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Einer der Arbeiter, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, wechselte mit seinem ihm gegenüber sitzenden jüngeren Genossen einen verdutzten, ja fast erschrockenen Blick. Der Umstand, daß Nechljudow, statt sie nach sonstiger Gewohnheit der Herren zu schelten und wegzujagen, ihnen vielmehr seinen Platz abtrat, versetzte sie geradezu in Verblüffung, ja sie fürchteten sogar, daß die Sache irgendwelche üblen Folgen für sie haben könnte. Als sie jedoch sahen, daß keine heimtückische Absicht dahinter steckte, und daß Nechljudow sich ganz schlicht und unbefangen mit Taras unterhielt, beruhigten sie sich, hießen den jüngsten von ihnen aufstehen und sich auf den Sack setzen und forderten Nechljudow auf, den freigewordenen Platz auf der Bank einzunehmen. Der ältliche Arbeiter, der Nechljudow gegenübersaß, war anfangs noch sehr verlegen – er kroch in sich zusammen und zog seine in Bastschuhen steckenden Füße an, um nur ja den feingekleideten Herrn nicht zu berühren, bald aber kam er mit Nechljudow und Taras in ein so freundschaftliches Gespräch, daß er Nechljudow bei den Stellen, auf die er seine besondere Aufmerksamkeit zu lenken wünschte, höchst gemütlich mit dem Handrücken aufs Knie schlug. Er erzählte ihm alle seine Verhältnisse und schilderte ihm die Arbeit in den Torfgründen, von der sie eben heimkehrten, nachdem sie dort zwei und einen halben Monat tätig gewesen waren. Jeder brachte seine wohlverdienten zehn Rubel mit, nachdem ein Teil des Verdienstes bei der Übernahme der Arbeit im voraus gezahlt worden war. Sie hatten ihre Arbeit, wie er erzählte, in der Weise verrichtet, daß sie bis an die Knie im Wasser steckten, und die Arbeitszeit hatte vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, bei zweistündiger Mittagspause, gedauert.
»Wer's nicht gewöhnt ist, dem fällt's natürlich sauer,« sagte er, »aber sowie man sich erst eingearbeitet hat, macht es gar nichts aus. Wenn nur die Kost gut ist. Anfangs hat sie nicht viel getaugt, aber wir sagten ihnen gründlich die Meinung, und da wurde die Kost gut, und die Arbeit ging leicht vonstatten.«
Dann erzählte er, daß er seit achtundzwanzig Jahren auf Arbeit gehe und allen Verdienst stets nach Hause geschickt habe – zuerst dem Vater, dann dem ältesten Bruder, und jetzt dem Neffen, der die Wirtschaft führe; er selbst verbrauche im Jahre von den fünfzig bis sechzig Rubeln, die er verdiene, höchstens zwei bis drei Rubel für Tabak und Zündhölzchen – das Rauchen sei nämlich seine Schwäche.
»Ja, darin bin ich sündhaft, und vor lauter Ermüdung trinkt man auch mal ein Gläschen Branntwein,« fügte er mit schuldbewußtem Lächeln hinzu.
Er erzählte noch, wie die Weiber daheim die Wirtschaft führten, wie der Arbeitgeber sie heute vor der Abreise mit einem halben Eimer Branntwein bewirtet habe, wie einer von ihnen gestorben und ein anderer, den sie mit bei sich hätten, krank geworden sei. Der Kranke, von dem er sprach, saß in demselben Waggon in der Ecke. Es war ein junger Bursche mit blaßgrauem Gesichte und blauen Lippen, der offenbar von einem schweren Fieber befallen war. Nechljudow trat an ihn heran, doch der junge Mensch sah ihn mit einem so düsteren, schmerzlichen Blicke an, daß Nechljudow ihn nicht weiter mit Fragen behelligte und dem Alten nur riet, Chinin für ihn zu kaufen. Er schrieb ihm den Namen des Heilmittels auf einen Zettel und wollte ihm Geld geben, doch der ältere Arbeiter schlug es aus und meinte, er würde es schon selbst bezahlen.
»Das muß ich sagen,« sprach er, zu Taras gewandt, »so weit ich auch herumgekommen bin, solche Herren hab' ich noch nicht gesehen: statt dich beim Wickel zu nehmen und von der Bank zu werfen, tritt er dir gar noch seinen Platz ab! Zu vielerlei Herren gibt's doch auf Gottes Erdboden,« meinte er tiefsinnig.
»Ja, das ist eine ganz andere, eine ganz neue Welt,« dachte Nechljudow, während er diese hageren, muskulösen Gliedmaßen, diese groben, selbstgefertigten Kleider und diese sonnengebräunten, ermüdeten, doch dabei freundlich dreinschauenden Gesichter betrachtete und sich rings von diesen neuen Menschen mit ihren ernsthaften Interessen und all den Leiden und Freuden eines echten, rechten Menschen- und Arbeitslebens umgeben sah.
»Das ist sie, die wahre Elite,« dachte Nechljudow, dem unwillkürlich die Phrase des Fürsten Kortschagin und die ganze müßige, üppige Welt der Kortschagins mit ihren erbärmlichen Interessen in Erinnerung kam.
Und er hatte das freudige Gefühl eines Reisenden, der eine neue, bisher unbekannte, schöne Welt entdeckt hat.