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Wir kommen nun zu jenem ewigen Kampfplatz, der Einzelerörterung jener abnormen seelischen Phänomene, die in der Geschichte der Mystiker so ständig auftreten. Ich meine Visionen, Stimmen, automatische Schrift und jene dramatischen Zwiegespräche zwischen dem Selbst und irgendeinem andern Faktor – der Seele, der Liebe, der Vernunft oder der Stimme Gottes –, die bisweilen einer gesteigerten und unbeherrschten Einbildungskraft zu entspringen scheinen, bisweilen den Grad von Halluzinationen erreichen.
Hier sind nun Menschen gemäßigter Richtung in Gefahr, zerdrückt zu werden zwischen den zwei »Großmächten«, die sich dies Gebiet seit lange streitig machen und sich angenehm die Zeit damit vertreiben, einander die Haare auszuraufen. Auf der einen Seite haben wir die Rationalisten (wie man sie seltsamerweise zu nennen pflegt), die glauben, die Sache ein für allemal entschieden zu haben durch den Hinweis auf die unzweifelhaften Parallelen zwischen den körperlichen Symptomen starker geistiger Anspannung und denen gewisser Krankheitsformen. Diese Erwägungen, die noch unterstützt werden durch so bequeme Worte wie »Autosuggestion« und »psychische Halluzination«, die das Geheimnis nur in einer andern und weniger anziehenden Form wieder einführen, machen es ihnen möglich, die Eigentümlichkeiten der großen Kontemplativen mehr zu bemitleiden als zu tadeln. Besonders die moderne französische Psychologie kann sich darin nicht genug tun und würde, wenn man sie gewähren ließe, die Zellen der Salpêtrière mit katholischen Kalenderheiligen füllen. Der moderne Interpret, sagt Rufus Jones, sieht in den Wundmalen des hl. Franz von Assisi eher ein Zeichen von Schwäche als von Stärke, nicht »Kennzeichen eines Heiligen«, sondern »Kennzeichen seelischer und physischer Anomalie Studies in Mystical Religion p. 165. Wer »rationalistische« Denkweise in extremer Form kennenlernen möchte, den verweise ich auf die Werke von Prof. Janet, besonders L'Automatisme psychologique und L'État mental des hystériques.«. Dies ist eine sehr gemäßigte Darlegung des »rationalistischen« Standpunktes von einem Schriftsteller, der für gewisse Seiten der Mystik tatsächlich Sympathie hat. Doch mag man wohl bezweifeln, ob jene Flamme lebendiger Liebe, die in einem überwältigenden Augenblick Leib und Seele in eins verschmelzen konnte, bei einem Heiligen wirklich ein Zeichen von Schwäche war; ob Blake ganz so von Sinnen war wie einige seiner Ausleger, oder ob die Wunderkräfte des hl. Paulus und der hl. Teresa sich mit Epilepsie und Hysterie völlig erklären lassen; ob es endlich so wissenschaftlich ist, wie es den Anschein hat, wenn man alle Visionen und Stimmen – vom »wandernden Willy [Gewöhnliche Bezeichnung für Geisteskranke, die an Visionen leiden; geht vermutlich auf Walter Scotts »Wandering Willy's Tale« zurück.]« bis zur Offenbarung Johannis – als Fälle einer ungesunden Gehirntätigkeit zusammenwirft.
Im Gegensatz zu dem allen scheinen nun die keiner Verständigung zugänglichen Anhänger des Übernatürlichen entschlossen, ihren Feinden in die Hände zu spielen. Sie versteifen sich ohne ersichtlichen Grund auf die objektive Wirklichkeit und den absoluten Wert der Visionen, Stimmen und andern Erfahrungen, die man auf jedem andern Lebensgebiete als harmlose Erzeugnisse einer lebhaften Phantasie ansehen würde, und führen psychische Erscheinungen, die bei einem gewissen intuitiven Geistestyp die ganz normale, wenn auch seltene Art sind, in der sich Wahrnehmungen der übersinnlichen Welt auswirken, als Beispiele für wunderbare Aufhebung des Naturgesetzes an Über den Unterschied zwischen dem »Normalen« und dem »Durchschnittlichen« in dieser Hinsicht vgl. Granger, The Soul of a Christian p. 12..
Eine materialistische Frömmigkeit dieser Art, die uns glauben machen möchte, daß der hl. Antonius von Padua wirklich das Jesuskind in den Armen hielt, und daß der Heilige Geist in Wahrheit der seligen Angela von Foligno sagte, er liebe sie mehr als irgendeine andere Frau im Tal von Spoleto, und sie kenne ihn besser als die Apostel selbst Vgl. B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. I., ist der beste Freund, den die Rationalisten besitzen. Sie verwandelt Träume in Wunder und Wunder in Träume und zieht die symbolischen Visionen des mystischen Genies auf das Niveau frommer Halluzination herab. Selbst die tiefe und schöne Bedeutung der Vision des heiligen Herzens, die die hl. Margaret Mary Alacoque hatte – ein bildlicher Ausdruck für eine der tiefsten Intuitionen der menschlichen Seele, die zum Anschauen göttlicher Liebe emporgehoben ward – wurde durch die grob materialistische Deutung, die man ihr aufzwang, geschädigt. So wurden auch die wundervollen Traumbilder Seuses, die göttlichen Heimsuchungen, wie sie Franz von Assisi, Katharina, Teresa und andere Heilige erlebten, herabgesetzt durch ihre vermeintliche Erhöhung in die Sphäre des »Übernatürlichen«, – ein Verfahren, das für ihre Wahrheit und Schönheit ebenso verhängnisvoll war wie das Ausstopfen von Vögeln Poulain, Les Grâces d'Oraison Kap. 20, und das gründliche Werk von Ribet, La Mystique Divine vertreten diesen supranaturalistischen Standpunkt. Man hat den Eindruck, daß im Vergleich mit der rationalistischen Theorie der Stigmatisierung, von der wir oben sprachen, der letztgenannte Verfasser seiner Sache kaum einen Dienst erweist, wenn er den Wundmalen der Heiligen und dem Abdruck einer Kröte, Fledermaus, Spinne »oder irgendeines andern abstoßenden Gegenstandes« auf dem Körper derer, die mit dem Teufel verkehrt haben, gleiche Geltung zuerkennt (III, p. 482)..
Alles dies geschieht im Gegensatz zu den großen Mystikern selbst, die einstimmig ihre Schüler vor der Gefahr warnen, »Visionen« und »Stimmen« zuviel Wichtigkeit beizulegen oder sie ungeprüft als unmittelbare Botschaften von Gott hinzunehmen. Gleichwohl sind solche Visionen und Stimmen so häufige Begleiterscheinungen des mystischen Lebens, daß man sie nicht beiseite lassen kann. Die Boten der unsichtbaren Welt pochen beständig an die Tore der Sinne und nicht nur an die des Gehörs und Gesichts. Mit andern Worten: übersinnliche Wahrnehmungen – Berührungen zwischen dem endlichen Sein des Menschen und dem unendlichen Sein, in das er eingeschlossen ist – können sich durch fast jede Art der automatischen Sinnestätigkeit ausdrücken. Seltsame Wohlgerüche und Geschmacksempfindungen, körperliche Berührungsempfindungen, inneres Feuer, von allen solchen Begleiterscheinungen geistlicher Erlebnisse wird uns immer wieder berichtet S. unten Zitate aus Hilton und St. Johannes vom Kreuz. Auch Rolle, The Fire of Love, Prologue; E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 15; Von Hügel, The Mystical Element in Religion I, p. 178-181.. Die Symbole, unter denen der Mystiker dem Absoluten nahezukommen sucht, werden leicht vergegenständlicht und stellen sich dem Bewußtsein als Teil der Erfahrung dar, statt als Arten ihrer Deutung. Die Erkenntnis, die bei solchem Nahekommen erlangt wird, ist vollkommen transzendental. Sie besteht in einem undifferenzierten Akt des Gesamtbewußtseins, in dem das Leben, von der Liebe angespornt, sich zum Leben hindrängt. Denken, Fühlen, Schauen, Berührung – alle sind hoffnungslos unzulänglich, um sie zu fassen, und doch können alle vielleicht auf jene intensive Wahrnehmung hindeuten, von der sie zerstreute Teile sind. »Und wir werden ohne Ende in Gott sein«, sagt Juliane von diesem höchsten Erleben, »und Ihn wahrhaft schauen und ganz fühlen, Ihn geistig hören und Ihn köstlich riechen und süß schmecken Revelations of Divine Love Kap. 43. Ich habe die kühne Sprache des Originals, die moderne Fassungen etwas abgeschwächt haben, wiederhergestellt.«.
Alle sogenannten »Halluzinationen der Sinne«, denen wir in der Geschichte der Mystik begegnen, müssen wir also bei unserm psychologischen Studium der mystischen Suche ganz nüchtern und vorurteilsfrei betrachten. Die Frage darf für den Kritiker nur die sein: Stellen diese Automatismen, die sich immer wieder als zum kontemplativen Leben gehörig zeigen, nichts weiter vor als die altbekannten Träume und Phantasien des Visionärs, wie sie sich seinem Oberflächenbewußtsein in konkreter Form objektiviert darstellen, oder können sie auch genommen werden als – wenn man will symbolische – Darstellungen einer Tatsache, Kraft oder Persönlichkeit, irgendeiner sieghaften geistigen Macht außerhalb seiner selbst? Ist die Vision nur ein zum Bilde gewordener Gedanke oder ist sie das gewaltsame Bemühen des Selbst, einen bestimmten Eindruck, den sein tieferes Wesen erhielt, irgendeine Botschaft, die es von außen empfing Hier, wie auch sonst, möge der Leser freundlich bedenken, daß jede konkrete Sprache nur gleichnishaft zu verstehen ist, wenn sie sich auf seelische Zustände bezieht., zu übersetzen, wodurch dies scharf umrissene Bild erzeugt und vor sein Bewußtsein gestellt wird?
Die Antwort scheint zu sein, daß die Vision oder die Stimme beides sein kann: und daß sowohl die Pathologie wie die Religion in ihrem Eifer übereilt vorgegangen sind, als sie diese Erscheinungen für ihre Zwecke in Anspruch nahmen. Viele – vielleicht die meisten – Stimmen geben nur die Antwort, die das Subjekt sich schon eingegeben hat Wenn z. B. Margarethe Ebner, die berühmte »Gottesfreundin«, eine Stimme sagen hörte, Tauler, in dem Kreise, dem sie angehörte, ein Gegenstand großer Verehrung, sei der Mann, den Gott am meisten liebe, und in ihm wohne Gott wie melodische Musik (vgl. Rufus Jones, a. a. O. S. 257)., viele – vielleicht die meisten – Visionen sind von Träumen und Begierden erzeugte Bilder »Man findet Menschen,« sagt die hl. Teresa, »und ich habe selbst solche gekannt, deren Hirn und Phantasie so schwach sind, daß sie glauben, alles, woran sie denken, wirklich zu sehen, und dies ist eine sehr gefährliche Anlage« (El Castillo Interior, Moradas Cuartas Kap. 3).. Einige sind krankhafte Halluzinationen, einige sogar Symptome von Geistesgestörtheit. Alle borgen wahrscheinlich ihre Gestalt, ganz abgesehen von ihrem Inhalt, von Vorstellungen, die schon im Geiste des Schauenden gegenwärtig sind.
Aber es gibt einige unter ihnen, wie sie von kraftvollen und reichen Seelen erlebt werden, die für die, die sie haben, entscheidend sind. Diese bringen den Einfältigen und Unwissenden Weisheit, den von Zweifel Gequälten plötzliche Ruhe. Sie durchfluten den ganzen Menschen mit neuem Licht, begleiten die Bekehrung oder den Übergang von einem geistigen Zustand in einen andern, treten auf in Augenblicken der Unentschlossenheit und bringen autoritative Befehle oder Weisungen, die der Neigung des Selbst entgegen sind, oder geben eine sichere Kenntnis von einem bisher unbekannten Gebiet des Geisteslebens. Es ist klar, daß solche Visionen einer andern und höheren Erfahrungsebene angehören als die strahlenden Erscheinungen der Jungfrau Maria, die ergreifende Schau der Leiden Christi, die im Leben der Heiligen so häufig sind und nicht einen einzigen Zug enthalten, der sich nicht aus der religiösen Begeisterung oder vorherigen Kenntnis des Subjekts ableiten ließe Das bereits erwähnte Buch von Angela von Foligno enthält eine ganze Reihe solcher Beispiele.. Dies sind, wie Godfernaux sie sehr treffend bezeichnet, nur »Bilder, die auf der bewegten Tiefe des Gefühls treiben Sur la psychologie du Mysticisme (Revue Philosophique, Febr. 1902).«, nicht symbolische Botschaften von einer andern Bewußtseinsebene. Es muß also irgendeine Probe angestellt, irgendein Maßstab gefunden werden, wenn wir die Visionen und Stimmen, die Symptome wirklicher transzendentaler Tätigkeit sind, von denen unterscheiden sollen, die nur einer aufs höchste gesteigerten Einbildungskraft, einer intensiven Träumerei oder sogar einer seelischen Krankheit entspringen. Der Maßstab muß meiner Meinung nach derselbe sein, den wir für ekstatische Zustände brauchbar finden werden, nämlich inwieweit sie lebenerhöhend wirken.
