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Neben dem Kriegs- oder Lehendienste bildet sich ein Hofdienst, der, aus den Bedürfnissen jedes größeren Haushalts hervorgegangen, sich in verschiedene Hauptämter sonderte, denen die niederen Dienstleute zugeteilt und untergeordnet waren. Vier solcher alter Hofämter sind es vorzüglich, die wir das ganze Mittelalter hindurch von den Höfen der Könige bis zu denen der Grafen und Äbte überall bestellt finden: Kämmerer, Marschalk, Truchseß und Schenk. Doch sind diese bekanntesten nicht die einzigen, namentlich wird nicht selten auch des Küchenmeisters erwähnt. Der Hofdienst mußte an sich weniger ehrenvoll erscheinen, als der Kriegsdienst, teils weil ihm als solchem die Waffenehre abging, teils weil ursprünglich Hörigkeit damit verbunden war. Bald zwar wußten jene Hauptämter sich hoch genug zu stellen; stets in der nächsten Umgebung des Herrn, bekleideten die Inhaber derselben sich mit Glanz und Macht, die kriegerische Würde kam zu der höfischen, erblicher Landbesitz verband sich dem Amte, das nur noch im Prunkdienst bei hohen Festlichkeiten sich äußerte. Philipps 77. Masc. II, 328, Raumer V, 328. Rössig 288 f. Lang, Regest. I, 387: Luipoldus magister coquinæ aulæ imperialis, dictus de Nortenberch. Die Inhaber der vier Reichsämter standen zu oberst in der Reihe der deutschen Fürsten (Majer, T. Staatskonst. S. 81).
Der burgundische Königshof des Nibelungenliedes ist mit seinen Amtleuten wohl ausgerüstet: Dankwart, Hagens Bruder, ist Marschall; Ortwin von Metz, dessen Neffe, Truchseß; Sindolt Schenk; Hunolt Kämmerer; Rumolt Küchenmeister. Bei ihnen hat das Hofamt noch seine Bedeutung; steht ein Fest bevor, dann sind sie »unmüßig« mit ihrem Gesinde, alles zu ordnen und zu richten; sie pflegen der Gäste so, daß all das Land davon Ehre hat. Zugleich aber sind sie tapfere Recken und ziehen mit auf Heerfahrt; dann ist besonders der Marschall als Führer und Verpfleger der reisigen Knechte tätig. Auch Rumolt, der Küchenmeister, ist ein kühner und treuer Held, er streitet wacker gegen die Sachsen und ihm werden Land und Leute befohlen, als die Könige zu den Hunnen fahren. Dennoch ist an ihm der Spott hängen geblieben, wie der Ruß an seinem Schilde. Die Verwaltung der Küche, scheint es, konnte nicht zu rechter Würde gelangen, und wo neben dem Truchseß ein Küchenmeister bestand, mochte jenem der Ehrendienst im Saale, diesem die Aufsicht in der Küche zukommen. Darum wird scherzweise von Rumolt angerühmt, wie gut er seine »Untertanen« hergerichtet, die weiten Kessel, die Häfen und Pfannen. Während Ortwin, der Truchseß, zu Gewalttaten, wie zu Siegfrieds Ermordung, gerne stimmt und selbst bereit ist, so gilt Rumolts Rat sprichwörtlich für einen überaus friedlichen. Er, der Küchenmeister, rät seinen Königen, als die Fahrt zu den Hunnen besprochen wird, nicht so kindisch das Leben zu wagen, gemächlich daheim zu bleiben, mit guten Kleidern sich zu schmücken, den besten Wein zu trinken und schöne Frauen zu minnen; an Speise, so köstlich je ein König in der Welt sie hatte, soll es ihnen nicht fehlen. Trauern muß der getreue Mann, als sie dennoch die verderbliche Reise antreten.
Im Liebe von Dietleib wird der Scherz über Rumolt noch weiter ausgesponnen. Rußfarb, mit Sinnbildern der Kochkunst bemalt, ist der Schild des Küchenmeisters, der wie ein Löwe streitet, übel sind die beraten, denen Hunolt (Sindolt) da den Wein schenkt und Rumolt die Braten anrichtet oder Krapfen austeilt, davon die Glieder schwären.
Auch bei den Hegelingen werden beim Feste die ersten Helden zu den Hofämtern berufen; Irold wird Kämmerer, Wate Truchseß, Frute Schenk, statt des abwesenden Horands; der Marschall bleibt unerwähnt.
