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Es scheint kaum nötig, die Irrtümer oder, kirchlich ausgedrückt, die Ketzereien im einzelnen zu untersuchen, in die viele Mystiker aus einer Schwäche oder Entartung oder Selbstüberhebung des mystischen Sinnes verfallen sind. Die Zahl solcher Irrtümer ist endlos, und ihre abenteuerliche Phantastik ist denen, die nicht genötigt waren, sich mit ihr zu beschäftigen, fast unvorstellbar. Allzuoft nur ist es geschehen, daß das laute Geschrei und die seltsamen Verkündigungen ihrer Apostel die leiseren Stimmen der Rechtgläubigen übertönt haben.
Es scheint, daß die Pubertätszeit im geistigen Leben weit kritischer ist als im physischen, indem die gewöhnlichen Gefahren der Adoleszenz sich auf der höheren Bewußtseinsebene steigern. Der Mensch wird, wenn plötzlich neues Leben in ihn einströmt und er neue Kräfte und neue Triebe in sich spürt, von jeder glänzenden und phantastischen Idee, jeder Lockung, die sich ihm bietet, geblendet und gefangengenommen. Bei der seelischen Störung, die jeden Übergang in einen neuen Zustand begleitet, ist er in ungewöhnlichem Grade in der Gewalt der Suggestionen und Eindrücke, die er empfängt. Daher finden wir in jeder Periode, in der die Mystik blüht, ein Hervorbrechen von Okkultismus, Illuminismus und anderen Entartungserscheinungen des religiösen Lebens. In der Jugend der christlichen Kirche haben wir neben den großen Neuplatonikern die wirre und anmaßende Metaphysik der Gnostiker, ihre Versuche, Mystik und Magie zu verschmelzen. Im Mittelalter und in der Renaissancezeit treten die Pseudomystik der Brüder vom freien Geiste, die okkulte Propaganda des Paracelsus, die Rosenkreuzer, die christlichen Kabbalisten in Erscheinung, und die unzähligen pantheistischen, manichäischen, geheimtuerischen und quietistischen Ketzereien, die die katholische Tradition bekämpften. Da sie ihr Dasein gewöhnlich der undisziplinierten Willenskraft und Phantasie irgendeines Abenteurers verdankten, so starben sie, sobald sein Einfluß starb, und nur der Erforscher seltsamer Glaubensformen stört jetzt noch ihre Grabesruhe.
Anders aber ist es mit der ursprünglichen Idee, von der diese Entartungserscheinungen gewöhnlich ausgehen. Diese läßt sich nicht so leicht abtun, auch liegt dies nicht in unserm Interesse; denn wie man die Wirklichkeit am besten aus ihrem Gegensatz erklären kann, so begreift man die rechte Lehre oft leichter, nachdem man die falsche betrachtet hat. Bei der Mystik, die es zum großen Teil mit dem Unaussprechlichen zu tun hat und für die eine zugleich genaue und positive Sprache besonders schwer zu finden ist, ist solch ein Verfahren das aussichtsreichste. Lassen wir daher die spezifisch mystische Verirrung des Quietismus beiseite, bis wir zu der eingehenden Erörterung der Gebetszustände kommen, und betrachten wir einige von den andern übernormalen Betätigungen des Selbst, die wir als Magie bezeichnet haben S. oben, S. 94., um aus ihnen etwas mehr von den verborgenen Kräften zu lernen, über die es gebietet, und von der gefährlichen Freiheit, die es in bezug auf sie genießt.
Das Wort »Magie« ist jetzt aus der Mode gekommen, obgleich ihr Geist nie weiter verbreitet war als heutzutage. Dank der allmählichen Entwertung der Wortmünze denkt der gewöhnliche Leser bei dem Worte Magie an die Kunst, wie sie Mr. Maskelyne [Bekannter englischer Taschenspieler und Zauberkünstler.] übt. (Das Bücherregal in der Londoner Bibliothek, das dieser Literatur gewidmet ist, enthält viele nützliche Werke über Taschenspieler- und Salonkünste.) Es hat auch das fürchterliche Wort »beschwören« mit in seinen Fall verstrickt, das, während es einst die Geister von Menschen und Engeln zwang, sich heute damit begnügt, Kaninchen unter Zylinderhüten hervorzuzaubern. Dieser Umstand würde wohl nur für die Sprachwissenschaft von Interesse sein, neigten nicht die wahren Adepten des modernen Okkultismus – vermutlich gekränkt durch diesen Mißbrauch ihres alten Titels – mehr und mehr dazu, für ihre Lehren und Künste den Namen »mystische Wissenschaft« in Anspruch zu nehmen. Vaughan reihte schon vor langer Zeit in seiner ziemlich oberflächlichen Übersicht über die Mystiker alle Formen der weißen Magie, der Alchimie und der okkulten Philosophie als »theurgische Mystik« ein R. A. Vaughan, Hours with the Mystics Bd. I, I, 5.; und auf der andern Seite sind die Okkultisten immer eifriger bemüht, die Mystiker als Meister ihrer Schule in Anspruch zu nehmen In einem von Papus herausgegebenen Katalog aus den Archiven der Martinisten finden wir Namen wie Averroes, Thomas von Aquino, Vincenz von Beauvais und Swedenborg als Anhänger des Okkultismus zusammengestellt!. Sogar den dreifachen Weg der Mystik haben sie übernommen und neu etikettiert als: Vorbereitung, Erleuchtung, Einweihung Vgl. R. Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? S. 31..
Bei unserer Aufsuchung der charakteristischen Eigentümlichkeiten der Mystik haben wir schon die Grenze bezeichnet, die sie von der Magie trennt, und haben versucht, die wahre Natur und Absicht der okkulten Philosophie zu erklären. S. S. 93 f. Nun scheint es mir ganz nützlich, die Magie ihrerseits zu fragen, was sie uns über die übersinnlichen Kräfte und über das übersinnliche Bewußtsein des Menschen sagen kann. Wir haben gesehen, daß sie den dem Menschen angeborenen Erkenntnistrieb in seiner Anwendung auf übersinnliche Dinge darstellt. Dieser Trieb und die okkulten Wissenschaften und magischen Kräfte, in denen er sich auswirkt, haben die Menschheit seit den ältesten Zeiten zum Heil oder Unheil beschäftigt. Niemand, der den Menschen wirklich erkennen will, darf ihr Studium versäumen, wie sehr ihre oberflächlichen Absurditäten ihn auch abstoßen mögen.
Der Ausgangspunkt aller Magie und aller magischen Religion – der besten und reinsten Form des Okkultismus – ist, wie bei der Mystik, die unumstößliche Überzeugung des Menschen, daß es andere Daseinsebenen gibt als die, von denen seine Sinne ihm berichten, und ihr Verfahren stellt die intellektuelle und persönliche Auswirkung dieser Überzeugung dar: sein Streben nach verborgenem Wissen. Sie ist in den Augen derer, die sie üben, ein moyen de parvenir, nicht die Ausübung unerlaubter Künste, sondern ein ernster philosophischer Versuch, das Rätsel der Welt zu lösen. Ihr Resultat umfaßt nach einem der besten modernen Schriftsteller über okkulte Philosophie »ein tatsächliches, positives und realisierbares Wissen von den Welten, die wir unsichtbar nennen, weil sie den unvollkommenen und rudimentären Sinnen einer noch unentwickelten Menschheit nicht zugänglich sind, und von den verborgenen Kräften, die, eben in ihrer Verborgenheit, den innern Menschen ausmachen. Oder, um es streng philosophisch auszudrücken: die hermetische Wissenschaft ist eine Methode, über die Erscheinungswelt hinauszugelangen und die Wirklichkeit hinter den Erscheinungen zu erreichen A. E. Waite The Occult Sciences p. 1.«.
