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Das Sittengemälde, welches wir nach den Heldenliedern, im Vergleich mit den germanischen Altertümern, entworfen haben, würde eines wesentlichen Bestandteiles entbehren, wenn wir nicht zum Schlusse noch das Leben der Frauen beleuchteten.
Die Stellung und Geltung der Frauen in diesem kriegerischen Kreise, ihre Freuden und Bedrängnisse, ihre leidende und tätige Teilnahme an so sturmbewegtem Leben, erheischen unsre besondere Aufmerksamkeit.
Die klare Auffassung dieser Verhältnisse wird dadurch erschwert, daß eben hier die bedeutendste Vermischung des Geistes verschiedener Zeiten in unsern Liedern eingetreten ist. Die Aufzeichnung und Gestaltung der letztern fiel in eine Zeit, welche nicht bloß das Mythische der Heldensage größtenteils in natürliche Zustände aufgelöst hatte, sondern auch den aus fremder Poesie eingedrungenen Zierlichkeiten des Minnewesens und der Rittersitte auf ganz verschiedenartige Gegenstände einigen Einfluß gestattete. So kam es, daß in demselben Liede die noch erkennbare Walküre Brünhild und die wirtliche Hausfrau Gotelind Dietl. 979: Da saget das gesinde der schoenen Gotelinde, da waren kommen geste. Hausfraw die peste, die ye fursten haus besaz, gepot dem ynngesinde das, daz man ir schone solte pflegen. sich zusammenfinden, daß derselbe Siegfried, der so minniglich um Kriemhilden warb, ihr nachher der unbesonnenen Zankrede wegen den Leib zerbläut. Dietl, 12 605-22. Brunhilt soll auch von ihrem Manne geschlagen werden. Dennoch lassen sich Züge unterscheiden, welche zu fest im germanischen Leben begründet sind, zu tief in den Bestand der Sage eingreifen, als daß sie nicht ursprünglich und eigentlich ihr angehören sollten, wenn sie auch mit dem Sagenstoffe selbst den allmählichen Wandlungen der Zeit gefolgt sind.
Noch ist die Gabe der Weissagung nicht gänzlich von den Frauen gewichen. Ihr Herz sagt ihnen, beim Auszug der Helden, das nahende Leid; von fallenden Tränen wird ihnen dann das Gold vor der Brust trübe. Doch nicht bloß diese dunkle Ahnung ist ihnen gegeben, in bedeutsamen Träumen bildet sich ihnen die Zukunft vor. Helle sieht in angstvollem Morgentraume, wie ein wilder Drache durch das Dach der Kammer fliegt und ihr beide Söhne gewaltsam hinwegführt auf eine weite Heide, wo er sie zerreißt, Kriemhild träumt noch mitten in den Ehren und dem Glanz ihrer Jugend, bevor noch Siegfried auf dem Hofe zu Worms erschienen, ihr künftiges Geschick, wie sie einen schönen Falken gezogen, den ihr zween Aare mörderisch ergreifen; und ihre Mutter, der sie den Traum vertraut, gibt ihm die rechte, traurige Deutung. Nachher, als Siegfried in den Wald reiten will, sagt sie ihm, weinend ohne Maß, die Träume der vorigen Nacht, wie ihn zwei wilde Schweine über Heide jagten und die Blumen da rot wurden, wie ob ihm zween Berge zusammenfielen und sie ihn nimmermehr gesehen. Vor der Nibelunge Hinfahrt nach Hunnenland träumt Frau Uten, wie alles Geflügel im Lande tot sei. Rüdegers Gemahlin und Tochter teilen sich ihre bangen Träume mit; die Mutter sah ihn ganz ergraut, sein Gesinde war von einem Schnee befallen und von einem Regen genäßt, ihr eigenes Haupt von Haar entblößt, in ein finstres Gemach hieß er sie gehen, darin er selbst stand, er schloß die Türe zu, und nimmer kamen sie herfür. Die Tochter sah des Vaters Pferd sehr springen, laut erklang an ihm die Silberdecke; es trank aus einem Wasser und versank zur Stelle. Indes sie so einander erzählen, sind schon die Trauerboten eingeritten.
Traum und Traumdeutung der Frauen fehlt begreiflich auch in der nordischen Darstellung nicht. Hier findet sich aber noch eine weitere, wunderbare Eigenschaft derselben, die Zauberkunde. Frauen wissen vorzugsweise die Runen zu schneiden und zu deuten, Sigurdrifa (Brunhild) reicht dem Sigurd in der Flammenburg den Gedächtnistrank, voll ist das Horn von guten Zaubern und Freudenrunen, sie lehrt ihn die Runen, ihre mannigfachen Arten und Kräfte. Aber Grimhild, die Mutter der Giukunge, schenkt ihm nachher, um ihn an ihr Haus zu knüpfen, einen andern Zaubertrank, von dem er Brunhilden vergißt, und sich mit Gudrun verbindet. Durch ähnlichen Trank, im Horne, darein Runen geritzt sind, bringt sie später ihre Tochter dazu, des ermordeten Siegfrieds vergessend, sich mit Atli zu vermählen.
Die Heilkunde ist ein Teil dieser zauberhaften Weisheit. Heilende Hände ( læcnis-hendr) erfleht Brunhild von den Göttern für sich und Sigurd, als sie ihm den Gedächtnistrank gibt. Zweigrunen, auf Rinde und Baumäste geschnitten, bezeichnet sie als ärztliche (Gr. Edd. 213. 217). Nach dem Kampf am Wasgensteine verbindet Hildegund die Verwundeten. Zu den Müttern, den Gattinnen brachten die Germanen, nach Tacitus ( Germ. 7), in der Schlacht ihre Wunden, und die Frauen scheuten sich nicht sie zu zählen oder auszusaugen. Die Jungfrau, welche Dietrich von Fasolds Verfolgung befreit, sieht ein Wundkraut, das auf hoher Heide blüht; sie holt es und zerreibt es unter den Händen; von seinem Geruche verläßt den Helden die Müde und er genest völlig. Auch dem ermatteten Rosse gibt sie davon, daß es froh und kräftig, mit schnellen Sprüngen den gewappneten Herrn trägt.
Von heilbringenden Frauenhänden werden die ausziehenden Helden gewappnet. Die schöne Magd zu Terfis wappnet Wolfdietrichen zum Ringstechen. Die junge Königin Seburg wappnet Ecken, den sie zum Kampf aussendet; Ute bindet ihrem Hildebrand den Helm auf; sie gibt auch ihrem Pflegesohn Alphart Waffenrock und Waffen. Mit dieser Wappnung hängt der Segen zusammen, den die Frauen auf die Fahrt geben. Als Ute Alpharten gewappnet, segnet sie ihm nach mit ihrer schneeweißen Hand. Nach ihm segnen auch andre schöne Frauen, ihm Heiles bittend. Ebenso tut Frau Ute ihrem Gemahl, dem sie den Helm aufgebunden, manchen Segen nach. Daß diese Segen ursprünglich nicht bloß allgemeine Heil- und Siegeswünsche, sondern eine wirkliche Feiung waren, zeigt eine Stelle des Liedes von Etzels Hofhalt. Dort wappnet Jungfrau Selde Dietrichen von Bern und tut ihm dann einen Segen, der ihr von Gott kund ist und der den Helden sichert, niemals im Kampf erschlagen zu werden. Von Frauen sind auch die undurchdringlichen Zaubergewande, Nothemde, verfertigt. Noch sind uns alte Formeln des Nachsegnens aufbewahrt, die, wenngleich christliche Schutzengel und Heilige darin angerufen werden, doch schon in den durchklingenden Stabreimen auf früheren Ursprung deuten, z. B.: Ich dir nachsehe, ich dir nachsende mit meinen fünf Fingern fünfundfünfzig Engel; Gott gesunden heim dich gesende! offen sei dir das Siegetor, so sei dir das Seldentor, beschlossen sei dir das Wagetor, so sei dir das Waffentor!« Oder: Herre Sankt Michael, heute sei du sein Schild und sein Speer, meine Frau Sankta Maria sei seine Halsberge! Herre Gott! du müssest ihn beschirmen vor Wage (Wasser) und vor Waffen, vor Feuer, vor allen seinen Feinden, sichtbaren und unsichtbaren!« Man erinnert sich hierbei an Sigurdrifas Heil- und Siegesgebet beim Gedächtnistrank und an die Siegrunen, die, nach ihrer Lehre, auf Schwertgriff und Schwertgehäng eingeschnitten werden, unter zweimaliger Nennung des Siegesgottcs Tyr.
Ob die häufig vorkommende Bitte und Mahnung »durch aller Frauen Ehre« erst eine Folge des ritterlichen Frauendienstes sei, ist zweifelhaft. Als Beweggrund, die Frauen zu ehren, wird manchmal daran erinnert, daß wir von ihnen gekommen sind. Von Ermenrich, der die Frauen zu Raben hinrichten ließ, wird gesagt, er sei nicht von Frauen kommen. Sowie man bei ihrer Ehre bittet, erscheinen die Frauen selbst als Fürbitterinnen. Die von Bern treten vor Ermenrich und flehen ihn, obwohl vergeblich, um Gnade an seinem Neffen Dietrich: fußfällig mahnen sie ihn, alle reinen Weiber zu ehren und dazu alles himmlische Heer, damit sie ihm Sieg verleihen. In Urkunden des Mittelalters ist es eine hergebrachte Form, daß Vergabungen der Fürsten, besonders zu frommen Zwecken, auf Fürbitte ihrer Gemahlinnen geschehen. Murator. Antiq. Ital. T. III. Diss. 40. S. 697 f. Die Fürsprache der Frauen wird aber in den Liedern nicht selten zu einem vollkommenen Schutzrechte. König Konstantin, Rothers Zorn fürchtend, reitet diesem, ohne seine Mannen, mitten unter den Frauen entgegen. Den grimmigen Asprian beschwichtigt der alte Berchter mit den Worten: »Hier soll die Zucht vergehen, nun er unter den Frauen ist kommen; und hätt' er benommen allen meinen Kindern den Leib, wir sollen an ihm diese Weiber ehren, es kam' uns anders übel.« Eine Jungfrau, die selbst zu Bern als Geisel ist, übernimmt es doch, den Boten vom Rheine, welche ohne Geleit gewappnet in Dietrichs Land geritten, durch ihr Fürwort sicheres Geleit zu geben. Vor allen aber kommt die Stelle des Rosengartenliedes in Betracht, wie Siegfried vor Dietrichs starken Schlägen in den Schoß Kriemhildens flieht und diese, den Schleier über ihn werfend, ihm Leib und Leben fristet. Ganz entsprechend wird in einer isländischen Saga (Broddhelgesaga, Sagabibl. I, 98 ff.) der geschichtlichen Gattung ein blutiger Kampf dadurch niedergeschlagen, daß die Frauen Kleider auf die Waffen werfen. Von spätern Anklängen werde hier nur die Erzählung vom Wartburgkriege angeführt, wonach Heinrich von Ofterdingen, der im Wettsange sein Leben verspielt, sich unter dem Mantel der Landgräfin birgt; dann das Lied Reimars von Zweter, flüchtete sich ein Wolf (das Bild des friedlosen Geächteten) zu Frauen, man sollt' ihn um ihretwillen leben lassen.