Höher, innerlicher aufgefaßt ist die Verbindung der Häuslichkeit mit dem Heldentum, des friedlichen Dienstes mit dem kriegerischen, in dem Charakter des Markgrafen Rüdeger, der mit vollstem Rechte der milde, der gute, der edle, der getreue zugenannt wird.
Aus seiner Heimat vertrieben, von Etzeln wohl aufgenommen und ansehnlich belehnt, widmet er seine Dienste zunächst der Königin Helke, als Vollzieher ihrer wohlwollenden Absichten, als Schatzmeister ihrer Mildtätigkeit. Den heimatlosen Dietrich und dessen Gefährten bewillkommt er freudig im Hunnenreiche, schafft ihnen Pferde, Gold und Kleider, und zwar heimlich, damit niemand ihrer Armut inne werde. Er führt sie zu der Königin, wo sie unter seiner Obsorge herrlich bewirtet und ausgestattet werden. So wird der Empfang bei Etzeln vorbereitet, der ihnen, auf Helkens Fürsprache, seine Hilfe zusichert. Der Markgraf führt selbst das hunnische Hilfsheer gegen Ermenrich. Als auf diesen Zügen die zween Söhne Etzels umgekommen sind, ist er der Vermittler zwischen Dietrich und den gekränkten Eltern. Wie er selbst sich jedes Gastes freut, ist auch er überall gern gesehen und darum geschickt zu Botschaften, zumal an Frauen, denen er durch seine freundliche Sitte sich empfiehlt. Nach dem Tode seiner Gebieterin Helke wirbt er als Etzels Bote um Kriemhilden. Diese läßt sich erst erbitten, nachdem er, auch ihr mit allen seinen Mannen zu dienen und, was ihr Leides geschähe, zu rächen, beschworen hat. Die volle Freundlichkeit seines Wesens zeigt sich in seinem eigenen gastlichen Hause zu Bechelarn, als er die Burgunden auf der Hunnenfahrt beherbergt. Hier ist alles heiter, »wonniglich«, heimatlich; aufgetan ist die Burg, offen stehen die Fenster an den Mauern; an der Hand werden die Gäste in den schönen, geräumigen Bau geführt, wo die Donau untenhin fließt und sie fröhlich gegen der Luft sitzen. Wie das Haus, so die Bewohner, er der beste Wirt, der irgend an der Straße wohnt, dann seine liebe Hausfrau und die schöne Tochter, deren Kuß die Helden begrüßt. Am wohlbesetzten Tische, bei gutem Weine geht allen das Herz auf. Wie sehr sie sich wehren, müssen sie doch bleiben bis zum vierten Morgen und zum Abschied werden sie auf das reichlichste beschenkt. Jeder empfängt eine herrliche Gabe, Waffenkleid, Schwert, Schild, Goldringe; die herrlichste der Jüngling Giselher, dem der milde Wirt seine schöne Tochter verlobt. Er geleitet dann die Gäste an Etzels Hof, wo ihm der herzzerreißende Kampf bevorsteht zwischen den Pflichten dieser innigen Gastfreundschaft und dem Eide, womit er sich Kriemhilden verpflichtet hat. Er soll die verderben, die er in sein Haus geladen, denen er Trank und Speise samt all seiner Gabe geboten. Welches er läßt und welches er beginnt, so hat er übel getan. Er heißt Etzeln wiedernehmen, was er von diesem empfangen, Land und Burgen; Weib und Tochter an der Hand, will er zu Fuß ins Elend gehen; aber nicht erläßt man ihn seines Schwures. Da gibt er Seel' und Leib an die Wage, daß die Rächerin Kriemhild selbst darob weinen muß. Seinen Freunden kündet er Dienst und Gruß auf, obschon sie ihn der Gastgeschenke mahnen. Wollte Gott, jene wären daheim am Rhein und er selbst mit Ehren tot! Noch gibt er seine letzte Gabe; an Hagen, dem der Schild vor der Hand zerhauen ist, vergibt er den seinigen. Wie grimm und hartgemut Hagen ist, doch erbarmt ihn des, er und sein Geselle Volker geloben, Rüdeger nimmer im Streite zu berühren. Als nun der Markgraf sich aufgerafft und in die Schar der Burgunden gedrungen, trifft er fechtend auf Gernot, einer fällt von des andern Schlage, Rüdeger von dem Schwerte, das er selbst dem Gegner gegeben. Nie ward so reiche Gabe schlimmer gelohnt. Von ungeheurem Jammer erschallet Haus und Turm, zergangen ist alle Freude in Hunnenland. Den grimmigen Amelungen rinnen Tränen über die Bärte, ein Vater ist ihnen erschlagen; »säh' ich heute meinen Vater tot, mir würde nimmer leider,« ruft Wolfwin aus; sie erheben um seine Leiche den Kampf, in dem sie untergehen.