Wenn auch dieser ungeheure Anspruch in gewissen Grenzen durch die Erfahrung gerechtfertigt zu werden scheint, so kann man ihn im ganzen doch nicht gelten lassen. Der letzte Satz besonders verheißt genau dasselbe, was wir als der Mystik eigentümlich erkannt haben. Er stellt die Magie als einen Pfad zur Wirklichkeit dar. Wir können von vornherein sagen, daß dies Versprechen nicht erfüllt wird, denn das scheinbare Hinausgehen über die Erscheinungen schließt nicht notwendig das Erreichen des Absoluten ein. Solch ein Erreichen hat als erste Bedingung, daß auf der Ebene der Wirklichkeit alle Grundkräfte des Selbst: Lieben, Wollen und Denken, sich auswirken können und ihr Genüge finden. Die Magie genügt im besten Falle nur zweien dieser Anforderungen, und mehr durch Ausdehnen als durch Überschreiten der Grenzen der Erscheinungswelt. Im schlimmsten Falle genügt sie keiner einzigen. Es ist eine Art des Transzendentalismus, die abnorme Dinge tut, aber zu keinem Ziel führt, und wir sind in Gefahr, irgendwie der Magie zum Opfer zu fallen, sobald das »Ich will wissen« das »Ich will sein« von seinem ersten Platz in unserm Bewußtsein verdrängt. Die wahre »Wissenschaft von den letzten Dingen« muß eine Wissenschaft vom reinen Sein sein, aus Gründen, die der Leser jetzt selbst zu entdecken in der Lage ist; die Magie jedoch ist nur ein System, mit dessen Hilfe der Mensch seine übersinnliche Neugier zu befriedigen sucht, indem er die Betätigungen des Willens über ihre gewöhnlichen Grenzen ausdehnt und dadurch eine experimentelle Erkenntnis erlangt von Daseinsebenen, die man gewöhnlich, aber zu Unrecht als »übernatürlich« bezeichnet.
Wer nicht Okkultist ist, wird zweifellos finden, daß auch dies ihnen nicht ohne weiteres zugegeben werden kann. Nur wenige erkennen, daß das Trachten des wahren Magiers nicht auf vulgäre Wundertaten, sondern auf übersinnliche Dinge gerichtet ist, und noch wenigere wissen, daß dies Trachten ehrlich und erfolgreich sein kann. Das Suchen nach verborgenen Dingen ist gleichbedeutend geworden mit törichten und schimpflichen Betrügereien, und die kleine, aber getreue Gefolgschaft des Hermes Trismegistos wird verwechselt mit der Schar von Mitläufern, die in ihren Reihen Beute machen.
Die meisten Menschen, die diese transzendentalen Wissenschaften nicht zu ihrem besonderen Studium gemacht haben, sind der Ansicht, daß es heutzutage Okkultisten nur entweder im geschäftlichen oder im akademischen Sinne gibt. Der Handwahrsager in Bond Street repräsentiert die eine Klasse, der Herausgeber schwindlerischer Zauberbücher die andere. Keiner von beiden erwartet, daß seine Sache ernst genommen wird; sie ist nur ein Mittel, Geld zu erlangen oder eine krankhafte Neugier zu befriedigen.
Diese Ansicht entspricht durchaus nicht den Tatsachen. In der Magie, ob wir sie nun als einen Aberglauben oder als eine Wissenschaft ansehen, haben wir auf jeden Fall den Ausläufer einer großen und alten Tradition, deren Name in einem christlichen Lande seinen wahren Sinn und Glanz eigentlich nicht hätte verlieren sollen; denn sie will die Wissenschaft jener Magier sein, deren Suchen nach dem Stern sie einst wenigstens an die Wiege des inkarnierten Gottes führte. Ihre Gesetze und die zeremoniellen Bräuche, in denen sich diese Gesetze ausdrücken, sind aus unvordenklichem Altertum auf uns gekommen. Sie bergen einen kleinen Vorrat von sicherem Wissen und eine große Anzahl weniger sichere Theorien über die sinnliche und die übersinnliche Welt, und über Kräfte, die der Mensch, wie okkulte Denker behaupten, entwickeln kann, wenn er will. Orthodoxe sollten sich bedenken, ehe sie die Gesetze der Magie verdammen, denn ohne es zu wissen, handeln sie nach solchen, jedesmal wenn sie zur Kirche gehen. Jede Religion, die sich in gewissen Formen ausprägt, die mehr als bloß subjektives Gefühl ist, ist von Magie durchdrungen. Die Arzneikunst wird sich ihrer nie ganz entledigen. Aus ihr entsprang vor vielen Jahrhunderten das, was wir jetzt moderne Naturwissenschaft nennen. Sie scheint unauslöschliches Leben zu besitzen. Dies ist nicht überraschend, wenn wir beobachten, wie fest der Okkultismus in der Psychologie wurzelt, wie sehr er gewissen unausrottbaren Eigentümlichkeiten des menschlichen Geistes entgegenkommt: seiner Neugier, seinem Dünkel, seiner Liebe für das Geheimnisvolle.
Die Magie in ihrer vollkommenen und unverdorbenen Form erhebt den Anspruch, eine praktische, intellektuelle, höchst individualistische Wissenschaft zu sein, die auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet, nämlich das, die Sphäre, in der der menschliche Wille wirken kann, zu erweitern und Erfahrungserkenntnisse von Ebenen zu erhalten, die man gewöhnlich als übersinnlich ansieht. Sie ist der letzte Nachkomme einer langen Reihe von Lehren – von der ganzen Geheimlehre Ägyptens und Griechenlands –, die darauf hinzielen, den Menschen in die Geheimnisse der Erkenntnis einzuweihen, und die eine Erkenntnis der Dinge aus egoistischen Gründen erstreben. »Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten,« sagt ein zeitgenössischer Okkultist, »durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann … Es hat, seit es ein Menschengeschlecht gibt, auch immer eine Schulung gegeben, durch die solche, die höhere Fähigkeiten hatten, denen Anleitung gaben, die ebensolche Fähigkeiten suchten. Man nennt solche Schulung Geheimschulung; und der Unterricht, welcher da empfangen wird, heißt geheimwissenschaftlicher oder okkulter Unterricht Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? S. 1..«
Diese Schulen, wenigstens wie sie heutigentags existieren, formulieren die Gesetze der okkulten Erscheinungen in einer Art, die dem romantischen Forscher entsetzlich prosaisch erscheint, indem sie der Physik und Psychologie die Schwingungstheorie, die Theorien der Anziehung, der Suggestion, der unterbewußten Tätigkeit entlehnen und sie für ihre eigenen Zwecke verwenden.
Nach ihren modernen Vertretern ist die Magie im wesentlichen einfach eine Ausdehnung der Theorie und Praxis des Willens über ihre gewöhnlichen Grenzen hinaus. Der Wille, sagt der Okkultist, ist nicht nur König im Hause des Lebens, sondern auch im Weltall außerhalb der Tore der Sinne. Er ist der Schlüssel zum »unbegrenzten Menschen«, der wahre »Ring des Gyges«, der die bekannten und unbekannten Kräfte der Natur meistert. Diese Form der okkulten Philosophie enthält viel von dem oberflächlichen amerikanischen Transzendentalismus, den seine Lehrer und Anhänger frischweg als mystisch bezeichnen: Mentikultur, »New« oder »Higher Thought« und die Schriften des sogenannten »Neuen Bewußtseins«. Die geistreichen Verfasser von »Volo«, »Der Wille zur Gesundheit« und »Wie man das Sonnengeflecht erweckt«; die Seher, die ihren eifrigen Schülern versichern, daß sie durch Konzentration nicht nur Gesundheit, sondern auch Reichtum erwerben können, der »Gesundheit der Verhältnisse« ist, sind keine Mystiker. Sie sind Magier und verkünden, obwohl unbewußt, wenig mehr als die Hauptlehren der hermetischen Wissenschaft, indem sie nur ihr malerisches Zubehör fortlassen Vgl. E. Towne, Joy Philosophy (1903) und Just How to Wake the Solar Plexus (1904); R. D. Stocker, New Thought Manual (1906) und Soul Culture (1905); Floyd Wilson, Man Limitless (1905). Aber die Literatur dieser Sekten ist ungeheuer..