Abgesehen von diesen Erinnerungen des alten Glaubens, stehen die Frauen unsrer Lieder, deutschem Rechte gemäß, in Pflegschaft und Obhut des Gemahls, des Vaters, der Brüder, überhaupt der männlichen Anverwandten. Von der jungen Kriemhild und den drei Burgundenkönigen heißt es: »die Frau war ihre Schwester, die Fürsten hatten sie in ihrer Pflege.« Umschlossen und geschirmt von dem Kreise der männlichen Genossenschaft, halten sich edle Frauen mit ihrem weiblichen Gefolge gewöhnlich abgesondert in den innern Gemächern des Hauses; lange sieht Kriemhilde nur heimlich durchs Fenster den Helden Siegfried, wie er auf dem Hofe Schaft und Stein wirft«. Als die Helden vom Rheine vor Isenstein anschiffen, heißt Brunhilde ihre Jungfrauen aus dem Fenster treten, damit sie nicht den Fremden zur Schau ständen; an den »engen Fenstern« beobachten sie dann die Ankommenden. Die weiblichen Hände sind beschäftigt, die Kleidung zu bereiten, Gold in Seide zu wirken und Gestein in das Gold zu legen. Nicht gering ist der Frauen »Unmuße«, wenn ein Fest herannaht, eine Brautfahrt oder Hofreise der Helden, deren prunkvolle Ausstattung ihnen dann obliegt. Sie selbst erscheinen zum Empfang der Gäste, die von ihnen freundlich begrüßt und die angesehenern wohl auch mit einem Kusse bewillkommnet und an der Hand in den Saal geführt werden. Wenn sie an festlichen Tagen hervorgehen, dann schreiten mit ihnen die Mannen des Fürstenhauses, Schwerter in Händen tragend, zum Zeichen des stets wachen Schutzes. Beleidigung einer Frau wird auch sogleich Sache der gesamten Genossenschaft. Brünhild, von Kriemhilden gehöhnt, sendet alsbald nach ihrem Gemahl und seinen Recken und klagt vor ihnen den Schimpf. Siegfried, der sich des Unglimpfs gerühmt haben soll, muß im Ringe der Burgunden den feierlichen Eid schwören, daß er nichts dergleichen ausgesagt habe, und selbst dieses versöhnt nicht den heimlichen Groll der eifrigsten Wächter des Hauses, die auf seinen Tod sinnen. Das angegebene Verfahren stimmt mit den ältesten deutschen Gesetzen überein, welche zur Rettung beleidigter Frauenehre solch eidliche Erklärung vorschreiben (Rogge, Gerichtswes. d. Germ. S. 195).
In der nordischen Erzählung entzweien sich Brunhild und Gudrun beim Haarwaschen im Strome darüber, welche, nach dem Vorzug ihres Mannes, oben stehen solle (Vols. K. 37. S. 96, J. Edd, 263): woraus im Nibelungenliede, nicht eben christlich, ein Streit um den Vortritt zur Kirche geworden ist. So finden sich auch bei den isländischen Sagaschreibern Beispiele, wie aus dem Rangstreite der Frauen über das frühere Nehmen des Handwassers oder den Vorsitz beim Gastgebote, Mord und rächende Fehde unter den Männern und Blutsverwandten sich entspinnen. Aus der ostgotischen Geschichte berichtet Procop (B. III), wie die Gemahlin des Königs Ildebad, durch Vrajas übermütige Frau beim Besuche des Bades verächtlich behandelt, von ihrem Gatten Rache heischt und dieser nun den Vraja, der doch zu seiner Wahl das meiste beigetragen, hinterlistig umbringen läßt, wodurch er selbst bei den Goten verhaßt und bald hernach, aus andrem Anlasse, gleichfalls ermordet wird.
Bei den Blutsfreunden, unter deren Pflege die Jungfrau steht, muß auch um ihre Hand geworben werden: so läßt sich Siegfried von Günthern dessen Schwester zuschwören und auch Rüdiger wirbt für Etzeln zuerst bei Kriemhildens Brüdern, Die Ehe wurde in früherer Zeit in Form eines Kaufs abgeschlossen; die bevormundenden Verwandten empfingen den Kaufpreis. Nach die Limburger Chronik, um 1400, braucht gewöhnlich kauffen für heiraten. Vgl, Grimm, Rechtsaltert. 421–4, 601, 4. Ihnen mußte daher auch für gewaltsame Wegnahme der Jungfrau die Buße bezahlt werden. Sowie aber trotzige Männer sich rühmten, niemals Wergeld oder andre Buße zu bezahlen, so scheint es auch für rühmlich gegolten zu haben, sich die Braut ohne Kaufgeld zu gewinnen oder, wo sie der friedlichen Werbung versagt wurde, sie mit Gewalt oder List hinwegzuholen, und die Fehde der beleidigten Verwandtschaft auf keine Weise zu scheuen. Wie bei verschiedenen Völkern der alten Welt, Otfr. Müller, Prolegom. zu einer wissenschaftlichen Myhthol., Göttingen 1825. S. 422: »Eine merkwürdige Übereinstimmung althellenischer und italischer Sitte ergibt die Bemerkung, daß der Raub der Braut, der in Sparta immer im Gebrauch geblieben war und vielleicht auch in griechischen Mythen vorkommt, auch in Rom nach Festus alte Sitte war.« so ist es noch jetzt bei slawischen Völkerschaften (Serben, Morlaken) gebräuchlich, die Braut zu rauben. Daß dieselbe Ansicht bei den germanischen Stämmen zu bekämpfen war, davon zeugen die Gesetze gegen den Jungfrauenraub. In nordischen Sagen, dänischer, schwedischer, schottischer Balladendichtung sind solche Entführungen ein vielbehandelter Gegenstand, und an der Spitze deutscher Geschichten steht das berühmte Beispiel des Arminius, der des Segestes Tochter, die einem andern versprochen war, geraubt und darüber den unauslöschlichen Haß des Schwähers zu tragen hat ( Tac. Ann. 1, 55). In diesem Zusammenhange stehen nun auch aus unsrem Liederkreise die gefahrvollen und meist verderblichen Brautfahrten Rothers, Hugdietrichs, Otnits, Günthers, der Hegelingen.
»Was Leides leiden die Männer, das beweinen alles die Weiber,« sagt das Lied von Dietrichs Flucht, Teilnehmend, nachfühlend, innerlich auffassend, bilden sie durchaus den Chor zu den tragischen Geschicken der Helden. Weinend stehen sie an Zinnen und Fenstern und geleiten mit ihren Augen die Männer, die, von ihren Träumen und Ahnungen vergeblich gewarnt, ausziehen. Sie schauen hinaus auf die Straße, von wo die Wiederkehr geschehen soll; schon sehen sie den Staub aufsteigen; aber nicht, wie sonst, erschallt der frohe Gesang der Knappen. Verbergen heißt man die blutigen Sättel, daß nicht die Weiber weinen. Dieses Weinen der Frauen wird bei Beschreibung der Kämpfe stets im Hintergrunde gezeigt. Wenn die starken Schläge fallen, wenn ein tobender Recke gewaltig um sich haut, wenn der edle, schöne Held den tödlichen Streich empfängt, dann heißt es immer: das beweinte mannig Weib; da geschah den Frauen Herzeleid; ihn klagen alle werten Frauen u. dgl. Sie gehen auch selbst nach der Schlacht auf die grüne Heide hinaus, wo sich ihr Weinen und Klagen über den Gefallenen erhebt. Mit Tränen schmerzlicher Erinnerung nimmt Gotelinde den Schild des erschlagenen Nudung, den Hagen sich zur Gabe erbeten, von der Wand herab.
Im Eddaliede sticht Brunhild nach Sigurds Tode sich selbst das schneidende Schwert ins Herz, um mit der Leiche dessen, der ihr zuerst verlobt war, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Ähnliches kommt auch sonst in nordischer Überlieferung vor. Die Geschichte meldet, daß bei dem germanischen Stamme der Heruler die Gattin, welche nicht auf ewig entehrt sein wollte, am Grabe des Mannes sich das Leben mit dem Strange nehmen mußte. Procop. S. 419: Ubi vir quispiam Erulus fato concesserat, ut virtutem probaret uxor, ac relinqueret superstitem sibi gloriam, necesse habebat vitam paulo post ad mariti tumulum finire laqueo: ni faceret, in aeternum dedecus et propinquorum mariti offensionem incurrebat. Unsre Lieder kennen nicht mehr diese heidnische Sitte; Brunhild bleibt hier am Leben, im Übermute der gestillten Rache, aber offenbar ist sie fortan müßig in der Handlung. Händeringen, Zerschlagen der Brust, Ausraufen der Haare, Blutweinen, Ohnmacht, sind in den deutschen Gedichten die Ausbrüche weiblichen Jammers. Ein eigenes ausführliches Gedicht, Klage genannt, schließt sich, wohl nicht ohne ältere Anlässe, an der Nibelungen Not, ganz der Wehklage um die Erschlagenen, ihrer Bestattung, der Heimsendung ihrer Waffen, der Trauerbotschaft an die Witwen und Waisen gewidmet.
Aus dieser allgemeinern Haltung aber, worin die Teilnahme der Frauen an den Ereignissen mehr auf Dulden, Sorgen und Empfinden beschrankt erscheint, treten weibliche Charaktere hervor, welche sich tatkräftig genug zum hilfreichen Wirken, zum ausdauernden Widerstand der Treue, zum aufregenden Eingreifen in die Handlung, und statt der Totenklage zur blutigen Rache erheben. Die folgenden Charakterbilder werden hinreichen, die bedeutendsten Richtungen weiblicher Wirksamkeit zu bezeichnen.
