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17.

Man speiste bei der Gräfin Katerina Iwanowna um halb acht, und das Essen wurde auf eine neue Art serviert, wie Nechljudow sie noch nicht gesehen hatte. Die Gerichte wurden auf den Tisch gestellt, und die Lakaien gingen sogleich hinaus, so daß die Speisenden sich selbst bedienten. Die Herren ließen es jedoch nicht zu, daß die Damen sich bei der Sache allzu großen Anstrengungen unterzogen, und als das stärkere Geschlecht trugen sie mannhaft die ganze Last der Arbeit, die mit dem Auflegen der Speisen auf die Teller der Damen und ihre eigenen Teller und mit dem Einschenken der Getränke verbunden war. Sobald ein Gericht verzehrt war, drückte die Gräfin auf den Knopf einer elektrischen Tischglocke, und die Lakaien traten lautlos ein, räumten rasch ab, wechselten die Bestecke und brachten den folgenden Gang. Das Essen war von erster Güte, und die Weine standen ihm nicht nach. In der großen, hellen Küche arbeitete ein französischer Chef mit zwei weißgekleideten Gehilfen. Es waren sechs Personen zu Tisch: der Graf und die Gräfin, ihr Sohn – ein finsterer Gardeoffizier, der die Ellenbogen auf den Tisch setzte – dann Nechljudow, die französische Vorleserin und der Güterverwalter des Grafen, der vom Lande hereingekommen war.

Auch hier drehte sich die Unterhaltung um das Duell. Man wußte bereits, daß an höchster Stelle nicht die Absicht bestand, den Offizier, der Kamenskij erschossen hatte, besonders streng zu strafen, und so beurteilte man auch im Hause des Grafen den Fall mit Nachsicht. Der junge Posen hatte ja nur die Ehre seines Rockes verteidigt. Nur die Gräfin Katerina Iwanowna äußerte in ihrer leichten, freien Weise ihre abfällige Ansicht über den Mörder.

»Was für eine Art ist das – sich zu betrinken und dann einen anständigen jungen Mann zu töten! ... Um keinen Preis würde ich das so hingehen lassen,« sagte sie.

»Das verstehe ich nicht,« sagte der Graf.

»Ich weiß, daß du nie verstehst, was ich sage,« versetzte die Gräfin und wandte sich dann zu Nechljudow. »Alle verstehen mich, nur mein eigner Mann versteht mich nicht. Ich sage nur, daß die Mutter mir leid tut; ich finde es unrecht, daß jemand einen Nebenmenschen töten und noch darauf stolz sein darf.«

Nun nahm der Sohn, der bisher schweigend dagesessen hatte, das Wort zugunsten Posens und machte einen Ausfall gegen seine Mutter, indem er ihr in ziemlich grober Weise auseinandersetzte, daß der Offizier nicht anders habe handeln können, weil er sonst durch das Ehrengericht aus dem Regiment ausgestoßen worden wäre. Nechljudow hörte zu, ohne sich an dem Gespräch zu beteiligen; als ehemaliger Offizier verstand er wohl die Argumente des jungen Tscharskij, ohne sie indes zu billigen, und zog unwillkürlich eine Parallele zwischen dem Offizier, der seinen Kameraden getötet hatte, und jenem sympathischen jungen Menschen im Gefängnis, der zu Zwangsarbeit verurteilt worden war, weil er bei einer Prügelei einen Totschlag begangen.

Nechljudow erzählte, was er von dem Falle wußte. Die Gräfin Katerina Iwanowna stimmte zwar anfangs ihrem Neffen bei, schwieg dann jedoch gleich den andern, und Nechljudow fühlte, daß er durch Zumbestengeben der Geschichte so etwas wie eine Taktlosigkeit begangen hatte.

