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Die Recken

Recke Grimm, Rechtsaltert. S. 733: Im Mittelalter war Recke ein vielgewanderter Held. Gudrun 5381: Er war auch ein reck vnd tet im streite wol. Walth. 452: Viro forti similis fuit. 330: More gigantis. Nib. 9299: Er (Giselher) wunte zû dem tote den Dieteriches man (Wolfhart) ez en-het an einen reken zware niemen getan. bezeichnet in allgemeinerem Sinne jeden tüchtigen Kriegsmann, wonach dieser Name allerdings auch dem König und dem Meister ansteht; ist aber vom König und seinen Recken die Rede, so sind unter letztern die Erlesenen des Gefolges oder der Lehnsmannschaft, die nächste Umgebung des Fürsten, gemeint. Aus der ganzen Zahl der Mannen werden zu kühneren Unternehmungen die Recken ausgewählt, daher wohl auch die Benennung Wählrecken. Rab.536: Drizzig tusent solt ir han der edeln welrecken. Rüdiger teilt sie Dietrich zu. 534: Die besten hiez er uzlesen, Rüdiger als Rottmeister. 635: Die edeln welrecken here, unbestimmt. 811: Die waren zu irn handen welrecken, bei Gunther. 850: Da kamen alrest zusamen welrecken. 858: Die recken uzerkoren. 923: Bistu ein welrecke, so lestu dich erbitten, Dietrich hinter Wittich her. Vgl. Not. 3 unten. Nib. 2033: Wol drîzech hundert recken die wâren schiere komen, ûz den wurden der besten tûsent dô genomen, bei den Nibelungen. 5903: Sô wel ich ûz in allen tûsent ritter gåt, zur Hunnenfahrt. 5925: Hagne welte tûsent die het er wol bekant, und swaz in starken strîten gevrümt het ir hant. 5940: Wir füeren mit uns hinnen sô manigen ûz-erwelten man. Vgl. Gudrun 6118: Da kam der kunig Herwig zu Ludwiges sal mit seinen walgenossen plůte far gegangen. 5666: Das haysse walblůt. Recken sind gleich »auserwählten Degen«. Nib. 4125: Die ûzerwelten degene mit schilden komen dar, einlef hundert recken, die het an siner schar Sigemunt der herre. Vgl. Nib. 8931: Dô lief er zů den gesten einem degen (al. recken) gelîch. 8134: Der rât en-zæme niemen wan einem degene, Hagen von Giselher. Vgl. Not. 3 Dietrichs Fl. 3116: Sechs recken myn dan XII tusent tegen. In Reckenweise fahren ist der Gegensatz von einer Heerfahrt oder von »viel Volkes führen«, es ist der Ausdruck dafür, wenn der König mit wenigen seiner geprüften Helden sich auf ein Abenteuer begibt, wie wenn Rother ohne die volle Heereskraft ausfährt, seine gefangenen Boten zu befreien, oder wenn Siegfried und Gunther nur zu vieren auf die mißliche Werbung um Brunhilden sich einschiffen. Roth 558: Sie reiten iren heren, Er solde mit grozen erin. In reckewis over mer vare. 586: Der herverte ist ein teil zo vil, Vnde ob du iz ton wil, So machtu diche allerbest bewaren, Wiltu in recken wis over mere varen, damit die Boten nicht umgebracht werden. 719: Ich moz vzme lande In einis reckin wise varen Vnd wille mich anderis namen. Rother fährt mit zwölf Herzogen, deren jeder zweihundert Ritter hat, und König Asprian zwölf seiner Mannen. Nib. 1373: Wie vil wir volkes fůrten. 1377: Wir sole in recken wise ze tal varen den Rin. 1384: Uns (viere) endurfen ander tusent mit strite nimmer bestan. 7319: Wan wichet ir uns reken? ja dunket es mich gůt (sagt Volker), ez heizent allez degene unde sint geliche niht gemůt. 8781: Gewaffent wart do Rüedeger mit funfhundert man, darüber zwelf recken ze helfe er do gewan. Vgl. 2803: Von drizech hundert reken wir geben dir tusent man. Dietl. 456: Er (Bitrolf) liez auch taugenlichen gar würchen, daz er wolte dan selbzwelffter seiner man füeren in die frlmde lant die pesten recken, die er vand, die welet Pitrolf darzů. 7578: Und wie der alte Hildebrant welet daz der geste schar gegen hertem streite wurde gar.