Frau Helche, Etzels erste Gemahlin, die Tochter Oserichs, ist das vollkommene Bild der Königin. Sie heißt die gute, die milde, die getreue und, wenn auch nicht mehr jugendlich, (im Nibelungenliede) die schöne. Wie der König im Kreise seiner Recken steht, so hat sie eine Schar edler Jungfrauen um sich versammelt, Königs- und Fürstentöchter, die ihr zur Erziehung gegeben sind, oder, wie Hiltegund, dem König als Geisel verpfändet, von ihr liebevoll gepflegt werden. Gehen diese mit ihr zum Feste hervor, je zwo und zwo sich bei den Händen haltend, dann gleichen sie der Sonne, deren Schein alle Königreiche überleuchtet. Aber auch gegen die Helden ist sie »viel mutterlich« gesinnt. Sie ist Fürsprecherin der Besiegten, Trost und Hilfe der Elenden, Vertriebenen, die sich an Etzels Hof geflüchtet, versieht sie mit Waffen, Rossen und allem Bedarf, verschafft ihnen vom König Beistand oder Belehrungen. So hat sie den edeln Rüdeger sich verpflichtet, der fortan, als Verwalter ihrer Mildtätigkeit, ihr beständig zur Seite geht; so hat Aldrian, Hagens Vater, sich ihrer Huld zu erfreuen gehabt; vornehmlich aber findet der heimatlose Dietrich in ihr eine mütterliche Freundin und Helferin. Verschämt über sein Elend, birgt er sich hinter dem Fenster, als er Helche mit Rüdeger zu Gran einreiten sieht; aber schon ist ihm ein Licht des Trostes aufgegangen. Helche weint, als sie sein Mißgeschick vernommen; sie läßt die Vertriebenen herrlich speisen und bittet den Berner durch Rüdeger, ihr Gold anzunehmen; sie weiß, daß »den Elenden das Gut nach Ungemüte sanfte tut«; sie verheißt und gewährt ihm ihre Verwendung bei dem König, ja es entgeht ihren Blicken nicht, wie unter aller Kurzweil des Hofes Dietrichs Augen oft sich trüben. Als er, von Etzel mit Heeresmacht versehen und von ihr selbst reichlich ausgestattet, doch sein Land nicht wieder zu erobern vermag, ermüdet ihre hilfreiche Sorgfalt nicht; sie vermählt ihm ihre Schwestertochter Herrad, verschafft ihm ein neues Heer und vertraut ihm ihre beiden Söhne an. Schmerzlich ist ihre Klage über den frühen Tod der Jünglinge, die ihre Augenweide waren, wenn sie des Morgens gegen ihr kamen und mit den Händen ihr liebkosten. Sie verwünscht den Berner, durch dessen Schuld sie umgekommen, sie verflucht ihr mildes Geben. Dennoch, als Rüdeger ihr sagt, daß Dietrich selbst seinen Bruder verloren und die jungen Könige in die Wunden geküßt habe, erbarmt sie des Helden, sie bereut die Verwünschung und wird seine Vermittlerin bei Etzel.
In dem Benehmen Helchens gegen die Fremden, die sich an ihres Gemahls Hofe sammeln, ist die Güte und Milde mit weiblicher Klugheit gepaart. Sie erkennt, da es dem Reiche nützlich und dem König ehrenvoll sei, solche Helden durch Wohltaten sich zu verbinden. »Des ist geteuert immermehr dein Land,« sagte sie zu Etzel, »behältst du Dietrichen.« Sie bedient sich für diesen Zweck eines wohlberechneten Bandes, indem sie ihnen Bräute aus der Zahl ihrer Jungfrauen wählt; so empfängt Dietrich Herraden, so gibt die Königin, durch Hagens Flucht aufmerksam gemacht, ihrem Gemahl den Rat, daß er Walther, die Säule des Reiches, durch Vermählung mit einer hunnischen Fürstentochter, besser festhalten möge.
Markgraf Rüdeger preist einst die Mutter selig, von der so viel Treue und Güte zur Welt gekommen, er segnet den Tag der Geburt Helchens. Groß ist denn auch die Trauer bei ihrem Tode; verwaist sind ihre Jungfrauen, freudelos das Volk, voll Jammers das Land, die Welt wird immer sie vermissen; der finstere Hagen selbst stimmt in ihren Nachruhm ein.
König Etzel konnte im deutschen Gesang nicht zu fester, lebendiger Gestaltung gelangen. Der Glanz des Königtums ist gänzlich auf seine Gemahlin übergegangen. Die farblose Alleinherrschaft vermochte nicht, sich im deutschen Sinne dichterisch zu beleben; statt ihrer wurde die sittliche Gewalt weiblicher Tugenden aufgestellt und verherrlicht. Im Gedichte von Dietleib soll Helche gegen zweifachen Vorwurf gerechtfertigt werden: wenn die Taufe an ihr verdorben, indem die Heiden sie von ihrem Vater weggeführt, so habe sie doch christlich getan; wenn sie guten Recken hold und hilfreich gewesen, was man jetzt den Frauen übel deuten würde, so habe dieses ihr nur von solchen geschehen können, denen ihre Sitte nicht gehörig bekannt war, König Etzel selbst habe gut dazu gesehen. Diese wohlmeinenden, wenn auch mißverstehenden Äußerungen des Bearbeiters aus dem dreizehnten Jahrhundert stimmen im übrigen wohl zu obiger Ansicht. Man wollte Helche, wenigstens der Geburt nach, den deutschen, christlichen Völkern, im Gegensatz der heidnischen Hunnen, aneignen; aber die Poesie hatte dieses längst auf bessere Weise getan und die milde Königin selbst, zu der man sich hingezogen fühlte, war eine Schöpfung deutscher Sinnesart; diese Schöpfung aber mußte aus einer frühen Zeit herstammen, in der sie noch keiner Rechtfertigung bedurfte, sondern in ungetrübter Reinheit natürlich hervorging und ebenso mit unbefangenem Sinne aufgefaßt und gewürdigt wurde.
Die Hausfrau des Meisters ist in Frau Ute, des alten Hildebrands Ehegemahl, dargestellt. Durch sie wird das Haus der Helden zu Bern wohnlich und heimatlich. Sie wappnet und segnet die Ausziehenden, empfängt und bewirtet die Heimkehrenden. Sie ist die treue Pflegemutter der jungen Helden, besonders der Wölfinge, ihrer Neffen. Ihren Zögling Alphart entlaßt sie klagend zu seinem verhängnisvollen Ausritte, legt ihm selbst den Harnisch an, gibt ihm einen guten Waffenrock, läßt ihm das Roß darziehen, bindet ihm den Helm, reicht ihm den Schild an den Arm und den Speer in die Hand, segnet weinend ihm nach mit ihrer schneeweißen Hand. Warum hält er auch so kühn auf der Warte, würdig derjenigen, die ihn von Kindheit auf erzogen. Utens mütterliche Fürforge greift im entscheidenden Augenblick auch tätig in die Handlung ein. Als Dietrich von seinem Erbe weichen soll, da macht sie sich auf, um das letzte Mittel der Rettung zu versuchen, die weibliche Fürbitte. An der Spitze von mehr denn tausend Frauen tritt sie vor Ermenrich und fleht ihn fußfällig an, zu Ehren aller reinen Frauen königlich an seinem Neffen zu tun. Vergeblich ist die Bitte, da nimmt Hildebrand Frau Ute an seine Hand und so die andern Recken jeder die seinige. Bitter ist der Abschied vor Garten, als sie ihn mit Armen umschließt und er, seinem Herrn ins Elend folgend, ihr kein Ziel des Wiedersehens zu geben weiß. So würdevoll Frau Ute in diesen ernsten Augenblicken dasteht, so ist doch von dem launigen Zug in Hildebrands Charakter einiges auf sie übertragen worden und die Zärtlichkeit dieser alten Ehegesponsen einem gutmütigen Spotte nicht entgangen. Als Hildebrand ausreiten will, um seinen Herrn aufzusuchen, der von dem Abenteuer gegen den Riesen Siegenot nicht heimkehrt, da ist Frau Ute voll Angst und Trauer, Wolfhart verweist ihr, daß sie um einen Alten sich so gehabe, sie soll sich einen jungen nehmen, der sie besser trösten könne. Doch ihr ist nicht spaßhaft zumute, wenn sie den scheiden sieht, mit dem sie so manchen lieben Tag verlebt. Sie bindet ihm den Helm auf und küßt ihn zum Abschied. »Verloren ist nun der Riese,« ruft Wolfhart, »wenn Hildebrand an diesen Kuß gedenkt!« Alle lachen, wie sehr sie im Leide sind. Auch im Rosengarten, als der listig fechtende Meister seinem Gegner zu weichen scheint, bedroht Dietrich ihn, wenn er sich besiegen lasse, Frau Ute einen andern, jüngeren Mann zu geben, des sie wohl wert sei. »Nein,« entgegnet Hildebrand; »würd' ich erschlagen, so hörte man Frau Ute jammern und klagen; groß ist ihre Treue gegen mich, seit sie mir zur Ehe gegeben ward; fröhlich will ich streiten um die minnigliche Frau.« Er kämpft siegreich, und als ihn Kriemhild halsen und küssen will, spricht er: »Den Kuß behalt' ich meiner lieben Hausfrau; mit Treu' ist sie gepriesen und mit Frömmigkeit; warum sollt' ich denn küssen eine ungetreue Maid?« Schön verschmolzen ist Laune mit Rührung in dem Liede von Hildebrands Wiederkehr aus langer Verbannung; zweiunddreißig Jahre hat er Frau Ute nicht gesehen, sie erkennt ihn nicht mehr und wundert sich, daß ihr Sohn den Gefangenen oben an den Tisch setze. Alebrand sagt ihr, es sei kein Gefangener, es sei Hildebrand, sein liebster Vater. Da hebt sie an zu schenken und trägt es ihm selber her, Hildebrand aber läßt aus seinem Munde den Goldring in den Becher sinken, das Unterpfand ungerosteter Liebe und Treue.
Ein Ring, in den Becher geworfen, ist in vielen Sagen und Liedern (von Horn und Rimenild, dem edeln Möringer, Heinrich dem Löwen, dem Grafen von Calw u.a.) das Wahrzeichen, wodurch ein lang Abwesender der heimgebliebenen Gattin sich wieder zu erkennen gibt oder getrennte Liebende sich heimlich verständigen. Auch der Ring für sich allein leistet solche Dienste. In unsrem Liederkreise sucht Rother, als Pilgrim verkleidet, seine Frau, die ihm gestohlen worden, zu Konstantinopel auf, findet sie beim Hochzeitmahl an der Seite eines heidnischen Königssohnes, setzt sich neben ihr auf den Fußschemel und gibt ihr einen goldnen Ring, worauf sein Name gebuchstabt ist, daran sie seine Gegenwart erkennt. Auch als Waller sitzt Wolfdietrich an einem Brunnen vor der Burg, worin seine Frau, Sigeminne, von einem Riesen festgehalten wird; er verkündet ihr sein Kommen, indem er ihrer Dienerin, die bei dem Brunnen Kräuter holen soll, seinen Ring ansteckt. Hier der Brunnen, dort das Gastmahl, lassen vermuten, daß ursprünglich auch das Trinkgefäß nicht gefehlt, wie nach einer andern Erzählung, in Kaspars von der Röhn Heldenbuche, Wolfdietrich bei Sidratens schon bereiter Hochzeit mit demjenigen, der sich für den Erleger der Lindwürme fälschlich ausgegeben, in Pilgerkleidung erscheint und den Ring Otnits, darauf dessen und ihr Name geschrieben, in den goldnen Kopf (Becher) sinken läßt, oder wie im Morolfsliede, wo ein Ring im Weine der Trinkenden unwiderstehliches Sehnen anzaubert.