Diese Hauptlehren haben sich seit ihrem ersten Auftreten in der Weltgeschichte tatsächlich wenig gewandelt, obwohl sie, wie die Lehren der Theologie, von Zeit zu Zeit einer Neubelebung bedurften. Ich werde, wenn ich sie hier dem modernen Leser darzulegen versuche, die Werke von Alphonse Louis Constant anführen, wohl des verständigsten und sicher des verständlichsten okkulten Philosophen des 19. Jahrhunderts, der unter dem Pseudonym Eliphas Levi der Welt die Resultate seiner Forschung darbot.
Eliphas Lévi fand in der alten magischen Tradition, die er in die Ausdrücke zeitgenössischen Denkens kleidete, eine adäquate Theorie der Welt und Regel des praktischen Lebens. In seinen Schriften sehen wir daher die hermetische Wissenschaft von ihrer günstigsten Seite; Opus hierarchicum et Catholicum bezeichnet er sie stolz auf dem Titelblatt seiner großen »Geschichte der Magie«. Seine späteren Arbeiten haben nur das eine Ziel: den Zusammenhang der Magie mit wahrer Mystik nachzuweisen, ja, zu übertreiben; zu zeigen, daß sie »der Schlüssel zu den großen Geheimnissen« ist, der das Tor des verborgenen Gartens öffnet, nach dem die Sehnsucht der Seele von jeher gerichtet war. Wir sehen in ihm einen Menschen, der, von eifrigem Verlangen und von einem sichern Instinkt getrieben, auszieht, um die Wirklichkeit zu suchen, aber dabei seltsame und vielfach gewundene Pfade wählt. Unsere Aufgabe ist es, mit seiner Hilfe die Art dieser Pfade zu prüfen und zu sehen, welche Aussichten sie andern Wanderern bieten.
Die Magie hat, wie die meisten Wege ins Freie, die der Mensch für seine Seele suchte, ihren Ursprung im Orient. Sie wurde formuliert, entwickelt und bewahrt in der Ägyptischen Religion. Sie tauchte früh in der Griechischen Religion auf. Ihr sagenhafter großer Meister war Hermes Trismegistos, der ihr ihren offiziellen Namen »hermetische Wissenschaft« gab und in der Tradition der Magier die Stellung einnimmt, die Moses in der Tradition der Juden hat. Fragmentarische Schriften, die man dieser Persönlichkeit zuschreibt, und die in den sogenannten hermetischen Büchern [Vgl. die Bibliographie am Ende.] enthalten sind, bilden die ersten Denkmäler des Okkultismus, und die wahrscheinlich unechte Smaragdtafel, die man in seinem Grabe gefunden haben will, gilt den Magiern als ihre steinerne Tafel vom Sinai. In der Gnostik, in den herrlichen Allegorien der Kabbalah, in den meisten Zeremonien der christlichen Kirche und endlich in vielen Geheimbünden, wie sie noch in England, Frankreich und Deutschland bestehen, hat sich alles, was es an Gutem und Wahrem in der »geheimen Weisheit« der magischen Tradition gibt, durch die Jahrhunderte fortgepflanzt. Ihre niederen Abzweigungen, in denen sie die große Masse allein kennt, sind nur allzu bekannt und brauchen hier nicht einzeln aufgeführt zu werden.
Wie die Welt, die zu deuten sie sich anheischig macht, hat die Magie einen Leib und eine Seele, ein äußeres Gewand von Worten und Zeremonien und eine innere Lehre. Das äußere Gewand, das einzige, was die Uneingeweihten von ihr zu sehen bekommen, hat kaum irgendwelchen Reiz für das kritische Auge des gesunden Menschenverstandes. Es besteht aus einer Reihe von verwirrenden und oft lächerlichen symbolischen Hüllen: aus seltsamen Wörtern und Zahlen, wunderlichen Gesetzen und rituellen Handlungen, Personifikationen und Mystifikationen, um einander geschlungen, als ob sie einzig und allein darauf angelegt wären, ungeduldige Forscher zu verwirren. Es ist damit ebenso wie mit den äußeren Gewändern unserer religiösen, politischen und sozialen Systeme, die einem ganz uneingeweihten, aber kritischen Beobachter wahrscheinlich genau so vernunftwidrig erscheinen würden.
Wenn man die Magie dieser archaischen Formeln, Symbole, Geheimkünsteleien und anderen nebensächlichen Aufputzes entkleidet, so findet man, daß sie auf drei Grundsätzen beruht, deren keinen diejenigen, welche die seltsamen und ewig wechselnden Hypothesen der modernen Psychologie und Physik mit Respekt anhören, als lächerlich abweisen können.
1. Der erste dieser Grundsätze behauptet die Existenz eines unwägbaren »Mediums« oder »universalen Agens«, das zwar jenseits der Ebene unserer normalen sinnlichen Wahrnehmung ist, jedoch die materielle Welt durchdringt und zusammenhält. Dieses Agens, das nicht leuchtet und mit den Sternen nichts zu tun hat, wird von den Okkultisten sehr unglücklich als »Astrallicht« bezeichnet, ein Ausdruck, der ursprünglich von Eliphas Lévi von den Martinisten entlehnt ist und den die religiösen Ausverkäufe der landläufigen Theosophie seitdem so populär gemacht haben, daß er alles Ansehen verloren hat. In bewußter Verbindung mit dem »Astrallicht« leben heißt auf der »astralen Ebene« oder in der »astralen Welt« leben, d. h. zu einer neuen Bewußtseinsebene emporgestiegen sein. Die Ausbildung des Okkultisten ist einzig und allein auf dieses Ziel gerichtet.
Diese Lehre von der Astralwelt besitzt wie die meisten unserer andern transzendentalen Systeme nicht nur eine stattliche Ahnenreihe in der Welt des philosophischen Denkens, sondern auch viele angesehene Verwandte. Man kann sogar in den neuesten Spekulationen der orthodoxen Physik noch ihre verborgenen Spuren aufdecken. Sie ist in Wirklichkeit identisch mit der Urwelt oder dem Yesod der Kabbalah – dem »vollkommenen Lande« der altägyptischen Religion –, in der die Urbilder aller geschaffenen Dinge ihr Dasein haben. Vielleicht hängt sie zusammen mit der »wirklichen Welt«, wie sie Seher wie Boehme und Blake uns schildern. Eine ununterbrochene Überlieferung von der Existenz einer solchen Daseins- oder Bewußtseinsebene findet sich über die ganze Welt verbreitet: sie findet sich im indischen, griechischen, ägyptischen, keltischen und jüdischen Denken. »Über dieser sichtbaren Natur existiert eine andere unsichtbare und ewige, die nicht vergehen wird, wenn alle Dinge vergehen«, sagt die Bhagavadgita [VIII, 20]. Nach den Kabbalisten ist sie »der Sitz des Lebens und der Lebenskraft und die Nahrung der ganzen Welt A. E. Waite, Doctrine and Literature of the Kabalah p. 48.«. Der Vitalismus könnte sie übernehmen als einen der Aspekte des Weltalls, der von einem in größerem Rhythmus schwingenden Bewußtsein als dem normalen wahrgenommen werden kann. Man hat sie unter verschiedenen Aspekten gleichgesetzt mit dem »brennenden Leibe des heiligen Geistes« der christlichen Gnosis und mit der Odkraft der Spiritualisten alten Schlages.
