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Wenn der Jüngling nicht wäre, oder der Jüngling im Mann, würde stets alles ungefähr bleiben, wie es ist. Wir setzen dem Jüngling Schranken. Flugs steigt er darüber. Er trotzt uns nicht. Er hört uns nicht. Aug und Ohr hat der Jüngling für Bilder und Laute vor ihm. Aber kein Ruf der Vergangenheit fesselt seinen ungeduldigen Fuß. Jeder Jüngling gibt der Menschheit ihre Jugend wieder. Die Hoffnung, die du aufgabst, faßt dein Junge von neuem. Wenn du sagst Rebellion, so sagst du Jüngling. Der Jüngling ist keine verschlossene Tür, sondern ein offener Pfad. Den Jüngling in dir legst du ab auf eigene Gefahr. Du kannst dich nicht selbst erlösen? Der Jüngling kann dich erlösen. Du kannst schlafmüde zu Bett gehn. Der Jüngling wird für dich träumen. Du kannst in die Stadt gehn und inmitten der Habgier der Welt Schwindel um Schwindel erschachern. Er wird arbeiten und spielen und ehrlich sein für dich. Der geborene Streiker, der Jüngling. Hast du je eine so hohe Mauer gebaut, daß ein Jüngling sie nicht erklettert hätte? Hast du je ein Nein so tief gesenkt, daß ein Jüngling es nicht untergraben hätte? Hast du je ein religiöses oder philanthropisches System gelehrt, so gut, daß ein Jüngling es nicht verbessert hätte? Der Widerspruchsgeist des Jünglings ist die Erlösung des Mannes.
Könnte die Ungerechtigkeit in einer Welt von Erwachsenen leben, sie fühlte sich geborgen. Die Wiege fürchtet sie. Sie fürchtet nicht deinen Verstand, deine Bildung, deine Wißbegier oder deine Logik. Sie fürchtet den Jüngling. Der Jüngling träumt und glaubt an Träume. Die Erwachsenen träumen auch. Aber sie glauben weniger leicht an die Träume. Der Jüngling prüft die Wirklichkeit am Traum. Der Mann den Traum an der Wirklichkeit. Darum ist der Mann konservativ, der Jüngling radikal. Darum droht vom Jüngling Widerstand, wo der Mann sich bescheidet. Der Jüngling ist der typische Streiker. Er tritt sofort für seine Rechte ein. Er denkt weder an Familie noch Gesellschaft. Nur an sein Recht. Er schließt kein Kompromiß. Aus Buchstaben und Geist liest er den weitesten Sinn. Zwei und zwei macht immer vier. Zehn Stunden sind zehn Stunden. Der Jüngling ist Demokrat. Er verabscheut die Befehle, die ihr aus Eintagshöhen herabkreischt. Es gibt keinen Herrn für ihn, der ihn zum Knechtesdienst zwänge.
Vor Jahren war es der Jüngling in 147 000 Mann, der zornig die Kohlenbergwerke verließ. Gemeint ist der erfolgreiche Riesenstreik in den Kohlenfeldern Pennsylvanias im Jahre 1902/03. L. Dieser Jüngling hat dem Kapital Schach geboten. Vielleicht stehen zehntausend Mann einem Problem gegenüber. Was werden die Zehntausend tun? Sie sehen ihre Lohnbücher an. Sie sehen voraus in die Schatten, die den Arbeitslosen umgeben. Wohl sind sie unzufrieden. Doch sie legen die Arbeit nicht nieder. Das Problem bleibt Problem. Das Unrecht aber reibt sich die Hände.
Der Jüngling kommt gegangen. Auch er steht vor dem Problem. Er rechnet nicht mit den Kosten. Weder vor sich noch hinter sich sieht er Schatten. Er sieht nur Licht. Ueberall Licht. Was gibt dem Mann, der mitten im Licht steht, ein Problem? Der Jüngling ist erleuchtet. Er verschmäht es, mit Bedingungen zu feilschen. »Ich will selbst ein paar Bedingungen stellen,« sagt er. Er gibt die Arbeit auf. Er wird euch nicht den Eselstreiber, oder Gepäckträger, oder Laufburschen oder Sklaven machen. Er geht zu den Männern, die verzagen, und spricht ihnen Mut zu. In Gegenwart des Jünglings schrumpft das Problem zusammen und verschwindet. Der Jüngling ist der geborene Streiker. Er ist unvernünftig; ja. Doch kann man stolz sein auf die Vernunft der Aelteren? Ich beobachte ihn, wie er sich zu seinem verwickelten Leben, zu seinen Rechten und Pflichten verhält. Der Jüngling kann so gut wie die Alten Quadrate und Kreise der Gerechtigkeit zeichnen. Er ist nicht unfehlbar. Er ist anmaßend, eitel und rechthaberisch. Aber verknöcherte Konvention wird neubelebt durch den Mut und die Opferfreudigkeit von Jünglingen. Der Jüngling bereitet dir Aerger, aber auch Freude. Du verabscheust die Roheit, ja Grausamkeit seiner Opposition. Du lobst sein festes Selbstvertrauen. Das einzige, was am Manne wichtiger ist als der Jüngling in ihm, ist – nun, es gibt nichts Wichtigeres als den Jüngling. Der Welt ihr Jünglingsherz zu erhalten, ist das Ideal der Philanthropie. Wenn du für Gerechtigkeit eintrittst, so gehst du nicht zum sinkenden Alter, um die Glieder von Greisen für den Kampf wieder gelenkig zu machen. Du rufst die Jünglinge auf. Die Greise sind blind und taub. Sie sehen Sonnenuntergänge und Särge. Die Jünglinge sind vollkommen Herr ihrer fünf Sinne. Sie schauen nur Morgendämmerungen und Unsterblichkeit. Die Greise bleiben stecken im Zaudern. Die Jünglinge gehen gerade auf ihr Ziel los.