Die Visionen und Stimmen, die die Mittel sind, mittels derer das »schauende Selbst« dem Absoluten in Wahrheit nahekommt, die Formeln, unter die ontologische Wahrnehmungen gebracht werden, erweisen sich für dieses Selbst als Quellen, die ihm Energie und Mut und Liebe spenden. Sie geben ihm eine ganz andersartige Kraft, Erkenntnis und Richtung und lassen es körperlich, geistig und seelisch in besserem Zustande zurück, als sie es fanden. Die Visionen aber, die ihren Ursprung nicht der Berührung der Seele mit der Wirklichkeit außerhalb verdanken – die, theologisch gesprochen, »nicht von Gott kommen« – haben diese Wirkung nicht. Im besten Falle sind sie nur das Resultat einer Überschau, die das Selbst über seine Schätze hält, im schlimmsten Falle sind sie Träume – bisweilen krankhafte Träume – eines lebhaften, reichen, aber unbeherrschten Unterbewußtseins.
Da es nun aber zur Ausstattung der Naturanlage des Mystikers gehört, daß sein Unterbewußtsein lebhaft und reich ist, und da die unfeste nervöse Organisation, die damit verbunden ist, ihn zu Krankheit und Erschöpfung neigen läßt, so ist es nicht überraschend, daß das visionäre Erleben auch der größten Mystiker von gemischtem Typus ist. Hat die automatische Tätigkeit der Sinne in einem Menschen einmal begonnen, so kann sie ebensogut zum Ausdruck von Torheit wie von Weisheit dienen. In den Augenblicken, wo die Inspiration nachläßt, können alte vergessene abergläubische Vorstellungen an ihre Stelle treten. Wenn Juliane von Norwich in ihrer Krankheit die »entsetzliche Erscheinung« des bösen Feindes sah, rot mit schwarzen Flecken, der mit seinen Klauen ihre Kehle würgte Revelations of Divine Love 66.; wenn die hl. Teresa vom Teufel heimgesucht ward, der einen Geruch von Schwefel hinterließ, oder wenn sie ihn auf ihrem Brevier sitzen sah und ihn durch Besprengung mit Weihwasser vertrieb Vida XXXI, §§ 5 u. 10., so müssen wir vernünftigerweise zugeben, daß wir hier Visionen haben, die nach der psychopathischen Seite neigen und kaum etwas anderes ausdrücken als Erschöpfung und zeitweiligen Verlust des innern Gleichgewichts, wodurch das intensive Bewußtsein der Wirklichkeit des Bösen eine konkrete Gestalt annehmen konnte So machte sich auch bei der hl. Katharina von Siena die ungeheure geistige Anspannung jener dreijähr. Zurückgezogenheit, von der ich schon sprach (vgl. oben S. 231 f.), am Ende dieser Periode durch eine Veränderung im Charakter ihrer Visionen bemerkbar. Während sie vorher nur Offenbarungen des Guten und Schönen gewesen waren, nahmen sie jetzt eine entgegengesetzte Gestalt an und peinigten sie sehr (Vita [Acta SS.] I, 11,1; vgl. E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 20)..
Allein wenn wir dies auch zugeben, so folgt daraus noch nicht, daß alles visionäre Erleben des Betreffenden krankhaft ist; ebensowenig wie der »Oedipus Tyrannus« den »Prometheus Unbound« [Dramatische Dichtungen von Shelley.] in seinem Werte herabsetzt oder wie gelegentliche Verdauungsstörungen den ganzen Ernährungsprozeß unwirksam machen. Das Wahrnehmungsvermögen und die schöpferische Kraft des Mystikers gehen bisweilen in die Irre, ebenso wie bei andern großen Künstlern. Daß Visionen oder Stimmen bisweilen das Mittel sind, wodurch die Seele bewußt die Nahrung, die sie braucht, assimiliert, ist begreiflich; es ist sicher ebenso begreiflich, daß sie durch dasselbe Mittel der Oberflächenintelligenz Dinge darbietet, die eher eine ungesunde als eine gesunde Reaktion hervorrufen.
Wenn wir ein für allemal aufhören wollten, Visionen und Stimmen als etwas Objektives zu betrachten, und uns damit begnügten, sie als symbolische Ausdrucksformen anzusehen, als Wege, auf denen die unterbewußte Tätigkeit des tieferen Selbst zum Oberflächenbewußtsein gelangt, so würden viele von den Widersprüchen verschwinden, die sich im visionären Erleben bemerkbar machen und die die Frommen verwirren und die Agnostiker entzücken. Visionäre Erfahrung ist das äußere Zeichen einer wirklichen Erleuchtung, oder kann es wenigstens sein. Sie ist ein Bild, das der Geist aus zwar schon vorhandenem Rohmaterial herstellt, wie der Künstler sein Bild aus Leinwand und Farbe herstellt. Aber wie das Bild aus Farbe und Leinwand nicht nur die Frucht der Berührung zwischen Pinsel und Leinwand ist, sondern auch einer tiefern Berührung zwischen dem schöpferischen Genius des Künstlers und der sichtbaren Schönheit oder Wahrheit, so können wir auch die Vision des Mystikers als die Frucht einer noch geheimnisvolleren Berührung zwischen dem Visionär und einer übersinnlichen Schönheit oder Wahrheit ansehen. Eine solche Vision ist gleichsam die »Akzidenz«, die eine unsichtbare »Substanz« darstellt und einschließt, das gemalte Leinwandbild, das den wunderbaren Anblick, die ekstatische Wahrnehmung des Guten oder Bösen – denn beide Extreme haben diese Möglichkeit, – die die tiefere, wirklichere Seele erreicht hat, dem Oberflächenbewußtsein zu zeigen versucht. Die übersinnlichen Kräfte bedienen sich zu diesem Zweck des Materials, das sie unter den Glaubens- und Erinnerungsschätzen des Selbst finden Ein ausgezeichnetes Beispiel einer solchen Materialaneignung wird offenbar guten Glaubens von Huysmans erzählt (Sainte Lydwine de Schiedam p. 258): »Lydwine fand im Himmel die Formen der Anbetung, die gottesdienstlichen Zeremonien wieder, die sie in ihren gesunden Jahren hienieden gekannt hatte. Die Ecclesia Militans war tatsächlich durch die Inspiration ihrer Apostel, Päpste und Heiligen in die liturgischen Freuden des Paradieses eingeweiht.« In derselben Vision, die am heiligen Abend stattfand, als die Geburtsstunde von den himmlischen Glockentürmen geläutet wurde, erschien ihr auch das göttliche Kind auf dem Schoß seiner Mutter, genau so, wie die Krippe in katholischen Kirchen gezeigt wird in dem Augenblick, wo der Weihnachtsmorgen anbricht.. So sieht Plotin die himmlische Aphrodite, Seuse die Ewige Weisheit, die hl. Teresa die Menschheit Christi, Blake die seltsamen Gestalten seiner prophetischen Bücher, andere noch ausgesprochenere symbolische Gegenstände. Ignaz von Loyola z. B. sah in einem Augenblick der Hellsichtigkeit »die heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt dreier Orgeltasten« und bei einer andern Gelegenheit die heilige Jungfrau, »ohne die einzelnen Glieder unterscheiden zu können Lebenserinnerungen 24 f. (Feder S. 46 f.).«.
Visionen und Stimmen stehen also etwa in derselben Beziehung zum Mystiker, in der Gemälde, Dichtungen und musikalische Kompositionen zum großen Maler, Dichter und Musiker stehen. Sie sind der künstlerische Ausdruck und das schöpferische Erzeugnis a) des Denkens, b) der Intuition, c) der unmittelbaren Wahrnehmung. Alle diese würden bereitwillig zugeben, wie konventionell und unvollkommen notwendigerweise diese Umschriften des wahrgenommenen Guten, Wahren und Schönen sind, die wir ihrem künstlerischen Genie verdanken, wie wenig sie der Wirklichkeit entsprechen. Aber damit ist nicht gesagt, daß sie sinnlos oder wertlos sind. Ebenso ist es bei dem Mystiker, dessen Schaffen dem künstlerischen Schaffen näher steht, als man allgemein zugibt. Bei beiden Typen geht eine unablässige und unwillkürliche Übertragungsarbeit vor sich, indem sie die Wirklichkeit in den Ausdrucksformen der Scheinwelt zu deuten versuchen. Beide vermögen dies kraft einer besonderen Geistesbeschaffenheit.
Bei diesen Menschen nimmt der Zustand der Träumerei leicht einen visionären Charakter an: der Gedanke wird zum Bilde, zum Ton oder Rhythmus, je nach der Veranlagung. Konkrete Bilder, harmonische Klänge, flüchtig und kaum mit den Sinnen zu fassen, und dennoch deutlich erkennbar, steigen geheimnisvoll, ohne daß der Wille dabei beteiligt ist, vor dem Geiste auf. So sieht der Maler wirklich sein ungemaltes Bild, der Romanschreiber hört die Unterhaltung seiner Personen, der Dichter empfängt seine Rhythmen im voraus fertig, der Musiker lauscht einer wirklichen Musik, die »dem Geiste tonlose Melodien flötet«. Beim Mystiker zeigt sich beständig dieselbe Art von Tätigkeit. Tiefe Meditation nimmt bildhafte Gestalt an. Symbole, die sich seiner Einbildungskraft darbieten, werden zu wirklichen Gegenständen. Er hört in seinem Herzen die Botschaft, nach der er sich sehnt. Daher diese »inneren Stimmen« und »imaginativen Visionen«, die bisweilen – wie bei Seuse – von den gewöhnlichen Begleiterscheinungen angespannter künstlerischer Tätigkeit nicht zu unterscheiden sind.
Während jedoch die Automatismen des Künstlers seinem Werke zugute kommen, haben die Automatismen des Mystikers in ihrer höchsten Form es mit der Erneuerung der Persönlichkeit zu tun, die das Wesen des mystischen Lebens ist. Sie zeigen dem Selbst, wie weit er dem Absoluten nahegekommen ist, und führen es weiter aufwärts. Auch sind beide, Stimme und Vision, koordiniert und gehen zusammen; sie bestätigen einander und wirken zusammen, um das höhere Leben des Selbst zu fördern. So hörte die hl. Katharina von Siena vor ihrer »mystischen Hochzeit« eine Stimme, die auf alle ihre Gebete antwortete: »Ich will dich im Glauben mir vermählen«, und die Vision, in der diese Vereinigung vollzogen wurde, wurde wiederum von einer Stimme eingeleitet, die da sagte: »Ich will heute das Fest des Verlöbnisses deiner Seele feierlich mit dir begehen, und wie ich dir versprach, so will ich dich mir im Glauben vermählen E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 25.«. »Solche Automatismen wie diese«, sagt Delacroix, »sind keineswegs vereinzelt und ohne Zusammenhang. Sie sind systematisch und fortschreitend, sie werden durch ein inneres Ziel geleitet, sie haben vor allem einen teleologischen Charakter. Sie zeugen von dem beständigen Eingreifen eines Wesens, das zugleich weiser und mächtiger ist als die gewöhnliche Persönlichkeit oder Vernunft; sie sind die Form, in der sich eine verborgene und beharrende Persönlichkeit eines höheren Typus dem bewußten Selbst offenbart. Sie sind ihre Stimme, die Projektionen ihres Lebens nach außen. Sie übertragen dem bewußten Selbst die Suggestionen des unterbewußten, und sie ermöglichen die beständige Durchdringung des bewußten Selbst durch diese tieferen Tätigkeiten. Sie stellen eine Verbindung her zwischen diesen beiden Daseinsebenen und unterwerfen durch ihre gebietende Natur das Niedere dem Höheren Delacroix, Etudes d'Histoire du Mysticisme p. 114.«.
Stimmen.
Die einfachste und in der Regel auch die erste Art, wie sich der Automatismus zeigt, ist in Gestalt von Gehörserscheinungen oder »Stimmen«. Der Mystiker wird ein Etwas gewahr, das entweder deutlich hörbar oder ohne Worte wahrnehmbar zu ihm spricht und ihm plötzliche und unerwartete Befehle und Antriebe gibt. So wird ihm seine Berührung mit dem göttlichen Leben durch ein Mittel zum Bewußtsein gebracht, das ihm vom Verkehr mit dem Menschen her vertraut ist. Sein Unterbewußtsein, das ganz mit übersinnlichen Wahrnehmungen angefüllt, »mit dem Absoluten eins«, vom Unerschaffenen Licht erleuchtet, aber vom Oberflächenbewußtsein, das es langsam erzieht, noch immer abgesondert ist, erscheint diesem Selbst der Oberfläche wie ein anderes Wesen. Daher werden seine Botschaften oft buchstäblich als Stimmen vernommen, entweder 1. als »unmittelbare« oder unartikulierte Stimme, die der auditive Mystiker so gut kennt, aber so schwer definieren kann; 2. als deutliche innere Stimme, die vollkommen artikuliert, doch als nur im Geiste sprechend erkannt wird; 3. als äußere Stimme, die von außen zum Subjekt zu sprechen scheint und vom äußeren Ohr vernommen wird – eine Halluzination, die wir alle im Traum, schlafend oder wachend, erfahren haben. Diese herkömmliche Klassifizierung der Gehörserscheinungen entspricht auch genau den drei Haupttypen der Visionen: 1. der intellektuellen, 2. der imaginativen, 3. der körperlichen Vision.