Nach der Lehre der Magie bildet die Astralebene das »kosmische Gedächtnis«, wo die Bilder aller Wesen und Geschehnisse aufbewahrt werden, wie sie im Gedächtnis des Menschen aufbewahrt werden.
»Das Hohe, das zu hoch für diese Erde, das Heldenhafte, das für sie zu schwer,
Die Leidenschaft, die diesen Boden ließ, um sich ins Reich der Lüfte zu verlieren
[Rob. Browning, Abt Vogler (Dramatis Personae 1864) St. X.]«,
sie alle leben in der Astralwelt. Dort sind auch die Urbilder künftiger Schöpfung in ihrer Vollkommenheit im ewigen Nun gegenwärtig, bevor sie in der materiellen Sphäre geboren werden. Nach dieser Lehre besteht Weissagung und auch Hellsehen – eins der Hauptziele okkulter Erziehung – darin, daß man die Augen des Geistes für diese zeitlose Astralwelt öffnet, und die Spiritisten, die die Geister der Verstorbenen rufen, beschwören sie herauf aus der Tiefe des Weltgedächtnisses statt des Einzelgedächtnisses. Der Leser, dem in diesem Durcheinander von feierlichen Behauptungen und unbeweisbaren Fabeln der Kopf wirbelt, muß bedenken, daß der dogmatische Teil der okkulten Überlieferung im besten Falle nur den Versuch eines erweiterten Bewußtseins darstellt, für seine eigenen Erfahrungen eine Erklärung zu finden.
Rein an sich betrachtet ist das Astrallicht dem ungreifbaren Äther des Sir Oliver Lodge und anderer Transzendentalphysiker nahe verwandt. Unser ganzes Selbst, nicht nur unser empfindendes Selbst wird darin gebadet, und hier werden wir wieder an den Vitalismus mit seinem rastlosen Lebensfluß erinnert. Demnach ist in der Sprache des Okkultismus das alles durchdringende Astral ein »universales Agens«, der Träger des Hypnotismus, der Telepathie, Hellseherei und all jener übernormalen Erscheinungen, die die Wissenschaft den Okkultisten aus der Hand genommen und in Metaphysik umbenannt hat. Diese Hypothese erklärt auch die verwirrende Tatsache, daß bei vielen Versuchen des Mystikers und des Okkultisten die anfänglichen Erfahrungen so ähnlich sind. Beide müssen durch die Bewußtseinsebene hindurch, die der Okkultist als die »astrale« bezeichnet, weil diese Wahrnehmungsebene die ist, die unmittelbar über unserm normalen Leben liegt. Sobald die transzendentalen Fähigkeiten frei werden, nehmen sie diese Welt wahr, jedoch im Falle des Mystikers suchen sie so schnell wie möglich durch sie hindurchzukommen. Der Okkultist dagegen will im Astralen verweilen und hier seine Wahrnehmungen ausdehnen. Es ist das Medium, worin er arbeitet.
Seit den ältesten Zeiten hat die okkulte Philosophie ihre Kenntnis dieses Mediums proklamiert, indem sie sein Dasein immer als eine wissenschaftliche Tatsache beschrieb, die den normalen Sinnen unerreichbar sei, aber verifizierbar durch die geschulten Kräfte der Eingeweihten. Der Besitzer solcher Kräfte, nicht der Zauberer oder Wahrsager ist als der wahre Magier anzusehen, und es ist das erste Ziel okkulter Erziehung oder Initiation, diese übersinnliche Erfahrungsebene wirksam zu machen, den Schüler zu befähigen, in bewußte Verbindung mit ihr zu treten und ihn zu lehren, ihre Kräfte seinem Willen ebenso zu unterwerfen, wie er ihm die materiellen Sinnendinge unterwirft Für eine eingehende Erörterung dieses Gegenstandes verweise ich den Leser auf Steiners außerordentlich merkwürdiges und interessantes kleines Buch: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?.
2. Dies führt uns zu dem zweiten Grundsatz der Magie, der auch merkwürdig modern anmutet, denn er postuliert einfach die unbegrenzte Macht des disziplinierten menschlichen Willens. Dies Dogma hat, ohne dies ausdrücklich zuzugestehen, die Mentikultur, die »Christliche Wissenschaft« und der »New Thought« aus der okkulten Philosophie übernommen und zum Trumpf gemacht. Die Prediger der »Philosophie der Freude« und anderer verwässerter Formen geistiger Disziplin sind die wahren Priester transzendentaler Magie in der heutigen Zeit Man vergleiche etwa Folgendes: »Stelle dir vor, daß die ganze Welt und alle Sternenscharen tatbereit und mit strahlenden Augen deines Winkes gewärtig sind. Stelle dir vor, du brauchst nur eben auf den Knopf zu drücken, und sie springen sogleich hinzu, um das übrige zu tun. In dem Augenblick, wo du sagst: »Ich kann und ich will«, werden alle Kräfte des Universums in Bewegung gesetzt« (E. Towne, Joy Philosophy p. 52)..
Die erste Aufgabe des angehenden Magus ist Selbstbeherrschung. »Durch ausdauernde und stufenweise fortschreitende Übungen«, sagt Eliphas Lévi, »kann man die Körperkräfte bis zu einem erstaunlichen Maße entwickeln. Ebenso ist es mit den Kräften der Seele. Möchtest du dich und andere beherrschen? Lerne wollen! Wie kann man wollen lernen? Dies ist das erste Geheimnis der Magie, und um die Grundlagen dieses Geheimnisses einzuprägen, umgaben die Hüter der Mysterien des Altertums den Zugang zum Heiligtum mit so vielen Schrecknissen und Täuschungen. Sie glaubten nicht an einen Willen, bevor er sich bewährt hatte, und sie hatten recht. Stärke beweist sich erst durch Eroberung. Trägheit und Nachlässigkeit sind die Feinde des Willens, und dies ist der Grund, weshalb alle Religionen ihre Übungen vervielfältigt und ihre Kulte schwierig und peinlich genau gemacht haben. Je mehr Mühe man sich für eine Idee gibt, je mehr Macht erlangt man in bezug auf diese Idee … Daher liegt die Macht der Religionen einzig und allein in dem unbeugsamen Willen derer, die sie ausüben Rituel de la Haute Magie pp. 35, 36..«
Ihrem Wesen nach ist die Magie also eine traditionelle Form geistiger Disziplin, die darauf ausgeht, den Willen zu stärken und zu konzentrieren. Durch sie werden einige von den Wahrnehmungskräften, die unter der Schwelle des normalen Bewußtseins liegen, frei gemacht und befähigt, ihre Entdeckungen dem tätigen und bewußten Geiste zu berichten. Diese Disziplin besteht, wie die des religiösen Lebens, zum Teil in körperlicher Askese und in einer freiwilligen Loslösung von der Welt, zum Teil in Ausbildung der Willenskraft, zum großen Teil jedoch in einer freiwilligen Unterwerfung des Geistes unter den Einfluß von Suggestionen, die durch Jahrhunderte hindurch ausgelesen und angesammelt sind wegen ihrer Gewalt über die Phantasie, die Eliphas Lévi »das Auge der Seele« nennt. Da ist nichts Übernatürliches im Spiel. Wie die mühsamere und uneigennützige Selbsterziehung des Mystikers ist sie Charakterbildung auf heroischer Stufe, mit einem bestimmten Ziel. In der Magie ist »der Wille zu wissen« das Zentrum, um das die Persönlichkeit umgeordnet wird. Wie bei der Mystik werden unterbewußte Faktoren aus ihrer Verborgenheit hervorgezogen, um einen Teil der Persönlichkeit zu bilden. Die plötzlich aus dem Unterbewußtsein auftauchenden Gedanken und Intuitionen werden weiter entwickelt, geordnet und kontrolliert von Rhythmen und Symbolen, die traditionell geworden sind, weil die Erfahrung von Jahrhunderten ihre Wirksamkeit erprobt hat, wenn sie sie auch nicht erklären kann.
