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Fünfzehntes Kapitel

Ein Diplomatentrick

 

Um sieben Uhr früh fuhr ich in die Gesandtschaft. Der Pförtner ließ lange auf sich warten.

Dafür lungerten in der Nähe des Hauptportals zwei Männer herum, von denen einer mir als Polizeiagent bekannt war. Die Fürstin hatte richtig vermutet. Zweifellos standen die beiden da, um im Auftrage der Sigurantza zu beobachten, wer hier ein- und ausging.

Die Sigurantza – das ist die große, unheimliche Spinne, die überallhin ihre unsichtbaren Netze zieht. Mit Argusaugen bewacht sie alle, die im öffentlichen Leben stehen; ihr untersteht die Kontrolle der Ausländer und der »Straini«, der sogenannten »Fremden«, zu denen man alle rechnet, die nicht rumänischen Geblüts sind: die Magyaren, die Siebenbürger Sachsen, die Banater Schwaben, die Tataren und Bulgaren in der Dobrudscha, die Juden und die Russen in Bessarabien. Sie ist eine Institution, die überall Angst und Schrecken verbreitet, wo sie sich bemerkbar macht. Ihre Agenten rekrutieren sich aus allen Kreisen der Bevölkerung. Sie besitzt unbeschränkte Machtbefugnisse, die nicht einmal ein Minister ausschalten darf. Sie ist für die Sicherheit des Staates, aber niemandem verantwortlich. Wer sich einmal in ihren Netzen verfangen hat, gilt als verloren. Wir haben im Frieden die Todesstrafe abgeschafft. Aber es gibt einen langsamen Tod, eine Todesqual ohne Ende in den Salzbergwerken von Okna, in den unterirdischen Kerkern Bessarabiens, die schrecklicher ist als die brutalste Form der Hinrichtung. Wir zählen uns zu Europa, aber die Dumpfheit, die Wollust und der Sadismus des Orients schwingt noch allzu mächtig in uns. Unsere Polizei, mehr Macht- als Sicherheitsinstrument, übt noch die grausamen Methoden des dunkelsten Mittelalters aus. Die Gefängnisse sind Schreckens- und Folterkammern. Es gibt zwar offiziell keine Folter, aber Knute und Peitsche erpressen jedes gewünschte Geständnis. In Vacaresti, aus dem Untersuchungsgefängnis von Bukarest, das sieben Kilometer von der Stadt entfernt liegt, gellen oft die Schmerzensschreie der Gemarterten. Wir haben Richter, wir haben sogar gute Richter, manchmal auch einen ganz und gar unbestechlichen darunter, aber ehe sie ihres Amtes walten können, hat meist schon der Profoß gerichtet.

Wenn Schläge nichts fruchten, dann versucht man es mit Hunger und Durst. Die Bastonade ist nur der Anfang. Und vermag Hunger und Durst den Häftling nicht aufzureiben, dann führt man ihn irgendwohin ins Freie, kommandiert ihm »Laufschritt« und knallt ihn von hinten nieder mit der Begründung, er habe einen Fluchtversuch unternommen.

Das Angebertum, die Spitzelwirtschaft treibt in unserem Lande immer neue Blüten. Glücklicherweise haben wir eine Korruption. Ich sage – glücklicherweise, denn ohne Korruption müßte dieser Staat, der seinen Beamten elende Gehälter zahlt und auch die nur, wenn die Kassen gerade gefüllt sind, zugrunde gehen. Der Beamte muß sich bestechen lassen, wenn er nicht verhungern will. Der höhere Beamte ist immer Parteimann. Er geht und fällt mit der Regierung seiner Partei. In der Zwischenzeit, in der Wartezeit hat er oft kaum soviel, um seine nackte Existenz zu fristen. Und darum muß er sich, wenn er sich in Amt und Würden befindet, bestechen lassen. Darum hat alles in diesem Lande seine Taxe, natürlich auch die Justiz. Der »Bakschisch« öffnet alle Schlösser und alle Türen. Er ist eine herrliche, eine wunderbare, eine nachahmenswerte Einrichtung! Er steht über den Gesetzen. Wer sich auskennt, wer den Bakschisch mit der richtigen Geste in die richtige Hand zu legen versteht, braucht nichts zu befürchten. Nicht einmal die Sigurantza, die keinen Gott, keinen König und keinen Minister kennt, aber vor dem Bakschisch in Ehrfurcht erschauert. Vor dem Bakschisch ist jeder gleich. Er ist das Sinnbild der Demokratie. Nur auf seine Höhe kommt es an, nicht auf den Geber.