Von diesen drei Arten von Stimmen ist nach der einstimmigen Meinung der Mystiker die erste und am wenigsten »wunderbare« bei weitem die beste. Sie gehört in der Tat einer ganz andern Bewußtseinsebene an als das gesprochene innere oder äußere »Wort«. »Deutliche innere Worte«, sagt Madame Guyon, »können uns leicht täuschen. Oftmals sind sie vom Teufel eingegeben, und wenn sie von unserm guten Engel kommen (denn Gott selbst spricht nie auf diese Weise), so meinen sie nicht immer das, was sie sagen, und man findet selten, daß das, was sie vorhersagen, eintrifft. Denn wenn Gott uns durch seine Engel solche Worte sagen läßt, so versteht Er sie auf Seine Weise, und wir nehmen sie auf unsere Weise auf, und dadurch täuschen wir uns. Das Wort, das Gott ohne Mittler spricht, ist nichts anderes als Sein Wort (Logos) in der Seele, ein substanzielles, schweigendes und unartikuliertes Wort, ein Leben und Kraft spendendes Wort, wie geschrieben steht: dixit et facta sunt. Dies Wort ist keinen Augenblick stumm oder unfruchtbar; es ertönt unablässig im Zentrum der Seele, die dafür bereitet ist, und kehrt so rein zu seinem Ursprung zurück, wie es von ihm ausging Vie I, Kap. 9..«
»Laß deinen guten Geist in mein Herz eingehen und dort gehört werden, ohne daß er spricht, und laß ihn ohne Worte alle Wahrheit künden«, sagt ein Gebet, das dem hl. Ambrosius zugeschrieben wird Missale Romanum; Praeparatio ad Missam, Die Dominica. und das die Wirksamkeit dieser unmittelbaren oder »intellektuellen« Worte genau beschreibt. Dynamische Botschaften dieser Art, gebieterische Eingebungen, die die Schranken der Rede vermeiden, führt das Selbst stets auf direkte göttliche Einwirkung zurück. Sie sind von einer fraglosen Autorität und bringen neue Erkenntnis oder neues Leben mit sich. Sie sind in Wahrheit nicht Botschaften, sondern tatsächliche »Invasionen« aus der Tiefe, ein plötzliches Auftauchen des verborgenen Kindes des Absoluten, das die Mystiker den »Seelenfunken« nennen und von dem mit Recht gesagt ist: » Abyssus abyssum invocat«.
»Deutliche innere Worte« dagegen sind nicht allemal verbindlich für die, die sie hören, obwohl die hl. Teresa, deren glänzende Selbstkritiken unsere beste Informationsquelle für mystische Gehörserscheinungen sind, ihnen einen höheren Platz im seelischen Erleben anweist, als Madame Guyons Begeisterung für »nacktes Gebet« es ihr zu tun erlaubt. Auch sie ist der Ansicht, daß jene, obwohl sie »von Gott kommen«, nicht von unmittelbarem Kontakt mit dem Göttlichen herrühren; aber daß sie sich von jenen »Worten«, die ein bloßes Erzeugnis bewußt tätiger Phantasie sind, ebensosehr durch das Gefühl von Gewißheit, Frieden und innerer Freude, das sie hervorbringen, unterscheiden wie durch die Tatsache, daß sie sich auch der widerstrebenden Aufmerksamkeit aufzwingen und Erkenntnis mit sich bringen, die vorher nicht im Bewußtsein vorhanden war. Das will sagen, daß sie wirklich automatische Darstellungen der Resultate mystischen Schauens sind, nicht bloße Umordnungen von Gedankeninhalten El Castillo Interior, Moradas Sextas Kap. 3.. Daher führen sie dem Selbst der Oberfläche neuen Stoff zu und haben einen tatsächlichen Wert für das Leben.
Die lediglich selbsterzeugten sprachlichen Äußerungen oder Umordnungen des Denkens, »die der gesammelte Geist in sich formt und bildet« und die von echten automatischen Gehörserscheinungen oft schwer zu unterscheiden sind, werden von Philipp von der Trinität, St. Johannes vom Kreuz und andern mystischen Theologen als »sukzessive Worte« bezeichnet. Sie halten es für höchst wichtig, daß der Mystiker solche Halluzinationen von wirklichen übersinnlichen Wahrnehmungen, die sich ihm in auditiver Form darstellen, unterscheiden lernt.
»Ich bin entsetzt«, sagt St. Johannes vom Kreuz, in seiner gewohnten nüchternen Art, »über das, was heutzutage bei uns vorgeht. Ein jeder, der eben angefangen hat zu meditieren und der sich im Zustande der Sammlung dieser Worte bewußt wird, hält sie sogleich für ein Werk Gottes und behauptet: ›Gott hat zu mir gesprochen‹ oder ›Ich habe eine Antwort von Gott erhalten‹. Aber dies ist nicht wahr; so einer hat nur zu sich selbst gesprochen. Auch gibt das Verlangen nach diesen Worten, die die Menschen ermutigen, ihnen selbst solche Worte ein, und dann wähnen sie, Gott habe gesprochen Subida del Monte Carmelo II, Kap. 29, 4..« Dies sind die Worte eines Menschen, der zugleich der geistig gesundeste Heilige und der scharfsinnigste Psychologe war, Worte, die unsere modernen ungestümen Liebhaber des »Unterbewußten« sich wohl zu Herzen nehmen könnten.
Echte Gehörsphänomene stellen sich gewöhnlich ein, wenn der Geist im Zustande tiefer Versunkenheit, ohne einen bewußten Gedanken ist, das will sagen, im günstigsten Augenblick für den Kontakt mit der übersinnlichen Welt. Sie übertragen irgendeine Seite jener unaussprechlichen Wirklichkeit, die der Mystiker schauend genießt, in artikulierte Sprache, verleihen jenen hellseherischen Intuitionen, jenen prophetischen Ahnungen, die auf ihn einstürmen, sobald er sich dem Einfluß des Übersinnlichen hingibt, greifbare Gestalt. Bisweilen jedoch nimmt die mystische Intuition die Form plötzlichen unhemmbaren Aufwallens von Erkenntnis aus der Tiefe der Persönlichkeit an. Dann brechen die Stimmen zuweilen jäh mitten in die normale Tätigkeit des Selbst ein. In solchen Fällen macht sich ihr objektiver und unkontrollierbarer Charakter am schärfsten fühlbar. Doch wie sie auch in Erscheinung treten, sie sind, wie die hl. Teresa sagt, »sehr bestimmt geformt, aber dem leiblichen Ohr nicht vernehmbar. Dennoch werden sie viel klarer verstanden, als wenn das Ohr sie hörte. Es ist unmöglich, sie nicht zu verstehen, wie sehr man ihnen auch widerstreben mag … Die Worte, die der Verstand formt, haben keine Wirkung, aber wenn der Herr spricht, so ist Wort und Werk eins … Die menschliche Rede ist etwas Undeutliches, was wir halb im Schlafe vernehmen, aber die göttliche Rede ist so klar, daß keine Silbe davon verloren geht. Es kann auch vorkommen, daß der Verstand und die Seele so verwirrt und zerstreut sind, daß jener keinen einzigen Satz richtig zusammenfügen könnte, und gleichwohl vernimmt die Seele vollkommene und erhabene Rede, die sie, selbst wenn sie auch noch so sehr gesammelt wäre, nicht selbst hätte formen können und die mit dem erster. Worte sie völlig umwandelt Vida Kap. XXV, §§ 2; 5; 6. Über die verschiedenen Formen von Gehörserscheinungen im einzelnen vgl. St. Johannes vom Kreuz, a. a. O. II, Kap. 28-31.«.
Das ganze mystische Leben der hl. Teresa wurde von Stimmen beherrscht, ihre Wirksamkeit als Gründerin wurde von ihnen geleitet. Sie berieten sie in kleinen wie in großen Dingen. Oft hinderten sie sie in ihren Plänen, widersetzten sich ihrem persönlichen Urteil, verboten ihr eine Gründung, an der ihr lag, oder geboten eine, die unpraktisch oder unmöglich schien. Sie kümmerten sich um ihre Reisen, ihre Häuserkäufe, warnten sie vor kommenden Geschehnissen El Libro de las Fundaciones ist voll von solchen Beispielen.«. Selten widerstrebte sie ihnen, obwohl es immer wieder geschah, daß das, was sie von ihr forderten, der Gipfel der Torheit schien, und obgleich sie sie häufig in Ungemach und Schwierigkeiten brachten, hatte sie nie Grund, dies blinde Vertrauen auf Weisungen, die sie als unmittelbar von Gott kommend ansah und die sicher einem größeren, mit höheren Bewußtseinsebenen in Berührung stehenden Leben entsprangen, zu bereuen.
So weit entfernt von bloßen vagen Eingebungen sind die »deutlichen inneren Worte«, die der Mystiker im Geiste hört, daß Seuse imstande ist, festzustellen, die hundert Meditationen über das Leiden Christi, die ihm auf diese Weise eingegeben wurden, seien auf Deutsch und nicht auf Lateinisch gesprochen Seuse, Büchlein der Ewigen Weisheit, Prol. (Bihlm. 197, 10 f.).. Die Stimmen, die die hl. Teresa hörte, waren alle von dieser inneren Art, – einige »deutlich« und einige »substantiell« oder unartikuliert – wie die entsprechenden Visionen bei ihr fast durchweg von der intellektuellen oder imaginativen Art waren, d. h. niemals auf einer Halluzination der Sinne beruhten. Oft jedoch wird die Grenze überschritten, und der Mystiker glaubt, die Stimme mit dem äußeren Ohr zu vernehmen, wie die hl. Jeanne d'Arc die Stimmen, die ihr Schicksal lenkten, oder der hl. Franz von Assisi, als die Gestalt vom Kreuze zu ihm sprach. Dann haben wir die dritte Form, die »äußeren Worte«, die die Mystiker meistenteils mit Mißtrauen und Abneigung betrachten.
Bisweilen nimmt die Gehörserscheinung mehr einen musikalischen als verbalen Charakter an, eine Form der Wahrnehmung, die wahrscheinlich der Naturanlage des Einzelnen entspricht, in dessen musikliebender Seele die rhythmische Süße der göttlichen Harmonie antwortende Saiten anschlägt. Das Leben des hl. Franziskus, der hl. Katharina von Siena und Richard Rolles bietet dafür augenfällige Beispiele Fioretti, Delle Istimate 2; E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 15; Rolle, The Fire of Love I, Kap. 16., aber auch Seuse, bei dem der Automatismus seine reichsten und mannigfachsten Formen annahm, hat in seiner Autobiographie einige charakteristische Beispiele hierfür gegeben.
»Einstmals saß er so zur selben Zeit in seiner Ruhe, da hörte er etwas inwendig in sich so herzlich erklingen, daß sein ganzes Herz bewegt ward, und die Stimme sang mit einem lauten süßen Hall, währenddem der Morgenstern aufging, und sang diese Worte: › Stella Maria maris hodie processit ad ortum, der Meerstern Maria ist heute hervorgegangen.‹ Dieser Gesang hallte so übernatürlich schön in ihm, daß sein ganzes Gemüt außer sich geriet und fröhlich mitsang … Einst zur Fastnacht hatte er sein Gebet hinausgezogen, bis daß der Wächter den Tag blies. Da dachte er: ›Sitz ein klein wenig, ehe du den lichten Morgenstern empfängst.‹ Und da ihm also ein ganz klein wenig die Sinne zur Ruhe kamen, da erhoben die himmlischen Jünglinge mit hoher Stimme das schöne Responsorium: Illuminare, illuminare Jerusalem usw. Und es erklang über die Maßen süß mitten in seiner Seele. Da sie kaum ein klein wenig gesungen hatten, ward seine Seele des himmlischen Getönes so voll, daß der schwache Leib es nicht mehr erleiden konnte; und das Herz ging ihm auf und die Augen gingen ihm über, und inbrünstige Tränen flössen ihm herab Leben Kap. V (Bihlm. 17, 25-18, 3; 20-29)..«
In naher Beziehung zu den Phänomenen der automatischen Worte auf der einen Seite und zu denen der Prophetie oder Inspiration auf der andern stehen die in der mystischen Literatur so häufigen Offenbarungen, die die Form des Dialogs annehmen: die intimen Zwiegespräche zwischen der göttlichen Wirklichkeit und der Seele. Juliane von Norwich, die hl. Katharina von Siena und auch zum großen Teil die sei. Angela von Foligno scheinen ihre Offenbarungen in dieser Weise erhalten zu haben. Wir glauben, wenn wir sie lesen, den Ausgießungen des göttlichen Geistes beizuwohnen, der auf Seinem Wege durch das menschliche Bewußtsein irgendeine Ausdrucksform ergreift. Wir fühlen bei der Mystikerin einerseits eine Einheit mit dem Absoluten, die sie für den Augenblick wirklich zur »Stimme Gottes« macht, während wir in ihr andrerseits doch das fortbestehende, wohl erhöhte, aber noch nicht ganz in der Gottheit aufgegangene Individuum spüren, dessen Fragen hier und da die Offenbarungen, die ihm durch sein tieferes Bewußtsein vermittelt werden, unterbrechen.
Berichte über Zwiegespräche dieser Art, die offenbar wahrheitsgetreu und in gutem Glauben geschrieben sind, haben wir von Seuse, Tauler, Mechthild von Magdeburg, Angela von Foligno, der hl. Teresa und zahlreichen andern Mystikern. Das dritte Buch der Nachfolge Christi enthält einige hervorragend schöne Beispiele, die vielleicht, aber nicht sicher, ihren Vorzug literarischer Kunst verdanken. Das Selbst, das von dem innigen Gefühl göttlicher Gefährtschaft ganz erfüllt ist, empfängt seine Botschaften in der Form von »deutlichen inneren Worten«, als ob eine andere Stimme in seinem Geiste spräche, und zwar mit einer solchen Autorität und Spontaneität, daß für Zweifel in bezug auf ihren Charakter kein Raum bleibt. Oft werden, wie bei den Offenbarungen Julianens, die Reden der »göttlichen Stimme«, ihre Antworten auf die eifrigen Fragen des Selbst, durch visionäre Vorstellungen veranschaulicht. Da diese Dialoge im allgemeinen mehr auf der Stufe der Erleuchtung als auf der der Einigung vorkommen, so ist dem Selbst, das ein klares Bewußtsein seiner Gesondertheit behält und diese Stimme als eine persönliche, von seiner eigenen Seele unterschiedene erkennt, diese gesprächsweise Art des Verkehrs natürlich: es stellt Fragen und gibt Antworten, und in dieser dramatischen Form drückt sich nach und nach der Inhalt seiner Eingebungen aus. Wir haben hier also eine extreme Form jener Spaltung des Bewußtseins, die wir alle bis zu einem gewissen Grade erfahren, wenn wir »mit uns selbst streiten«. In diesem Falle jedoch ist einer der Sprechenden das Werkzeug einer vom eigenen Ich verschiedenen Macht, das dem Geiste neue Weisheit und neues Leben mitteilt.
