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Wie der Pilger dahingeht, während das Land immer das gleiche bleibt,
So gehen die Menschen dahin, aber die Seelenzustände bleiben ewig die gleichen.
Blake, Jerusalem.
Wir wenden uns nun von den allgemeinen Prinzipien der Betrachtung ihrer Auswirkung zu, indem wir den psychologischen Vorgang oder den »mystischen Weg« beschreiben, auf dem sich der besondere Persönlichkeitstypus, der imstande ist, in unmittelbare Beziehung zum Absoluten zu treten, gewöhnlich entwickelt. Die Schwierigkeit dieser Beschreibung liegt in der Tatsache, daß alle Mystiker sich von einander unterscheiden, wie überhaupt alle Gegenstände unserer Wahrnehmung, seien es nun lebende Wesen oder andere. Der schöpferische Trieb in der Welt scheint doch letzten Endes, soweit wir ihn wahrnehmen können, frei und ursprünglich, nicht gebunden und mechanisch zu sein und drückt sich trotz der Deterministen mit einer gewissen künstlerischen Spontaneität aus. Wenn man die Erzeugnisse dieses Schöpfungstriebes in Gruppen ordnet, indem man irgendeine Ähnlichkeit zugrunde legt, so entdeckt man auf diesem Wege nicht die Methoden der Schöpfung, sondern man wählt nur willkürlich zu seiner eigenen Bequemlichkeit ein paar – nicht notwendig charakteristische – Eigenschaften aus, die sich zufällig bei einer gewissen Anzahl von Personen oder Dingen finden. Daher gibt auch die wissenschaftlichste Klassifizierung im besten Falle immer nur einen allgemeinen Umriß.
Wenn wir nun eine solche Klasseneinteilung auf etwas so Zartes und schwer zu Fassendes anwenden wie die Seelenzustände, die das »kontemplative Leben« begleiten, so scheinen die Schwierigkeiten noch unendlich größer. Es läßt sich kein einziger Mystiker entdecken, bei dem sich alle die charakteristischen Eigenschaften des übersinnlichen Bewußtseins, die man beobachtet hat, vereinigt finden und den man deshalb als typisch ansprechen kann. Geistige Zustände, die sich in einem Falle gänzlich auszuschließen scheinen, existieren in einem andern gleichzeitig nebeneinander. Bisweilen fehlen Stadien, die uns sonst als wesentlich erschienen, ganz, oder sie erscheinen in anderer Reihenfolge. Es scheint auf den ersten Blick, als ob wir eine Gruppe von Menschen vor uns haben, die an dasselbe Ziel gelangen, ohne irgendeinem allgemeinen Gesetz zu gehorchen.
Nehmen wir jedoch eine Anzahl von solchen ausgesprochen mystisch veranlagten Menschen und machen wir von ihnen sozusagen ein »zusammengesetztes Porträt«, wie es die Anthropologen zu tun pflegen, wenn sie den Charakter einer Volksrasse feststellen wollen. Dies Bild wird uns einen Typus zeigen, der alle hervorstechenden Eigentümlichkeiten zusammen aufweist und unwesentliche Abweichungen zurücktreten läßt. Solch ein Bild ist natürlich konventionell, aber es ist nützlich als Maßstab, der beständig mit den einzelnen Vertretern der Gattung verglichen und durch sie berichtigt werden kann.
Das erste, was wir an diesem Gesamtbilde beobachten, ist, daß der typische Mystiker auf dem Wege zu seinem Ziel durch eine Reihe von stark ausgeprägten Schwankungen zwischen »Freude«- und »Schmerzzuständen« hindurch muß. Das Vorhandensein und die Aufeinanderfolge dieser Zustände, zuweilen verwirrt, zuweilen deutlich und bestimmt, läßt sich in höherem oder geringerem Grade in fast jedem Falle nachweisen, wo wir über detaillierte Berichte verfügen. Gyrans gyrando vadit spiritus. Die Seele muß beim Erklimmen des vielfach gewundenen Pfades zur Wirklichkeit abwechselnd durch Sonnenschein und Schatten hindurch. Diese wechselnden Erfahrungen sind »Konstanten« des übersinnlichen Lebens. »Die geistlichen Zustände der Seele sind alle ewig«, sagt Blake, mit dem sicheren psychologischen Instinkt des Mystikers Jerusalem III..