»Ohne Ansehen der Person ...« In unserem Lande hat dies Wort noch Geltung. Der Fremde, der in unsere Verhältnisse Einblick nimmt, mißversteht sie und beurteilt sie daher falsch. Die Einrichtung des »Bakschisch« gleicht die Gegensätze aus oder mildert sie zumindest. Sie ist vielleicht ein Fluch, aber noch mehr ein Segen für unseren Staat.

Jahrhundertelang waren wir ein Vasallenvolk, unterdrückt, geknechtet, mit Zwang vor jedem Kulturfortschritt bewahrt. Das darf man nicht vergessen. Dann mußten wir in wenigen Jahrzehnten das Versäumte nachholen, im Sturmschritt das Kulturniveau des Abendlandes erreichen, Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts werden, und bei dieser schnellen Fortentwicklung konnten naturgemäß Entgleisungen und Stilwidrigkeiten nicht ausbleiben. Der Weltkrieg hat Rumänien zu einer Großmacht gestempelt.

ROMANIA MARE – Großrumänien ist der offizielle Titel unseres Staates, dessen Gebiet sich seit dem Jahre 1918 fast verdreifacht hat. Solch ein ungeheurer Zuwachs muß erst verdaut werden. Früher waren wir ein Nationalstaat, jetzt sind wir ein Nationalitätenstaat. Drei Millionen Magyaren, eine Million Russen, ebenso viele Juden, eine halbe Million Deutsche, Bulgaren, Serben und Türken leben in unserer Mitte. Wir besitzen noch immer keinen bürgerlichen Mittelstand. Die Juden, bis nach dem Weltkrieg rechtlose Untertanen, vermittelten zwischen Bojaren und Bauern. Sie sind in diesem Lande tatsächlich der Sauerteig der Nationen. Manchmal allerdings treiben sie die Gärung zu weit. Dann entstehen Pogrome.

Dieses Völkergemisch im Innern und die unruhige Nachbarschaft Jugoslawiens, Bulgariens und Ungarns, das mit verbissener Wut an das verlorene Siebenbürgen zurückdenkt, aber auch die bedrohliche Nähe des russischen Reiches, das bestimmt eines Tages seine Ansprüche auf das weite, fruchtbare Bessarabien von neuem laut und vielleicht auch mit Gewalt erheben wird und schon jetzt die verarmten Bauern dieser Provinz durch kommunistische Lockrufe an sich zu ziehen sucht, zwingt die Gewalthaber unseres Staates zu größter Wachsamkeit.

Wir tanzen auf einem unterirdischen Vulkan. Wir können unserer neuen Größe nicht recht froh werden. Und darum schuf man die Sigurantza, die, wenn es ihr nötig erscheint, in das intimste Privatleben des Bürgers hineinleuchtet, die ihre Fäden in die Paläste der Bojaren und in die armseligen Hütten der Bauern und Arbeiter zieht, eiternde Wunden mit der Stichflamme des Schreckens ausbrennt und das ganze Volk mit einem unsichtbaren Schleier umstrickt.

Vor allem aber verfolgt sie die Spannungen im diplomatischen Hexenkessel unserer Hauptstadt. Mancherlei Süppchen werden da gekocht. Der Kampf der großen ausländischen Finanzkonzerne um unsere Petroleumquellen, die zu den größten und ergiebigsten Europas gehören, spielt dabei keine geringe Rolle. Jeder an unseren Verhältnissen interessierte Staat unterhält hier eigene Agenten, die nicht selten auch gleichzeitig Spitzel der Sigurantza sind.

So wunderte es mich auch nicht, daß Armand Dupré von den Ereignissen des letzten Abends bereits Kenntnis hatte. Mein früher Besuch schien ihn nicht zu überraschen. Er wußte schon aus anderer Quelle, daß die Fürstin Trubakow zur Sigurantza geladen worden war.