Am Abend, bald nach dem Essen, begann man sich im großen Saale zu versammeln – Kiesewetter wurde erwartet und sollte eine Predigt halten. Die Stühle mit den hohen, geschnitzten Lehnen waren auf besondere Weise, wie in einem Vorlesungssaale, aufgestellt, und vor dem großen Tische stand ein Tischchen mit einem Stuhl dahinter und einer Wasserkaraffe zum Gebrauch des Redners.

An der Auffahrt standen prächtige Equipagen. In dem vornehm ausgestatteten Saale saßen die Damen in Seide, Samt und Spitzen, mit falschen Haaren und enggeschnürten falschen Taillen. Zwischen den Damen saßen die Herren in Militär- und Ziviluniform und ein halbes Dutzend einfacher Leute: zwei Hausdiener, ein Krämer, ein Lakai, ein Kutscher.

Kiesewetter, ein kräftig gebauter Mann mit bereits ergrauendem Haar, sprach englisch, und ein hageres junges Mädchen mit einem Pincenez übersetzte seine Worte rasch und geläufig.

Er sprach darüber, daß unsere Sünden so groß seien und die Strafe, die wir für sie sicher zu erwarten hätten, so schwer und furchtbar sein würde, daß es einfach unerträglich sei, in Erwartung dieser Strafe zu leben.

»Wenn wir so, geliebte Schwestern und Brüder, über uns selbst und unser Leben nachdenken, über das, was wir tun, wie wir leben, wie wir den lieben Gott erzürnen, wie wir Christum leiden lassen – dann begreifen wir, daß es für uns keine Verzeihung, keinen Ausweg, keine Rettung gibt, daß wir alle dem Untergange geweiht sind. Ja, grausiger Untergang, ewige Qualen erwarten uns,« sprach er mit zitternder, weinerlicher Stimme. »Wie sollen wir uns retten? O Brüder, wie sollen wir uns retten aus dieser schrecklichen Feuersbrunst? Sie hat das Haus schon ergriffen, und es gibt keinen Ausweg mehr!«

Er schwieg ein Weilchen, und richtige Tränen rannen über seine Wangen. Seit acht Jahren bereits fühlte er unfehlbar jedesmal, sobald er an diese Stelle seiner ihm selbst vortrefflich gefallenden Rede kam, einen Krampf in der Kehle und ein Kitzeln in der Nase, und die Tränen traten ihm in die Augen. Und diese Tränen erhöhten noch seine Rührung. Im Zimmer ließ sich leises Schluchzen vernehmen. Die Gräfin Katerina Iwanowna saß an einem Mosaiktischchen, den Kopf auf beide Hände gestützt, und ihre fetten Schultern zitterten. Der Kutscher blickte verwundert und erschrocken auf Kiesewetter, als ob er mit der Deichsel auf ihn losführe und jener ihm nicht Platz machen wollte. Die meisten der Anwesenden saßen in ähnlicher Haltung da wie die Gräfin Katerina Iwanowna. Die Tochter des Senators Wolff, die dem Vater sehr ähnlich war, lag in ihrem eleganten Kleide auf den Knien und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Der Redner veränderte plötzlich seine Miene, und auf seinem Gesichte erschien ein Lächeln, das einem echten Lächeln sehr ähnlich war und an jenes Lächeln erinnerte, durch das die Schauspieler die Freude auszudrücken pflegen. Und mit süßlicher, sanfter Stimme fuhr er in seiner Rede fort:

»Und doch gibt es eine Rettung. Und sie ist so leicht, so beseligend. Diese Rettung ruht in dem für uns vergossenen Blute des einzigen Gottessohnes, der sich für uns hingab zu Marter und Qual. Seine Qual, sein Blut erlöst uns. O Brüder und Schwestern,« sprach er wieder mit tränenreicher Stimme, »lasset uns Gott danken, der seinen einzigen Sohn zur Erlösung des Menschengeschlechts hingegeben hat. Sein heiliges Blut ...«

Nechljudow fand die Sache so widerwärtig, daß er sich leise erhob, stirnrunzelnd auf den Fußspitzen hinausging und sich auf sein Zimmer begab.


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