Die vollständige Reihe dieser Zustände – und man darf nicht vergessen, daß sie sich nur bei wenigen einzelnen insgesamt in ihrer Vollkommenheit zeigen, während in vielen Fällen mehrere von ihnen wenig ausgeprägt sind oder ganz zu fehlen scheinen – läßt sich meines Erachtens am bequemsten in fünf Gruppen ordnen. Eine solche Einteilung bedeutet natürlich das Aufgeben der althergebrachten Dreiteilung des mystischen Weges und läßt scheinbar auch die berühmten sieben Stufen der Kontemplation der hl. Teresa außer acht; allein ich glaube, wir werden bei dieser Einteilung mehr gewinnen als verlieren. Wir müssen jedoch diese Gruppen immer als bloße Schemata ansehen, die nur ganz im allgemeinen Erfahrungen entsprechen, welche sich selten in so starrer und ungemischter Form darbieten. Diese Erfahrungen zeigen trotz ihrer Bedingtheit durch Umgebung und Temperament die ganze Mannigfaltigkeit und Spontaneität, die für die höchsten Erscheinungsformen des Lebens charakteristisch sind, und ebenso wie biologische Präparate verlieren sie etwas von ihrem eigentlichsten Wesen, wenn man sie für die wissenschaftliche Untersuchung zurechtmacht. In ihrer Gesamtheit stellen sie einen fortlaufenden Prozeß der Transzendenz vom Sinnlichen zum Übersinnlichen dar; den Aufstieg des Bewußtseins von niederen zu höheren Ebenen der Wirklichkeit, die beständige Erneuerung der Persönlichkeit im Einklänge mit der »selbständigen Geisteswelt«. Aber wie das Studium des physischen Lebens uns durch eine künstliche Einteilung in Kindheit, Jugend, Reife und Alter erleichtert wird, so wird auch bei der Erforschung des mystischen Weges die vorsichtige Benutzung eines solchen Hilfsschemas uns unsere Aufgabe erleichtern.
Folgendes ist also die etwas willkürliche Einteilung, nach der wir die Phasen des mystischen Lebens betrachten wollen.
1. Das Erwachen des Selbst zum Bewußtsein der göttlichen Wirklichkeit. Dies Erleben, das gewöhnlich plötzlich eintritt und scharf ausgeprägt ist, ist von starken Empfindungen der Freude und Begeisterung begleitet.
2. Das Selbst, das zum erstenmal die göttliche Schönheit gewahr wird, erkennt durch den Gegensatz seine eigene Begrenztheit und Unvollkommenheit, die vielfachen Täuschungen, in denen es befangen ist, die ungeheure Entfernung, die es von dem Einen trennt. Seine Versuche, durch Selbstzucht und Kasteiung alles, was seiner Vereinigung mit Gott im Wege steht, auszumerzen, bilden die Reinigung, einen Zustand des Leidens und Ringens.
