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Epilog
Ein halbes Jahr ist seither verflossen. Die große Erregung, die über unser Land gekommen war, hat sich gelegt. An unseren Grenzen herrscht tiefer Friede. Winterlicher Schnee liegt in den Karpathen und auf der Steppe.
Trabianu sitzt noch immer auf dem Ministerpräsidentenstuhl und regiert im Namen des Königs, wie es ihm beliebt. Unsere Partei nimmt an der Regierung teil. Costiceanu leitet das Außenministerium und fühlt sich recht wohl dabei. Im Grunde genommen hat sich nicht viel geändert. Ein paar Präfekten wurden ausgetauscht. Zwei neue Parteien haben sich gebildet. Der »Bakschisch« genießt das Ansehen wie vorher. In den Ämtern herrscht die alte Korruption, ohne die wir nun einmal in einem Rechtsstaat nicht leben können, in Bessarabien haust die Soldateska, in Siebenbürgen saugt man der Bevölkerung den letzten Blutstropfen aus. Die Zufriedenheit kann nicht größer sein. Dafür sorgt schon unsere »Sigurantza«.
Jede Woche gibt es einen kleinen Skandal. Entweder handelt es sich um große Unterschleife bei der Heeresverwaltung oder um Devisenschiebungen in der Nationalbank. Oder man prügelt sich in der Kammer und beschuldigt einen General des Verrates militärischer Geheimnisse. Der Leu steht noch immer so tief wie früher. Die Bauern ersticken in Schulden, die völkischen Minderheiten wagen kaum zu atmen, aber die Kaufleute machen wie immer gute Geschäfte. Wir sind trotzalledem ein reiches Land. Man muß sich bloß in unsere eigenartigen Verhältnisse hineinfinden.
Die Amerikaner haben sich in alle Winde zerstreut. Mr. Stoping propagiert jetzt Gesellschaftsreisen nach Tibet. Seit der Abreise Balabans hat unser Land an Zugkraft verloren.
Aber im Café Capsa sitzen noch immer die guten Bekannten und trinken ihren Mokka.
Man begrüßt sich, tauscht Komplimente aus, entzweit und versöhnt sich wieder. Ämter werden verschachert, Gerüchte auf den Weg gesetzt, Geschäfte und Intrigen eingeleitet und Leitartikel inspiriert. Man ißt noch immer das herrlichste Backwerk und sieht die schönsten Frauen. Madame Stanescu, deren Ehe vor Jahresfrist so viel vergnügten Gesprächsstoff bot, lebt von ihrem Gatten geschieden und mit einem reichen Armenier in wilder Ehe. Von Madame Godileanu, deren sadistische Gelüste stadtbekannt sind, heißt es, daß sie sich einen Prügelsalon eingerichtet habe. Im Untersuchungsgefängnis von Vacaresti sterben noch immer Leute an angeblicher Herzschwäche. An der Universität in Cluj haben sie durch Zufall einen Professor entdeckt, der gerade notdürftig schreiben und lesen konnte. Angeblich war es ihm durch seine Beziehungen zu der Gattin des Unterrichtsministers gelungen, das hohe Lehramt auch ohne die sonst erforderlichen wissenschaftlichen Voraussetzungen zu erreichen.
Von Armand Dupré höre ich, daß er in der letzten Genfer Völkerbundversammlung eine vielbesprochene Rede über die Notwendigkeit der allgemeinen Abrüstung gehalten habe. Der deutsche Außenminister hätte ihn beglückwünscht.
Ich fühle mich sehr einsam ohne Tete. Es gibt allerhand reizende Frauen in dieser Stadt. Aber sie reichen alle nicht an Tatjana heran. Keine besitzt das Keusche und Sinnliche ihres Wesens, keine den Freimut und die Klugheit ihres Geistes. Es ist eine große Leere entstanden in meinem Herzen. Darüber vermag mich auch die gütige alte Prinzessin Pizzicatino nicht hinwegzutäuschen, obgleich sie kein Mittel unversucht läßt, um meinem Junggesellenleben ein Ende zu bereiten. Sie besitzt eine Nichte, die sie gern an mich verheiraten möchte. Aber ich wehre mich nach Kräften. Sie selbst ist sehr glücklich. Bibi hat seinen alten Posten als Legationsrat der Pariser Gesandtschaft wiedererhalten und soll dort herrlich und in Freuden leben.