»Ich wollte eben einen Vertrauensmann zu Tatjana schicken,« sagte er, »aber ich höre, daß sie noch nicht in ihr Palais zurückgekehrt ist. Ich fürchtete schon, Voinescu könnte sie im Laufe der Nacht verhaftet haben. Trabianu scheint entschlossen zu sein, uns große Ungelegenheiten zu bereiten. Wir müssen alles aufbieten, um Tete vor dem Ärgsten zu bewahren. Ich habe mich noch in der Nacht mit unserem Chef beraten. Er will um zehn Uhr ins Präsidium fahren und mit Trabianu sprechen. Vielleicht läßt sich ...«

»Armand,« unterbrach ich ihn, »wenn ich die Fürstin richtig verstand, so wünscht sie keine diplomatischen Vermittlungen. Sie hätten auch wenig Zweck, da Tete jetzt rumänische Staatsbürgerin ist. Trabianu wird sich daher auf Grund dieser Tatsache jede Einmischung verbitten. Ich sagte dir schon, welche Absichten er mit Tatjana verfolgt. Sie soll Balaban der Regierungspolizei in die Hände spielen. Bis heute mittag muß sie sich entscheiden.«

»Wenn sie ablehnt ...«

»Wird sie sofort verhaftet!«

»Das darf unter keinen Umständen geschehen! Es kann einen fürchterlichen Skandal geben.«

»Den sie auch vermeiden will. Deshalb wird sie zum Schein auf den Vorschlag der Regierung eingehen, um Zeit zu gewinnen und eine Flucht ins Ausland vorzubereiten.«

In kurzen Worten unterrichtete ich Dupré von den Wünschen der Fürstin. Ich vergaß auch nicht, ihren letzten Gruß auszurichten. Er war sichtlich bewegt. Eine Weile überlegte er. Dann entschloß er sich, den Gesandten aufzusuchen, um mit ihm die Angelegenheit zu beraten. Ich mußte mitkommen.

Der bevollmächtigte Minister der französischen Republik, Monsieur de Lernon, der von meinem Besuche bereits erfahren hatte, empfing uns in seinem Arbeitszimmer.

»Selbstverständlich erhält die Fürstin die Pässe,« erklärte der Gesandte, »in einer halben Stunde wird alles erledigt sein. Wir haben eine an Aufregungen reiche Nacht hinter uns. Auch ich halte es für das beste, wenn Madame Tatjana pro forma das Anerbieten der Regierung annimmt. Jede diplomatische Intervention unsererseits kann die Sache nur noch mehr verwickeln.«

Er ließ den Legationssekretär rufen und gab ihm die entsprechenden Aufträge. Dann wandte er sich an Armand.

»Lieber Kapitän! Sie werden ebenfalls heute Ihre Koffer packen und Bukarest verlassen. Bis dahin hoffe ich Bescheid vom Quai d'Orsay zu erhalten.«

»Exzellenz! Ich habe alles bereits vorbereitet!« versicherte Dupré. Auf meinen erstaunten Blick fügte er hinzu: »Du mußt nämlich wissen, Nicu, daß ich meinen hiesigen Posten mit dem heutigen Tage verlasse. Das Vertrauen meiner Regierung beruft mich in die Abrüstungskommission des Völkerbundsrates nach Genf.«

Der Gesandte lächelte verbindlich.

»Die bisherigen großen Erfolge unseres lieben Armand«, sagte er, »sichern ihm eine große Karriere. Sie dürfen ihm übrigens gratulieren, Monsieur Bracu. Er ist zum Major befördert worden und wird jetzt in Genf den Standpunkt unserer obersten Heeresleitung wie kaum ein anderer zu vertreten wissen. Ich bedaure es, einen so ausgezeichneten Mitarbeiter verlieren zu müssen, aber die Pflichten gegen das Vaterland gehen voran.«

Ich wollte Armand meinen Glückwunsch übermitteln. Aber er wehrte ernst ab und meinte: »Nicu – wir wollen uns in diesem Augenblicke nichts vormachen. Ich weiß nur zu genau, was ich Tatjana zu verdanken habe. Es ist nicht mein, sondern in erster Linie ihr Verdienst, daß meine hiesige Tätigkeit von Erfolg begleitet ist und die Anerkennung meiner vorgesetzten Stellen gefunden hat. Sei versichert, daß mir ihr Schicksal zu Herzen geht. Ich werde glücklich sein, sobald ich sie sicher jenseits der Grenze weiß. Durch ihren freiwilligen Entschluß, mich freizugeben, hat sie meine Dankbarkeit ins Unermeßliche gesteigert.«

Der pathetische Ton, mit dem er dies sagte, mißfiel mir. Aber ich ließ mir nichts anmerken.