3. Wenn durch diese Reinigung das Selbst sich von den Sinnendingen losgelöst und »die Zierde der geistlichen Hochzeit« erworben hat, so kehrt sein freudiges Bewußtsein der übersinnlichen Ordnung in erhöhter Form wieder. Wie die Gefangenen in Platons »Höhle der Täuschung«, ist es zur Erkenntnis der Wirklichkeit erwacht und den rauhen und schwierigen Pfad zum Eingang der Höhle emporgeklommen. Nun schaut es die Sonne. Dies ist die Erleuchtung, ein Zustand, der viele Stadien der Kontemplation in sich schließt: »Gebetsstufen«, Visionen und Abenteuer der Seele, die von der hl. Teresa und andern mystischen Schriftstellern geschildert werden. Diese bilden gewissermaßen einen Weg innerhalb des Weges, ein moyen de parvenir, eine Übung, die von Sachkundigen erdacht wurde, um die Seele bei ihrem Anstieg zu stärken und zu stützen. Diese Stufen machen sozusagen die Erziehung aus, während der ganze Weg ein organisches Wachstum darstellt. Erleuchtung ist der kontemplative Zustand par excellence. Sie bildet zusammen mit den beiden vorhergehenden Zuständen das »erste mystische Leben«. Viele Mystiker gelangen nie darüber hinaus, und andrerseits haben viele Visionäre und Künstler, die man gewöhnlich nicht zu ihnen zählt, bis zu einem gewissen Grade die Herrlichkeit dieses Zustandes gekostet. Er führt zu einer Vision des Absoluten, zu einem Gefühl der göttlichen Gegenwart, aber noch nicht zum letzten Einswerden. Es ist ein Zustand der Glückseligkeit.
4. Darauf folgt in der Entwicklung der großen und eifrigen Gottsucher die furchtbarste aller Erfahrungen des mystischen Weges, die bisweilen jenen Zustand schon zeitweilig unterbricht: die letzte und vollständige Reinigung des Selbst, die von einigen Kontemplativen »der mystische Schmerz« oder »der mystische Tod«, von andern » die dunkle Nacht der Seele« genannt wird. Das Bewußtsein, das sich im Zustande der Erleuchtung im Gefühl der göttlichen Gegenwart sonnte, leidet jetzt unter einem ebenso intensiven Gefühl der Abwesenheit Gottes und lernt so die persönliche Befriedigung mystischer Vision von der Wirklichkeit des mystischen Lebens zu sondern. Wie in der Reinigung die Sinne geläutert und gedemütigt und die Kräfte und das Interesse des Selbst auf übersinnliche Dinge konzentriert wurden, so dehnt sich jetzt der Reinigungsprozeß auf das Zentrum der Selbstheit, den Willen, aus. Der menschliche Trieb nach persönlichem Glück muß getötet werden. Dies ist die »geistliche Kreuzigung«, die die Mystiker so oft schildern, die große Verlassenheit, in der die Seele von Gott aufgegeben scheint. Das Selbst gibt nun sich, seine Persönlichkeit und seinen Willen vollständig hin. Es wünscht nichts, begehrt nichts, ist gänzlich passiv und so bereitet für
5. die Einigung, das wahre Ziel der mystischen Suche. In diesem Zustande wird das absolute Leben nicht nur beglückt geschaut und empfunden wie bei der Erleuchtung, sondern das Selbst ist eins mit ihm. Dies ist das Ziel, wohin alle vorhergehenden Schwankungen des Bewußtseins strebten. Es ist ein Zustand inneren Gleichgewichts, vollkommener Ausgeglichenheit, rein geistigen Lebens, charakterisiert durch friedevolle Freude, erhöhte Kräfte und unbedingte Gewißheit. Die Bezeichnung »Ekstase«, die einige Autoritäten diesem Zustande geben, ist ungenau und irreführend, da der Ausdruck Ekstase sowohl bei den Psychologen wie bei den Mystikern immer den Zustand flüchtiger, stürmischer Entrücktheit bezeichnet, wo der Kontemplative einen Augenblick alles Bewußtsein der Erscheinungswelt verliert und zu einem unmittelbaren beseligenden Anschauen Gottes emporgehoben wird – ein Zustand, der durch körperliche und seelische Begleiterscheinungen deutlich gekennzeichnet wird. Ekstasen dieser Art erlebt der Mystiker oft bei der Erleuchtung oder sogar bei seiner ersten Bekehrung. Man kann sie daher nicht als ausschließlich charakteristisch für den Weg der Einigung ansehen. Bei einigen, z. B. bei der hl. Teresa, scheint der ekstatische Zustand an Häufigkeit eher ab- als zuzunehmen, nachdem der Zustand der Einigung erreicht ist.