Die eigenartige rhythmische Sprache echt mystischer Dialoge dieser Art – denn oft, wie in Seuses »Büchlein der Ewigen Weisheit«, ist sie absichtlich übernommen als ein literarisches Ausdrucksmittel – beweist ihren automatischen Charakter Vgl. S. 106.. Sobald der Ausdruck dem kritischen Einfluß der Oberflächenintelligenz entzogen ist, neigt er immer dazu, dithyrambische Form anzunehmen. Rhythmus, Farbe und gehobene Sprache spielen hier eine wichtigere Rolle als der analytische Verstand ihnen im allgemeinen zubilligt. Diese Erscheinung läßt sich leicht bei prophetischen Äußerungen beobachten wie auch bei automatischer Schrift. Sie bildet einen interessanten Übergang zur Poesie, die – insofern sie echt und unmittelbar ist – zum großen Teil auf unterbewußter Tätigkeit beruht. Das Leben, das sich von der Sprache nicht fassen läßt, ist doch imstande, sich irgendwie durch Rhythmus mitzuteilen, und die mystische Wahrheit ist mehr als alles andere die Mitteilung eines größeren Lebens. Daher dürfen wir es nicht übelnehmen, wenn die Stimme des Absoluten, wie sie uns von den Mystikern vermittelt wird, die allein imstande sind, sie zu hören, oft den »hohen Stil« annimmt.
Vision.
Wir kommen jetzt von dem Bestreben des tieferen Selbst, dem Selbst der Oberfläche die Wahrheit zu sagen, zu dem Bestreben dieser selben geheimnisvollen Macht, ihm die Wahrheit zu zeigen, oder, psychologisch gesprochen, wir kommen von den auditiven zu den visuellen Automatismen. Das Wort »Vision« hat einen sehr vagen Sinn und wird sowohl von Freunden als von Feinden der Mystiker gebraucht, um ein weites Erfahrungsgebiet zu beschreiben oder zu verdunkeln, von formloser Intuition über grobe Augentäuschung zu den spontanen Phantasiebildern des Künstlergeistes. Hierher gehört auch die persönliche und heimliche Vision, in der der Liebende die vollkommene Liebe schaut, sowie die großen Bilder hellseherischer Propheten, die gleichsam die Augen des Menschengeschlechtes sind. Von diesen beiden Hauptarten der Vision, sagt Dionysius der Karthäuser, muß die erste geheimgehalten, die zweite allgemein verkündet werden. Die erstere ist mehr echt mystischer, die andere mehr prophetischer Art. Wenn wir nun auch die prophetische Vision von unserer Untersuchung ausschließen, so bleibt doch für die rein mystische Art eine große Mannigfaltigkeit der Erfahrung übrig. Die fließende und formlose Vision der Dreieinigkeit, wie sie die hl. Teresa sah, und ihre konkreten Visionen Christi, die poetischen Träume Mechthilds von Magdeburg, Seuses in bildhafter Klarheit geschaute Allegorien, selbst Blakes Seele eines Flohs, alle diese fallen unter dieses Kapitel.
Da nun aber niemand als die Visionäre selbst wissen kann, was es wirklich heißt, eine Vision zu haben, so wird es von Interesse sein, zu sehen, was sie über diesen Gegenstand zu sagen haben, und festzustellen, wie weit ihre Selbstkritik mit den Schlüssen der Psychologie übereinstimmt. Wir vergessen leicht, während wir eifrig diese Dinge erörtern, daß es in Wahrheit denen, die nie eine Stimme oder Vision erlebt haben, ebenso unmöglich ist, verständig darüber zu reden, wie es den Daheimgebliebenen unmöglich ist, auf Grund der Berichte von Kriegskorrespondenten über die Leidenschaften des Schlachtfeldes zu diskutieren. Kein Bericht über eine Vision kann uns in Wahrheit das Erleben des Menschen vermitteln, dem sich seine Wahrnehmungen oder Einbildungen in Form einer Vision darstellen. »Wir können uns nicht oft genug daran erinnern,« sagt Récéjac, »daß der mystische Akt in Beziehungen zwischen dem Absoluten und der Freiheit besteht, die sich nicht mitteilen lassen. Wir werden z. B. nie wissen, wie der Bewußtseinszustand eines Bürgers der alten Welt war, der sich rückhaltslos den Inspirationen des heiligen Feuers oder irgendeines andern Symbols, das das Unendliche beschwor, hingab Les Fondements de la Connaissance Mystique p. 149..« Auch werden wir nie, wenn wir nicht selbst das Glück haben, es zu erreichen, das Geheimnis des Bewußtseins kennen, das imstande ist, das Übersinnliche in visionärer Form wahrzunehmen.
Das erste, was wir bei dieser Untersuchung bemerken, ist, daß die Mystiker es fast einstimmig ablehnen, irgendeiner Art von visionärem Erleben Bedeutung beizulegen Hier wie in andern Punkten ist Blake die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Allein Blakes Visionen unterscheiden sich in wesentlicher Hinsicht von denen der andern Mystiker; sie gehören dem »körperlichen«, nicht dem »imaginativen« Typus an und sind nicht sowohl sichtbar gewordene Intuitionen als tatsächliche und konstante Wahrnehmungen der Bewohner jener »wirklichen und ewigen Welt«, in der zu wohnen der Mensch nach Blakes Glauben das Vorrecht hat.. Die natürliche Scheu und strenge Selbstkritik, die sie den Gehörserscheinungen gegenüber haben, ist hier noch sehr gesteigert, und dies sollten sowohl ihre entschiedeneren Feinde wie ihre Verteidiger beherzigen. »Wenn es geschieht,« sagt Hilton über Automatismen im allgemeinen, »daß du irgendein Licht oder eine Helligkeit mit deinem leiblichen oder geistigen Auge siehst, das andere nicht sehen, oder wenn du einen angenehmen, wunderbaren Laut mit dem Ohr vernimmst oder einen plötzlichen lieblichen Geschmack in deinem Munde spürst, dessen Ursache du nicht kennst, oder eine Glut in deiner Brust wie Feuer oder irgendein Wohlgefühl in irgendeinem Teile deines Leibes, oder wenn ein Geist dir körperlich erscheint wie ein Engel, um dich zu trösten oder zu unterweisen, oder irgendein Gefühl, von dem du weißt, daß es nicht aus dir selber kommt, noch von irgendeinem leiblichen Geschöpf, so hüte dich alsdann und hernach und achte klug auf die Regungen deines Herzens; denn wenn du merkst, daß die Freude und das Wohlgefallen an dem, was du gesehen und gefühlt, dein Herz von dem innerlichen Verlangen nach Tugenden und nach der geistlichen Erkenntnis und dem Empfinden Gottes abzieht, so daß du den Blick deines Herzens und deiner Liebe, deiner Freude und deiner Ruhe hauptsächlich auf jene Gefühle und Visionen richtest, als seien sie ein Teil der himmlischen Freude und der Seligkeit der Engel … dann ist große Gefahr, daß dies Gefühl von dem Feinde kommt, und daher mußt du, wenn es auch noch so angenehm und wundervoll ist, es abweisen und darfst ihm nicht nachgeben The Scale of Perfection I, Kap. 11..« Fast jeder Meister des kontemplativen Lebens hat in demselben Sinne gesprochen, keiner vielleicht so entschieden wie jener ernste und männliche Liebhaber des Unsichtbaren, St. Johannes vom Kreuz, der auch die »geistlichsten« Täuschungen unerbittlich niederkämpfte in seinem Eifer, Geist und Charakter von jedem Makel des Unwirklichen zu reinigen.
»Geistliche Menschen«, sagt er, »neigen gelegentlich zu Vorstellungen von übernatürlichen Erscheinungen und Dingen. Sie sehen bisweilen die Formen und Gestalten, die dem andern Leben angehören, wie Heilige oder gute oder böse Engel, oder auch wunderbare Erscheinungen von Licht und Helligkeit. Sie hören seltsame Worte und sehen dabei bisweilen die, die sie äußern, bisweilen auch nicht. Zu Zeiten haben sie Sinneswahrnehmungen von süßen Wohlgerüchen, ohne zu wissen, woher sie kommen … Doch wenn auch alle diese Erscheinungen auf göttlichem Wege an die körperlichen Sinne gelangen können, so dürfen wir uns doch nie auf sie verlassen und sie ermutigen, wir müssen sie vielmehr fliehen, ohne zu prüfen, ob sie gut oder böse sind. Denn je äußerlicher und körperlicher sie sind, um so weniger Gewißheit haben wir, daß sie von Gott kommen. Es ist natürlicher, daß Gott sich durch den Geist mitteilt – der der Seele größere Gewähr und größeren Gewinn bringt – als durch die Sinne, die gewöhnlich viel Gefahr und Täuschung bergen, da sie geistliche Dinge so beurteilen und abschätzen, wie sie sie empfinden, während sie doch in Wirklichkeit so verschieden von ihnen sind wie Leib und Seele, Sinnlichkeit und Vernunft Subida del Monte Carmelo II, 11. Man sollte in diesem Zusammenhange das ganze Kapitel lesen..«
Weiter: »Im hohen Zustande der Liebesvereinigung teilt Gott sich der Seele nicht in der Verkleidung von imaginativen Visionen, Gleichnissen oder Bildern mit, auch ist dafür kein Raum, sondern von Angesicht zu Angesicht … Daher muß die Seele, um zu dieser vollkommenen Einigung emporzusteigen, sich hüten, ihr Vertrauen auf imaginative Visionen, Formen und Bilder zu setzen, denn diese Dinge können niemals als angemessenes oder annäherndes Mittel zu einem so hohen Zweck dienen; sie sind vielmehr ein Hindernis auf dem Wege und daher zu meiden und abzuweisen Ebenda II, 16..«
Im gleichen Sinne äußert sich Madame Guyon. Ekstasen, Verzückungen und Visionen, sagt sie, stehen weit tiefer als »reines Gebet«, das stumme Sichversenken in Gott, das sie zur Zeit ihrer Bekehrung lernte. »Visionen werden von denjenigen Kräften wahrgenommen, die tiefer stehen als der Wille, und sie sollten sich immer im Willen auswirken, und danach sollten sie sich verlieren im Erleben dessen, was man in solchen Zuständen gesehen, erfahren oder gehört hat, denn sonst wird die Seele nie zu vollkommener Einigung gelangen. Andernfalls wird das, was sie erreicht und was sie vielleicht gar Einigung nennt, nur eine mittelbare Einigung sein, das heißt ein Einströmen der Gaben Gottes in ihre Kräfte (d. h. Erleuchtung), aber das ist nicht Gott selbst. Es ist daher sehr wichtig, daß man die Seelen verhindert, sich auf Visionen und Ekstasen zu verlassen, denn dies kann sie fast für ihr ganzes Leben hemmen. Überdies sind solche Gnadengaben auch der Täuschung unterworfen … Von solchen Gnadengaben sind die Visionen und Ekstasen diejenigen, die am wenigsten rein und am meisten der Täuschung ausgesetzt sind. Verzückungen und Offenbarungen (gesteigerte und jähe Intuitionen) sind es nicht so sehr, doch sind sie es auch in nicht geringem Grade.« »Die Vision«, sagt Madame Guyon weiter, »ist niemals Gott selbst, und kaum jemals Jesus Christus, wie die, die sie gehabt haben, meinen … mir scheint, daß die Erscheinungen, die wir für Christus selbst halten, dem strahlenden Widerschein der Sonne in den Wolken gleichen, den die Nichtwissenden für die Sonne selbst halten, während es nur ihr Widerschein ist. So spiegelt sich Christi Bild in unserm Geiste in dem, was wir › Intellektuelle Vision‹ nennen, die die vollkommenste ist … Phantome und fromme Bilder drücken sich gleichfalls der Phantasie ein. Es gibt auch körperliche Visionen, die von allen am wenigsten geistlich sind und am meisten der Täuschung unterliegen Vie I, Kap. 9..«
Die Vision ist also in den Augen des wahren Kontemplativen im besten Falle eine sehr unvollkommene, schiefe und unzuverlässige Art der Wahrnehmung: sie ist unlenkbar, launisch, oft irreführend, und je mehr Sinnestäuschung damit verbunden ist, um so verdächtiger wird sie. Alle aber unterscheiden verschiedene Klassen visionärer Erfahrung und machen einen scharfen Unterschied zwischen dem Wert der Vision, die mehr »gefühlt« als gesehen wird, und der eigentlichen optischen Täuschung, die außerhalb des Subjekts mit dem physischen Auge wahrgenommen wird.
Wir können bei den Visionen, ebenso wie wir es bei den Stimmen getan haben, – denn beide sind vom psychologischen Standpunkte aus genau parallele Erscheinungen – von seiten des Selbst eine fortschreitende Veräußerlichung der Vorstellungen oder Intuitionen, die die Basis aller automatischen Zustände bilden, aufzeigen. Drei Hauptgruppen werden von den Mystikern unterschieden und immer wieder aus ihrer Erfahrung illustriert. Es sind 1. die intellektuelle, 2. die imaginative, 3. die körperliche Vision, die 1. dem substantiellen oder unartikulierten, 2. dem inneren und deutlichen, 3. dem äußeren Wort entsprechen. Mit den ersten beiden müssen wir uns jetzt beschäftigen. Die körperliche Vision hat wenig Besonderheiten, die für den Erforscher reiner Mystik von Interesse sein könnten. Wie das »äußere Wort« ist sie kaum etwas anderes als eine mehr oder weniger unbeherrschte Objektivierung von Erinnerungen, Gedanken oder Intuitionen – oder, wie Madame Guyon scharfsinnig bemerkt, irgendeines frommen Bildes, das sich dem Geiste eingeprägt hat –, die bei manchen Menschen sich zu einer richtigen Sinnestäuschung steigern können.