»Soll ich ihr sonst etwas ausrichten?« fragte ich kühl.

»Daß sie jederzeit auf mich und meine Hilfe rechnen darf!« versetzte er. Ich wußte genau, daß dies nur eine Redensart von ihm war. Der zügellose Ehrgeiz, der diesen Menschen beherrschte und leitete, ließ keine Dankbarkeit zu. Mit ein paar schönen Worten tat er eine Phase seines Lebens ab, ein Achselzucken für die Vergangenheit, dann blickte er schon in die Zukunft. Für ihn war Tatjana Trubakow bereits in der Versenkung verschwunden.

Ich konnte mich eines gewissen Widerwillens gegen einen solchen Charakterzug nicht erwehren. Wie er jetzt von seiner tiefen Erkenntlichkeit für Tatjana sprach, so wird er später in Genf mit dem Brustton der Überzeugung für die Notwendigkeit der allgemeinen Abrüstung plädieren, um dadurch die erhöhten Wehrmaßnahmen seiner Regierung zu verschleiern. Diplomaten sind berufsmäßige Lügner. Es ist schließlich kein Wunder, wenn sie sich selbst ebenso eine Komödie vorspielen wie der übrigen Welt. Die Schauspieler, die Dichter, die Komödianten lügen aus Phantasie, lügen mit dem Herzen, oft, ohne sich dessen bewußt zu sein, die Diplomaten lügen mit kühlem Verstand, lügen nicht, um Höheres, Größeres zu erleben, sondern um die Wahrheit zu verschleiern. Das ist das Gemeine, das Verderbliche an ihnen.

Ich trat ans Fenster, das auf die Straße zuging, und sah die beiden Sigurantzaagenten noch immer vor dem Palais stehen.

»Exzellenz,« sagte ich, »ich möchte hier nicht auf die Ausfertigung der beiden Pässe warten, sondern Sie bitten, mir diese durch einen Vertrauensmann in die Wohnung zu schicken. Vielleicht haben Sie indessen die Freundlichkeit, mir ein kurzes Interview über den Stand der gegenwärtigen französisch-rumänischen Beziehungen zu gewähren.«

Der Gesandte blickte mich erstaunt an.

»Ich glaube nämlich,« fuhr ich fort, »daß man unten bereits wartet, um mich in Empfang zu nehmen. Ich brauche ein Dokument, das den Zweck meines Besuches verschleiert.«

Der Minister verstand. Ich riß mein Notizbuch aus der Tasche, und die Exzellenz diktierte. Diktierte einen Lobgesang auf die Regierung Trabianus, die, wie kaum eine andere, nach Ansicht der französischen Regierung dazu berufen sei, eine gedeihliche Entwicklung unseres Landes zu fördern. Sprach von den freundschaftlichen Beziehungen der beiden Staaten, die eine noch innigere Verknüpfung erfahren müßten, von der Kulturgemeinschaft, die alle romanischen Völker verbinde – alles Gemeinplätze, Phrasen, abgedroschene Redensarten, die jeder Diplomat für gelegentliche Veröffentlichungen in der Tagespresse auf Lager hält. –

Ich sollte mich nicht getäuscht haben. Denn als ich zehn Minuten später das Gesandtschaftsgebäude verließ, nahmen mich die beiden Agenten in die Mitte, riefen einen Wagen heran und brachten mich in die Direktion der Sigurantza.

Man fragte mich dort, was ich zu so früher Stunde in der französischen Gesandtschaft zu suchen hatte. Die Regierung nehme an ...

»Oh,« rief ich, »welchen Verdacht wagt man, gegen mich zu erheben? Ich habe Seine Exzellenz um ein Interview gebeten. Das war alles!«

Der Beamte zwinkerte ungläubig mit den Augen.