Diese Einigung muß als das wahre Ziel mystischen Strebens angesehen werden; sie ist das dauernde Leben auf übersinnlichen Ebenen der Wirklichkeit, wovon Ekstasen der Seele nur einen Vorgeschmack geben. Intensive Formen dieses Zustandes, die einzelne Mystiker als mystische Hochzeit, Vergottung oder göttliche Befruchtung symbolisch schildern, erweisen sich bei näherer Prüfung alle als Wiedergaben desselben Erlebnisses »durch ein Temperament gesehen«.
Wir müssen hier jedoch feststellen, daß die orientalische Mystik noch eine weitere Stufe über die Vereinigung hinaus annimmt und diese als das eigentliche und letzte Ziel des geistlichen Lebens betrachtet. Dies ist die vollkommene Vernichtung der Einzelseele oder ihr Aufgehen im Unendlichen. Diese Vernichtung bildet nach den Sufis die achte Stufe des Aufstiegs, auf der sie erst wirklich zur Einheit mit Gott gelangen. In dieser Formulierung scheint sie sich wenig von dem Nirwana des Buddhisten zu unterscheiden und ist die logische Konsequenz des Pantheismus, zu dem die orientalische Mystik immer neigt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Deutung, die europäische Forscher ihr gegeben haben, richtig ist. Die Stelle, wo Al Ghazali sie zu beschreiben versucht, läßt sich sicherlich besser auf das Leben der Einigung der christlichen Kontemplativen als auf die buddhistische Vernichtung der Persönlichkeit deuten. »Das Ende des Sufismus«, sagt er, »ist das völlige Aufgehen in Allah. Ich sage: sein Ende – in bezug auf das, was man mit dem Willen leicht verstehen und erfassen kann von ihren Grundsätzen. In Wahrheit ist es nur der Anfang des Weges' und der Wahrnehmungen. Das Vorhergehende ist wie die Vorhalle für den, der eintritt … die Sache ist bis zu dem Punkte gelangt, wo sich manche von ihnen einbilden, das sei Verschmelzung, andere: Ineinssetzung, wieder andere: Vereinigung. Aber all das ist Sünde Schmölders p. 61, Meynard p. 62. Hier nach Frick, Ghazalis Selbstbiographie. Ein Vergleich mit Augustins Konfessionen S. 37..«
Die Lehre von der Vernichtung der Seele als dem letzten Ziel ihres Aufstiegs wird, wie auch die Stellung der mohammedanischen Mystik dazu in Wahrheit sein mag, von allen europäischen Mystikern aufs entschiedenste verworfen, obwohl ihre Feinde ihnen beständig einen solchen Glauben unterschieben. Denn ihr Ziel ist nicht die Unterdrückung des Lebens, sondern die Steigerung des Lebens, eine Umwandlung seiner Form. Diese Umwandlung besteht – wie sie es ausdrücken, mit einem Paradoxon, das gewöhnlich mißverstanden wird – in der Vervollkommnung der Persönlichkeit durch gänzliche Selbstaufgabe. Zwar gebrauchen die mehr orientalisch Gesinnten unter ihnen, wie Dionysios der Areopagit, eine negativere Sprache, die fast mehr auf einen Glauben an die Vernichtung des Selbst als an seine Vergottung schließen läßt; allein das kommt daher, daß sie einen Zustand übersinnlichen Lebens vom Standpunkt des normalen Bewußtseins aus zu schildern versuchen, dem ein solcher Zustand nur wie ein Nichts, ein Dunkel, eine Vernichtung des Selbst erscheinen kann. Ferner wird man finden, daß diese im Temperament begründete Sprache gewöhnlich ein Versuch ist, Zustände vorübergehenden Schauens, nicht dauernden Seins zu schildern, d. h. die charakteristischen Eigentümlichkeiten der ekstatischen Verzücktheit, in der das ganze Selbst auf kurze Zeit auf übersinnliche Ebenen emporgehoben und das Absolute durch vollständige Ausschaltung des Oberflächenbewußtseins wahrgenommen wird.
