicht anders vor als wie ein fast gänzliches Absterben allen Dingen der Welt gegenüber und als ein Genuß Gottes. Ich weiß nicht, wie ich es mit andern Worten sagen oder erklären soll. Auch weiß die Seele alsdann nicht, was sie tun soll, denn sie weiß nicht, ob sie reden oder schweigen, ob sie lachen oder weinen soll. Es ist eine wunderbare glorreiche Torheit, ein himmlischer Wahnsinn, aus dem man die wahre Weisheit gewinnt. Für die Seele ist dies ein Zustand köstlichsten Genusses … Die Seelenkräfte haben jetzt nur die Fähigkeit, sich einzig und allein mit Gott zu beschäftigen, keine von ihnen wagt es, sich zu rühren, und wir vermögen auch nicht eine von ihnen in Bewegung zu setzen, ohne uns mit größter Anstrengung loszureißen – aber auch dann werden wir, wie ich glaube, noch nicht dazu imstande sein Vida Kap. 16, §§ 1 u. 4..«
Hier sehen wir also, wie das Gebet der Ruhe in wahre Kontemplation übergeht; seine Stille wird von leisen Wellen der Freude bewegt. Die Ruhe offenbart sich letzten Endes als ein Übergangszustand, der den Mystiker in eine neue Sphäre der Tätigkeit hinüberleitet.
Diese zweite Stufe inbrünstiger Liebe bindet, wie Richard von St. Victor sagt, so daß die Seele, die von ihm ergriffen ist, unfähig ist, an irgend etwas anderes zu denken. Die Liebe ist hier nicht nur » insuperabilis«, sondern auch » inseparabilis« De Quatuor Gradibus Violentae Charitatis (Migne, Patrologia Latina vol. CXCVI, col. 1215 b).. Er vergleicht ihn mit der Hochzeit der Seele, dem endgültigen, unwiderruflichen Akt, wodurch die dauernde Vereinigung eingeweiht wird. Der Gefühlszustand, der dem der Ruhe gleichkommt, ist eben solch eine passive und freudige Hingabe der jungfräulichen Seele an ihren Bräutigam, ein schweigendes Ehegelübde. Sie ist bereit, alles hinzunehmen, was ihr widerfahren mag, alles zu tun, was von ihr gefordert wird, sich zu geben und sich zu verlieren, dem Geliebten ganz zu Dienste zu stehen. Durch diese innere Hingabe gelangt das Selbst zu dem neuen Leben, der neuen Erkenntnis, die ihm unter den zahllosen Formen der Kontemplation vermittelt werden.