Mit sichtlicher Liebe verweilen die Lieder bei Rüdegers Charakter. Mit den innigsten Worten, in blühendem Bilde, wird seine Milde, seine Güte gepriesen. Er ist ein Trost der Elenden, ein Vater aller Tugenden: sein Herz trägt Tugenden, wie der süße Mai Gras und Blumen trägt. »Wie Rüdeger erschlagen ward,« ist eine der ausgeführtesten Abenteuren, die rührendste Darstellung im Nibelungenliede. Hier erscheint nicht bloß äußerer Kampf, wo Trotz gegen Trotz, Kraft gegen Kraft anringt. Die mildesten Tugenden selbst, die Gastfreundschaft, die Diensttreue, sind unter sich in den schmerzlichsten Widerstreit geraten und das Herz, das sie ausgeboren, muß in der unauflösbaren Verwicklung brechen. Es gilt nicht Leib und Leben allein; daß er die Seele verliere, hat er auch das geschworen? Er ruft zu Gott, der ihm das Leben gab, ihn recht zu weisen. Brot und Wein, Gold und Tochter, Schwert und Schild, alles hat er gern gegeben, das Leben selbst gäb' er willig hin, aber auch die Ehre, die Treue, die eigene Seele noch soll er hinopfern. Seine Dienstwilligkeit ist ihm zum Fluche geworden, die Gabe seiner Gastfreundschaft gibt ihm den Todesstoß. Diese Empörung von Pflicht gegen Pflicht, von Tugend gegen Tugend, diese Zerspaltung des edelsten Herzens ist der tiefste Schnitt des furchtbaren Geschickes, das in dem Liede waltet. Keiner der Helden versinkt so jammervoll in den allgemeinen Untergang, als eben dieser, der bestgesinnte.
Es ist an seiner Stelle bemerkt worden, daß Rüdeger als geschichtliche Person, als ein Graf der Ostmark im zehnten Jahrhundert nicht zu erweisen, wahrscheinlicher der Sagenheld in die Geschichte übertragen sei. Wenn er in der eigentümlich nordischen Sage nicht vorkommt (wohl aber in der Wilkinensage), so erklärt sich dieses daraus, daß überhaupt der gotische Bestandteil des Sagenkreises dem Norden fremder geblieben, hiernach kann auch nicht behauptet werden, daß der Charakter dieses Helden erst in der späteren Ausbildung christlichen Sinnes und ritterlicher Sitte (vgl. Grimm S. 361) seinen Grund habe, obgleich der Einfluß christlich-ritterlicher Ansicht auf die Darstellung desselben keineswegs zu verkennen ist. Neben den strengeren Eigenschaften des Heldentums, welche in mannigfaltigen Gestalten unsres Sagenkreises zur Erscheinung gebracht sind, mußten doch die milderen Tugenden, wie sie im germanischen Leben selbst nicht gefehlt haben, auch in den Liedern ihre Vertretung finden. Sie fanden solche in Rüdeger, dessen gastliche Freigebigkeit, die wir auf die höchsten Güter sich erstrecken sahen, demjenigen entspricht, was uns aus frühester Zeit von der unbegrenzten Gastfreiheit der Deutschen berichtet ist; eben die von Rüdegern so rückhaltlos geübte Sitte, dem abgehenden Gaste keinerlei Geschenk zu versagen, ist durch Tacitus als eine altgermanische bewährt.
Das aber liegt ganz im Wesen der epischen Entwicklung, daß, wenn einmal die milderen Gesinnungen in einem der Heldencharaktere ihren Vertreter hatten, sich an diesen alles anschloß, was die Herrschaft des Christentums von sanfterer Sinnesart und Sitte auch im Heldengesang enfalten konnte, daß er vorzüglich ergriffen wurde, um, im Gegensatze der wilden Naturkraft, die innere ethische Richtung zur Reife zu bringen. Bricht jene zumeist noch in der Berserkernatur Wolfharts hervor, der auch bei Rüdegers Tode zornmütig nur darüber klagt, wer nun zu so mancher Heerfahrt der Recken Weiser sein werde, so erscheint dagegen der Durchbruch des inneren Lebens vor allem in jenem Seelenkampfe des edlen Rüdegers.
Ich komme zu einer weiteren Schilderung: Waffen und Rosse. Es fällt vielleicht auf, daß ich diese Gegenstände gewissermaßen in die Reihe der Persönlichkeiten und Charaktere aufnehme. Ich erkläre mich darüber.