»Das fundamentale Prinzip«, sagt E. A. Waite in bezug auf die okkulten Beschwörungen, »lag in der Ausübung einer gewissen okkulten Kraft, die dem Magier innewohnte und die er mit aller Energie darauf richtete, die Verbindung zwischen zwei verschiedenen Ebenen der Natur herzustellen, so wie sie seinem Zweck entsprach. Dies Verfahren nannte man die Anrufung des Geistes, aber was in Wirklichkeit angerufen wurde, war die Kraft des inneren Menschen, die, durch eine gewaltige Konzentration des Willens ins Ungeheure gesteigert, gewaltsam eine neue intellektuelle Fähigkeit feinster psychologischer Wahrnehmung hervorbrachte. Diese innere Kraft des Menschen zu stärken und zu ihrer höchstmöglichen Wirksamkeit anzutreiben, brauchte man fast immer künstliche Mittel … Das System dieser Methoden und Prozeduren nannte man zeremonielle Magie, die in der Tat ein unheimliches Treibhaus der latenten geistigen Fähigkeiten des Menschen war The Occult Sciences p. 14..«
Dies ist die psychologische Erklärung jener scheinbar absurden Rituale der Vorbereitung, jener Doktrinen von Zeichen und Zahlen, Pentagrammen, Zauberformeln, Engelsnamen, der »Kraft des Wortes« und all dem übrigen, was die zeremonielle Magie ausmacht. Die Macht solcher künstlichen Mittel ist den indischen Mystikern bekannt, die in dem mantra oder der geheimen und rhythmischen Formel, die sie beständig wiederholen, ein unschätzbares Mittel erkannt haben, sich in den Zustand der Verzückung zu versetzen, und sich nicht schämen, sie von den Magiern zu entlehnen. So empfehlen auch die modernen amerikanischen Schulen des »Mental Healing« und »New Thought« die Konzentration auf ein sorgfältig gewähltes Wort als Ausgangspunkt wirksamer Meditation. Diese Tatsache, daß gewisse Wortverbindungen, wenn man sie das Bewußtseinsfeld beherrschen läßt, eine außerordentliche seelische Wirkung hervorbringen können, ist der praktische Grund, weshalb fast jede große Religion das Bedürfnis nach einer in feste Formen gefaßten Liturgie empfunden hat. Denn die Religion ist, von ihrer rituellen Seite angesehen, immer in weitem Ausmaße magisch. Auch sie sucht durch künstliche Mittel latente Kräfte zu steigern. Das wahre magische »Wort« oder die Zauberformel ist unübersetzbar, weil ihre Macht nur zum Teil in dem äußeren Sinne liegt, den der Verstand erfaßt, zum größten Teil aber in dem Rhythmus, der sich an das Unterbewußtsein wendet. Wenn die katholische Kirche ein Gesetz anerkannt hat, das den Adepten der Magie lange bekannt war, so hat sie hier eine Erklärung jenes Instinktes, der sie veranlaßte, so hartnäckig an einer lateinischen Liturgie festzuhalten, deren erstaunliche und wahrhaft magische Kraft zum großen Teil schwinden würde, wollte man sie in die Volkssprache übersetzen. Eine ähnliche Bedeutung haben Symbole, religiöse sowohl wie andere, und symbolische Handlungen, die sinnlos erscheinen, sobald sie nur vom Intellekt beurteilt werden. In ihnen drückt sich der tiefwurzelnde Instinkt des menschlichen Geistes aus, der einen Brennpunkt braucht, um darauf seine Willenskräfte zu sammeln, wenn diese zu ihrer größten Wirksamkeit gesteigert werden sollen. Auf die Art des Brennpunktes kommt es wenig an, um so mehr auf das, was er zu leisten hat. Ich gebe hier einen kurzen Auszug aus dem »Rituel de la Haute Magie«, der Levis Ansicht über diesen Gegenstand genügend dartut. Viele von diesen Sätzen könnten direkt aus der Feder des modernsten amerikanischen Psychologen stammen.
»… Alle diese Figuren und ihnen entsprechenden rituellen Handlungen, alle diese Anordnungen von Zahlen und Buchstaben (d. h. von heiligen Wörtern, Zauberformeln, Pentagrammen usw.) sind, wie gesagt, nur Mittel zur Erziehung des Willens, dessen Gewohnheiten sie festsetzen und bestimmen. Sie dienen gleichfalls dazu, alle Kräfte der menschlichen Seele zu konzentrieren und die schöpferische Kraft der Phantasie zu stärken …, ein Verfahren, das, wenn es auch abergläubisch und töricht sein mag, doch seine Wirkung tut, weil es eine Realisierung des Willens ist … Wir lachen über die arme Frau, die sich ihren Tropfen Milch am Morgen versagt, um eine kleine Kerze für den Opferstock irgendeiner Kapelle zu stiften. Aber unser Lachen ist Unwissenheit, und die arme Frau bezahlt den Mut und die Entsagungskraft, die sie dafür erhält, nicht zu teuer. Die klugen Leute gehen stolz und achselzuckend an ihr vorüber. Sie erheben einen welterschütternden Lärm gegen den Aberglauben, und was geschieht? Die Häuser, die sie bauen, stürzen ein, und ihre Trümmer gehen weiter an die Verkäufer und Käufer kleiner Kerzen, die sich nichts daraus machen, wenn man sagt, daß ihre Macht zu Ende ist, weil sie wissen, daß ihre Herrschaft ewig währt Rituel de la Haute Magie p. 71..«
Magische Symbole also, von der Pfennigskerze bis zum salomonischen Siegel, zerfallen, technisch ausgedrückt, in zwei Klassen. Die erste enthält alles, was zur Selbstsuggestion, Begeisterung und Willenslenkung dient. Hierher gehören alle Zaubermittel und Zauberformeln, alle Riten und Räucherungen, von dem Eisenkrautkranze des Magiers bis zu den Rufen »Jugend! Gesundheit! Kraft!«, die die Jüngerin des »New Thought« wiederholt, wenn sie sich am Morgen ihr Haar bürstet. Die zweite Klasse enthält Autoskope, d. h. materielle Gegenstände, die den unterbewußten Wahrnehmungen zum Sammelpunkt und Ausdrucksmittel dienen. Die Wünschelrute, Wahrsagekarten und die Kristallkugel sind charakteristische Beispiele. Die Notwendigkeit beider Arten gründet sich mehr auf die Unzulänglichkeiten der menschlichen als auf die Besonderheiten der übermenschlichen Ebene, und der große Adept kann ebenso wie der große Heilige zu einer Höhe gelangen, wo er diese »äußeren und sichtbaren Zeichen« vollkommen entbehren kann. »Da Zeremonien, wie gesagt, künstliche Methoden zur Hervorbringung gewisser Willensgewohnheiten sind, so werden sie überflüssig, sobald diese Gewohnheiten sich festgesetzt haben Ebenda p. 139..« Dies ist ein Punkt, wo die Geschichte der Magie auf einige Besonderheiten in der Geschichte der Mystik ein Licht wirft.
Diese Tatsachen, die jetzt in der Psychologie allgemein bekannt sind, haben die Kenner der Magie schon seit zahllosen Generationen gekannt und sich zunutze gemacht. Diejenigen, welche die Magie wegen der augenscheinlichen Absurdität ihrer Symbole und Zeremonien schmähen, sollten bedenken, daß die Umarmungen, Gebärden, Grimassen und anderen rituellen Handlungen, durch die wir alle unsere Liebe, unsern Zorn oder unsere Begeisterung ausdrücken, das kalte enthüllende Licht einer rein verstandesmäßigen Prüfung schlecht ertragen würden.