»Wollen Sie uns bitte Ihre Papiere und Akten, die Sie in der Tasche und in Ihrem Anzug verwahren, freiwillig vorweisen! Wir wären sonst gezwungen ...«

»Bitte!« sagte ich, »ich habe nichts zu verbergen.«

»Das werden wir erst sehen!« meinte der Beamte und nahm eine genaue Untersuchung vor, ohne natürlich etwas anderes wie das aufgenommene Interview zu finden. Die Notizen wurden sofort in mehrere Abschriften übertragen und dem Generalinspektor vorgelegt, der nach einer Weile persönlich erschien, um sich bei mir wegen des »Mißgriffes« seiner Beamten, wie er sagte, zu entschuldigen.

Innerlich jubelte ich, weil ich es unterlassen hatte, die Pässe mit mir zu nehmen. Sie hätten mich, wenn sie bei mir entdeckt worden wären, in die peinlichste Verlegenheit gebracht.

»Was fiel Ihren Leuten bloß ein, Domnule Voinescu,« fragte ich mit gespielter Entrüstung, »mich auf der Straße festzunehmen! Liegt denn irgendeine Veranlassung vor ...«

»O doch,« meinte der Generalinspektor, »erstens einmal pflegt man im allgemeinen nicht um sieben oder acht Uhr früh schon Interviews einzuholen. Zweitens gehören Sie der Opposition an – und drittens ...«

Er ließ eine kleine Pause eintreten, um dann fortzufahren: »Glauben Sie nicht, lieber Bracu, daß wir nicht informiert sind! Ich weiß, daß die Fürstin Tatjana Trubakow Ihnen heute nacht einen Besuch abgestattet hat. Es kann sich natürlich um ein galantes Abenteuer handeln, aber ...«

Mir stockte das Blut in den Adern. Also hatte alle Vorsicht nichts geholfen?! Saß ich in der Klemme? War alles verloren?! Hatte man Tatjana indessen schon festgenommen?!

So wie die Dinge standen, half kein Leugnen. Nur Frechheit konnte mir helfen.

»Sie kam nur, meinen Rat zu erbitten, Voinescu«, sagte ich.

»Das dachte ich mir,« gab er schmunzelnd zur Antwort, »wir haben ihr nämlich ein Geschäft vorgeschlagen. Ich nehme an, daß sie Ihnen ...«

»Davon gesprochen hat. Natürlich. Warum soll ich das verschweigen. Ich redete ihr zu, den Vorschlag der Sigurantza in allen Punkten anzunehmen.«

»Das taten Sie, Bracu – gegen das Interesse Ihrer Partei?«

»Die Fürstin steht mir näher! Zwar bin ich überzeugt, daß die Anschuldigungen, die man gegen sie erhebt, zum größten Teil nicht der Wahrheit entsprechen.«

»Wir sind besser unterrichtet, Domnule Bracu. Das vorliegende Material ist erdrückend. Aber lassen wir das! Wenn Sie ihr angeraten haben, unseren Vorschlag anzunehmen, warum sind Sie denn in aller Morgenfrühe noch in die Französische Gesandtschaft gegangen? Das vorgefundene Interview soll Ihren Besuch doch nur decken, nicht wahr?«

»Wie glänzend Sie zu kombinieren verstehen, Herr Generalinspektor. Sie haben recht! Aber da die Fürstin sich nun wohl oder übel entschließen muß, in Ihrem Sinne zu handeln, so erscheint es mir zwecklos, den Grund meines Besuches zu verschweigen.«

»Sie richteten einen Auftrag der Trubakow aus?«

»Ja.«

»Und der lautete?«

»Er betraf den Militärattaché Armand Dupré.«

»Ich dachte es mir.«

»Sie bat ihn, alles zu unternehmen, was ihrer Sicherheit förderlich sein könnte, und ihr den Schutz der Gesandtschaft angedeihen zu lassen.«

»Ein lächerliches Verlangen. Die Fürstin besitzt die rumänische Staatszugehörigkeit und untersteht unseren Gesetzen.«

»Dies sagte man mir auch auf der Gesandtschaft. Man erklärte mir, es sei unmöglich, etwas für sie zu tun. Kurz – man läßt die Trubakow fallen! Unter diesen Umständen bleibt ihr natürlich nichts anderes übrig, als ...«

»Unsere Bedingungen anzunehmen.«

»Ja! Ich ließ mich daher beim Verlassen der Gesandtschaft ruhig von Ihren Agenten verhaften, da ich ohnehin die Absicht hatte, Sie aufzusuchen. Ich verpflichte mich, die in ihren Entschlüssen noch immer schwankende Fürstin zu überreden, in die Dienste des rumänischen Staates zu treten und die Angelegenheit Balaban in Ordnung zu bringen, wenn ihr dafür Freiheit und Leben garantiert wird.«