Daheim sitzen die Recken im Saale des Königs, Nib. 321: Welt ir den herren (al. kunic, Gunther) vinden, daz mac vil wol geschehen; in jenem sale witen da han ich in gesehen bi den sinen helden; da sult ihr hine gan; da mugt ir bi im vinden vil manegen herlichen man. 4754: Si giengen in den sal, da si den künic (Gunther) funden bi manigem herlichem man. Dietrichs Fl. 5791: Und auch die recken uberal, die by ym lagen auf dem sal, bei Dietrich zu Bern. hören mit an, wenn ihm Botschaft zukommt, geben Rat und verheißen Hilfe, wenn ein ernster Entschluß zu fassen ist. So geht, im Alphartsliede, der Vogt von Berne vor seine Recken, die kühnen Wölfinge, in den Saal, sie springen auf, den Fürsten zu empfangen, er heißt sie sitzen, klagt ihnen seine Not, wie sein Oheim Ermenrich ihn vertreiben wolle, und mahnt sie, was sein Vater an ihnen getan und wie sie demselben Treue geschworen; erst schweigen alle und sehen in herzlichem Leid einander an; dann, als er ausgesprochen, rufen sie einhellig ihm Trost zu und geloben, Leib und Leben für ihn zu wagen, er aber will all sein Vatererbe mit ihnen teilen.

Bei hohen Festen begleiten die Recken, bloße Schwerter in der Hand, die Gemahlin oder Schwester ihres Fürsten, als Schirm und Zierde des Königshofes. Nib. 22: In diente vor ir landen vil stolziu ritterschaft mit lobelichen eren unz an ir enden zit. 20: In waren untertan ouch die besten recken, von den man hat gesagt, stark unde vil küene, in scharpfen striten unverzagt. 1125: Do hiez der kunec riche mit siner swester gan, die ir dienen solden, wol hundert siner man, ir unt siner mage, die trůgen swert en-hant. Daz was das hove-gesinde von der Burgondenlant. 6725: Nu solte min herre Giselher nemen doc ein wip (sagt Hagen). Ez ist so hoher mage der mark-gravinne lip, das wir ir gerne dienten, ich unde sine man, und solde-s under krone da zen Burgonden gan. 4811: Welt ir ir des günnen, so soll si krone tragen vor Ezelen recken; daz hiez ir min herre sagen. 7744: Man sol mich (Hagen) sehen selten ze hove nach Ortliebe gan. Gudrun 67: Da sy bey recken solten tragen krone. 708: Die vor seinen helden ze hove solde gan (Hilde). 5182: Wann ich (Gudrun) steen vnder crone vor ewrn recken gůt, so hayss ich küniginne. 2192: Die alten zu den jungen trůgen ze hofe swert.

Auf ein Gefolge solcher Helden wird hoher Wert gelegt und diese sind sich dessen stolz bewußt. Als Kriemhild, mit Siegfried neu vermählt, von Worms scheidet, will sie auf all anderes Erbe verzichten, nur die Recken sollen zwischen ihr und den Brüdern geteilt werden. Sie wählt sich Hagen und die Seinigen zum »Heimgesinde«. Doch zürnend erwidert er: »Wir Tronecker müssen bei den Königen bleiben, denen wir alldaher gefolgt haben.« Nib. 2797 (Str. 705): Do sprach diu vrowe Criemhilt: Habt ir (Siegfried) der erde rat umb Burgunde degene! so liht ez niht enstat, si mag ein kunig gerne füeren in sin lant. Ja soì si mit mir teilen miner lieben brüeder hant. 2803: Von drizech hundert reken wir geben dir tusent man, die sin dir heimgesinde. 2809: Ander iwer gesinde die lat in volgen mito (sagt Hagen zornig) , want ir doch wol bekennet der Tronegære site, wir müezen bi den kunigen hie ze hote bestan wir suln in langer dienen den wir alher gevolget han. 3306: Zwiu sold ich (Brunhild) verkiesen so maniges ritters lip, der uns mit dem degene dienstlich ist untertan? Gudrun 6496: Er sprach: Du solt sy mynnen, du hast von ir manigen recken gůten.