Der Jüngling handelt ohne Wenn, Aber und Vielleicht. Er ist ein Draufgänger. Jesus säuberte den Tempel mit dem feurigen Herzen des Jünglings. Sechzig Jahre hätten Gründe gehabt, die Geldwechsler mit taktvoller Rücksicht zu behandeln. Aber die dreißig oder zwanzig Jahre sahen nur das Uebel und drangen ohne Bedenken auf seine Vernichtung. Noch ist die Welt jung mit Jesus. Jesus war die Jugend, die gegen die Uebergriffe der hebräischen Plutokratie aufstand. Manche Menschen sind ewig jung. Wir glauben das Alter am höchsten zu preisen, wenn wir von seiner Jugend sprechen. Auf einen gebildeten Menschen häufen die Jahre keine Lasten. Vielmehr erleichtern sie ihm seine Bürde. Sie haben ihn gelehrt, das Leben zu organisieren. Sie haben seine Kraft, nicht seine Last gemehrt. Mit einer Zivilisation, die in den Erwachsenen die Jugend verkümmern läßt, ist es schlecht bestellt. Du kannst geradesogut tot sein wie aufhören, Jüngling zu sein. Der Jüngling überschaut alles. Er bleibt seinen Eltern, seinen Nachbarn, seiner Zivilisation ein Rätsel. Er schneidet die Wege ab. Er geht nie nach der Regel zu Werk. Wenn du meinst, ihn vor dir zu haben, ist er irgendwo anders. Wenn du ihn in der Ferne suchst, steht er lächelnd an deiner Seite. Wenn du vom Unmöglichen sprichst, geht er hin und tut es. Bei Entwicklungen, die du mit dem Zirkel bestimmen willst, zeigt er dir, wie groß sie werden, wenn man sie ihrem natürlichen Gang überläßt. Der Jüngling braucht fürs Leben Raum. Aller Ueberfluß ist ihm willkommen. Alle Grenzen überschreitet er. Kirche und Staat existieren für ihn nicht. Religion und Naturgesetz erkennt er an. Aber Institutionen sind ihm ein Greuel. Eure Polizeiregeln beachtet er nicht. Für den Erwachsenen ist das ganze Leben bewacht, eingeschränkt, Strafen ausgesetzt. Wächter duldet der Jüngling nicht über sich. Und vor den Zufälligkeiten des Gesetzes beugt er sich nicht. Ueberlaßt das Leben sich selbst, sagt er: man kann ihm vertrauen. Es hat ein Recht auf Wachstum. Im Amtsgericht aber wird es nicht wachsen.
Jeder Mensch durchlebt in sich zehntausend Leben. Und doch ist ihm vielleicht alles Leben entgangen, wenn in den zehntausend nicht der Jüngling mit heiterer Ueberlegenheit triumphiert. Herren und Könige und Parlamente fürchten sich vor dem Jüngling. Wenn du gegen den Jüngling häßlich und grob wirst, dann denke an deine eigenen Träume. Vielleicht hast du den Jüngling in dir selbst ertötet. Vielleicht mußtest du das. Doch schone den Jüngling im Jüngling. Laß jeden zur Mannheit heranreifen und doch Jüngling bleiben. Laß die Männlichkeit der Dreißig sich zur Abgeklärtheit der Fünfzig entwickeln. Aber erhalte den Jüngling. Ein echter Jüngling wächst aus der Jugend nie hinaus. Ein echter Jüngling überlebt alle Revolutionen des Fleisches und Geistes. Warum sollte der Jüngling, der in der Wiege erscheint, nicht den Sarg überdauern? Jesus meinte den Jüngling, als er sagte: Kommet, ihr Kindlein. Whitman meinte den Jüngling, als er schrieb: Es war ein Kind, das auszog. Kein Jüngling in Athen war jünger als der alte Sokrates. Ich erinnere mich, daß Liebig sagte, sein jüngster Schüler sei Liebig. Der Jüngling ist Begeisterung, ewiges Feuer. Seine Wärmequellen sind unerschöpflich. Sein Licht wird nie trübe. Wenn du kalt wirst im Glauben, so suche Fühlung mit dem Jüngling. Frage ihn, ehe du nachgibst. Er wird dir nicht etwas vorpredigen von einem Weg zur Rettung. Er wird dir den Weg bahnen.
Hieltest du den Jüngling für jung oder alt? Ich habe nie um das Alter eines Jünglings gewußt. Er kann zehn oder siebzig Jahre alt sein. Der Jüngling läßt es sich nicht wohl sein in den Jahren, wo man bequem wird. Er rechnet nicht mit Jahren. Der Jüngling ist ewig jenes göttliche Etwas im Kosmos, das dessen revolutionäre Ideale unsterblich macht. Der Arbeitgeber, der Herr, der Vorgesetzte mag diesen Jüngling nicht. Aber ohne diesen Jüngling wäre das soziale Gleichgewicht zerstört.