Den beiden Dogmen vom »Astrallicht« oder universalen Agens und von der »Macht des Willens« müssen wir noch ein drittes hinzufügen: die Lehre von der Analogie oder unmittelbaren Entsprechung von Schein und Wirklichkeit, vom Mikrokosmos des Menschen und dem Makrokosmos des Weltalls, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. In dieser Entsprechung findet der Okkultismus die Basis für alle seine übersinnlichen Spekulationen. Quod superius sicut quod inferius – das erste Wort auf jener Smaragdtafel, die einst dem Hermes Trismegistos selbst zugeschrieben wurde – ist ein Grundsatz, der allen Platonikern willkommen sein muß. Er spielt eine große Rolle in der Theorie der Mystik, die immer behauptet hat, daß der Weg der Einzelseele zur liebenden Vereinigung mit dem Absoluten genau dem Wege entspricht, auf dem das Universum seiner Vollendung in Gott entgegengeht.
Der Analogiebegriff bestimmt letzten Endes die religiösen Vorstellungen jedes Volkes und gleicht den Glaubenswahrheiten in der Allgemeinheit seiner Anwendung, denn er umfaßt in gleicher Weise die Erscheinungen der sichtbaren Welt, die so zu Spiegelbildern der unsichtbaren werden, die religiösen Symbole, die ermüdenden Argumente von Butlers »Analogy«, die erhabenen Gleichnisse der Kabbalah und der geistlichen Alchimisten und die kindische »Lehre von den Signaturen«, auf der sich ein großer Teil der mittelalterlichen Naturwissenschaft aufbaute.
»Die Analogie«, sagt Lévi, »ist das letzte Wort des Glaubens … der einzig mögliche Vermittler zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen Dogme de la Haute Magie p. 361 f..« Hier zeigt die Magie deutlich ihre eigenen Grenzen, indem sie unbesonnen vom Nützlichen zum Universalen schreitet und eine Lehre verkündet, die kein Mystiker anerkennen könnte – die, bis zu ihrer letzten logischen Konsequenz durchgeführt, das Erleben des Unendlichen in ein Rätselspiel verwandeln würde.
»Die Analogie«, sagt er wiederum – und diesmal vielleicht mit mehr Recht – »ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen der Natur … Dies ist der Grund, weshalb die Religionen in den Himmel und in die ganze Natur geschrieben zu sein scheinen; dies muß so sein, denn das Werk Gottes ist das Buch Gottes, und in dem, was Er schreibt, sollte man den Ausdruck Seines Denkens und folglich Seines Wesens sehen, da wir Ihn uns nur als das höchste Denken vorstellen können Ebenda p. 363..« Hier haben wir eine Andeutung jenes idealistischen Elementes, das im Okkultismus enthalten ist, wie selbst die wildesten Ketzereien Spuren der Wahrheiten, die sie verdrehen, bewahren.
Die Analogieschlüsse werden von den Okkultisten so weit getrieben, wie wir hier kaum darlegen können. Mit dieser Fackel bewaffnet, erforschen sie die dunkelsten, furchtbarsten Geheimnisse des Lebens und stehen nicht an, die grotesken Schatten dieser Geheimnisse auf die unsichtbare Welt zu werfen. Das Prinzip der Entsprechung ist zweifellos ein gesundes und fruchtbares, solange es in vernünftigen Grenzen angewandt wird. Es wurde in das System der Kabbalah aufgenommen, obwohl diese scharfsinnige Philosophie weit davon entfernt war, ihm die Wichtigkeit beizulegen, die es in der hermetischen Wissenschaft behauptet hat. Auch manche Mystiker haben es sich eifrig zu eigen gemacht. Boehme und Swedenborg haben sich gern dieser Methode bedient, um ihre Intuitionen der Welt zu vermitteln. Es wird von Denkern unzähliger anderer Schulen stillschweigend anerkannt; sein Einfluß durchdringt die besten Perioden der Literatur. Sir Thomas Browne spricht nicht nur für sich, wenn er an einer wohlbekannten Stelle der »Religio Medici« (I, 12) sagt: »Das Gelächter der strengen Schulen soll mich nie von der Lehre des Hermes (Trismegistos) abbringen, die da sagt, daß diese sichtbare Welt nur ein Bild der unsichtbaren ist, worauf, wie auf einem Gemälde, die Dinge nicht wirklich, sondern nur als täuschende Scheinbilder vorhanden sind, so wie sie irgendeine wirkliche Substanz aus jener unsichtbaren Ordnung wiedergeben.« Ein solcher Sinn für Analogie liegt, was auch die »strengen Schulen« sagen mögen, jedem echten Kunstwerk zugrunde. »Intuitive Wahrnehmung der verborgenen Analogien der Dinge,« sagt Hazlitt in seinem Buch »English Novelists«, »oder der Instinkt der Einbildungskraft, wie man es nennen kann, ist vielleicht das, was mehr als alles andere dem Genie seinen Stempel gibt.«
Die Hauptlehren der Magie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
1. Es existiert ein übersinnliches und wirkliches »kosmisches Medium«, das die sinnliche Erscheinungswelt durchdringt, beeinflußt und trägt und das sowohl den Kategorien der Philosophie wie der Physik untersteht.
2. Es besteht eine genaue Analogie und ein bestimmtes Verhältnis zwischen der wirklichen und unsichtbaren Welt und den täuschenden Erscheinungen, die wir die Sinnenwelt nennen.
3. Diese Analogie kann erkannt und dies Verhältnis bestimmt werden von dem disziplinierten Willen des Menschen, der auf diese Weise Herr über sich selbst und über sein Schicksal wird.
Wir müssen nun die dritte dieser Voraussetzungen, die dem entwickelten und disziplinierten Willen übernormale Kräfte zuschreibt, mehr im einzelnen prüfen, denn sie liegt jeder Ausübung der Magie, sowohl der ältesten wie der neuesten Schulen, zugrunde. »Magie«, sagt Eliphas Levi, »ist die Ausübung einer Kraft, die zwar natürlich, aber den gewöhnlichen Kräften der Natur überlegen ist. Sie ist das Resultat einer Wissenschaft und Gewöhnung, die den menschlichen Willen über seine gewöhnlichen Grenzen erhebt Rituel de la Haute Magie p. 32..« Diese Willenskraft wird in den Lagern der Wissenschaft mit jedem Tage mehr anerkannt als der Hauptfaktor auf dem Gebiete der Religion und Therapie, als Heilkraft des Leibes und der Seele; denn unsere fortgeschrittensten Theorien über diese Gegenstände sind kaum etwas anderes als der alte Wein der Magie in neue Schläuche gefüllt. So beruht z. B. die maßgebende psychologische Theorie von der religiösen »Erfahrung« auf der Hypothese, daß es durch Autosuggestion, durch eine bewußte Pflege des »Willens zum Glauben« und ähnliche Mittel möglich ist, die Bewußtseinsschwelle zu verschieben und die übernormalen Wahrnehmungen zum Vorschein zu bringen, die man abwechselnd auf Inspiration oder auf Krankheit zurückführt. Dies ist genau das, was in milderer und mehr malerischer Sprache die zeremonielle Magie für ihre Eingeweihten zu tun behauptet, und alle solchen bewußten Bekehrungsvorgänge sind, von ihrer psychologischen Seite gesehen, das Ergebnis einer unwillkürlichen Befolgung der Gesetze der hermetischen Wissenschaft. Die alten Okkultisten verdankten viel von ihrer Macht und auch viel von ihrem üblen Ruf der Tatsache, daß sie der Psychologie ihrer Zeit voraus waren.