Mit Tatjana stehe ich in regelmäßiger Korrespondenz. Ihre Briefe, geistreich, liebenswürdig, umhaucht von einer Zärtlichkeit, die mich trotz ihrer Hoffnungslosigkeit beglückt, sind der Trost und die Labsal meines Lebens. Heute erhielt ich wieder eine Nachricht von ihr. Mein Herz klopft vor Sehnsucht und Eifersucht.
»Balaban hat seine Ausbildung vollendet,« schreibt sie, »seine Lehrer sind entzückt und prophezeien ihm eine glänzende Zukunft. Vor einigen Tagen gab er in den Räumen der rumänischen Gesandtschaft in Washington ein Konzert vor geladenen Gästen. Man feierte ihn überschwenglich. Wenn es je einem gelingt, Rumäniens Ansehen im Auslande zu heben, so wird er es sein. Er ist noch immer der große, gute Junge, der er war. Mich umgibt er mit einer so rührenden Liebe, daß die Vergangenheit wie ein wüster Traum hinter mir liegt. Mein Leben gehört ihm. Ich werde ihn auf allen seinen Wegen begleiten, wohin sie auch führen mögen. In die Höhe oder in die Tiefe.
Der Vertrag mit der Metropolitanoper ist perfekt. In vierzehn Tagen wird er das erstemal in einer Festvorstellung auftreten. Ich zweifle nicht an seinem Erfolg. Aber ich möchte, daß unser gemeinsamer Freund Nicu Bracu an unserem Glück teilnimmt. Ich muß Ihnen noch einmal die Hand drücken, lieber Freund, in Ihre listigen Augen sehen, die ich einmal für verräterisch gehalten habe, und Ihnen für Ihre Treue danken, deren Selbstlosigkeit ich niemals vergessen werde.
Kommen Sie bald! Kommen Sie rasch, wenn Ihre Sehnsucht nach mir so groß ist wie meine Freundschaft für Sie. Denn an dem Tage seines ersten Auftretens in der Oper werde ich Balabans Frau. Und wir beide wüßten uns keinen lieberen Trauzeugen als Sie, teurer Freund! Bringen Sie doch bitte auch Carraculi mit, wenn es irgend möglich ist. Er hat Balaban auf allen seinen Leidensfahrten begleitet, Not und Elend mit ihm geteilt, nun soll er ihm auch im Glücke nahe sein. Er will für ihn sorgen wie für seinen eigenen Bruder. Balaban vergißt seine Freunde nicht. Er hat auch Sie nicht vergessen. Sie ahnen gar nicht, wie oft wir von Ihnen sprechen. Seien Sie unser lieber Gast, Nicule – und eilen Sie! In aufrichtiger Zuneigung Ihre Tatjana.«
*
Ich weiß, daß ich alle Gründe ins Treffen führen werde, um nicht zu fahren. Warum soll eine alte Wunde, die noch immer blutet, wieder aufgerissen werden?
Warum soll ich die Qual der Eifersucht von neuem ertragen? Ich gönne Balaban alles Gute. Ich gönne ihm den Erfolg! Aber strafe mich Gott – ich bin nur ein Mensch – Tatjana gönne ich ihm nicht!
Schon sitze ich am Schreibtisch, um ihr abzuschreiben. Aber die Hand versagt mir den Dienst. Sie zittert. Sie will nicht, daß ich abschreibe. Weil mein Herz nicht will. Weil es eben so zittert wie meine Hand. Weil ich weiß, daß ich Tatjana noch einmal sehen, den Klang ihrer süßen Stimme hören muß.
Was helfen da alle guten Vorsätze? Es gibt keine Pflicht, die mich hier zurückhalten kann, wenn Tatjana nach mir ruft.
Ich werfe die Feder weg und zerreiße den angefangenen Brief.
»Verehrte Fürstin!« steht darauf. In vierzehn Tagen wird sie Frau Balaban heißen. Ein Gedanke, der mir das Blut in den Kopf steigen läßt.
Ich schreie nach Lajos, der erschrocken die Tür aufreißt.
»Packen! Sofort packen!! Hörst du!? Den großen Kabinenkoffer!«
Dann stürze ich an den Apparat, um die Schiffskarte zu bestellen. Ich brauche nicht abzuschreiben! Ich werde kommen, Tatjana! Ich kann nicht anders.
Ende.