So ist also das göttliche Dunkel, das Nichts, nicht ein Zustand des Nichtseins, zu dem der Mystiker zu gelangen strebt, es ist vielmehr eine ungefähre und unvollkommene Bezeichnung dafür, daß er sich jener undifferenzierten Gottheit bewußt ist, jenes himmlischen Lichtes, das ihm in seinen Ekstasen zu schauen vergönnt ist, und von dem er einen Funken mit sich herabnehmen darf, um das Dunkel der Welt zu erhellen.
Bei den abendländischen Mystikern treiben die höchsten Formen göttlicher Vereinigung das Selbst weniger zu einem passiven als vielmehr zu einer Art aktiven Lebens, und darin besteht nach dem Urteil unserer besten heutigen Kenner der wesentliche Unterschied zwischen christlicher und nicht-christlicher Mystik. »Die christlichen Mystiker«, sagt Delacroix, »schreiten vom Unendlichen zum Begrenzten; sie streben danach, das Leben unendlich zu machen und die Unendlichkeit zu begrenzen; sie gehen vom Bewußten zum Unterbewußten und vom Unterbewußten zum Bewußten. Das Hemmnis auf ihrem Wege ist nicht das Bewußtsein im allgemeinen, sondern das Bewußtsein ihrer selbst: das Ichbewußtsein. Das Ich ist die Grenze, ist das, was sich dem Unendlichen widersetzt; die Bewußtseinszustände, die vom Selbst frei sind, die sich in einem größeren Bewußtsein verlieren, können zu Erscheinungsweisen des Unendlichen und zu Zuständen des göttlichen Bewußtseins werden Etudes d' Histoire du Mysticisme p. 235..« Ebenso Starbuck: »Der Einzelne lernt, sich aus einem selbsttätigen Zentrum in ein Organ der Offenbarung des universalen Seins umzuwandeln und in Liebe und Einheit mit dem größeren Leben draußen zu leben The Psychology of Religion p. 147..«
Daher ist es das Ideal der großen Kontemplativen, das Ziel ihrer langen Selbsterziehung, Erscheinungsform des Unendlichen zu werden. Erfüllt von einem übermächtigen Gefühl des göttlichen Lebens, der letzten wunderbaren Wirklichkeit, die sie trägt und bedrängt, möchten sie die Offenbarung, das reichere Leben, das sie empfangen haben, andern mitteilen. Nicht die geistliche Hochzeit, sondern die göttliche Fruchtbarkeit ist ihr Endzustand. In gewisser Weise haben die hl. Teresa in der siebenten Wohnung und Seuse nach seinem großen Verzicht das Ziel erreicht; allein der Zustand, zu dem sie gelangt sind, hat durchaus nichts Passives. Nicht Galahad, sondern der Gralsträger ist jetzt ihr Urbild, und sie fühlen sich gedrängt, in ihrem Leben, ihren Worten und Werken Zeugnis abzulegen von dem »verborgenen Schatz, der gefunden werden will«.