Rezepte für die Umwandlung und Erhöhung der Persönlichkeit und für die Steigerung der Willenskraft, für die künstliche Erzeugung von Photismen, Automatismen und Ekstase sowie für die Eröffnung des subliminaren Bewußtseinsfeldes, die alle diese Erscheinungen begleitet, bilden, – dem profanen Auge durch eine Menge von verwirrenden Allegorien und Wortschwall verborgen, – den Hauptbestand aller echten okkulten Rituale. Ihre Verfasser waren sich vollkommen bewußt, daß die zeremonielle Magie keine objektive Bedeutung hat, sondern daß es einzig und allein auf ihre Wirkung auf den Geist des Ausübenden ankommt. Um diese Wirkung zu erhöhen, hüllte man sich in eine Atmosphäre von Heiligkeit und Geheimnis; ihre Vorschriften waren streng, ihre höheren Stufen schwer zu erreichen. Sie bildete zu gleicher Zeit eine Probe für den ernsten Willen des Schülers und einen Schleier, der das Heiligtum dem profanen Auge verbarg. Die langen und schwierigen Vorbereitungen, majestätischen Worte und seltsamen Beschwörungszeremonien übten eine Macht aus, nicht auf den Geist des Toten, sondern auf das Bewußtsein des Lebenden, der auf diese Weise von der Sinnenwelt zu einer neuen Wahrnehmungsebene emporgehoben wurde. Für ihn, nicht für unbekannte Mächte, wurden dieser Prunk und diese Künste entfaltet. Der wahre Sinn einer Engelsbeschwörung besteht nicht darin, daß Geister aus der Ferne herbeigerufen, sondern daß dem Beschwörer die Augen geöffnet werden für Engel, die immer da sind.
»Wenn durch mannigfache zeremonielle Übungen die geistige Exaltation des Magiers zustande gebracht ist, so wird der Geist, wie die Magie lehrt, gezwungen, zu erscheinen. Das heißt, der Magier ist in einen Zustand gelangt, wo es für einen Geist ebenso unmöglich ist, ihm unsichtbar zu bleiben, wie es einem gewöhnlichen Sterblichen unmöglich ist, sich bei hellem Mittagslicht ohne Deckung unserm Blick zu verbergen A. E. Waite, The Occult Sciences p. 32..« So ist die ganze Ausbildung des echten Lehrlings der okkulten Wissenschaft darauf gerichtet, in ihm ein neues Sehvermögen und eine neue Einstellung hervorzurufen. Sein kinematographischer Mechanismus wird in den Stand gesetzt, neue Bilder aus dem Strom der Dinge aufzunehmen, die bisher an ihm vorbeiglitten und so dem Gesamtbilde, das die Menschen sich von dem – oder vielmehr von ihrem – Universum machen, neue Elemente einzufügen.
»Alles beruht schließlich darauf,« sagt Steiner mit der gewohnten Übertreibung des professionellen Okkultisten, »daß der Mensch fortwährend Leib, Seele und Geist mit sich herumträgt, daß er sich aber nur seines Leibes im ausgesprochenen Sinne bewußt ist, nicht seiner Seele und seines Geistes. Und der Geheimschüler wird sich der Seele und des Geistes bewußt, wie sich der gewöhnliche Mensch seines Leibes bewußt ist Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? S. 50..«
Soweit über die Prinzipien, die die okkulte Ausbildung beherrschen. Magische Therapie oder, wie man sie jetzt nennt, »geistige Heilung«, ist nichts anderes als die Anwendung dieser Prinzipien auf einer anderen Ebene. Sie entspringt erstens aus einer Anschauung vom Menschen, die zwischen den Krankheiten des Leibes und denen der Seele nur einen Gradunterschied sieht und allen Ernstes und in gutem Glauben behauptet, »daß moralische Krankheiten ansteckender seien als körperliche, und daß es Triumphe der Verblendung und der Mode gebe, die dem Aussatz und der Cholera zu vergleichen seien Dogme de la Haute Magie p. 129..« Zweitens wird eine solche Heilung bewirkt durch eine Steigerung der Willenskraft, jener Fähigkeit, schwächere Lebensformen umzuwandeln und zu beherrschen, die wir als das Resultat okkulter Schulung erkannt haben. »Die ganze Macht des okkulten Heilers liegt in seinem bewußten Willen, und seine ganze Kunst besteht darin, in seinem Patienten Glauben hervorzurufen Rituel p. 312..«
Diese einfache Wahrheit war schon im Besitz der Magier zu einer Zeit, wo Kirche und Staat zwischen der Verbrennung und der Heiligsprechung ihrer Adepten keinen Mittelweg kannten. Heute rückt die Magie unter dem höflichen Namen geistiger Hygiene, Therapie und Suggestion immer mehr in die vordere Reihe der medizinischen Praktiken. Und doch ist es immer noch dieselbe »magische Kunst«, die von den Adepten der okkulten Wissenschaft mit wechselndem rituellen Zubehör seit Jahrhunderten geübt worden ist. Die Methode des Bruders Hilarian Tissot, der Wahnsinn und Verbrechen durch »die unbewußte Anwendung des Magnetismus des Paracelsus« geheilt haben soll, der seine Krankheitsfälle »entweder einer Störung des eigenen Willens oder dem verderblichen Einfluß eines fremden Willens« zuschrieb, der »alle Verbrechen als Handlungen des Wahnsinns anzusehen und die Bösen als Kranke zu behandeln pflegte Dogme p. 134.,« nahmen die Entdeckungen eines Charcot und eines Janet voraus.
Doch trotzdem alle großen Adepten ihre »okkulte« oder über normale Kraft beständig zur Heilung oder Verhinderung von Krankheiten gebrauchten, verbindet die Magie, von ihrer philosophischen Seite betrachtet, ebenso wie das Christentum eine praktische Politik des Mitleids mit den Krüppeln, Lahmen und Blinden mit einem Bekenntnis zum Leiden und Entsagen. Hier geht sie mit der Mystik Hand in Hand und proklamiert ihren Glauben an den Schmerz als an den Lehrmeister eines jeden Geistes, der über das Sinnenleben hinauszukommen trachtet. Eliphas Lévi, der dem zur vollen Stärke seines bewußten Willens gelangten Eingeweihten rät, seine Macht zur Linderung des Schmerzes und zur Verlängerung des Lebens zu gebrauchen, spottet zu gleicher Zeit über den Lehrling, der in der Magie ein Mittel sucht, dem Leiden zu entfliehen oder seine selbstsüchtigen Begierden zu befriedigen. Niemand weiß besser als der wahre Magier, sagt er, daß Leiden die Seele des Weltplans ist. Nur die ihm standhaft ins Auge sehen, leben. »Weh über den Menschen, der nicht leiden will! Er wird von Gram erdrückt Histoire de la Magie p. 36..« Und an einer andern Stelle, die vielleicht seine feinste Äußerung enthält, heißt es: »Leiden lernen und sterben lernen, dies ist die Übungsschule der Ewigkeit, das Noviziat des unsterblichen Lebens Ebenda p. 147..«
Hier also haben wir die reine Lehre der Magie. Wir bekommen von ihr das günstigste Bild in den Werken Eliphas Lévis, weil er in mancher Hinsicht größer war als das System, das er verkündigte. Gegen Ende seines Lebens wurden ihm die Mängel und Grenzen jenes Systems klar, und aus dieser Tatsache macht er in seinen letzten Schriften kein Geheimnis. Der hauptsächlichste dieser Mängel ist die besondere Geistesverfassung, der kalte geistige Hochmut, der durchaus individualistische Standpunkt, den die okkulte Forschung durch ihr bewußtes Streben nach ausschließlicher Macht und Erkenntnis und die dadurch gegebene Vernachlässigung der Liebe herbeizuführen pflegt. Im Grunde strebt jeder Okkultist nach einem Punkte, wo er nur »auf den Knopf zu drücken« braucht, damit die übersinnlichen Kräfte »herbeieilen, um das übrige zu tun«. Bei diesem angespannten Streben nach Macht über die Vielen neigt er dazu, den Einen zu vergessen. Wie Lévi sagt: »Ein zu tiefes Eindringen in die Geheimnisse der Natur kann den unbedachten Forscher, bei dem geistige Ermüdung den Eifer des Herzens lähmt, von Gott entfernen Histoire de la Magie p. 514..« Als Lévi diesen Satz schrieb, stand er, wie viele große Okkultisten, dicht an der Grenze der Mystik. Die besten unter den hermetischen Philosophen sind fast nie ohne solche mystische Sehnsucht, solche Neigungen und plötzlichen Erleuchtungen; als ob die übersinnlichen Kräfte des Menschen, einmal aus ihrem Schlafe aufgerüttelt, den wahren Zweck, zu dem sie da sind, nie ganz übersehen könnten.