Diesen folgen sie auch ferner bis in den gemeinsamen Untergang.

Von solcher Treue in jeder Not heißen die Recken manchmal auch Notgestalden, Helden zu rechter Not, dann die Stäten, die Notfesten, die Sturmfesten. Rother 3548: Rother lieuer herre min, daz sin die notstadele din. Dietrichs Fl. 9277: Da waren recken zu ir hant, die man heizzet genotigot wigant. 4657: Die sine (Hildebrands) notgestalden. 6619: Die stritherten. Rab. 149: Die notgestalden alle ... die dem von Perne wolden vff Ermrichen helffen als sie solden. 537: Wie vil der dinen notgestalden were. 834: Und sint auch daz die besten in herten striten die vil notvesten.75: Ja sint ez helde stete. 86: Dez gewerten in die starcken vnd die steten. 837: Ahey daz waren helden stete, die slugen durch die ringe, daz daz plute dar auz schrete. Alphart 74: Zwene helden zu rechter not. 76: Zu den nœthen verwegen. 160: Alphart der junge degen was ein held zu rechter not. Klage 1057: Da ruwent si mich (Dietrich) sere die notgestallen mine. Dietleib 11013: Der sturmveste. 11 292: Manig ritter sturmveste. 12 129: Die sturmvesten. Gudrun 2483: Nu was der notueste kumen in das lanndt. Dietrichs Fl. 5120: Die starcken und die notuesten. 6297: Die notuesten.

Über die germanischen Gefolgschaften berichtet Tacitus mehreres vornehmlich hierher Bezügliche. Das war der Fürsten Macht und Würde, stets von einer großen Schar erlesener Jünglinge umgeben zu sein, im Frieden eine Zier, im Krieg eine Schutzwehr. In der Schlacht war zwischen Fürsten und Gefolg ein Wetteifer der Tapferkeit. Ehrlos für immer, wer, ihn überlebend, aus dem Gefechte wich; ihn verteidigen, schirmen, seinem Ruhme die eigenen Heldentaten beimessen, heilige Eidespflicht. Tacit. Germ. c.13: Gradus quin etiam et ipse comitatus habet, judicio ejus, quem sectantur; magnaque et comitum æmulatio, quibus primus apud principem suum locus et principum, cui plurimi et acerrimi comites. Hæc dignitas, hæ vires, magno semper electorum juvenum globo circumdari; in pace decus, in bello præsidium. C. 14: Cum ventum in aciem, turpe principi, virtute vinci, turpe comitatui, virtutem principis non adæquare Jam vero infame in omnem vitam ac probosum, superstitem principi suo ex acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriæ ejus assignare, præcipuum sacramentum est. Principes pro victoria pugnant: comites pro principe. Später, im vierten Jahrhundert, sehen wir den Alemannen Chnodomar an der Spitze eines Gefolges, das, als der König sich römischer Übermacht ergeben, für schändlich hält, ihn zu überleben oder nicht mit ihm zu sterben, und sich mit ihm binden läßt. Ammian. Marcellin. 1, XVI, c. 12: Quibus visis compulsus ad ultimos metus, (Chnodomarius) ultro se dedit, solus egressus: comitesque ejus ducenti numero, et tres amici junctissimi, flagitium arbitrati post regem vivere, vel pro rege non mori, si ita tulerit casus, tradidere se vinciendos. Nach Chr. 357. So will auch das Gefolge des Angelsachsen Byrhtnoth (991) den gefallenen Herrn nicht rachelos überleben. Conybeare S. XCIV bis XCVI. An Kriemhilds Heimgesinde erinnert das große Gefolge edler und streitbarer Männer, das der Ostgote Theoderich seiner Schwester Amalafrida bei ihrer Vermählung mit dem Wandalenkönige Thrasamund mitgibt und welches nachher der Fürstin unglückliches Schicksal teilt. Procop. 1. I, 8: Conjuge, nec marem unquam, nec fœminam enixa, viduatus (Thrasamundus, Vandalor. rex), ut regnum optime stabiliret, missa ad Theodoricum Gothorum regem legatione, sibi uxorem poscit sororem ejus Amalafridam, a recenti viri funere viduam. Sororem illi misit cum comitatu Gothorum mille nobilium, qui stipatorum munus obirent: hos secuta sunt ministeria e viris bellicosis collecta ad quina circiter millia. Unum item e Siciliæ promontoriis (Lilybæum vocant) sorori Theodoricus donavit. Masc. II, Anm. 38 u. Sodann 1. I, c.9: Regnante Ilderico (Vandal. reg.) Mauri Bizaceni, qui parebant Antallæ, prœlio fudere Vandalos, hisque (Vandalis) societatem et amicitiam renunciarunt Theodoricus et Gotthi, ideo facti hostes, quod Amalafrida in custodiis asservaretur, cæsique, ad internecionem Gotthi fuissent, impacto illis crimine conjurationis in Vandalos et Ildericum. Minime tamen ultum ivit Theodoricus, suas opes intelligens non sufficere ingenti classi, qua bellum in Africam portaret. Masc. II, Anm. 40, 2. Amalafrid wurde später höchst wahrscheinlich umgebracht. Ebd. 39, 6.