»Das ist selbstverständlich,« erklärte Voinescu, »ich schätze die Fähigkeiten dieser Frau viel zu hoch ein und würde es mit Freuden begrüßen, wenn sie sich auch fernerhin für andere Aufgaben uns zur Verfügung stellen würde.«

Diese Antwort hatte ich erwartet. Es blieb mir nichts anderes übrig als auf die Gedankengänge des Allgewaltigen der Sigurantza einzugehen. Niemand konnte ihm als Mitarbeiterin erwünschter sein als Tatjana Trubakow. Er gab dies auch unumwunden zu.

»Wenn die Angelegenheit Balaban zu unserer Zufriedenheit erledigt ist, haben wir eine besonders heikle Mission für sie in Aussicht.«

»Sie wird einwilligen!« sagte ich.

»Und wie steht es mit Ihnen, Domnule Bracu?« fragte er mit pfiffiger Miene, »hätten Sie nicht Lust, der Opposition, die bei den Wahlen ja doch eine mächtige Schlappe erleiden wird, den Rücken zu kehren und sich der Regierung zur Verfügung zu stellen? Ich bin überzeugt, daß Sie den Übertritt ins andere Lager nicht bereuen werden.«

Er wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern bemühte sich, in beredten Worten mir die Vorteile eines solchen Regierungswechsels ins rechte Licht zu rücken. Wahrhaftig – er konnte einem den Mund wäßrig machen! Zumindest ließ er es an lockenden Versprechungen nicht fehlen.

»Vergebliche Liebesmühe, Domnule Voinescu,« sagte ich, als er geendigt hatte, »Sie wissen genau, daß ich mit der ›Seara‹ auf Tod und Leben verbunden bin. Es gibt nur ein Mittel, um mich auf die Seite der Trabianus zu ziehen ...«

»Und dieses wäre?«

»Wenn die Regierung unser Blatt im Bausch und Bogen aufkauft.«

Der Generalinspektor lachte.

»Die Zeitung gehört doch der Oppositionspartei! Sie wird ihr einflußreichstes Organ nicht an die Regierung abtreten.«

»Nun – dann ist eben nichts zu machen! Geht unsere Partei mit den Trabianu eine Fusion ein, dann bin auch ich zu jeder Schandtat bereit. Unter anderen Umständen muß ich meiner Fahne treu bleiben. Sie verübeln mir das hoffentlich nicht, Domnule Voinescu – aber ich habe nun einmal meine Prinzipien!«

»Es war nur ein Vorschlag,« sagte er etwas verdrossen, weil er anscheinend diesen ablehnenden Bescheid nicht erwartet hatte, »ich vertrete hier nicht die Interessen der Regierungspartei, sondern die des ganzen Staates. Und als solcher hätte ich Ihre positive Mitarbeit begrüßt. Aber wenn Sie nicht wollen – ich kann und will Sie natürlich dazu nicht zwingen. Aber eine Forderung muß ich unbedingt stellen, damit unsere Absichten nicht in der Öffentlichkeit bekannt werden.«

»Welche Forderung ist das?«

»Uns eine ehrenwörtliche Erklärung abzugeben, daß Sie reinen Mund halten. Weder Ihrer Partei noch Ihrem Blatte dürfen Sie mitteilen, unter welchen Bedingungen wir bereit sind, die Untersuchung gegen die Fürstin Trubakow einzustellen. Wir müssen verhüten, daß Balaban auf irgendeine Weise gewarnt wird.«

»Und wenn ich diese Erklärung verweigere?«

Er zuckte mit den Achseln. Sein bisher liebenswürdiges, voll Verbindlichkeit strahlendes Gesicht nahm den strengen Ausdruck des Untersuchungsrichters an, der er einmal gewesen war.