Bei Lévi wurde bekanntlich die Disharmonie zwischen den okkulten und mystischen Idealen gelöst durch seine Rückkehr zur katholischen Kirche, die seine Ausleger immer erstaunt und bisweilen verdrossen hat. Charakteristischerweise sah er in den Katholizismus vieles hinein, was die Orthodoxen schwerlich anerkennen würden; so daß er für ihn sozusagen eine romantische Glosse zur okkulten Tradition wurde. Er war der Ansicht, daß die christliche Kirche, die Pflegemutter der Mystiker, zugleich auch die Erbin der Magier sei, und daß volkstümliche Frömmigkeit und volkstümliche Magie dieselben unaussprechlichen Wahrheiten verhüllten.
Er hatte für diese scheinbar tolle und sicherlich ketzerische Behauptung mehr Rechtfertigungsgründe, als zuerst glaubhaft erscheint. Die Religion kann, wie wir gesehen haben, sich nie ganz von der Magie scheiden, denn ihre Riten und Sakramente haben, wie auch immer ihre offiziellen Apologeten ihre Wirksamkeit erklären, einen magischen Charakter und müssen diesen auch haben, wenn sie auf das menschliche Gemüt wirken wollen. Alle Menschen, die sich von Natur zu der ritualen Seite der Religion hingezogen fühlen, sind in Wirklichkeit Anhänger der höheren Magie, indem sie die seltsame Macht auserlesener Rhythmen, symbolischer Worte und Bewegungen über den menschlichen Willen anerkennen. Ein »eindrucksvoller Gottesdienst« entspricht genau der Schilderung, die ich von dem magischen Ritus angeführt habe: er ist ein »ungeheures Treibhaus für die latenten Fähigkeiten der geistlichen Natur des Menschen«. Auch Sakramente, wie einfach auch ihr Ursprung sei, haben in ihrer Weiterentwicklung immer die Neigung, in ihrer äußeren Erscheinung eine magische Form anzunehmen. Wer zum Beispiel den römisch-katholischen Taufritus mit seinen Zauber- und Beschwörungsformeln, seiner echt hermetischen Anwendung von Salz, Salböl und feierlichen Kerzen mit Verständnis beobachtet hat, muß erkannt haben, daß eine solche Zeremonie dem Verfahren der weißen Magie viel näher steht als den einfachen Waschungen, wie sie St. Johannes der Täufer verrichtete.
Es geht nicht gut an, diesen Gegenstand weiter auszuführen in einem Buche, das sich an Leser aller Glaubensrichtungen wendet; doch jeder, der sich für diese Seite religiöser Psychologie interessiert, kann leicht selbst die zahlreichen, deutlich ausgeprägten okkulten Elemente in den Liturgien der christlichen – oder auch jeder andern – Kirche entdecken. Es gibt zur Anrufung geordnete Reihen von Gottesnamen, die sich ebenso im Zauberbuch wie im Meßbuch finden; heilige Zahlen, rituelle Handlungen, Räucherungen, zeremonielle Reinigungen, magische Worte spielen in der Religion eine ebenso wichtige Rolle wie in der Magie. Bei gewissen nebensächlichen Observanzen und zauberähnlichen Gebeten stehen wir gleichsam auf einem Grenzgebiet zwischen Zauberei und Gottesdienst.
Das kann nicht anders sein. Aufgabe der Kirche ist es, sich an den ganzen Menschen zu wenden, wie sie ihn in der Sinnenwelt lebend findet. Sie würde kaum dieser Aufgabe gewachsen sein, ließe sie die mächtigen Waffen außer acht, die die okkulte Tradition ihr in die Hand gegeben hat. Sie weiß instinktiv, daß der normale Mensch nur in jenen ekstatischen Zuständen, wie sie die Magie hervorzubringen strebt, seine Tür dem Unendlichen öffnet und jene unterbewußten Kräfte, die das Medium aller unserer geistlichen Erfahrungen sind, auftauchen und einen flüchtigen Blick in die übersinnliche Welt tun. Sie, die die einfachsten und gewöhnlichsten Gaben der Natur, Brot und Wein, in himmlische Speise verwandelt, weiß auch jede Entdeckung, die das Selbst in bezug auf seine eigenen Möglichkeiten macht, ihren hohen Zwecken dienstbar zu machen. Wenn sie ihr äußeres System auf Sakramente und Symbole, auf rhythmische Anrufungen und rituelle Lobpreisungen gründet und die Macht des reinen, selbstverleugnenden Willens und die »magische Kette« des gemeinsamen Gottesdienstes betont, so geht sie Hand in Hand mit jenen Magiern, deren Gold, Weihrauch und Myrrhen die ersten Gaben waren, die sie empfing.
Allein sie muß dafür bezahlen. Sie teilt die Beschränktheit des Systems, das ihre katholische Natur sie zwang anzunehmen. Zwar reinigt sie es von all seinen niedern Elementen – seiner Anmaßung, seiner Neugierde –; auch kann sie gar nicht umhin, es anzunehmen, da es der höchste allgemeine Maßstab ist, den sie auf das religiöse Leben der Welt, zu der sie gesandt ist, anwenden kann. Aber sie kann nicht – und dies haben auch ihre größten Lehrer immer gewußt – mit einer Methode, die nicht wirklich nach den letzten Dingen strebt, ihr letztes Ziel erreichen. Diese Methode kann die Menschen bessern, ihnen Glück und Gesundheit geben, und das tut sie auch. Sie kann sie sogar in einen gewissen erhöhten Seelenzustand versetzen, in dem sie, wenigstens für einen Augenblick, sich des Daseins einer übersinnlichen Welt bewußt werden, und das ist schon ungeheuer viel. Aber sie kann sie nie von sich aus zu Bürgern jener Welt machen und ihnen die Freiheit des Lebens in der Wirklichkeit verleihen.
»Die Aufgabe der Kirche in der Welt«, sagt Patmore, »ist weniger, die Geheimnisse des Lebens zu lehren, als die Seele zu der steilen Höhe der Reinheit zu führen, wo Gott selbst ihr Lehrer wird. Die Aufgabe der Kirche endet da, wo die Erkenntnis Gottes anfängt The Rod, the Root, and the Flower: Knowledge an Science XXII..« So wird es trotz aller gegenteiligen Bemühungen immer eine innere und eine äußere Kirche geben: die innere Kirche der Mystiker, die wissen; und die äußere Kirche, die zwar wohltätig wirkt, allein – schroff ausgedrückt – auf der magischen Ebene, die nur darum weiß. Daß dies nicht anders sein kann, finden wir schon im Neuen Testament mehrfach angedeutet Vgl. unter andern Stellen Matth. 13, 11; 1. Kor. 2, 6 und 3, 1..