1. Die intellektuelle Vision. Die »intellektuelle Vision« ist wie das »substantielle Wort«, wie die Mystiker es uns schildern, von so ungreifbarer, geistiger und formloser Art, daß es sehr schwer ist, sie von dem Akt reiner Kontemplation, dem sie gewöhnlich entspringt, zu unterscheiden. Diese Zustände und Wahrnehmungen der Seele stehen einander so nahe – ihre verschiedenen Bezeichnungen sind so oft nur Versuche verschiedener Individuen, dasselbe Erlebnis gleichnisweise zu beschreiben –, daß wir in Gefahr geraten, ungenau zu werden, sobald wir mit der Klassifizierung anfangen. Die intellektuelle Vision scheint, soweit wir sie verstehen können, ein Etwas zu sein, das ungesucht vor dem Geiste auftaucht und von dem ganzen Selbst gesehen und wahrgenommen wird vermittels eines Sinnes, der weder Gesicht noch Gefühl, sondern beides zugleich ist. Sie ergreift das innerste Wesen und ist doch unbeschreiblich; sie ist bestimmt, doch ist es unmöglich, sie zu bestimmen. Angela von Foligno schildert an einer Stelle ihrer »Tröstungen« mit großer Lebendigkeit die aufeinanderfolgenden Zustände der Erleuchtung, in denen man aufsteigt bis zu den Intuitionen, die die Substanz dieser »formlosen Vision« und ihrer Ergänzung, des »formlosen Wortes« bilden, und diese Schilderung gibt uns eine weit bessere Vorstellung als es die sorgfältigste, psychologische Analyse jemals tun könnte.
»Man muß nämlich wissen,« sagt Angela, »daß Gott bisweilen in die Seele kommt, wenn sie Ihn weder gerufen noch gebeten hat. Und Er entzündet in der Seele ein Feuer, eine Liebe, eine sonst ungewohnte Süßigkeit, an der sie sich sehr entzückt und erfreut. Und sie glaubt, daß dies von Gott ist, der mit Seiner Gegenwart in ihr wirkt, aber das ist doch nicht gewiß. Wiederum erkennt die Seele, daß Gott in ihr ist, weil sie, wenn auch nicht Ihn selbst, so doch Seine Gnade sieht, deren sie sich aufs höchste erfreut. Dennoch ist es auch so noch nicht gewiß. Wiederum erkennt sie, daß Gott zu ihr gekommen ist, weil Gott mit lieblichen Worten zu ihr spricht, an denen sie große Freude hat, und sie fühlt ihn mit einem Gefühl von Entzücken, an dem sie große Freude hat. Aber noch bleibt ein Zweifel bestehen, wenn auch nur ein geringer … Und wenn der höchste Gott zu der vernünftigen Seele kommt, so wird es ihr zuweilen verliehen, Ihn zu schauen, und sie sieht Ihn ohne körperliche Gestalt in sich, und sieht Ihn klarer, als ein sterblicher Mensch einen andern sterblichen Menschen sehen kann. Denn die Augen der Seele sehen Eine Gegenwart, die geistig, nicht körperlich ist und worüber ich nichts zu sagen vermag, weil Sprache und Einbildungskraft versagen. Dieser Anblick aber erfüllt die Seele mit unaussprechlicher Freude, und sie hat für nichts anderes mehr Augen als allein für dies Eine, das sie ganz erfüllt. Und dies Hinsehen und Erblicken, in dem sie den allmächtigen Gott sieht und auf nichts anderes mehr hinblicken kann, ist so tief, daß ich es zu meinem großen Schmerze niemandem deutlich machen kann, denn es ist etwas, das man weder berühren, noch sich vorstellen, noch abschätzen kann B. Angelae de Fulginio Visionum et Instructionum Liber Kap. 52 (p. 189 f., 192)..«
Die intellektuelle Vision scheint also eng zusammenzuhängen mit dem »Bewußtsein der Gegenwart Gottes«, von dem wir im vorigen Kapitel handelten, obwohl die Kontemplativen selbst erklären, daß sie davon verschieden sei »Es ist nicht dasselbe wie die Gegenwart Gottes, die man häufig fühlt … diese ist eine große Gnade, … aber eine Vision ist es nicht.« (S. Teresa, Vida Kap. 27, § 6.). Sie unterscheidet sich von dem mehr oder weniger unbestimmten Bewußtsein göttlicher Immanenz offenbar durch die Tatsache, daß sie, wenn auch dem Auge nicht sichtbar, doch im Raum genau lokalisiert werden kann. Des Mystikers Allgemeinbewußtsein des Göttlichen ist hier gesammelt in einem Brennpunkte, dem er dann sofort irgendeinen theologischen oder symbolischen Charakter beilegt. Das Resultat ist ein so konkretes, bestimmtes und ausgeprägt persönliches Gefühl göttlicher Gegenwart, daß es, wie die hl. Teresa sagt, überzeugender wirkt als das Schauen des leiblichen Auges. Diese unsichtbare Gegenwart wird von den christlichen Mystikern im allgemeinen lieber der Menschheit Christi als dem unbedingten Absoluten gleichgesetzt. »Im Gebet der Einigung und Ruhe«, sagt die hl. Teresa, »sind gewisse Einwirkungen der Gottheit vorhanden, aber in der Vision ist die heiligste Menschheit Christi mit jenen gegenwärtig, die uns Gefährte sein und uns Gnaden erweisen will S. Teresa a. a. O..« »Es begibt sich, daß, wenn eine Seele gar nicht daran denkt, daß ihr eine solche Gnade zuteil werden wird«, sagt sie an einer andern Stelle, »und auch niemals daran gedacht hat, dieselbe zu verdienen, sie plötzlich unsern Herrn Jesum Christum neben sich fühlt, wenn sie lhn auch weder mit den Augen des Leibes noch mit denen der Seele sieht. Dies nennt man, ich weiß nicht warum, eine intellektuelle Vision … Intellektuelle Visionen entschwinden nicht schnell wie die imaginativen, sondern dauern viele Tage, bisweilen länger als ein Jahr … Wir wissen, daß Gott bei allem, was wir tun, gegenwärtig ist, aber so schwach ist unsere Natur, daß wir diese Wahrheit oft aus den Augen verlieren. Hier aber ist ein solches Vergessen unmöglich, weil der Herr, der der Seele nahe ist, sie wach hält; und da sie in einer fast ununterbrochenen tätigen Liebe dem hingegeben ist, den sie neben sich sieht oder wahrnimmt, so werden ihr die genannten Gnadenbeweise noch häufiger zuteil S. Teresa, El Castillo Interior, Moradas Sextas Kap. VIII, § 2-4..«
In einem solchen Zustande – worauf sich der Ausdruck »Vision« kaum anwenden läßt – ist das Bewußtsein, wie man bemerken wird, auf seinem höchsten und die Sinnestäuschung auf ihrem tiefsten Punkt. Nichts ist sichtbar, selbst den Augen des Geistes, wie im Parallelfalle, beim »substantiellen Wort«, nichts gesprochen wird. Es ist reine Wahrnehmung, im einen Falle der Persönlichkeit, im andern der Erkenntnis. »Ein unmittelbares Schauen der bloßen Gottheit,« sagt Seuse hierüber, »das ist rechte, lautere Wahrheit ohne allen Zweifel, und je übersinnlicher und bildloser eine Vision ist, je mehr sie jenem bloßen Schauen gleicht, desto edler ist sie Leben Kap. LI (Bihlm. 183, 4-8).«.
Wir verdanken der hl. Teresa den schönsten Originalbericht, den wir über diesen merkwürdigen Bewußtseinszustand haben. Er kam plötzlich über sie nach einer Periode seelischer Not und erschien ihr als eine Antwort auf ihr widerwillig getanes Gebet, sie möchte auf andere Weise geleitet werden als durch »innere Worte«, die nach der Ansicht ihres Beichtvaters »so verdächtig« seien. »Ich konnte mich nicht zwingen,« sagt sie, »die Veränderung zu wünschen, auch konnte ich nicht glauben, daß ich unter dem Einfluß des Satans stände. Obgleich ich mein Bestes tat, das Eine zu glauben und das Andere zu wünschen, stand es doch nicht in meiner Macht.« Sie befreite sich aus diesem innern Zwiespalt, indem sie sich ganz in den Willen Gottes ergab, und es scheint die Folge dieser Entspannung, dieser willigen Empfänglichkeit gewesen zu sein, daß die neue Form des Automatismus sich plötzlich bei ihr entwickelte, wodurch die früheren Stimmen bestätigt und gerechtfertigt wurden und das verwirrte Selbst der Oberfläche Friede und Sicherheit fand.
»Zwei Jahre verbrachten ich und andere im Gebet, daß der Herr mich entweder einen andern Weg führen oder mir die Wahrheit dieses Weges deutlich machen möge – denn die Ansprachen, die der Herr an mich richtete, waren sehr häufig –, da widerfuhr mir folgendes:
An einem Festtage des glorreichen Apostels Petrus befand ich mich im Gebet, da sah ich Christus dicht neben mir stehen, oder besser gesagt, ich fühlte Ihn, denn mit den Augen des Körpers oder der Seele erblickte ich nichts, aber es schien mir, daß Er dicht neben mir stand, und ich bemerkte auch, wie es mich dünkte, daß Er es war, der zu mir sprach. Da ich von der Möglichkeit einer solchen Vision durchaus nichts wußte, so hatte ich zuerst große Furcht und tat nichts als weinen; sobald Er jedoch nur ein Wort der Beruhigung zu mir sagte, kam ich wieder zu mir und war ruhig und getröstet und ohne alle Furcht. Jesus Christus schien mir beständig zur Seite zu gehen; da es aber keine imaginative Vision war, so sah ich keine Gestalt, aber ich hatte ein ganz deutliches Gefühl, daß Er immer an meiner rechten Seite war, und daß er Zeuge war von allem, was ich tat. Und sobald ich mich nur ein klein wenig gesammelt hatte oder nicht gar zu zerstreut war, fühlte ich immer Seine nahe Gegenwart. Ich ging alsbald in großer Bedrängnis zu meinem Beichtvater, um es ihm zu sagen. Er fragte mich, in welcher Gestalt ich den Herrn sähe. Ich antwortete ihm, daß ich Ihn gar nicht sähe. Darauf fragte er, wie ich denn wisse, daß es Christus sei. Ich erwiderte ihm, ich wisse nicht wie, aber ich könne nicht umhin, wahrzunehmen, daß Er neben mir sei … Es gibt keine Ausdrücke, um es zu erklären – für uns Frauen namentlich, die wir wenig unterrichtet sind; Gelehrte werden es besser erklären können.
Denn wenn ich sage, daß ich Ihn weder mit den Augen des Leibes noch mit denen der Seele sehe, weil hier keine imaginative Vision vorliegt, wie verstehe ich nur und überzeuge mich mit größerer Deutlichkeit, als ob ich Ihn sähe, daß Er neben mir steht? Denn wenn man etwa glaubt, es sei, als ob jemand im Finstern oder blind ist und einen andern, der neben ihm ist, nicht sieht, so stimmt dieser Vergleich nicht. Es mag wohl einige Ähnlichkeit damit haben, aber nicht viel, denn der Blinde nimmt den andern durch die Sinne wahr: er hört ihn sprechen und sich bewegen oder berührt ihn. Hier ist nichts von alledem, man sieht auch keine Dunkelheit, sondern Er tut Seine Gegenwart der Seele auf eine Weise kund, die klarer ist als die Sonne. Ich sage nicht, daß man Sonne und Klarheit sieht, sondern ein Licht, welches, ohne daß man es erblickt, den Verstand erleuchtet, so daß die Seele ein so großes Gut genießt. Das hat große Segnungen zur Folge Vida Kap. XXVII, § 2-5..«
Bei der
imaginativen Vision ist, ebenso wie bei den »innern Worten«, keine Sinnestäuschung vorhanden. Das Selbst sieht zwar scharf und deutlich, aber es ist sich vollkommen bewußt, daß
es dies seinem kostbarsten Organ, »dem innern Auge, das das höchste Glück der Einsamkeit ist« (
that inward eye which is the bliss of solitude
»Oft, wenn ich auf dem Lager liege
Und mich in müß'gen Träumen wiege,
Schaut plötzlich sie der inn're Blick,
Einsamer Stunden höchstes Glück;
Dann wird von Wonne hingerissen
Mein Herz und tanzt mit den Narzissen.«
Wordsworth, Die Narzissen (The Daffodils).), verdankt. Die imaginative Vision ist die spontane und automatische Tätigkeit einer Kraft, die alle Künstler, alle phantasievollen Menschen, besitzen. Soweit es sich um den dabei in Tätigkeit gesetzten geistigen Apparat handelt, besteht kein fundamentaler, sondern nur ein gradweiser Unterschied zwischen Wordsworths imaginativer Vision der »tanzenden Narzissen« und Seuses tanzenden Engeln, deren Tanzen war »wie ein himmlisches Herauswallen und Wiederhineinwallen in den unbegreiflichen Abgrund der göttlichen Verborgenheit
Seuse, Leben Kap. V (21, 27 f. Bihlm.)..« Beide sind ausgezeichnete Beispiele »passiver imaginativer Vision«, obwohl im ersten Falle der Schauende sich bewußt ist, daß das geschaute Bild der Erinnerung entspringt, während es im zweiten spontan und traumartig aus dem Unterbewußtsein aufsteigt und Elemente enthält, die auf Liebe, Glauben und unmittelbare Erkenntnis der Wahrheit zurückzuführen sind.