All dieses Sagenhafte geht davon aus, daß es Geschäft der Frauen war, den Gästen den Labetrank zu kredenzen. In dem angelsächsischen Gedichte von Beowulf, des siebenten oder achten Jahrhunderts, trägt die Königin den Becher rings im Saal umher. Im Liede von Walthers Flucht schenkt Hiltegund den wunden Helden den Wein. In Odins Halle selbst sahen wir die Walküren das Trinkhorn bringen. Aber auch dieses häusliche Geschäft des Schenkens gewinnt in Frauenhand Bedeutung und Weihe. Der Willkommbecher wird zum Tranke des Gedenkens und des Vergessens, auch zum Verlobungsbecher (Löftebeker, noch in neuerer Zeit bei den Ditmarsen). Wie die verschiedenen Beziehungen ineinander übergehen, sieht man aus den halbgeschichtlichen Sagen von Theudelinde. Um sie, die bayrische Herzogstochter, hat der Langobardcnkönig Authari freien lassen, will aber auch selbst, von ihr unerkannt, seine Braut sehen und berührt, als sie ihm den Willkommbecher reicht, nur leise mit dem Finger ihre Hand. Nach Autharis Tode soll sie den Nachfolger wählen, sie beruft den Herzog Agilulf, empfängt ihn mit dem Becher, aus dem sie zuerst getrunken, erlaubt ihm den Kuß und tut ihm ihren Entschluß kund (Paul. Diac. III. 29. 34). Walther und Hiltegund, in unsrem Liede, sind einander in der Kindheit von den Vätern zugeschworen und leben beide als Geisel bei den Hunnen. Von einem Kriegszuge heimkehrend, läßt Walther sich von der Jungfrau den Becher reichen, drückt ihre Hand und erneuert so das frühe Verlöbnis. Auch hier kommt wieder Sigurdrifas Minnetrank Isl. minni, scyphus memorialis, memoria. Schmeller II, 593. in Betracht; sie bringt ihn dem Sigurd zum Willkommen, Segenswünsche darüber aussprechend, und daß hierauf die Verlobung mit dem verhängnisvollen Ring erfolgte, gibt der Zusammenhang der Fabel. In der Wölsungensage nimmt Sigurd in Brunhildens Turme zugleich mit dem Goldbecher ihre Hand und gibt ihr dann den Ring, worauf er den Eid der Verlobung schwört. Wenn in den angeführten Fällen der Finger berührt, die Hand ergriffen wird, so erscheint der angesteckte Ring als ein Zeichen, daß sie für immer festgehalten sei.
Wie bei der Verlobung, so gehören nun auch beim Wiederfinden nach langer Trennung Ring und Becher zusammen. Im Liede von dem edeln Möringer, der auch als Pilger zurückkommt, als eben seine Frau mit einem andern am Hochzeitsmahl sitzt, ist ausdrücklich gesagt, daß er in den Becher das Ringlein geworfen, womit sie ihm zuerst vermählt worden. Vgl. auch dir Sage von Wernh. v. Strättlingen. Schweizer Burgen II, 327. So feiert denn auch Hildebrand mit seiner alten Hausfrau durch den Ring im Becher eine goldene Hochzeit. Im dänischen Hildebrandslied ist es nur ein Stück vom Ringe, denn oft wird beim Abschied ein Ring entzweigebrochen, damit die zusammenpassenden Hälften um so sicherer zum Wahrzeichen dienen mögen.
»Willt du nicht haben Freude, so mußt du haben Leid,« sagt die grausame Gerlinde zu Gudrun, deren Schicksale früher im Zusammenhang erzählt sind. Diese freiwillige Ausdauer in Kummer und Not, dieses beharrliche Verschmähen eines glänzenden Loses um der Treue willen, ist zumeist in zwei weiblichen Charakteren unsres Kreises dargestellt, entsprechend jener selbsterkorenen Gefangenschaft der Dienstmannen Wolfdietrichs.
Sidrat, Otnits Gemahlin, wird nach Ablauf der Jahresfrist seit dessen Ausritt gegen die Lindwürme von den Herren des Landes gedrängt, sich einen andern Gemahl zu wählen. Doch ihr ist von dem Scheidenden empfohlen, nur den zu nehmen, der durch Erlegung der Würme sein Rächer sein würde. Hieran festhaltend, wird sie vom Reiche verstoßen, die Schlüssel zu dem Turm auf Garten, der voll Goldes und Silbers ist, werden ihr abgenommen. Sie nährt sich mit ihrer Hände Arbeit, der Burggraf und dessen Frau schicken ihr mitleidig Brot und Wein. So treibt sie es ein Jahr und sieben Tage, bis zu Otnits Wiederkehr. In gleicher Not lebt sie bis ins dritte Jahr, nachdem Otnit wirklich von den Lindwürmern erwürgt ist. Nachts auf der Zinne klagt sie, mit dem treuen Wächter, wie ihre Schenken und Truchsesse nun ihre Herren seien, wie sie, ihres Erbes beraubt, nun spinnen müsse. Da verkündet der gewaltige Steinwurf aus der Dunkelheit die Nähe des Rächers.
Am vollständigsten jedoch erweist sich eben in Gudrun die unbezwingliche Kraft des weiblichen Herzens, durch langes, bitterstes Leid bis zum endlichen Siege.
Hinweggeführt aus der gebrochenen Heimatburg, von wo die trauernde Mutter nachschaut, des Vaters und so vieler Verwandten beraubt im blutigen Kampfe derselben mit den Entführern, ist ihr die Wahl gegeben, mit Hartmut die Krone zu tragen, der, von ihrem Vater abgewiesen, sie dem Verlobten gewaltsam entrissen und dessen Vater den ihrigen erschlagen, oder der schmählichsten Dienstbarkeit sich zu unterwerfen. Ihre Wahl ist gleich getroffen, sie verwirft die Krone und wählt die Knechtschaft. Sieben Jahre hindurch und wieder sieben weist sie erneute Anerbietungen von sich und ihr Dienst wird darum stets härter gesteigert. Schon auf der Seefahrt wurde sie von dem ergrimmten Vater Hartmuts bei den Haaren aus dem Schiffe geworfen und kaum noch von Hartmut selbst an ihren falben Zöpfen zurückgezogen. Jetzt muß sie den Ofen heizen, mit ihren Haaren den Staub abwischen, schlafen auf harter Bank, mit Roggenbrot und Wasser sich nähren, schlechte Kleider tragen, sie wird geschlagen, muß waschen am Meere, und selbst im Schnee, beim kalten Märzwinde barfuß, im Hemde, zum beeisten Strande gehen. Sie ist strenger gehalten, als all ihre mitgefangenen Jungfrauen; nur Hildeburg teilt aus freiem Entschluß dieses härteste Los. Aber ungebrochen bleibt Gudruns stolzes Herz; wie sie bei ihrer Ankunft von Gerlind, der Mutter des verschmähten Freiers, der Anstifterin des Unheils, nicht geküßt sein will, so trotzt sie dieser noch nach Jahren. »Ich soll nicht haben Wonne; ich wollte, daß ihr mir tätet noch leider.« Es ist ihr lieb, mit dem Waschen selbst ihre geringe Nahrung zu bezahlen. Und diese Hochfahrt, dieser grimme Mut, dieses »sich teuer dünken«, wie ihre Feindin es nennt, bewährt sich nicht bloß im Dulden und Ausharren; mit ungeschwächter Kraft weiß sie auch, als das Ende der langen Trübsal herannaht, die Hoffnung und das Glück zu ergreifen. Sowie, als man ihr eines Tages Wein und gute Speise gibt, sogleich ihre angeborne Farbe rosenrot erblüht, so, nachdem der wunderbare Vogel Heil verkündet, nachdem ihr Bruder und ihr Bräutigam sie am Strande begrüßt, wirft sie, freudig und zürnend zugleich, die Leinwand in die Flut; dazu ist sie zu hehr, daß sie Gerlinden je mehr wasche, zwei Könige haben sie geküßt und mit Armen umfangen. Sie soll mit Dornen gezüchtigt werden, aber im listigen Hohne läßt sie sich an, als wolle sie jetzt die Krone annehmen, die auch ihren Bedrängern nicht lange mehr bleiben wird; Boten mit dieser Kunde versendet sie zahlreich ins ganze Land, damit in der Burg der Feinde um so weniger seien; sie gebietet ein Bad, läßt sich herrlich kleiden und speisen, erhält Schenken und Truchsesse, und, als ihre Jungfrauen weinen, lacht sie seit vierzehn Jahren zum erstenmal, ein ungestümes Lachen, das Gerlinden befremdet und erschreckt. Gudrun hat sich geschämt, daß die zwei Boten sie im nassen Hemde, mit zerwehten Haaren, vor Frost bebend, sollten waschen sehen; jetzt ist sie bereit, die Ihrigen königlich zu empfangen. Burgen und Huben verheißt sie derjenigen ihrer Dienerinnen, die ihr zuerst den Morgenstern verkünden wird, der den Tag der Freiheit und der Rache heraufführt.
Gudruns Geschichte ist nicht ein bloßes Liebesabenteuer. Um sie kämpfen zwei mächtige Geschlechter den Kampf der Vertilgung. Die Kränkung des einen mittels der abgewiesenen Werbung wird durch gewaltsame Entführung und die Niederlage der Verfolgenden gerächt. Die Treue gegen den Verlobten und die Erinnerung an die umgekommenen Blutsfreunde sind in Gudruns Seele gleich mächtig; wäre sie ein Ritter, nicht dürft' ihr der ohne Waffen nahe kommen, der ihr den Vater erschlagen; das stolze Bewußtsein, einem trefflichen Stamme anzugehören, hält sie aufrecht in allen Mühsalen vierzehnjähriger Dienstbarkeit. Sie ist aber auch von den Ihrigen nicht vergessen; wohl ist die Macht dieser auf langehin gebrochen, ein neues Geschlecht muß erst zum Schwert erwachsen, aber der Gedanke der Rettung und Rache bleibt immer wach, die Söhne schärfen ihren Grimm am Grabe der erschlagenen Väter. Als das Heer am feindlichen Strande angelandet und Kundschaft nach der gefangenen Gudrun ausgesandt werden soll, da tritt zuerst Ortwin hervor, dessen Schwester sie ist von Vater und von Mutter; der andre will Hartmut sein, dem sie zum Weibe gefestet ist; sie gehen zusammen und so erscheinen auch hier die Bande der Verlobung und des Blutes zu einer größeren Genossenschaft verknüpft. Bei der Begegnung der waschenden Jungfrau ist anfangs nur ein halbes Erkennen, dunkle Ähnlichkeit und leise Ahnung, die erst durch die Ringe an den Händen der Verlobten bestätigt werden muß; ein schönes Beispiel der Treue, die stillkräftig im Herzen fortlebt, wenn auch Zeit und Schicksal die äußeren Züge verwandelt und die Bilder der Erinnerung verwischt haben. Über die Nachricht, daß ihre Königstochter waschen müsse, weinen die Männer im Heere der Hegelingen; zürnend erhebt sich Wate und heißt sie die Kleider, welche Gudrun weiß gewaschen, mit Blut röten. Ihm muß Gerlind, die ihr jenes Waschen auflegte, mit dem Haupte büßen, ebenso Hergart, die nicht mit ihr in der Knechtschaft aushalten wollte. Blutfarb tritt auch Herwig vor die wiedererkämpfte Braut.