»Dann muß ich Sie zu meinem Bedauern bis zur Ergreifung Balabans in Haft behalten!«

Es bestand für mich nicht der geringste Zweifel, daß er diese Drohung verwirklichen würde. Zwar war ich überzeugt, daß meine Partei und die Direktion der »Seara« sofort gegen meine Verhaftung Protest einlegen würde – aber was halfen Proteste? Die Regierung hatte den Führer der Opposition Barbu Costiceanu auf der Rückreise von Tulcea nach Bukarest festnehmen lassen, eingesperrt und bis zum heutigen Tage trotz aller Bemühungen nicht freigegeben. Mir würde es nicht besser ergehen. Indessen wartete Tete in meiner Wohnung auf die Pässe – ich mußte sie unbedingt noch sprechen – zuviel stand auf dem Spiele!

»Domnule Voinescu,« sagte ich rasch entschlossen, »ich hoffe, daß Sie meine Loyalität zu würdigen wissen! Sie haben mein Ehrenwort, daß ich schweigen werde!«

»Ich habe es nicht anders erwartet,« gab er zurück und reichte mir die Hand, »Sie sind frei! Um zwölf Uhr sehe ich dem Besuche der Fürstin entgegen. Sollte sie sich nicht einstellen und einen, wie ich schon jetzt versichern kann, ergebnislosen Fluchtversuch unternehmen wollen, so ...«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Herr Generalinspektor – die Fürstin Tatjana wird pünktlich erscheinen und Ihre Aufträge entgegennehmen!«

Ich atmete erleichtert auf, als ich das unheimliche Direktionsgebäude der Sigurantza hinter mir hatte. Es war nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Es ging bereits auf elf Uhr. In einer Stunde mußte sich Tete bei der Sigurantza einfinden. Eile tat not.

Ich warf mich in ein vorübergehendes Auto und ließ mich nach Hause bringen. Vor meiner Villa standen die beiden Polizeiagenten, die mich beim Verlassen des französischen Gesandtschaftsgebäudes verhaftet hatten. Sie grüßten höflich, als ich aus dem Wagen stieg.

»Wartet ihr auf mich?«

»Nein, Domnule Bracu,« erwiderte der eine Spitzel, »auf Ihre Durchlaucht, die Fürstin Trubakow. Wir haben den Auftrag, sie nach Verlassen des Hauses zur Sigurantza zu begleiten.«

Romulus Voinescu schien seiner Sache noch immer nicht ganz sicher zu sein. Ich hatte nur Angst, daß der Vertrauensmann Duprés bei Ablieferung der Pässe von den Spitzeln erkannt und abgefangen worden war. Aber Lajos, der auf mein Läuten hin aus dem Tor stürzte, beruhigte mich durch einen Blick. Es war alles in Ordnung. Tatjana wartete nur noch auf meine Rückkehr. In kurzen Worten unterrichtete ich sie von meiner Unterhaltung mit Dupré und dem Generalinspektor der Sigurantza. Sie reichte mir schweigend die beiden Pässe, die sie in der Hand hielt. Der eine lautete auf den Namen Elena Montaldi und enthielt das Bild der Fürstin. Der andere, der eine verwaschene, absichtlich undeutlich gemachte Photographie eines Männerkopfes aufwies und Balaban als Ausweis dienen sollte, war ordnungsgemäß mit allen erforderlichen Stempeln und Unterschriften auf einen gewissen Guglielmo Pasquali ausgestellt. Die zwei italienischen Namen machten mich stutzig. Ich schlug die beiden Pässe von neuem auf und da erst gewahrte ich, daß sie nicht von der französischen, sondern von der italienischen Gesandtschaft in Bukarest ausgegeben waren. Natürlich handelte es sich um falsche Papiere, aber ich konnte nicht umhin, den genialen Trick Seiner Exzellenz de Lernon, des bevollmächtigten Ministers der französischen Republik zu bewundern, der, um allen Eventualitäten vorzubeugen und jedem Verdachte die Spitze abzubrechen, seinem italienischen Kollegen ins Handwerk pfuschte. Die Stampiglien der römischen Gesandtschaft waren täuschend nachgeahmt. Auch die Unterschriften stimmten.

»Sehen Sie, Nicule,« sagte die Fürstin mit trauriger Stimme, »es mag vielleicht Unsinn sein, was ich sage. Denn Paß ist Paß. Aber daß mich Armand Dupré oder sein Chef nach allem, was ich für seine Nation getan, auch in dieser Stunde verleugnet und die Verantwortung für die Papiere wohlweislich dem italienischen Rivalen in die Schuhe schiebt, finde ich häßlich – sehr häßlich sogar!«


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