Solche passiven imaginativen Visionen – worunter ich geistige Bilder verstehe, die das Selbst schaut, aber an deren Hervorbringung es nicht mitwirkt, – nehmen beim Mystiker in der Hauptsache zweierlei Form an: a) rein symbolische, b) persönliche.
a) Bei der symbolischen Form gibt es keine geistige Täuschung: das Selbst ist sich dessen bewußt, daß die Wahrheit ihm »unter einem Bilde« gezeigt wird. So erfahren wir von Rulman Merswins »Vision von den neun Felsen«, daß er sie sah als ein scharf umrissenes Bild, dessen allegorische Bedeutung gleichzeitig seinem Geiste aufging. Seuses Leben ist überreich an solchen symbolischen Visionen; es scheint, daß er immer am Rande einer solchen Phantasiewelt lebte, und daß ihm die Wahrheit in dieser Form am leichtesten einging. So »geschah es eines Morgens früh, daß er auch von dem himmlischen Gesinde in einem Gesichte umgeben war. Da begehrte er von einem der klaren Himmelsfürsten, daß er ihm zeige, in welcher Weise Gottes verborgene Wohnung in seiner Seele gestaltet sei. Da sprach der Engel zu ihm: ›Nun tu einen fröhlichen Einblick in dich und sieh, wie der liebreiche Gott mit deiner liebenden Seele Sein Liebesspiel treibt.‹ Geschwind sah er hin und sah, daß der Leib über seinem Herzen so lauter ward wie ein Kristall, und sah mitten im Herzen die ewige Wahrheit ruhig sitzen in liebreicher Gestalt, und bei Ihm saß des Dieners Seele in himmlischem Sehnen; sie war liebreich auf Seine Seite geneigt und von Seinen Armen umfangen und an Sein göttlich Herz gedrückt, und lag also verzückt und trunken von Liebe in des geliebten Gottes Armen Seuse, Leben Kap. V (Bihlm. 20, 10-23)..«
Wir sehen, wie sich in dieser Vision die Leidenschaft des Mystikers für das Absolute, seine Wahrnehmung der göttlichen Gegenwart in seiner Seele, mit den konstituierenden Faktoren der dichterischen Phantasie vereinigt und in einer allegorischen Form ausdrückt. Sie ist in Wahrheit ein geschautes Gedicht, das durch unmittelbare Berührung mit der Wahrheit inspiriert wurde. Von derselben Art sind viele von den großen Bildern der Ewigkeit, in denen Mystiker und Seher des aus und über sich hinausstrebenden Typus ihre tiefen Erkenntnisse der Wahrheit darstellen. In solchen Fällen ist, wie Beatrice Dante sagte, als er die große Vision des Lichtstromes hatte, der geschaute Gegenstand das schattenhafte Abbild der übersinnlichen Wirklichkeit, die anzuschauen das Selbst noch nicht die Kraft hat.
Und sah ein Licht, das wie die Stromflut war,
Schimmernd von Blitzen, und die Ufer schienen
Geschmückt mit Frühlingsfülle wunderbar;
Und aus dem Flusse stiegen auf zu ihnen
Lebend'ge Funken, die im Blumenflor
Einsanken wie in Gold gefaßt Rubinen;
Dann stiegen sie wie duftberauscht empor
Und tauchten wieder in die Wunderwellen,
Und wie sie schwanden, traten andre vor.
*
So sprach die Sonne meines Angesichts:
»Der Fluß, aus welchem die Topase fahren,
Das heit're Lachen dieser Blumenau
Sind schattenhaft Präludien des Wahren;
Nicht weil die Wahrheit herbe wär' und rauh,
Nein, es geschieht so deiner Schwäche wegen,
Die nicht hinanragt an so hohe Schau
Paradies XXX, 61-81. Diese Vision geht wahrscheinlich zum Teil zurück auf Mechthild von Magdeburgs Vorstellung von der Gottheit als einem fließenden Lichte..«
In den letzten beiden Zeilen dieser wundervollen Strophen kommt die ganze Philosophie der Vision zum Ausdruck. Es ist eine Anpassung des Übersinnlichen an unsere menschlichen Unzulänglichkeiten in einer symbolischen Nachbildung der Wirklichkeit. Diese symbolische Nachbildung wird als tief bedeutungsvoller, lebendiger und dramatischer Traum geschaut, und da dieser Traum eine unmittelbare Darstellung der Wahrheit ist und den Schauenden mit der Atmosphäre der Ewigkeit vertraut macht, so gebührt ihm der Vorrang vor der prosaischen, immerwährenden Vision, die wir die »wirkliche Welt« nennen. In ihm sind – wie in den sinnlichen Träumen unserer gewöhnlichen Erfahrung – Sehen und Hören oft vereinigt. Viele von den Visionen der hl. Mechthild von Hackborn gehören zu diesem zusammengesetzten Typus. »Dann war es, als sähe sie im Herzen Gottes eine sehr schöne Jungfrau, die einen Ring in der Hand hielt, in dem ein Diamant war, mit dem sie ohne Unterlaß das Herz Gottes berührte. Und die Seele fragte die Jungfrau, warum sie so das Herz Gottes berührte. Sie antwortete: ›Ich bin die göttliche Liebe, und dieser Stein bezeichnet die Schuld Adams. Sogleich, als Adam sündigte, trat ich dazwischen und nahm die ganze Schuld auf mich; und indem ich so das Herz Gottes unablässig berührte und zum Mitleid und Erbarmen bewegte, ließ ich Ihn nicht ruhen, bis ich in einem Augenblick den Sohn Gottes vom Herzen des Vaters in den Schoß der Jungfrau Maria legte.‹ – Ein anderes Mal sah sie, wie die Liebe in Gestalt einer sehr schönen Jungfrau das Konsistorium umwandelte und dabei sang: ›Den Umkreis des Himmels habe ich allein umwandelt.‹ [Jesus Sirach 24, 8.] In diesen Worten bekannte sie, wie allein die Liebe sich die Allmacht der göttlichen Majestät unterworfen und Seine unerforschliche Weisheit gleichsam betört und Seine allersüßeste Güte ganz ausgegossen, und, indem sie die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit gänzlich besiegt und in Milde verkehrt hat, den Herrn der Majestät zu unserm Elend geneigt hat Mechthild von Hackborn, Liber Specialis Gratiae II, Kap. 17 u. 35..«
Die imaginative Vision dieser Art ist wahrscheinlich weit häufiger, als man im allgemeinen annimmt, und ihr Vorhandensein ist durchaus möglich, ohne daß der geistige Gleichgewichtszustand, den man gewöhnlich als »gesund« bezeichnet, gestört zu sein braucht. Bei vielen zur Meditation neigenden Menschen erscheint sie unwillkürlich als Gipfel einer Gedankenkette, zu der sie sich bisweilen als Illustration, bisweilen als Widerspruch verhält. Ob nun das Bild sich schwach von einem nebelhaften Hintergrunde abhebt, ob es plötzlich scharf umrissen, leuchtend und lebendig auftaucht, immer gibt es einen stärkeren Eindruck der Wirklichkeit, als durch die normalen Geistesfähigkeiten erreicht werden kann.
b) Der symbolische und künstlerische Charakter der Visionen, die wir besprochen haben, ist unverkennbar. Es gibt jedoch noch eine andere Form von imaginativer Vision, die etwas zarter zu behandeln ist. Bei dieser ist das Bildmaterial, dessen die unterbewußten Kräfte sich bedienen oder das jenes unbekannte Andere, das der Mystiker immer über sich fühlt, vor seinen Geist hinstellt, so lebendig, so nah verwandt mit seinen konkreten Glaubensvorstellungen und seinen geistlichen Leidenschaften und drückt seine Auffassungen von Gott so vollkommen aus, daß es nicht immer als seiner Art nach symbolisch erkannt wird. Ein einfaches Beispiel hierfür ist die Vision Christi, die so viele katholische Ekstatiker bei der Messe im Augenblick der Konsekration erleben Z. B. die selige Angela von Foligno, die in ihren Gesichten und Tröstungen eine vollständige Reihe solcher Erlebnisse gibt: von einer fast erhabenen Vorstellung göttlicher Schönheit (Kap. 37) bis zu einer konkreten Vision von zwei Augen, die aus der Hostie leuchteten (Kap. 43). »Ich sah Ihn aufs deutlichste mit den Augen des Geistes in diesem Sakrament,« sagt sie, »arm, voll Schmerzen, blutend, gekreuzigt, und dann tot am Kreuze« (Kap. 38). »Ein anderes Mal sah ich Christum in der geweihten Hostie als Kind. Er erschien als ein großer Knabe von zwölf Jahren, sehr majestätisch, als ob er Zepter und Herrschaft hielte« (Kap. 42).. Ein anderes Beispiel ist die berühmte Vision, in der der hl. Antonius von Padua das Christuskind umarmte. Die hl. Teresa ist eine von den wenigen Mystikern, die den wahren Charakter dieser Art von Automatismen erkannt haben, die – ebenso wie ihre reineren Formen, die intellektuellen Gottesvisionen – vielmehr eine lebendige Vorstellung einer Person, die Gewißheit einer lebendigen Gegenwart mit sich bringen als die Erkenntnis neuer Tatsachen. »Bisweilen schien mir«, sagt sie von ihren eigenen imaginativen Visionen Christi, »das, was ich sah, ein Bild zu sein, aber meistens war es nicht so, sondern Christus selber, nach der Klarheit, in welcher es Ihm gefiel, sich mir zu zeigen. Etliche Male war das Schauen so undeutlich, daß ich meinte, es sei ein Bild, aber nicht wie ein Gemälde, so vollkommen diese auch sein mögen und so viele gute ich deren auch gesehen. Es wäre Torheit, zu meinen, eines habe mit dem andern irgendwelche Ähnlichkeit, denn sie unterschieden sich ebenso wie ein lebendiger Mensch von seinem Porträt, das, so gut dasselbe auch getroffen sein mag, doch nicht lebentäuschend sein kann, denn man sieht sofort, daß es ein totes Ding ist Vida Kap. XXVIII, § 11..«
»Diese Vision«, sagt sie an einer andern Stelle, »geht schnell wie ein Blitz vorüber … Wenn ich hier auch Bild sage, so bedeutet das hier nicht ein gemaltes Bild, sondern ein wahrhaft lebendiges, das bisweilen zu der Seele spricht und ihr große Geheimnisse offenbart El Castillo Interior, Moradas Sextas Kap. IX..«
Es scheint also, daß diese flüchtige und blendende Vision der göttlichen Persönlichkeit einen wirklichen Kontakt der Seele mit dem absoluten Leben darstellen kann, – einen Kontakt, der sich sofort in das Bild umsetzt, unter dem der Mensch sich seinen Gott vorzustellen pflegt. Bei den christlichen Kontemplativen wird dies Bild natürlicherweise die historische Gestalt Christi sein, wie Er in der geistlichen Literatur und Kunst dargestellt wird »An einem Festtage des hl. Paulus, als ich der Messe beiwohnte, stellte sich mir die allerheiligste Menschheit Christi dar, wie man den Auferstandenen malt.« (S. Teresa, Vida Kap. XXVIII, § 4.) So verdanken auch offenbar viele Visionen der Angela von Foligno ihre Form ihrer Vertrautheit mit den Fresken der Kirchen von Assisi und im Tal von Spoleto. »Als ich zur Kirche des hl. Franziskus kam und am Eingang der Kirche die Knie beugte,« sagt sie, »sah ich sogleich ein Bild des hl. Franziskus, wie er an der Brust Christi lag. Da sprach Christus zu mir: So fest umschlungen will ich dich halten und viel fester, als leibliche Augen wahrnehmen können.« (Visionum et Instructionum Liber Kap. 20, p. 69.). Die lebenerhöhende Kraft einer solchen plötzlichen Offenbarung jedoch, das tiefe Gefühl von Wirklichkeit, das sie mit sich führt, rechtfertigen es, wenn wir sie nicht zu den lebhaften Träumen zählen, sondern zu den echt mystischen Zuständen, in denen »der immanente Gott, der formlos ist, aber jede Form annehmen kann, sich in der Vision ausdrückt, wie Er sich in Worten ausgedrückt hat Delacroix, Etudes d'Histoire du Mysticisme p. 116.«. Immer fühlt das Selbst, das sie erfährt, Gewißheit und Freude. Sie ist sozusagen ein Liebesbrief für die liebeglühende Seele, der mit der Namensunterschrift des Geliebten den Duft seiner Persönlichkeit mit sich bringt.