Gudruns unheildrohendes Lachen nach langer Leidenszeit ist ein Zug, der auch sonst in Liedern vorkommt. Nicht mehr lachen ist der epische Ausdruck für herbes, unheilbares Leid; im Gegensätze hiezu steht jenes erste Lachen nach manchen Kummerjahren; es ist ein furchtbares, weil in diesen Geschichten der Umschwung des Schicksals ein gewaltsamer zu sein pflegt und nach unersetzlichen Verlusten der Ausbruch der Freude nur die endlich befriedigte Rache verkünden kann. So lacht in den Eddaliedern Brunhild laut auf, als sie Gudruns Wehgeschrei über Sigurds Ermordung hört, aber sie wechselt selbst die Farbe über diesem Lachen. Im Nibelungenliede steht Kriemhild im Fenster, als ihre Blutsfreunde, der verderblichen Ladung folgend, heranziehen. Etzel lacht vor Lust und Kriemhilde ruft aus: »Nun wohl mir meiner Freuden!« Gewiß kam hier ursprünglich ihr das gefährliche Lachen zu; wie noch in der entsprechenden dänischen Ballade von Loumor und Signild, welche bei ähnlichem Anlaß nach acht Jahren zum erstenmal lachen; ein Gelächter, darob die Mauer sich spaltet und das Kind in der Wiege zu sprechen anfängt. Grimm, Edd. S. 235, 257. Danske Viser III, 173: Saa hjertelig loe da Herr Loumor; Han loe ikke för i otte Aar. 174: Herr Lumor begyndte atter at lee. Den haarde Mur der revnede ved. Meldte det Barnet i Vuggen laae, Det talede aldrig förend da. Det er ikke for det gode, Min Fader leer ad min Moder. 179: Herr Loumor lader brygge og blande Vin, Saa byder ban hjem Södskende sine. Da loe stolt Signild den væn Maar. Hun loe ikke för i otte Aar. Grimm, Altd. Ball. 253. 255. 524. Vgl. auch Mai und Beaflor. Nib. 6876 (St. 1654): Chriemhilt diu vrowe in ein venster stuont; si warte nach den magen; so vriunt nach vriunden tuont. Von ir vaterlande sach si manigen man. Der künic vriesch ouch diu mære, vor liebe er lachen began. Nu wol moch miner vreuden, sprach do Chriemhilt. Hie bringent mine mage vil manigen niwen schilt und halsberge wize. Swer nemen welle golt, der gedenke miner leide und wil im immer wesen holt. Grimm, Kinderm. I, 41 erzählt von einer Königstochter, die zum erstenmal lacht. Vgl. 205. 246. 354. II, 88. 184. III, 280. 284. 325. I, 53 sitzt die Königstochter, sieben jahre nicht sprechend und nicht lachend, spinnend auf einem Baume. Vgl. III, 84. 92. II, 181. 200. 246.
Die zweimal sieben Jahre der Dienstbarkeit Gudruns sind Verdopplung des Zeitraums, der so häufig in Sagen und Märchen für die Dauer der Unterdrückung und Gefangenschaft angenommen ist. Auf eine theologische Beziehung dieser Siebenzahl, nämlich auf ihren Zusammenhang mit den alttestamentlichcn Feier- und Erlaßjahren, deutet der Sachsenspiegel in folgender Stelle: »Das siebente Jahr, das heißt das Jahr der Losung; so sollte man ledig lassen und frei alle, die gefangen waren und in Eigenschaft gezogen, wenn sie ledig und frei wollten sein. Über siebenmal sieben Jahre kam das fünfzigste Jahr, das heißt das Jahr der Freuden, so mußte allermannlich ledig und frei sein, er wollte oder wollte nicht. 3 Mos. 25, 4. Sachsensp. B. III, Art. 43. § 4. S. 145 f.: Ok hebbe wie orkünde des mer. Got ruwede den sevenden dach. Die sevenden weken gebot he ok to haldene, als he
Die Leidenszeit Kriemhilds von Siegfrieds Tode bis zum Tage der Rache und die einzelnen dazwischen liegenden Zeitabschnitte finden wir gleichfalls nach der Siebenzahl bestimmt, sowohl in der Teilung, vierthalb Jahre, als vervielfacht, bis zu viermal sieben. Wenn aber auch die Lieder diese Jahrzahlen mit den Ereignissen in Einklang zu bringen suchen, so muß man doch dabei mehr jene innere Geltung, als das abgezählte Zeitmaß vor Augen haben. Sonst würden sich die Zeiträume auf eine Weise dehnen, welche mit der epischen Feststellung der Charaktere unverträglich wäre. Wir sahen, daß Dietrich von Bern ewig jugendlich bleibt, wie viele Taten und Schicksale sich in seinem Leben zusammendrängen, und daß Hildebrand von Anbeginn der alte ist; so müssen auch unsre Heldinnen, ob sieben oder vierzehn, oder doppelt so viele Prüfungsjahre vergangen seien, doch immerdar in unverwelkter Schönheit dastehen.
Ich schließe die Reihe der weiblichen Charaktere mit dem Bilde der Heldin des Nibelungenliedes.
In den Geschichten Siegfrieds und der Nibelungen spielen zween weibliche Hauptcharaktere, Brünhild und Kriemhild. Letztere heißt in der nordischen Darstellung, gleich jener Königstochter der Hegelinge, Gudrun, während ihre Mutter, im deutschen Lied Ute genannt, den Namen Grimhild trägt. Wie die beiden Heldinnen um den Besitz Siegfrieds und um den Vorrang ihrer Gemahle eifern, so machen sie sich auch den Preis der dichterischen Gestaltung streitig; in der nordischen Dichtung trägt ihn Brünhild, in der deutschen Kriemhild davon. Die nordische Brünhild, die erhabene Walküre, deren Flammenwall Sigurd allein zu durchreiten, deren Zauberschlaf nur er zu lösen vermag, ist seine erste und ewige Liebe. Mit ihr trinkt er den Minnetrank, von ihr lernt er Weisheit und verlobt sich ihr. Nur ein entgegenwirkender Zauber läßt ihn all dieses vergessen und zieht ihn zu Gudrun; nur die Verwandlung der Gestalten bringt Brünhilden dahin, sich mit Gunnar zu vermählen. Aber in kurzem weicht beiden die Täuschung; das Bewußtsein, daß sie, die Zusammengehörenden, getrennt worden, erwacht in voller Stärke. Der Zank der Frauen hat ganz den Trug enthüllt. Bald irrt Brünhilde verzweifelnd umher (Edd. IV, 63), bald brütet sie in verstelltem Schlummer über finsteren Gedanken. Sigurd soll sie trösten, aber er selbst wird von solchem Schmerz ergriffen, daß ihm der Ringpanzer entzweispringt (IV, 59). Gewaltsam löst Brünhild die Verwicklung, indem sie die Giukungen zum Mord an Sigurd aufreizt. Dann sticht sie sich selbst das Schwert in die Brust, um mit dem Geliebten vereint auf dem Scheiterhaufen zu liegen. Gudrun dagegen, die Kriemhild des Nordens, ist nur durch den Trank des Vergessens auf kurze Dauer mit Sigurd verbunden: versteinert sitzt sie über seiner Leiche und rührend sind auch ihre spätern Erinnerungen an ihn (IV, 196-198), aber sie bleibt für fernere, schreckliche Geschicke aufbehalten. Sie vermählt sich mit Atli, doch nicht um Sigurds Tod an ihren Brüdern zu rächen: vielmehr ist Atlis Gier nach dem Horte die Ursache der verräterischen Einladung: Gudrun warnt ihre Brüder, kämpft selbst an deren Seite und rächt den Fall derselben durch das thyestische Mahl, das sie Atlin bereitet. In der dänischen Ballade von Loumor und Siguild (Danske Viser III, 172 ff. Grimm S.222 ff.) sind gleichfalls die nordischen Motive,nur daß kein Hort dabei vorkommt. Wie die Wogen des Meeres, darin sie sich ertränken will, sie emporheben und zum seinen Lande tragen, so wird sie noch lange unselig umhergetrieben und muß den gänzlichen Untergang der Heldengeschlechter erleben; ihr eignes Ende bleibt ungewiß (vgl. IV, 198).
Umgekehrt nun, in der deutschen Behandlung, ist Brünhilds früheres Verhältnis mit Siegfried verdunkelt und zur Seite gestellt. Wohl kostet es ihr heiße Tränen, als sie Kriemhilden hochzeitlich neben Siegfried sitzen sieht, wohl wirft sie, als später Siegfried nach neun Jahren mit seiner Frau zum Feste kommt, lauernde Blicke auf Kriemhilds unverblühte Schönheit; aber es erhellt nichts von einem älteren Anrecht auf Siegfried, der mit ganzem Herzen Kriemhilden angehört. Bitter gekränkt durch den enthüllten Trug und durch Kriemhilds Schmachreden, läßt sie sich von Hagen Rache an Siegfried angeloben und hat, nachdem der Mord verübt ist, kein Mitleid mit den Tränen seiner Witwe; aber sie folgt dem Helden nicht im Tode und verschwindet, fortan unbeachtet, von der Bühne der Begebenheiten: wie gegenteils in der nordischen Darstellung Gudruns Ende nicht recht erhellt. Nur in der Klage erscheint Brunhilde noch, aber ohne Bedeutung.