Der Kreis der ausgezeichnetsten Recken, die zunächst um den König versammelt sind, ist gewöhnlich in der Zwölfzahl gedacht, in der Art, daß der König bald mitgezählt ist, bald nicht. So erfüllt Wolfdietrich mit seinen elf Dienstmannen, d. h, seinem Meister Berchtung und dessen zehn Söhnen, diese Zahl. In Dietrichs von Bern Gefolge werden mit dem Meister Hildebrand bald elf, bald zwölf Recken genannt. Den drei burgundischen Königsbrüdern sind neun namhafte Helden beigegeben: und wo sich die Heldenkreise feindlich gegenübertreten, kämpfen zwölfe gegen zwölfe.

Die Zwölfzahl bildet nun auch in den deutschen Rechten häufig eine volle Verwandtschaft. Für die gesippten Eideshelfer, welche ursprünglich und zugleich auch Fehdegenossen sind, ist zwölfe entweder die bestimmte Zahl oder, bei verstärkter Menge derselben, die Grundzahl; auch der Schöffen sind mit dem Richter oder ohne ihn zwölfe. Bei den Geschwornengerichten zeigt sich noch dasselbe Verhältnis (Rogge S. 191. 162. 244. Grimm, Rechtsaltert. S. 217). Von der Familie ist offenbar diese Zahl auch auf die Gefolgschaft und in das Heldenlied übergegangen, wo, wie öfters erwähnt worden, die vornehmsten Recken Mannen und Mage des Königs zugleich sind. Wo dieser in seiner Vollkraft, in seiner Ganzheit auftritt, erscheint er selbzwölfte.

Als Siegfried, Kriemhilden zu erwerben, gen Worms ziehen und sein Vater ihn dazu zahlreich ausrüsten will, sagt er (Nibel. Lachm. 60):

Si mac wol sus ertwingsn dâ mîn eines hant. ich wil selbe zwelfter in Guntheres lant.

Als der Markgraf Rüdeger endlich entschlossen ist, gegen die Burgunden zu kämpfen, sagt das Lied (Nibel. Lachm. 2106):

Gewâffent wart dô Rüedegêr mit fümf hundert man; dar über zwelf recken sach man mit îm gân; di wolten prîs erwerben in des sturmes nòt

Dietleib 5241: Der pote sprach: ich sach da stan wol zwelfe Dietriches man, der yetzlicher seines rates phlag.

Im Volksliede von Hildebrand wird dieser gewarnt (Str. 23):

Was begegnet dir auf der marke? der junge Alebrand; Ja rittestu selbzwölfte, von ihm würdestu angerand;

d. h, rittest du in ganzer, voller Genossenschaft.

Die Reihe der Recken, welche das Gefolge des Königs ausmachen und an deren Spitze der Meister steht, mustern wir nun noch weiter, in der Art, daß wir von den Spuren des höheren Altertums zu den Ansähen späterer Bildung vorschreiten.


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