Diese konkrete Vision Christi hat die echt mystische Eigenschaft der Unaussprechlichkeit, indem sie dem Selbst in einer Gestalt von unsagbarer Schönheit erscheint, verklärt von jenem überirdischen Lichte, das so ständig als ein wesentlicher Zug alles transzendenten Lebens erwähnt wird. Hier zeigt sich des Künstlers erhöhtes Bewußtsein von der Schönheit als einer Form der Wahrheit, wie es sich auf übersinnlicher Ebene auswirkt. So wurde die hl. Teresa, als sie nur die Hände Gottes sah, durch ihre leuchtende Schönheit in anbetende Ekstase versetzt Vida Kap. XXVIII, § 2.. »Wenn ich mich jahrelang bemüht hätte, mittels meiner Einbildungskraft etwas so Schönes zu ersinnen,« sagt sie von der imaginativen Vision Christi, »so würde ich es nicht vermocht haben, noch hätte ich gewußt, wie ich es anfangen sollte, denn es geht über alles hinaus, was man sich vorstellen kann, schon allein die Weiße und der Glanz. Es ist kein Glanz, welcher blendet, sondern eine milde Weiße, eine einströmende Helle, die das Auge aufs höchste entzückt und es nicht ermüdet, ebensowenig wie die Klarheit, da sie uns eine so göttliche Schönheit enthüllt. Es ist ein so ganz anderes Licht als jenes irdische Licht, daß selbst die Helle der Sonne, die wir sehen, uns im Vergleich mit jener Klarheit und jenem Licht so verdunkelt erscheint, daß man die Augen gar nicht wieder auftun möchte. Kurz, es ist derart, daß, wenn jemand auch einen noch so großen Verstand hat, er doch sein Leben lang nicht dahin gelangen könnte, es sich vorzustellen. Gott aber stellt es so schnell vor uns hin, daß man nicht einmal Zeit haben würde, die Augen zu öffnen, wenn das überhaupt nötig wäre. Es macht aber nichts, ob sie geöffnet oder geschlossen sind; wenn der Herr will, daß wir sehen, so sehen wir, auch wenn wir nicht wollen S. Teresa, Vida Kap. XXVIII, § 7-8. Angela von Foligno sagt von einer ähnlichen Vision Christi: »Seine Schönheit und Zierde lassen sich nicht beschreiben, und so groß war meine Freude bei Seinem Anblick, daß ich fest glaube, dies Gesicht wird mir nie entschwinden, und es hatte eine solche Gewißheit in sich, daß mir kein Zweifel an seiner Wahrheit kommt« (a. a. O. Kap. 42)..«
Es gibt noch eine andere höchst wichtige Klasse visueller Automatismen, für die ich die Bezeichnung aktive imaginative Visionen gewählt habe. Während die passive Vision der Ausdruck von einem Denken, Wahrnehmen oder Wünschen des tieferen Selbst ist, ist die aktive Vision der Ausdruck einer Veränderung, die in jenem Selbst vorgeht, und begleitet gewöhnlich irgendeine seelische Krise. Diese Vision hat immer einen dramatischen Charakter: der Mensch, der sie erlebt, hat das Gefühl, daß er selbst handelt, nicht nur zuschaut. Solche Visionen können in mancher Hinsicht den Charakter des Traumes haben, sie können rein symbolisch sein, sie können theologisch »realistisch« sein. Sie können eine Reise durch Hölle, Fegefeuer und Himmel, einen Ausflug ins Märchenland, ein Ringen mit dem Engel auf dem Wege enthalten. Wie auch ihre äußere Form sein mag, immer sind sie mit inneren Folgen verbunden. Sie sind der automatische Ausdruck tiefer unterbewußter Tätigkeit, nicht nur das Mittel, wodurch das Selbst in seinem Bewußtsein des Absoluten gestärkt und bereichert wird, sondern das äußere und sichtbare Zeichen seines Fortschreitens zu neuen Bewußtseinsebenen. Daher ist es nicht überraschend, daß eine dynamische Vision dieser Art oft den Anfang des Lebens der Einigung bildet. Solche imaginativen Visionen hatten der hl. Franz von Assisi und die hl. Katharina von Siena im Augenblick ihrer Stigmatisierung, eine solche war die Durchbohrung der hl. Teresa, der himmlische Bote, der Seuse seinen Übergang von der »niederen« zur »höheren« Schule des Heiligen Geistes ankündete Leben Kap. 21.. Aber vielleicht das am meisten pittoreske und überzeugendste Beispiel unter allen solchen Seelendramen ist das, das in der Kunst als die »mystische Hochzeit der hl. Katharina von Siena« bekannt ist.
Wir haben schon gesehen, daß Katharina, die seit ihrer Kindheit von imaginativen Visionen und innern Worten heimgesucht wurde, immer wieder eine Stimme vernahm, die ihr das Versprechen dieses heiligen Verlöbnisses wiederholte, und daß diese Stimme am letzten Tage der Fastnacht des Jahres 1366 zu ihr sagte: »Ich will heute das Fest des Verlöbnisses deiner Seele feierlich mit dir begehen, und wie ich dir versprach, so will ich dich mir im Glauben vermählen.« »Und alsbald,« berichtet die Legende, »während der Herr noch zu ihr sprach, erschien Seine Mutter, die glorreiche Jungfrau, der hl. Johannes, der Evangelist, der glorreiche Apostel Paulus und ihr Ordensvater, der hl. Dominikus, und mit ihnen erschienen der Prophet David, der den Psalter in der Hand hielt, und während er mit überaus lieblicher Melodie spielte, nahm die jungfräuliche Mutter Gottes Katharinens rechte Hand in ihre heilige Hand, und indem sie Katharinens Finger dem Sohn reichte, bat sie Ihn, sie sich im Glauben zu vermählen. Worauf der Eingeborene Sohn Gottes in huldvoller Einwilligung einen goldenen Ring hervorzog, der mit vier Perlen geschmückt war, die einen Diamant von wunderbarer Schönheit umschlossen, und indem er diesen Ring an den Ringfinger von Katharinens rechter Hand steckte, sagte er: ›Siehe, ich vermähle dich mir, deinem Schöpfer und Erlöser, in dem Glauben, den du immer fleckenlos bewahren wirst, bis du das Fest deiner ewigen Hochzeit im Himmel mit mir feierst. Und nun, meine Tochter, verrichte hinfort tapfer und ohne Zaudern die Dinge, die meine Vorsehung dir auferlegen wird, denn da du jetzt mit der Stärke des Glaubens gewappnet bist, wirst du alle deine Gegner glücklich überwinden.‹ Darauf verschwand die Vision, aber jener Ring blieb immer an ihrem Finger, nicht dem Blick anderer sichtbar, sondern nur dem Blick der Jungfrau selbst; denn oft gestand sie mir, wenn auch verschämt, daß sie den Ring immer an ihrem Finger sähe und es keinen Augenblick gebe, wo sie ihn nicht sähe E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 25. Vita P. I, 114 f. (Acta SS., Aprilis III, 881 b). In dem Ring, den sie immer an ihrem Finger sah, haben wir, scheint es, ein Beispiel einer echten körperlichen Vision, zu der sich eine merkwürdig genaue Parallele im Leben der hl. Teresa findet. »Einmal, als ich das Kreuz meines Rosenkranzes in der Hand hielt, nahm Er dasselbe in die seine, und als Er es mir wieder zurückgab, war es aus vier großen Edelsteinen zusammengefügt, die unvergleichlich kostbarer waren als Diamanten. – – Er sagte mir, ich würde das Kreuz fortan immer also sehen, und so geschah es auch; ich sah nicht mehr das Holz, woraus es gemacht war, sondern nur die kostbaren Steine; allein außer mir erblickte dieselben niemand.« (Vida Kap. XXIX, § 8.) »Diese Art mystischer Erfahrung,« sagt Augustiner Baker, »besonders Gaben von Rosen, Ringen und Juwelen, ist recht verdächtig, außer bei Seelen von lange bewährter Heiligkeit.« (Holy Wisdom III. Traktat, § 4, Kap. 3.).«
Es ist nicht schwer, die Materialien zu sondern, aus denen diese Vision sich zusammensetzt. Was ihre äußeren Umstände betrifft, so sind sie insgesamt der Legende der hl. Katharina von Alexandria entnommen, mit der ihre Namensgenossin, die »Färbertochter von Italien«, von frühester Kindheit an vertraut gewesen sein muß Vgl. Legenda Aurea, Nov. XXV.. Caterina Benincasa zeigte eine charakteristische künstlerische Empfänglichkeit und Lebendigkeit der Auffassung, wodurch der Stoff dieser alten Geschichte für sie zum Träger eines tiefen persönlichen Erlebens wurde; wie die zeitgenössischen Maler der Schule von Siena ihren Gegenstand, ihre Methode und ihre Komposition zwar der traditionellen byzantinischen Malweise entlehnten, aber sie doch zum Ausdruck ihrer eigenen starken überlegenen Persönlichkeit umschufen. Für uns ist jedoch das, worauf es ankommt, nicht, in welcher Weise nun die zweite Katharina eine traditionelle Geschichte auf sich anwandte und in ihrem Erleben verwirklichte, sondern die Tatsache, daß dies für sie die sakramentale Form wurde, unter der sie sich ihrer Verbundenheit mit Gott tief und dauernd bewußt wurde. Lange vorbereitet durch die zunehmende Bereitschaft ihres tieferen Selbst, infolge deren sie das wiederholte Versprechen ihres Geliebten vernahm, war die Vision, als sie nun eintrat, nicht durch ihre äußeren Umstände, sondern durch ihre dauernde Wirkung auf ihr Leben bedeutungsvoll. Durch sie wurde sie zu einer neuen Bewußtseinsebene emporgehoben und gelangte in den Zustand geistlicher Ehe und liebevoller Ergebung in den Willen Christi, den Richard von St. Victor die »dritte Stufe inbrünstiger Liebe« nennt.
Von derselben aktiven Art ist die berühmte große Vision oder vielmehr das wirkliche Erlebnis der Durchbohrung bei der hl. Teresa, worin Phantasie und Gefühl sich vereinigen in dem Bestreben, die Pein unersättlicher Liebe auszudrücken. »Ich erblickte«, sagt sie, »zur Linken neben mir einen Engel in leiblicher Gestalt; dergleichen pflege ich nur sehr selten zu sehen. Wenn mir auch häufig Engel erscheinen, so geschieht es, ohne daß ich dieselben sehe, ausgenommen bei der vorigen Vision, von der ich gesprochen habe. In dieser Vision sollte ich ihn nach des Herrn Willen also sehen: Er war nicht groß, sondern klein, sehr schön, sein Angesicht so feurig, daß er zu den höchsten Engeln zu gehören schien, die ganz Flamme zu sein scheinen; es sind wohl die, die wir Seraphim nennen … In seiner Hand erblickte ich einen langen goldenen Speer, und auf der Spitze desselben schien er eine kleine Flamme zu halten. Es war mir, als ob er mir den Speer mehrmals durch das Herz stieße, der bis in die Eingeweide hineindrang und sie beim Herausziehen mit sich nahm, und er ließ mich ganz entbrannt von großer Liebe zu Gott. Der Schmerz war so groß, daß ich stöhnen mußte, und so überschwenglich war die Süße, die dieser heftige Schmerz mit sich brachte, daß ich nicht wünschen konnte, davon befreit zu werden, und die Seele sich nun mit nichts Geringerem als Gott begnügte. Der Schmerz ist nicht körperlich, sondern geistig, wenn auch der Körper gleichwohl daran teilnimmt, sogar in hohem Maße. Das Liebeskosen, das nun zwischen der Seele und Gott stattfindet, ist so süß, daß ich zu Seiner Güte flehe, Er möge es den kosten lassen, der da meint, daß ich lüge Vida, Kap. XXIX, § 16-17..«
Endlich muß noch gesagt werden, daß die dynamische Vision eine rein intellektuelle Form annehmen kann, wie bei der Seligen Angela von Foligno. »Danach ward ich im Geist erhoben, und ich fand mich ganz innen in Gott, wie ich es nie zuvor an mir erfahren hatte. Und es war mir, als befände ich mich inmitten der Dreieinigkeit, in höherem und größerem Maße, als ich es sonst gewohnt war, und ich empfinge größere Gaben als gewöhnlich, und unablässig würden mir Gaben gegeben, die mich mit Freude und Wonne und unaussprechlichem Entzücken erfüllten. Dies ging weit über alles, was ich jemals erfahren hatte. Und es fanden in meiner Seele so unaussprechliche göttliche Wirkungen statt, daß kein Heiliger noch Engel sie zu schildern noch zu erklären vermöchte. Und ich erkenne, daß diese göttlichen Wirkungen und diesen tiefen Abgrund kein Engel noch irgendein anderes Geschöpf zu begreifen vermag. Und es scheint mir, daß alles, was ich darüber sage, Lästerung und Blasphemie ist Visionum et Instructionum Liber Kap. 27..«
Automatische Schrift.
Die seltenste automatische Tätigkeit, von der wir in Verbindung mit der Mystik hören, ist die »automatische Schrift«. Wir haben von dieser Form unterbewußter Tätigkeit schon in einem früheren Kapitel S. 88 f. gesprochen, wo wir die beiden ausgeprägtesten Beispiele, Blake und Madame Guyon, erörterten. Wie bei Stimmen und Visionen, so gibt es auch bei dieser Art automatischer Tätigkeit Grade der Intensität, von der »Inspiration«, dem unwiderstehlichen Impuls zu schreiben, den alle Künstler kennen, bis zu der extremen Form, bei der die Hand des bewußten Selbst das Werkzeug einer andern Persönlichkeit geworden zu sein scheint. Sie spielt wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grade bei allem literarischen Schaffen der großen Mystiker mit, deren schöpferische Kraft, wie die der meisten Dichter, von der Kontrolle des Willens und der Oberflächenintelligenz in weitem Maße unabhängig ist.