Welche dieser verschiedenen Behandlungen die ursprüngliche sei und worin die Ursache der Verschiedenheit liege, läßt sich auf dem Grunde des deutschen Liedes noch hinlänglich durchschauen. Die kampfrüstige Brünhild ist, wie anderwärts erörtert wurde, nur eine menschlicher umgewandelte Walküre. Ihre frühere Bekanntschaft mit Siegfried ist auch hier noch angedeutet; sie grüßt den Helden vor dem König Gunther. Die Kampfspiele und das Ringen in der Brautnacht sind eine Teilung und Verdopplung dessen, was das nordische Abenteuer von der Flammenburg in einem Zusammenhange gibt. Auch das lautlose Verschwinden Brünhilds aus der Handlung verrät Unsicherheit und Ablösung ehemaliger Bestandteile. War Brünhild nun auch im deutschen Gesang als Walküre und erste Geliebte Siegfrieds vorhanden, so ist klar, daß neben diesem heiligen Bande nicht eine irdischere Liebe mit der Gewalt und Innigkeit bestehen konnte, wie wir sie jetzt zwischen Siegfried und Kriemhilden festgeknüpft sehen. Soll die Fabel irgend Einheit und Mittelpunkt haben, so muß notwendig das eine von beiden Verhältnissen vorherrschend sein; solang aber Brünhild mit ihrer mythischen Herrlichkeit umkleidet ist, kann ihr der Vorzug nicht streitig bleiben. Nicht minder einleuchtend ist jedoch, warum sie diesen Vorrang in der Folge dennoch an die Nebenbuhlerin abtreten mußte. Die deutschen Sänger hatten auch, wie Siegfried, vom Becher der Vergessenheit getrunken; die Walküre, die hohe Gestalt des alten Glaubens, verwischte sich vor ihren Blicken, ihre Neigung wandte sich entschieden der Gegnerin zu, in der das Menschliche entwickelt und gehoben werden konnte. Eine solche Entwicklung mit Brünhilden selbst vorzunehmen, dagegen stand die Achtung vor dem Überlieferten, die Macht des altbegründeten Sagenstoffes. Man ließ die Walküre als Kampfjungfrau verkörpert gelten, man erhielt sie durch die Leidenschaft schmerzlich gekränkter Eifersucht mit dem neuen Ganzen in Verbindung und Einklang, aber eine vollständige, geistige Wiedergeburt wurde nicht versucht. Jene stoffartige Vermischung und Verwechslung der beiden Heldinnen aber, die wir im Liede vom hörnernen Siegfried finden, ist erst einer weitvorgerückten Verdunklung der Sage zuzuschreiben. Anderseits bot der eine, naheliegende Gedanke, Siegfrieds Witwe zu seiner Rächerin zu erheben, der bildenden Dichterkraft ein weites Feld innerer und äußerer Entfaltung dar. Auch in Beziehung auf sie, die zur Kriemhilde gesteigerte Gudrun, liegen unerloschene Spuren einstiger Übereinstimmung der deutschen mit der nordischen Sage vor. Abgesehen davon, daß die Geschichtschreiber selbst von Etzels Tod in der Hochzeitsnacht, von dessen Ermordung durch Weiberhand erzählen, und daß noch im dreizehnten Jahrhundert auch in der deutschen Volkssage Sörli und Hamder (Gudruns Söhne) bekannt waren, läßt auch das Nibelungenlied, welches doch die ausgeführteste Charakteristik Kriemhilds gibt, noch frühere Zustände durchblicken, welche nicht ganz in die jetzige Auffassung verarbeitet sind. Wie es schon bei Hagen mißlautend erscheint, daß ihm, in dessen Charakter die Treue gegen das burgundische Königshaus der Grundzug ist, doch einmal die Absicht unterlegt wird, sich für seine Person des Nibelungenhortes zu versichern, so stört uns auch Kriemhilds wiederholte Nachfrage nach dem Horte, während doch im Geiste des Ganzen nur der Gedanke an den ermordeten Siegfried die Triebfeder ihrer Handlungen sein kann. Unverkennbare Überbleibsel von dem einst bedeutenderen und auch jetzt nicht völlig beseitigten Gewichte des fluchbeladenen Goldes, an das in der nordischen Darstellung alle Verhängnisse geknüpft sind. Gleichwie der Verrat an den Brüdern von Etzeln auf Kriemhilden übertragen ist, so, scheint es, auch das Trachten nach dem Horte, als ein Beweggrund der trügerischen Ladung. Etzels müßige Stellung im deutschen Liede weist schon darauf hin, daß er einst größere Bedeutung gehabt habe. Dieses bestätigt sich, wenn wir die hauptsächlich auf deutsche Überlieferungen gegründete Wilkinensage vergleichen. Sie steht vermittelnd zwischen der nordischen und der nunmehrigen deutschen Gestaltung; nach ihr sucht Grimhild (Gudrun) dadurch Rache für Sigurd zu erlangen, daß sie ihren Gemahl auf das Gold reizt, das die Brüder ihr hatten verabfolgen sollen (K. 334. 349. 359. 366); daß aber Etzels Gier nach dem Horte einst noch bestimmter als Ursache des Verrats hervortrat, zeigt die Wiedervergeltung, welche nach der genannten Sage an ihm genommen wird: Hagens nachgeborner Sohn lockt und verschließt Etzel in den Berg, wo der Schatz verborgen liegt, und läßt ihn dort mitten unter dem Golde, nach dem er gedürstet, verschmachten (K. 367. 386). Die altdänischen Balladen wenden dieses auch auf Grimhilden an ( Danske Vis. I, 116. 123. Grimm S. 6, 10), wogegen die Überarbeitungen der Klage zweifelhaft lassen, ob Etzel erschlagen worden (wie in der nordischen Darstellung), ob er lebend begraben worden, ob er sich in Löcher der Steinwände verloren (wie in der Wilkinensage) usw. Nach der Wölsungensage (K. 47) wird Atli von Högnis Sohne in Gemeinschaft mit Gudrun ermordet, offenbar eine bloß äußerliche Vereinigung zweier verschiedenen Überlieferungen. Merkwürdiger ist der Zug des Nibelungenliedes, daß Kriemhild, um den Streit anzufachen, ihren jungen Sohn Ortlieb zum Gastmahle tragen läßt und dem Zorne Hagens über die erschlagenen Knechte preisgibt, was die Wilkinensage (K. 353) und der Anhang zum Heldenbuche deutlicher in der Art erzählen, daß sie den Knaben anweist, dem essenden Hagen Backenstreiche zu geben, bis dieser ergrimmt ihm das Haupt abschlägt. Bei größter Verschiedenheit der Anlässe und Umstände, eben deshalb aber nur um so älter begründet, zeigt sich hierin ein unverkennbarer Zusammenhang mit den Eddaliedern, in welchen Gudrun ihre Söhne von Etzel der Rache an diesem, wie dort der an den Nibelungen, so grausam aufopfert.
Wenn wir durch all dieses eine bedeutende Annäherung der deutschen Sage an die nordische, je höher in der Zeit hinauf, um so enger zusammenrückend, darzutun und eben damit die deutsche Gestaltung Kriemhilds als eine verhältnismäßig neuere zu erweisen versucht haben, so ist doch keineswegs die Meinung, als ob diese Veränderung erst im Nibelungenliede vorgegangen sei. Dagegen spricht die feste Begründung des Charakters selbst, die mannigfaltige Behandlung desselben Gegenstandes in den verschiedenen der deutschen Richtung angehörenden Liedern und Sagen, ja sogar, mit bestimmter Jahrzahl, die Erzählung Saxos B. XIII, S. 373 f.: Igitur speciosissimi carminis contextu notissimam Grimildæ erga fratres perfidiam de industria memorare adorsus, famosæ fraudis exemplo similium ei metum ingenerare tentabat. von dem sächsischen Sänger, der im Jahr 1130 Grimhildens wohlbekannten Verrat an ihren Brüdern dem Dänenherzoge Kanut zur Warnung gesungen.
In der vollständigsten und tiefsten Entwicklung aber gibt allerdings das Nibelungenlied den Charakter Kriemhilds, es löst in sicherem Vorschreiten die großartige Aufgabe, wie die herrlich aufblühende, jedes Herz gewinnende Jungfrau durch den grausamen Verrat, der an ihrer Liebe zu dem edelsten Helden begangen wird, zur furchtbaren Rachegöttin, zum blutdürstenden Ungeheuer sich verwandelt.
Wie der rote Morgen aus trüben Wolken geht Kriemhild hervor, als Siegfried sie zum erstenmal sieht. In Sommerzeit und Maientagen war sein Herz nie freudenvoller, als da sie an seiner Hand geht. Sein jugendlicher Heldenmut, seine Treue, freudige Dienstfertigkeit gewinnen ihm das Herz derjenigen, die immer ohne Mannes Minne leben wollte. Als seine Gattin rühmt sie sich gegen Brünhilden, einen Mann zu haben, dem all diese Reiche zu Händen stehen sollten, der herrlich vor den Recken stehe, wie vor den Sternen der lichte Mond. Darüber erhebt sich der verderbliche Frauenzank, Brünhilds Schmach ruft um Rache. Ahnungsvoll um den Geliebten besorgt, entdeckt Kriemhild selbst dem Verräter die Stelle, an welcher allein Siegfried verwundbar ist. Von schweren Traumen geängstigt, weinend ohne Maß, bemüht sie sich vergebens, ihn von der unheilvollen Jagd zurückzuhalten. Siegfried fällt verblutend in die Blumen und seine Erscheinung war nur darum so glänzend herausgeführt, daß ihr frühes Verschwinden um so herber gefühlt werde, daß sie unauslöschlich in Kriemhilds gequältem Herzen fortlebe. Da wird das schöne Morgenrot zum sturmvollen Tage, die kurze Sommerlust zum endlosen Gewitter. Schonungslos haben sie den Leichnam des Ermordeten vor Kriemhilds Kammertüre gelegt. »Von ihr war allen Freuden mit seinem Tode widersagt.« Sprachlos sinkt sie zur Erde, »die schöne Freudelose«; dann schreit sie, daß all die Kammer erschallt, das Blut bricht ihr aus dem Munde vor Herzensjammer. Sie hebt sein schönes, blutiges Haupt mit ihrer weißen Hand. »Dein Schild ist dir nicht mit Schwertern verhauen, du liegst ermordet; wüßt' ich, wer es getan, ich riet' ihm immer auf den Tod. Wollte Gott,« ruft das jammerhafte Weib, »wär' es mir selber getan!« Als der Tote zum Münster getragen ist und Hagen mit Gunthern zur Bahre tritt, da bluten die Wunden, daran der Schuldige erkannt wird. Noch läßt Kriemhild ihren Toten nicht begraben. Drei Tage und drei Nächte weicht sie nicht von ihm; sie hofft, der Tod werde auch sie hinnehmen. Am vierten Morgen wird er zu Grabe getragen, aber zuletzt noch muß man ihr den Sarg aufbrechen, daß sie noch einmal sein schönes Haupt sehe; sie küßt den Toten und ihre lichten Augen weinen Blut. Man trägt sie, sinnlos, von dannen. So hat sie recht mit dem bittersten Leide sich gesättigt und den Keim furchtbarer Entschlüsse tief in ihre Brust gesenkt. Sie läßt sich am Münster eine Wohnung bauen und besucht täglich das Grab ihres Liebsten; kein Trost verfängt an ihrem wunden Herzen. Vierthalb Jahre spricht sie nie ein Wort mit Gunthern und sieht in dieser Zeit niemals ihren Feind Hagen. Durch Giselhers Bitte wird sie endlich bewogen, sich mit Gunthern zu versöhnen, doch unter vielen Tränen. Auch läßt sie, auf das Andringen ihrer Brüder, den unermeßlichen Nibelungenhort, ihre Morgengabe von Siegfried, zum Rheine bringen. »Wäre sein tausendmal so viel gewesen und sollte Siegfried genesen sein, bei ihm wäre Kriemhild mit bloßen Händen geblieben.« Daß sie durch ihre Freigebigkeit so manchen Mann in ihren Dienst gewinnt, erregt Hagens Argwohn und er verursacht ihr neue Kränkung, indem er sie des Hortes beraubt. Nach dreizehnjährigem Witwentum läßt der mächtige König Etzel um sie werben. Sie will anfänglich nichts davon hören und ihre Klage wird nur erneut. Da erst, als Rüdeger, der Bote der Werbung, ihr schwört, sie alles des zu ergötzen, was ihr je geschehen, hofft sie auf Rache für Siegfrieds Tod. »Ich will euch folgen,« spricht sie, »ich arme Königin.« Am Hochzeitfeste selbst werden ihr die Augen heimlich naß, in der Erinnerung, wie sie mit ihrem edlen Manne am Rhein gesessen. Im dreizehnten Jahr ihres Aufenthalts bei den Hunnen glaubt sie ihre Macht hinreichend befestigt, um endlich ihr Leid rächen zu können. Den Boten, welche abgesendet werden, ihre Blutsfreunde zum Feste zu laden, gibt sie auf, nichts davon zu sagen, daß sie jemals betrübt gesehen worden, und besonders den wegkundigen Hagen nicht daheim bleiben zu lassen. Die Nibelungen folgen der Ladung, ungeachtet mancher abmahnenden Stimme und zuletzt noch der Warnung Dietrichs, daß er Kriemhilden alle Morgen um Siegfried weinen und klagen höre. Da ist sie erst wieder freudenvoll, als sie, am Fenster stehend, die Gäste heranreiten sieht. »Nun steht der Sommer im schönsten Grün,« ruft sie nach der Wilkinensage hier aus. Die Mordgedanken, die sie langst im finstern Busen gehegt, gehen jetzt in üppigem Wachstum auf. Doch ist zunächst nur auf Hagen ihr Anschlag gerichtet.