»Ihr meint wohl, meine Töchter,« sagt die hl. Teresa, »daß die Seele in diesem Zustande (der Vereinigung) so in Anspruch genommen ist, daß sie sich mit nichts anderm beschäftigen kann. Ihr irrt euch. Sie wendet sich mit noch größerer innerer Ruhe und äußerer Tatkraft als vorher allem zu, was zum Dienste Gottes gehört, und wenn diese Beschäftigungen sie wieder frei lassen, gibt sie sich wieder dem Genuß der Gottesgefährtschaft hin El Castillo Interior, Moradas Setimas I..«
Kein Temperament ist weniger träge als das mystische, und die »Stille«, zu der die Mystiker sich in den ersten Stadien der Kontemplation erziehen müssen, ist oft die schwerste ihrer Aufgaben. Der Verzicht auf körperliche und geistige Tätigkeit ist nur nötig, damit sie, wie Plotin sagt, auf einer andern Ebene begeistert wirken können. Arbeiten müssen sie, aber dies Arbeiten kann viele Formen annehmen – Formen, die bisweilen so ganz geistlich sind, daß der praktische Verstand sie nicht wahrnimmt. Daß man das kontemplative Leben so oft mißversteht und infolgedessen verachtet, beruht zum großen Teil auf dem engen und oberflächlichen Begriff, den wir von der »Arbeit« haben, den eine muskelstarke Gemeinschaft von Lohnarbeitern aufgestellt hat.
Alle Berichte über abendländische Mystik geben also Zeugnis von höchster menschlicher Tätigkeit. Nicht nur von »Ringern im Geist«, sondern auch von großen Organisatoren, wie z. B. die hl. Teresa und der hl. Johann vom Kreuz; von Missionaren, die den geistlich Toten Leben predigten, wie der hl. Franz von Assisi, Ignatius von Loyola, Eckehart, Seuse, Tauler, Fox; von Philanthropen, wie die hl. Katharina von Genua; von Dichtern und Propheten, wie Mechthild von Magdeburg, Jacopone da Todi und Blake; endlich von einigen außerordentlich männlichen Seelen, denen die Teilnahme am absoluten Leben eine nationale Sendung aufgezwungen zu haben scheint. Von diesen sind die hervorragendsten Beispiele der hl. Bernhard, die hl. Katharina von Siena und die hl. Jeanne d'Arc. »Die Seele, die meine Wahrheit liebt,« sagt Gottes Stimme zu der hl. Katharina von Siena, »hört nie auf, der ganzen Welt zu dienen Dialogo 7..«
Ganz umgeschaffen für das Leben der Wirklichkeit, den Doppelzustand des Genießens und der Tätigkeit, den Ruysbroeck als die Krönung der menschlichen Entwicklung, »die höchste Stufe des innigen Lebens Zierde der geistlichen Hochzeit II, 73.« beschreibt, an sich darstellend, lebten alle diese sozusagen nach zwei Richtungen: dem Endlichen und dem Unendlichen, Gott und dem Menschen zugekehrt. Zwar haben fast alle diese »großen Tatmenschen« zuerst die Welt verlassen, als notwendige Vorbedingung, um mit jenem absoluten Leben, das ihrem Leben Kraft gab, in Berührung zu kommen, denn ein durch die Vielen abgelenkter Geist kann den Einen nicht erfassen. Daher ist die Einsamkeit der Wüste ein wesentlicher Teil der mystischen Erziehung. Aber nachdem sie diese Berührung erreicht und sich auf der übersinnlichen Ebene heimisch gemacht hatten, nachdem sie nicht nur in vorübergehenden Ekstasen, sondern durch vollständige Hingabe mit ihrem Ursprung vereint waren, fühlten sie sich getrieben, ihre Einsamkeit zu verlassen, und nahmen in gewisser Weise ihren Kontakt mit der Welt wieder auf, um das Medium zu werden, durch das das Leben andern Menschen zuströmt. Allein auf den Berg zu gehen und als ein Abgesandter Gottes zur Welt zurückzukehren, war von jeher die Methode der besten Freunde der Menschheit. Dieser Wechsel von Systole und Diastole: das Sichzurückziehen als Vorbereitung für die Rückkehr war und ist das wahre Ideal der christlichen Mystik in ihrer höchsten Entwicklung. Diejenigen, bei denen es sich nicht findet, haben, wie bedeutend sie in anderer Hinsicht auch sein mögen, nie die höchste Stufe erreicht.