Es wird berichtet, daß die hl. Katharina von Siena ihren großen Dialog ihren Schreibern diktierte, während sie sich im Zustande der Ekstase befand, womit vermutlich ein Bewußtseinszustand gemeint ist, ähnlich dem »trance« der Medien, wo das tiefere Bewußtsein die Zunge regiert. Wäre sie selbst mehr an den Gebrauch der Feder gewöhnt gewesen – sie lernte erst nach Beginn ihres apostolischen Lebens schreiben –, so hätte dies tiefere Bewußtsein sich wohl zweifellos durch automatische Schrift ausgedrückt. Doch auch so trägt der Dialog im Rhythmus und im Pathos seiner Sprache alle Anzeichen echt automatischen Schaffens in seiner höchsten Form. Die Bündigkeit seines Stils, der freie Gebrauch von Metaphern, die eigenartige Mischung von Intimität und Distanz in seinem Ton, verbinden ihn mit der prophetischen Literatur und sind durchaus charakteristisch für eine reiche unterbewußte Energie, die außerhalb der Kritik und Kontrolle des Normalbewußtseins steht In diesem Punkt kann ich mich der Auffassung E. Gardners nicht anschließen (vgl. seine St. Catherine of Siena p. 354)..
So kamen auch die Schriften Rulman Merswins, wenn wir die scharfsinnige und interessante Theorie M. Jundts Oben S. 245, Anm. über seinen psychischen Zustand annehmen, fast alle auf diese Weise zustande. Und auch Blake erklärte auf seinem Sterbebett, daß das Verdienst an allen seinen Werken nicht ihm gebühre, sondern »seinen himmlischen Freunden Berger, William Blake p. 54.«, d. h. der Eingebung einer Persönlichkeit, die zu Ebenen der Wahrheit und Schönheit Zutritt hatte, welche seinem Oberflächenbewußtsein unbekannt waren.
Die hl. Teresa war ungefähr derselben Meinung in bezug auf ihre großen mystischen Werke: sie verglich sie mit dem Plappern eines Papageis, der das, was sein Herr ihn gelehrt hatte, nachspricht, ohne es zu verstehen. Wir können kaum zweifeln, daß ihre Schriftstellerei – wie wir es von einer erwarten können, die so von Visionen und Stimmen heimgesucht war – zum großen Teil unwillkürlich, inspiriert und »automatisch« war. Sie schrieb meistens, nachdem sie die heilige Kommunion empfangen hatte, – also dann, wenn ihr mystisches Bewußtsein am lebendigsten und tätigsten war – und immer schnell, ohne zu zögern oder zu verbessern. Ideen und Bilder quollen aus ihrem reichen und lebendigen Unterbewußtsein zu schnell für ihre eifrige, eilende Feder herauf, so daß sie bisweilen ausrief: »Oh, daß ich viele Hände hätte, um zu schreiben, so daß nichts vergessen würde! G. Cunninghame Graham, Santa Teresa I, p. 202.« Im Zustande der Einigung genügte eine leise Anregung, um ihren Bewußtseinszustand zu verändern und sie ganz unter die Herrschaft ihres tieferen Selbst zu stellen. Oft, sagte sie, wenn sie am »Castillo Interior« arbeitete, wirkte ihr Werk auf sie zurück. Sie wurde plötzlich zu der Stufe der Kontemplation, die sie gerade zu beschreiben versuchte, emporgehoben und fuhr in diesem Zustande der Versenkung oder Verzücktheit fort zu schreiben, wobei sie deutlich merkte, daß ihre Feder von einer andern als ihrer eigenen Kraft geführt wurde und Ideen ausdrückte, die ihr Oberflächenbewußtsein nicht kannte und die sie mit Staunen erfüllten.
Bei der Zeugenaussage während des Prozesses ihrer Heiligsprechung erklärte eine ihrer früheren Nonnen, Maria de San Francisco von Medina, daß sie, als sie einmal die Zelle der Heiligen betrat, während diese am »Castillo Interior« schrieb, sie so in Kontemplation versunken fand, daß sie nichts von der Außenwelt merkte. »Wenn wir ganz in ihrer Nähe ein Geräusch machten,« erzählte eine andere, Maria del Nacimiento, »hörte sie weder auf zu schreiben, noch beklagte sie sich über Störung.« Diese beiden Nonnen und ebenso Ana de la Encarnacion, die Priorin von Granada, versicherten, daß sie mit ungeheurer Schnelligkeit schrieb und nie haltmachte, um etwas auszustreichen oder zu verbessern, eifrig bemüht, wie sie sagte, »das aufzuschreiben, was der Herr ihr eingegeben hatte, bevor sie es vergäße«. Diese und viele andere erklärten, daß sie, wenn sie so schrieb, wie ein anderes Wesen erschien, und daß auf ihrem Antlitz ein Ausdruck von wunderbarer Schönheit lag und ein überirdischer Glanz, der nachher wieder verschwand Ebenda p. 203-204..
Was nun Madame Guyon anbetrifft, deren Naturanlage fast ebensoviel vom Medium als vom Mystiker hatte und deren Hang zum Quietismus und zu geistiger Passivität sie fast ganz ihren unterbewußten Impulsen auslieferte, so zeigen sich bei ihr abwechselnd die Phänomene der Hellseherei, Prophetie, Telepathie und automatischen Schrift in verwirrendem Übermaß.
»Ich war selbst überrascht«, sagte sie, »über das, was du mich zu schreiben veranlaßtest und woran ich keinen Anteil hatte, außer daß meine Hand sich bewegte; und damals geschah es, daß mir die Gabe zuteil ward, dem innern Geist gemäß zu schreiben und nicht meinem eigenen Geist gemäß, was ich bis dahin nie gekannt hatte. Auch war meine Art zu schreiben eine ganz andere geworden, und jeder war erstaunt, weil ich mit einer solchen Leichtigkeit schrieb.«
Weiter: »Sobald ich anfing, in der Heiligen Schrift zu lesen, trieb es mich, die Stelle, die ich gelesen hatte, hinzuschreiben; und sogleich wurde mir auch ihre Deutung gegeben. Während ich die Stelle schrieb, dachte ich nicht im geringsten an die Deutung. Doch sobald ich sie geschrieben hatte, konnte ich sie deuten, wobei ich mit unbegreiflicher Geschwindigkeit schrieb. Vor dem Schreiben wußte ich nicht, was ich schreiben würde; während ich schrieb, sah ich, daß ich Dinge schrieb, die ich nie gewußt hatte, und mir wurde offenbar, daß ich Schätze von Wissen und Verstehen in mir hatte, von deren Besitz ich nichts geahnt hatte … Du bewirktest, daß ich mit einer so völligen Willenlosigkeit schrieb, daß ich aufhören und wieder anfangen mußte, wie es dir beliebte. Du prüftest mich auf jede Weise: plötzlich mußte ich schreiben, dann plötzlich aufhören und dann wieder anfangen. Wenn ich bei Tage schrieb, wurde ich oft plötzlich unterbrochen und schrieb oft die Worte nur halb zu Ende, und nachher gabst du mir, was dir gefiel. Nichts von dem, was ich schrieb, war in meinem Geiste, ja, mein Geist war so gänzlich unbeteiligt, daß er ganz wie leer war; ich war so losgelöst von dem, was ich schrieb, daß es mir fremd vorkam … Alle Fehler in meinen Schriften rühren davon her, daß ich, da ich an die Einwirkungen Gottes noch nicht gewöhnt war, ihnen oft unfolgsam war und dachte, ich täte gut, mit dem Schreiben fortzufahren, wenn ich Zeit hätte, ohne daß ich mich dazu getrieben fühlte, weil ich glaubte, die Arbeit beenden zu müssen. So ist es leicht, die Teile, die schön und inspiriert sind, von denen zu unterscheiden, die ohne Geschmack und Gnade sind. Ich habe sie so gelassen, wie sie sind, damit man den Unterschied zwischen dem Geist Gottes und dem menschlichen oder natürlichen Geist sehen kann … Ich schrieb ununterbrochen weiter und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit, denn die Hand konnte kaum Schritt halten mit dem diktierenden Geiste, und während dieser langen Arbeit änderte ich mein Verfahren niemals, noch benutzte ich je irgendein Buch. Der Schreiber konnte, wie sehr er sich auch befleißigte, in fünf Tagen nicht abschreiben, was ich in einer einzigen Nacht geschrieben hatte … Im Anfang machte ich viele Fehler, da ich noch nicht eingeübt war auf das Wirken des göttlichen Geistes, der mich zum Schreiben trieb. Denn er ließ mich mit Schreiben aufhören, wenn ich Zeit zum Schreiben hatte und es ohne Störung hätte tun können, und wenn ich ein großes Bedürfnis nach Schlaf hatte, dann gerade zwang er mich zum Schreiben … Ich füge dem, was ich über meine Schriften gesagt habe, noch hinzu, daß ein beträchtlicher Teil des Buches der Richter verloren ging. Da ich aufgefordert wurde, es zu vollenden, schrieb ich das Verlorene noch einmal. Lange nachher, als ich umzog, fand es sich an einem Platz, wo niemand es hätte vermuten können, und die alte und neue Fassung stimmten vollständig überein – ein Umstand, der die Gelehrten, die ihre Prüfung unternahmen, sehr in Erstaunen setzte Vie II, Kap. 21. Wer diesen lebendigen subjektiven Bericht über automatische Schrift mit gutbezeugten Fällen der neueren Zeit vergleichen will, den verweise ich auf Myers, Human Personality, und Oliver Lodge, The Survival of Man..«
Ein weit größerer und stärkerer Mystiker als Madame Guyon, Jakob Boehme, war gleichfalls bei seiner schriftstellerischen Arbeit ein mehr oder weniger hilfloses Werkzeug einer andern Macht, die verschieden war von seinem normalen Selbst. Es ist nach dem, was er selbst darüber sagt, unzweifelhaft, daß sein erstes Buch, die »Aurora«, das er nach seiner großen Erleuchtung im Jahre 1610 schrieb, keine überlegte schriftstellerische Arbeit war, sondern ein Fall von inspirierter oder automatischer Schriftstellerei. Dies seltsame Werk, voll von Aussprüchen von einem tiefen, doch blendenden Dunkel, wurde vom Ortsgericht verdammt, und es wurde Boehme verboten, weiterzuschreiben. Sieben Jahre lang gehorchte er. Dann »ergriff ihn eine neue Bewegung von oben«, und unter dem Druck dieses unterbewußten Impulses – den er charakteristischerweise als von außen, nicht von innen, kommend empfand – begann er aufs neue zu schreiben. Auch dieser zweite schriftstellerische Ausbruch war fast ganz automatisch seinem Typus nach. Er stand durchaus unter der Herrschaft seines höheren Bewußtseins, und sein Oberflächenverstand konnte nur wenig Kontrolle üben. »Die Kunst hat hier nicht geschrieben,« sagt er von sich selbst, »es mögen auch wohl in vielen Worten Buchstaben fehlen, auch öfter ein gemeiner Buchstabe für einen Versal gesetzet sein; er hat auch keine Zeit gehabt, zu bedenken nach dem rechten Verstande des Buchstabens, sondern alles nach dem Geiste gerichtet, welcher öfters ist in Eil gegangen, daß dem Schreiber die Hände wegen der Ungewohnheit gezittert. Und ob ich wohl könnte etwas zierlicher und verständiger schreiben, so ist dies die Ursach, daß das brennende Feuer öfters zu geschwinde treibet: dem muß die Hand und Feder nacheilen; denn es gehet als ein Platzregen, was es trifft, das trifft es Theosophische Sendbriefe X, 44 f. (Werke VII, S. 397)..«
Keine Schilderung könnte uns einen lebendigeren Eindruck geben von der Spontaneität und Gewaltsamkeit solcher automatischen Zustände, von dem Heraufquellen neuer Erkenntnis, von der Hast der Satzbildung, die so groß ist, daß die Hand des Schreibenden kaum Schritt halten kann mit dem »brennenden Feuer«, dem sturzhaften Gebären seines inneren Geistes. Wie bei der Vision, so beeinflußt auch hier der Inhalt dieses inneren Geistes, der aufgehäufte Schatz von Erinnerungen, die Form der Botschaft; daher bei Boehme das Vorherrschen jener dunkeln Bildersprache der Kabbala und Alchimie, die auch dem eifrigsten Leser ein Hindernis ist und die von seiner früheren Bekanntschaft mit den Werken eines Paracelsus, Weigel und Sebastian Franck Vgl. E. Boutroux, Le Philosophe Allemand Jacob Boehme. herrührt. Eine solche Sprache spricht jedoch ebensowenig gegen die »Gewalt hinter der Feder«, wie die Form, unter der die hl. Katharina von Siena die mystische Hochzeit auffaßte, ihrer Erreichung des Lebens der Einigung Abbruch tat. In der Frucht solchen automatischen Schaffens, solchen »Ringens mit dem Engel auf dem Wege«, bietet der Mystiker der übrigen Menschheit den Kelch des Lebensgeistes. Wir können wohl den Ursprung des Zierats auf dem Kelch erkennen, aber wir können gerechterweise nicht behaupten, daß er den Wein fälsche.
Wir haben es in diesem ganzen Abschnitte mehr mit den Mitteln als mit den Zielen zu tun gehabt, mit Mitteln, nach denen der ringende Mensch griff, der sich bei seinen Versuchen, jenes Absolute, das die Summe aller seiner Wünsche ist, irgendwie zu fassen, zu begreifen, zu genießen und anzubeten, noch nicht ganz vom »Bilde« freigemacht hat. Niemand wird jemals zum Verständnis dieser Phase des mystischen Bewußtseins gelangen, der entweder Verachtung für die Geister, die das Göttliche auf so einfältige und bisweilen kindische Weise vergegenständlichen, oder abergläubische Verehrung für das Bild an sich, unabhängig von der formlosen Wirklichkeit, auf die es hindeutet, mitbringt. Zwischen diesen beiden Extremen liegt unsere Hoffnung, den wahren Platz der Automatismen auf dem mystischen Wege zu finden, indem wir in ihnen Beispiele sehen, wie die Mittel, durch die wir Bewußtsein von der Erscheinungswelt erhalten, tauglich gemacht werden für die Wahrnehmung jener andern Welt, deren Erreichung das erhabenste Ziel der Menschheit ist.