Diese zwo mächtigsten Gestalten, Hagen und Kriemhild, die in ihrem feindlichen Ringen die ganze Heldenwelt mit sich ins Verderben reißen, sind einander darin ähnlich, daß sie die scheinbar widerstreitendsten Eigenschaften in sich vereinigen. Auch in Kriemhilden sind Treue und Untreue, doch beide aus demselben Keime, wundersam gepaart; Treue gegen ihren Toten, Untreue gegen seine Mörder. Sich untereinander kehren Hagen und Kriemhild stets nur die schneidende Seite zu und eben daraus erwachst jener ungeheure Kampf. Ganz entgegengesetzt aber ist in beiden der Umschwung des Guten und Bösen; Hagen, der mit Verrat begonnen, wird größer und größer in der treufesten Gesinnung, womit er seine Schuld auf sich nimmt, Kriemhild, in Lieb' und Treue aufgeblüht, endigt mit Verrat und Blutgier.
Seit der Ankunft der Nibelunge und dem bittern Willkommen zwischen ihr und Hagen ist sie unermüdlich, Hader und Kampf zu stiften, er aber, ihrer Feindschaft Hohn und Trutz zu bieten. An der Spitze ihrer Dienstleute, die sie gegen ihn gewaffnet, tritt sie, die Krone auf dem Haupte, vor ihn und verlangt Rechenschaft; Hagen aber steht nicht auf und läßt das Schwert Balmung, das Siegfrieds war, auf seinem Schoße spielen. Er leugnet nicht den Mord, räch' es, wer da wolle, Weib oder Mann! Weinend muß sie abziehen, denn keiner der Ihrigen wagt den Angriff. Nachdem sie vergebens bei Dietrich Hilfe gesucht, reizt sie durch Versprechungen den Bruder Etzels zum Überfall der Knechte. Sie schont ihres eignen Sohnes nicht, Streit im Saale zu erregen. Dem, der ihr Hagens Haupt brächte, verheißt sie, einen Schild bis zum Rande mit Gold zu füllen, dazu Burgen und Lande. Iring springt hinan und schlägt Hagen eine Wunde; das tröstet ihr Herz und Mut, als sie Hagens Gewand vom Blute gerötet sieht; sie nimmt in Dank und Freude selbst den Schild von Irings Hand. Zum zweitenmal läuft er an: doch es ist sein Tod, wie seiner Freunde, die ihn rächen wollen. Noch will Kriemhild ihre Brüder leben lassen, wenn sie Hagen herausgeben. Sie verschmähen es und nun läßt sie den Saal anzünden. Als auch das Feuer sie nicht bändigt, läßt sie von neuem Gold auf Schilden herzutragen, um ihnen Feinde zu werben. Rüdeger mahnt sie dringend seines Eides und bietet sich mit Etzel ihm flehend zu Füßen. Da nun auch er zu den Waffen greift, weint sie vor schrecklicher Freude. Schon sind alle erlegen, bis auf Gunther und Hagen, welche Dietrich ihr gebunden überliefert, mit dem Beding der Schonung. Als aber Hagen, den sie um den Hort mahnt, ihr auch dann noch trotzt, trägt sie Gunthers abgeschlagenes Haupt am Haare vor ihn und schlägt ihm seines ab mit Siegfrieds Schwerte, das allein ihr geblieben. Von Hildebrand zu Stücken gehauen, endet sie mit lautem Schrei ihr Leben.
Die Verwandlung der minniglichen, tugendreichen Jungfrau, der »niemand gram war«, zur Teufelin (Valandinne), wie Dietrich von Bern zürnend sie schilt, ist eben in dem Abscheu dieses edlen, reinen Helden treffend bezeichnet; beschämt und verstummend, muß sie sich von ihm abwenden, der keinem Verrate dienen will; dahin ist es mit dem herrlichsten Weibe gekommen. Aber diese furchtbare Umwandlung selbst macht Kriemhilden zum Gegenstand tiefen Erbarmens; welch ein Seelenschmerz, der solche Verwilderung bewirken, welche Liebe, die solchen Haß gebären konnte! »Siegfrieds Wunden taten Kriemhilden weh,« sagt das Lied. Umsonst hat Hagen gespottet, Siegfried komme nicht wieder, er sei vor mancher Zeit begraben. Er ist wieder gekommen, er hat fortgelebt in Kriemhilds Brust und sein Schwert hob sich rächend in ihrer Hand.
Schon das Nibelungenlied rühmt an verschiedenen Stellen die große Treue, mit der Kriemhild den Tod Siegfrieds bis zum Tage der Rache beklagt. Noch bestimmter führt der Verfasser der Klage wiederholt ihre Rechtfertigung, »Treue ehret Mann und Weib. Kriemhild hat nach ihrer Treue in großem Schmerz die Rache vollbracht. Wohl glauben manche, sie trage um ihre große Schuld an Heiden und Christen die Qual der Hölle; wer das erkunden sollte, der müßte selbst zur Hölle fahren, ich will nicht dahin Bote sein; des Buches Meister sprach: dem Getreuen tut Untreue weh: wes Leib mit Treuen Ende nimmt, der geziemt dem Himmelreiche.« Dem frommen Bischof selbst, Kriemhilds Oheim, wird in den Mund gelegt: »Hätten es nur die entgolten, die ihr Siegfrieden tot schlugen, so wäre sie des unbescholten.«
Indem wir die Hauptcharaktere des deutschen Heldensanges, ihrer vielgestaltigen Persönlichkeit unbeschadet, in der Idee der Treue und deren Gegensätzen begründet fanden, ergibt sich zum voraus, daß die Handlung, zu der sie mannigfaltig verflochten sind, von derselben Gesinnung bestimmt, daß daher sowohl der Bau der einzelnen Lieder, wie sie je zu einem besonderen Kreise von Handlung in sich abgeschlossen sind, als die Verbindung aller zum Ganzen des Epos, von dem gleichen Geiste geschaffen und beseelt sein müsse.
Überblicken wir in dieser Beziehung zuvörderst die bedeutenderen einzelnen Liedergestaltungen, so beruhen die Gedichte von Rother, Wolfdietrich, Dietrichs Flucht, gänzlich auf der gegenseitigen Treue des Königs und seiner Dienstmannen. Das Nibelungenlied, in welchem das vom hörnernen Siegfried aufgegangen, zeigt uns in großen Zügen die verderblich wuchernde Macht der Untreue. Die Brautfahrten Otnits, Hugdietrichs, auch Rothers und der Hegelinge, greifen in das Schutzrecht ein, unter dem die Jungfrau steht, und erwecken die Rache der beleidigten Blutsverwandten; in diesem Kampfe der Geschlechter bewahrt sich Gudruns weibliche Treue. In den Rosengartenliedern messen zween Heldenstamme ihre Kraft, zwölfe kämpfen nacheinander gegen zwölfe, der begonnene Streit muß durch die ganze Sippzahl durchgeführt werden, weil je einer des andern Rächer ist; mit gleicher Notwendigkeit reiht sich in den Liedern von Walther, von Dietleib, von den Nibelungen Kampf an Kampf. Das Alphartslied, eine Zwischenhandlung in Dietrichs Geschichte, könnte, nach heutigen Kunstbegriffen, mit dem Tode des Heldenjünglings füglich geschlossen scheinen, aber im Geiste des Altertums war ein zweiter Teil unerläßlich, die Rache enthaltend; es ist derselbe Zusammenhang, wie zwischen Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache, Dietrichs Flucht und der Schlacht vor Raben. Selbst in dem Märchen von Laurin fehlen solche Triebfedern nicht; Dietleib tritt gegen seine Gesellen auf des Zwergkönigs Seite, sobald dieser ihn als Schwager zu Hilfe ruft; aber nachher im Zauberberge will er nicht auf ihre Kosten geschont sein. Der Zwiespalt der Pflichten, die Treue gegen den Herrn und die Rachepflicht gegen die erschlagenen Blutsfreunde im Widerstreite mit der Treue gegen den Genossen, ist ein wesentlicher Bestandteil des schon erwähnten Liedes von Walther. Daß die nächsten Blutsverwandten, Vater und Sohn, unwissend einander bekämpfen, bildet den Inhalt des Hildebrandliedes, sowie der Episode von Biterolf und Dietleib.
Hier weiter in das einzelne zu gehen, scheint überflüssig, da von der Gestaltung der Lieder noch besonders die Rede sein wird, ihr Inhalt aber in Umrissen dargelegt worden ist. Aus dieser Entwicklung der Hauptcharaktere ergibt sich auch, in wie mannigfachen, sinnreich glücklichen Zusammenstellungen, Abstufungen und Gegensätzen dieselben einander wechselweise hervorheben, ergänzen und entfalten.
