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Wo die Treue Urquell und Inbegriff der edelsten Tugenden ist, da muß die Untreue Wurzel und Krone alles Bösen sein. Treu und ungetreu bezeichnet in unsern Liedern den Gegensatz von gut und böse. Der Getreue ist mild und tapfer; sich selbst vergessend, gibt er für die Bande des Blutes und der Genossenschaft jedes Gut des Lebens und das Leben selbst dahin. Der Ungetreue in seiner Selbstsucht ist karg und zugleich feige. In vollständigem Gegenbilde stehen den getreuen Königen, Meistern, Recken die ungetreuen gegenüber, die auch überall mit diesem Beiwort gezeichnet werden.
Der ungetreue König ist Ermenrich. Seine Gestalt steht in den deutschen Liedern bleich und gespensterhaft im Hintergrunde, teils weil der Gesang sich nicht darin gefallen mochte, die Verneinung zu beleben, teils weil die ausführlicheren Darstellungen seiner früheren Geschichte nicht auf uns gekommen sind. Doch kann mittels der Auszüge beim Heldenbuch und der Wilkinensage das Notwendige ergänzt werden. Der Anfang seiner Frevel ist die Untreue gegen seinen Marschalk und Ratgeber Sibich, den er versendet, um während dessen Abwesenheit das schöne Weib desselben zu seinem Willen zu zwingen. Üppig, in einer Reihe von Verbrechen und Unheil, wuchert diese Schandtat fort, Sibich übt heimtückisch Rache, indem er durch boshafte Ratschläge die Gier nach fremdem Besitz in die Brust seines Herrn wirft und ihn damit antreibt, gegen sein eigenes Geschlecht zu wüten. Die Harlunge, seine Brudersöhne, läßt Ermenrich verräterisch greifen und aufhängen, um sich ihrer Erblande zu bemächtigen. Seine eigenen Söhne kommen um, indem er, nach erweiterter Herrschaft trachtend, sie auf gefährliche Fahrten aussendet. Doch erscheint sein Sohn Friedrich noch in den Kämpfen, welche den Hauptgegenstand unsrer Lieder ausmachen. Diese Kämpfe, worin Ermenrich auch seines andern Bruders Söhne, Dietrich und Diether, ihres Erbes berauben will, werden von ihm mit Mord und Brand gegen die Wehrlosen, mit schnödem Verrat gegen die tapferen Gegner, ja an den eigenen Freunden und Mannen, geführt. Zuerst sucht er den Berner damit in die Falle zu locken, daß er denselben unter dem Vorwande zu sich ladet, als wollt' er, den Tod der Harlunge abzubüßen, zum heiligen Grabe fahren und indes sein Reich in des Neffen Pflege geben. Dietrich, von dem Boten Randolt selbst gewarnt, kommt nicht und nun bricht Ermenrich los, mit Feuer und Schwert die Lande verwüstend. Aus dem Felde geschlagen, sinnt er auf andre Mittel. Den Recken, welche Dietrich nach dem Schatze zu Pola ausgeschickt, legt er Hinterhalt, nimmt sie gefangen und droht, sie zu hängen, wenn ihm nicht Dietrichs Städte und Lande überantwortet werden. Er achtet nicht, daß achtzehnhundert seiner Mannen und sein Sohn Friedrich selbst des Berners Gefangene sind. Sie alle will er preisgeben, während Dietrich um seine sieben Dienstmannen alles hingibt. Vor Bern unter seinem Gezelte liegend, weidet der Unbarmherzige sich an des Neffen kläglichem Abzug, Umsonst mahnt ihn dieser, mit weinenden Augen, der Bande des Bluts, vergeblich ist die Fürbitte von mehr denn tausend Frauen und Jungfrauen, deren Schönheit Gott vom Himmelreiche schauen möchte. Sie flehen ihn bei aller reinen Frauen Ehre, königlich an ihrem Herrn zu tun. Mit schmählicher Drohung weist er sie von sich, scheint er doch selbst nicht von einer Frau geboren zu sein, da er nachher zu Raben schamlos Frauen und Kinder hängen und enthaupten läßt. Stets, wenn seine Sache übel steht, entflieht er heimlich aus der Schlacht oder um Mitternacht aus der erstürmten Stadt, überläßt die Männer, die für ihn kämpfen, ja den eigenen Sohn, treulos ihrem Schicksal und vergießt nur dann Tränen, als er sie mit schwerem Gold aus der Gefangenschaft lösen soll. Dem Ehrlosen, Zagen ist denn auch nicht der Tod der Helden beschert, in elendem Siechtum bersten ihm die Eingeweide.
Die Lieder, welche diese Geschichten erzählen, sind voll von Jammer und Verwünschungen über Ermenrichs Untreue. Er ist der ungetreueste, der je von Mutter geboren ward, durch ihn ist Untreue zuerst in die Reiche kommen, von ihm ist das Land öde, er hat allen Mord gebraut, ihm fluchen Männer und Frauen.
Der nordische Iormunrek und sein Ratgeber Bichi (in Saxos getrübter Darstellung B. VIII, S. 240 f. Iarmerich und Bicco) erscheinen erst am Schlusse der Wölsungengeschichte. Der König läßt, auf des treulosen Bicke Anstiftung, aus Eifersucht, seinen Sohn Randwer hängen und seine Gemahlin Swanhild von Pferden zu Tode treten und wird dafür von ihren Brüdern an Händen und Füßen verstümmelt.