So verbrachte die hl. Katharina von Siena drei Jahre in einsiedlerischer Abgeschlossenheit, ganz von dem Leben ihrer Familie abgeschnitten, in dem kleinen Zimmer, das wir noch in ihrem Hause in der Via Benincasa sehen. »In ihrem eigenen Hause«, berichtet die Legende, »fand sie die Wüste und Einsamkeit inmitten der Menschen E. Gardner, St. Catherine of Siena p. 15..« Dort ertrug Katharina viele Kasteiungen, wurde von Ekstasen und Visionen heimgesucht, ja, dort machte sie die Zustände der Reinigung und Erleuchtung durch, die in ihrem Falle nebeneinander bestanden. Dies Leben der Einsamkeit kam zu einem plötzlichen Ende durch ein Erlebnis, das in der Vision der mystischen Hochzeit symbolisiert ist, wo eine Stimme zu ihr sprach: »Nun will ich deine Seele mir vermählen, und sie soll auf ewig mit mir vereint und verbunden sein!« Katharina, die während ihrer langen Zurückgezogenheit den Zustand der Erleuchtung in hohem Grade durchlebt hatte, gelangte jetzt zum Zustande der Einigung, in dem ihr ganzes öffentliches Wirken geschah. Die Wirkung machte sich sogleich bemerkbar. Sie gab ihre Einsamkeit auf, nahm am Leben der Familie teil, ging aus, um den Armen und Kranken zu dienen, sammelte Schüler um sich und unterrichtete sie, bekehrte Sünder und begann das Leben mannigfacher, endloser Tätigkeit, das ihren Namen zu einem der größten in der Geschichte des 14. Jahrhunderts gemacht hat. Aber dies will nicht sagen, daß sie aufhörte, das Leben zu leben, welches für das mystische Bewußtsein charakteristisch ist: die unmittelbare Berührung mit der übersinnlichen Welt zu erfahren und in den Abgrund der göttlichen Liebe zu schauen. Im Gegenteil, ihr erstaunlicher praktischer Geschäftssinn, ihre wunderbare Herrschergabe zogen ihre Kraft aus der langen Reihe von Visionen und Ekstasen, die ihre Arbeiten in der Welt begleiteten und unterstützten. Sie »stieg hinab ins Tal der Lilien, um sich fruchtbarer zu machen«, sagt ihre Legende S. Catharinae Senensis Vitae (Acta SS. Aprilis t. III.) II, II, § 4.. Als bewußte Trägerin einer »Kraft, die nicht sie selbst war«, sprach und handelte sie mit einer Autorität, die an einem Mädchen aus dem Volke ohne Schulbildung sehr befremdend hätte wirken müssen, wäre sie nicht durch die Tatsache gerechtfertigt, daß alle, die mit ihr in Berührung kamen, sich ihrem Einfluß unterwarfen.
Es ist also unsere Aufgabe, eine allmähliche und vollständige Umwandlung des Selbst von ihrem Anfang an zu verfolgen. Es ist eine Wandlung, wobei das Selbst sich von der unwirklichen Sinnenwelt, in die es von Natur versenkt ist, abwendet, um die absolute Wirklichkeit zunächst wahrzunehmen, dann sich mit ihr zu vereinigen und endlich, wenn es ganz von diesem übersinnlichen Leben ergriffen ist und sich ihm hingegeben hat, ein Medium zu werden, durch das die Geisteswelt unmittelbar und einzigartig auf die Sinnenwelt einwirkt. Mit andern Worten, wir werden sehen, wie der menschliche Geist immer weiter aufwärts schreitet, von der bloßen Wahrnehmung der Erscheinungen durch die intuitive Wahrnehmung des Absoluten als göttlicher Transzendenz und gelegentliche Berührung mit Ihm zur vollkommenen Erkenntnis und zum Einswerden mit dem absoluten Leben als göttlicher Immanenz.
Das mystische Leben in seiner Vollendung ist also mehr als ein bloßes Schauen Gottes, es ist ein Erleiden Gottes. Es ist, wie es in der alten, kühnen Sprache der Mystiker heißt, das vergottete Leben.