Dagegen beschäftigt uns hier in Beziehung auf den Grundgedanken, den sie alle zusammenwirkend zur Erscheinung bringen, eine auffallende Erscheinung der zween bedeutendsten Sagenkreise, aus welchen das Ganze der Heldensage zusammengesetzt ist. Der gotische Liederkreis, die Amelungensage, stellt mehr bejahend die Macht und Herrlichkeit der Treue dar, der rheinische, fränkisch-burgundische, die Nibelungensage, mehr verneinend das zerstörende Wirken der Untreue. In Charakteren und Handlung zeigt sich diese verschiedene Richtung. Der Hauptcharakter des ersteren Kreises, der gotische Dietrich, ist in mehrfacher Erscheinung, als Wolfdietrich, als Rother, der sich selbst Dietrich nennt, und als Dietrich von Bern, doch in jener sittlichen Beziehung stets derselbe, das leuchtende Gestirn der Treue, der König, der für seine Mannen sich und all seine Königsmacht zum Opfer bringt, zuletzt aber aus der freigewählten Erniedrigung siegreich hervorgeht. Ebenso steht an der Spitze der Dienstmannschaft in ungetrübter Stetigkeit der treue Meister, mag er nun Berchtung, Berther oder Hildebrand heißen. Zwar sind auch die Verräter zur Stelle, Ermenrich, Sibich und ihr Anhang, aber mehr nur als finstere Schatten hinter den Lichtgestalten der Getreuen. Wie anders im Nibelungenkreise! Der glänzendste Held desselben, Siegfried, erscheint doch bei der Erwerbung des Hortes Nibel. Str. 92. 94–96. Wird Siegfried hier durch die Unmöglichkeit, die Teilung zu vollbringen, und hierauf durch die Notwehr entschuldigt? und der trügerischen Bezwingung Brünhildens in sehr zweifelhaftem Lichte. Kriemhild, Hagen, Gunther, Brünhilde, Hauptcharaktere dieses Kreises, sind alle mehr oder weniger von Verrat verschattet; die helleren Gestalten, wie Giselher, sind hier gerade nur die Kehrseite, wie es bei den Amelungen die finsteren sind. So muß denn hier auch alles blutig ausschlagen und das ganze schuldbefleckte Geschlecht zugrunde gehen.
Nicht unbemerkt darf hierbei bleiben, daß auch geschichtlich unter allen den germanischen Völkern, die im alten Römerstaate neue Reiche gründeten, die Ostgoten von der mildesten, die Franken Vopisc. in Proculo c. 13: Hunc (Proculum) tamen Probus fugatum usque ad ultimas terras, et cupientem in Francorum auxilim venire, a quibus originem se trahere ipse dicebat, ipsis prodentibus Francis, quibus familiare est ridendo fidem frangere, vicit et interemit.Masc. I, 197 R. von der herbsten Gesinnung beseelt erscheinen. Ob hierauf die frühere oder spätere Annahme des Christentums eingewirkt habe, lassen wir unentschieden. Auch nach dessen Einführung wuchern im merowingischen Königshaus Verrat und Mord in unerhörten Greueltaten fort. Anderseits kann auf die Gestaltung der gotischen Heldensage wenigstens kein ursprünglicher und unmittelbarer Einfluß christlicher Ansicht nachgewiesen werden. Dagegen haben wir schon in der vorchristlich mythischen Unterlage der Heldensage die wesentliche, ethische Verschiedenheit des odinischen und des gotischen Mythenkreises erkannt. Der odinische Mythus, dem die Siegfrieds- und Nibelungensage angehört, hat sein schärfstes Gepräge in der nordischen Darstellung dieses Sagenkreises bewahrt.
Hier wirkt die Treue mehr noch mit der Notwendigkeit und Unbewußtheit des Naturtriebs. Ebenso ist aber auch das Böse mehr nur ein Übel, das über den Täter kommt, ohne ihm zugerechnet werden zu können. Liebe und Haß, Naturgebot und Leidenschaft, sind unwiderstehliche Fügungen der Götter. Odin waltet über der Blutrache, er sendet die Berserkerwut, die, ein Unheil dem Sterblichen, ihn zu blinden Freveltaten hinreißt. Am Eingang der Geschichten Sigurds und der Niflungen treten die Götter auf und belegen das Lösegeld mit dem Fluche, der in langer Reihe von Frevel und Rache bis zur völligen Vertilgung der Geschlechter fortwirkt; nicht umsonst wandert und waltet hier Odin in Gemeinschaft mit Loke, dem Anstifter alles Bösen. In andern berühmten Sagen des Nordens gibt ein Gott dem Helden schon bei der Geburt den Unsegen mit, eine Zahl verräterischer Taten, Nidingswerke, zu vollbringen, oder auf einem Schwerte haftet solcher Fluch für jeden Besitzer. Starkather; nach Saro B. VI, S.156 ist es Odin, der ihm die Nidingswerke auflegt, nach Gautreks und Hrolfs Saga Thor, der Odins gute Gaben zu verkümmern sucht. Sagabibl. II, 580. Hervörs S.K.1.S.6. Übereinstimmend mit diesen Ansichten ist bemerkt worden, daß selbst im Rechte Schuld und Zufall, beide im Begriff eines unvermeidlichen Schicksals zusammentreffend, nicht immer unterschieden werden. Schildener, Gutal. S. 190 f.N.152, über die Verhängnisbuße, wådabot, sucht darzutun, daß Schuld und Zufall oder Schicksal im religiösen Sinne des Altertums nicht immer unterschieden waren. Vgl. 178. II: Totschlag, als Fügung des Schicksals. 160. 170a, 175. Darauf kann auch bezogen werden, daß der Baum, der einen erschlagen hat, den Verwandten zur Buße verfällt, Phill. 101. N. u. Vgl. ebd. 109. N. u.: Observet autem ille, cujus arma erant, ut ea non recipiat antequam in omni calumpnia munda sint. Sind auf diese Art die Schicksalsschwerter, Fluchringe usw. unrein? Vgl. Eichhorn I, 210. Im gotischen Mythus dagegen fanden wir den entschiedensten Dualismus im Gegensatze des Guten und Bösen, und zwar in ältester Gestalt in den Drachen- oder Lindwurmkämpfen.
Den allmählichen und mittelbaren Einfluß des Christentums aber auf die Ausbildung der deutschen Heldendichtung zu ihrer jetzigen Gestalt setze ich darein, daß durch die Herrschaft der christlichen Lehre nicht bloß die Gesinnung gemildert, sondern vorzüglich auch das innere Leben mehr und mehr erschlossen worden. Diesem gemäß wird in der Amelungensage der ursprünglich symbolische Drachenkampf mehr wieder nach innen aufgelöst und zu einem ethischen Gegensatz der Charaktere, der Getreuen und Ungetreuen, umgewandelt; auch im Nibelungenkreise und dessen Verbindung mit der Amelungensage sehen wir statt der Naturkräfte psychische Triebfedern, statt der dämonischen Gewalt freie Willenstätigkeit wirksam geworden.
Rüdeger, der in diesen Kreis gezogen worden, kämpft einen inneren Kampf im bewußten Widerstreite der Pflichten. Hagen spricht zuletzt noch zu Kriemhild: »Du hast es nach deinem Willen zu einem Ende bracht, und ist auch recht ergangen, als ich mir hatte gedacht.« In der Art und Weise besonders, wie die beiden Sagenkreise, der gotische und fränkisch-burgundische, zur Gesamtheit des deutschen Epos verschmolzen und abgeschlossen worden, finden wir den sittlichen Grundgedanken sicher und vollständig durchgeführt. Nachdem die beiden Geschlechter sich vielfach kämpfend entgegengesetzt sind, werden auch die Amelungen in die furchtbaren Gerichte der Nibelungennot verflochten. Der milde Rüdeger, den wir gern aus dem gotischen Kreise stammen lassen, ist das beklagenswerteste Opfer des Zusammentreffens mit dem finstern Nibelungengeschlechte. Aber der gotische Volksheld, der edle, reine Dietrich, schreitet, einzig unverletzt, durch den allgemeinen Untergang; wohin er gekommen ist, weiß niemand zu sagen, und noch lange hin erscheint er als Wächter und Warner in deutschem Lande.
Die Treue der Blutsverwandtschaft und Genossenschaft ist in der Idee des heutigen Staates zur umfassenderen Bürgerpflicht, in der Lehre des Christentums zur allgemeinen Menschenliebe erweitert. Aber was jene altertümliche, germanische Treue in ihrem allerdings beschränkteren Kreise sich aneignete, das ergriff sie fest und ganz; was ihr an äußerem Umfange abging, suchte sie durch intensive Stärke zu ersetzen. Daß jedoch auch ein allgemeineres Wohlwollen den älteren Zeiten nicht gänzlich gebrach, davon zeugt die Gastfreiheit, der wir so bedeutende Rechte eingeräumt sahen und die, im Epos, in besondern männlichen und weiblichen Charakteren ihre Vertretung fand; denn diese Pflicht der Gastfreiheit besteht ja eben darin, daß man dem, der nicht dem engeren Verband angehörte, dem Fremden, Elenden, Schutzsuchenden, die wohlwollendste, hingebenste Rücksicht schuldig war.
Es fehlt in den Liedern nicht an Stellen, worin die Treue gepriesen, die Untreue bejammert und verflucht wird; es wird ausgesprochen, daß der Ungetreue sich selbst erschlage. Vgl. Agric. Sprichw. 26a: Untrew schlegt iren eigen herrn. Man kann solche Äußerungen als Erzeugnisse späterer Zeit anheimgeben, aber die Hauptsache ist, daß Charaktere und Handlung gänzlich in diesem Sinne begründet und gebildet sind. Das ganze deutsche Epos ist eine Poesie der Treue. Wie die Treue selbst im Gemüte wurzelt, so sind auch diese dichterischen Schöpfungen unmittelbar aus dem Gemüt entsprungen. Diesem Ursprunge gemäß haucht auch in der Sprache der Lieder eine Innigkeit, welche, jeden äußeren Glanz verschmähend, einfach wieder zum Herzen geht. Dieses kann seiner Natur nach im ganzen nur empfunden werden, die spätere Betrachtung des Stils wird uns jedoch auch einzelnes bestimmter erkennen lassen. Dietrich von Bern nennt einen seiner Recken, dessen Tod er beklagt, »der Treue recht eine Rose«. Eine Rose der Treue, eine Blüte deutschen Gemüts ist diese gesamte Dichtung. Die drei Harfenschläge, womit der getreue König den freudig erschreckenden Dienstmannen sich zu erkennen gibt, sind der Grundton dieser Gesänge. Die ethische Grundkraft hat sich dichterisch gestaltet und ausgetönt.
Je wilder und finsterer wir uns nicht bloß die Zeit der deutschen Völkerzüge, sondern auch das ganze nachfolgende Mittelalter auszumalen gewohnt sind, je weniger die Lieder selbst auch diese feindliche Seite verdecken, um so wohltuender muß uns die überall und ewig waltende Macht des Göttlichen hervorleuchten, wenn wir mitten in Sturm und Nacht der Zeiten die Poesie der innigsten Treue geboren und gepflegt, wenn wir der tobenden Gewalt gegenüber eine Tatkraft der Liebe emporwachsen sehen, welche friedlicheren Zustanden entbehrlich ist.