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Drittes Kapitel

Erste Begegnung mit dem Räuber Balaban

 

Armand saß bei meinem Eintritt am Flügel und phantasierte. Das schien mir ein Zeichen, daß er sich in starker Erregung befand, denn er pflegte im allgemeinen lieber nach Noten zu spielen. Sein Besuch kam mir überraschend und in gewissem Sinns auch ungelegen, da ich für meine beabsichtigte Reise packen wollte und vorher noch einige wichtige Korrespondenzen erledigen mußte. Meine Zeit war knapp bemessen.

Als er meiner ansichtig wurde, unterbrach er sofort das Spiel.

»Du weißt wohl schon ...?« fragte er.

»Nichts weiß ich,« gab ich erstaunt zur Antwort, »was gibt es denn?«

»Von dem Renkontre Tetes mit der Komtesse Ezervary?«

»Welcher Ezervary?«

»Mit der Tochter des ungarischen Gesandten, des Grafen Ezervary.«

»Du meinst die kleine Ilona? Ist sie denn schon wieder zurück?«

»Ja – vor acht Tagen. Sie war mit ihrer Mutter in Nizza.«

»Ein bildhübsches Mädchen. Hat sich wohl mächtig herausgemacht?«

»Ja. Sie ist vorgestern neunzehn Jahre alt geworden. Aber du weißt wirklich noch nichts?«

»Keine Ahnung, Armand!«

»Ich denke, ganz Bukarest spricht schon davon. Mir ist die Affäre entsetzlich peinlich. Ich habe es leider kommen sehen.«

»Was denn bloß?«

Statt endlich eine Erklärung zu geben, fragte Dupré: »Du kommst doch von Capsa?«

»Nein! Ich hatte keine Zeit mehr. Ich bin geradeswegs aus der Redaktion hierhergefahren. Unterwegs begegnete ich Tete.«

»Wohin fuhr sie?«

»Unbekannt. Sie blickte zur Seite, als ich sie grüßte. Sie scheint böse mit mir zu sein. Aber was soll denn geschehen sein?«

»Tete hat heute vormittag Ilona attackiert und ihr mit der Schirmspitze ins Gesicht geschlagen.«

»Sieht ihr ähnlich. Temperament hat sie ja zur Genüge. Und die Ursache?«

»Man weiß noch nichts Genaues. Aber ich fürchte, daß ich nicht ganz unschuldig daran bin.«

»Wieso?«

»Tete ist eifersüchtig.«

»Auf Ilona?«

»Ja.«

»Hat sie Grund dazu?«

»In gewissem Sinne. Ich habe die ernste Absicht, Ilona zu heiraten.«

»Oh – das überrascht mich. Ich wußte gar nicht, daß etwas im Gange war.«

Dupré lächelte.

»Wir sind schon seit dem Herbst einig, aber Graf Ezervary wollte die Sache noch geheimgehalten haben, bis meine Beziehungen zu Tete gelöst sind. In zwei Wochen soll die offizielle Verlobung stattfinden. Doch Ezervary versteift sich darauf, daß vorher die Fürstin Bukarest verläßt.«

»Das kann ich ihm nicht verdenken. Deine Liaison mit Tatjana war gar zu offensichtlich. Doch wie stellte sich die Fürstin dazu?«

»Ich hatte gestern abend mit ihr eine lange Aussprache.«

»Ah! Und sie erklärte sich einverstanden?«

»Leider nicht! Sie gibt mich nicht frei. Sie will auch Bukarest unter keinen Umständen verlassen und drohte mit einem Skandal.«

»Den sie, wie ich höre, auch prompt inszeniert hat. Und was gedenkst du jetzt zu tun?«

»Ich bin ratlos. Darum kam ich auch zu dir.«

»Verlangst du etwa, daß ich ihre Ausweisung erwirken soll? Das dürfte allerdings nicht schwer fallen, da sie – wir können ganz offen miteinander sprechen – unter dem Verdachte der Spionage steht. Ich brauche in der ›Seara‹ nur einen kleinen Artikel zu veröffentlichen; aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß daraus eine Riesengeschichte werden kann. Ich fürchte, daß auch deine Stellung dabei auf dem Spiele steht.«

»Unmöglich! Erstens ist eine Ausweisung nicht gut denkbar, da Tatjana vor kurzem das rumänische Bürgerrecht erwarb. Sie hat sich hier auch das Gut Pelteanu gekauft. Zweitens muß ein Skandal unter allen Umständen vermieden werden. Drittens hast du sie in falschem Verdacht. Sie ist keine Spionin! Es ist alles böser Tratsch, was man sich über sie erzählt.«

»Aber lieber Armand! Machen wir uns doch nichts vor! Ich brauche dich nur an eine Szene in der Villa Constantinescu zu erinnern, als Tete Bardarescus Aktentasche einer näheren Prüfung unterziehen wollte. Ich sah mich genötigt, damals einzugreifen, um ein Verbrechen zu verhindern. Du bestreitest hoffentlich nicht, von der peinlichen Angelegenheit Kenntnis zu besitzen, zumal du doch wahrscheinlich die Veranlassung dazu gewesen bist.«

Armand biß sich auf die Lippen.

»Was hat das hier zu tun?« fragte er.

»Ich wollte dir bloß andeuten, daß ich über die Tätigkeit Tatjanas orientiert bin.«

»Du hast gesprochen ...?«

»Nicht ein Wort! Ich versichere es dir! Schon Tete zuliebe, die ich vor Unannehmlichkeiten bewahren möchte. Und auch mit Rücksicht auf dich! Aber ihr habt es in der letzten Zeit schon ein bißchen zu toll getrieben. Ich wundere mich nur, daß man an der dazu berufenen Stelle noch nicht aufmerksam geworden ist.«

»Ich bitte dich, Tete aus dem Spiele zu lassen,« sagte Dupré, »für alles übrige trage ich gegebenenfalls die Verantwortung.«

»Aber wir wollen doch gerade von Tete sprechen, denke ich?«

»Du darfst die Frau nicht in die Patsche hineinreiten, Nicu – auf keinen Fall!«

»Sei beruhigt! Ich bin gräßlich in Tete verliebt, Armand. Mit jedem Tage wird es ärger. Ich befinde mich in schweren Gewissenskonflikten.«

»Könntest du nicht mit ihr sprechen?«

»Ich? Seit der Affäre bei Constantinescu schneidet sie mich völlig. Ihr Stolz scheint verletzt zu sein. Und dabei habe ich mich so zartfühlend und taktvoll wie nur möglich benommen.«

»Sie fürchtet dich nur.«

»Sie braucht nichts zu fürchten. Doch warum soll ich mit ihr sprechen?«

»Um sie zu bewegen, das Land zu verlassen und mich freizugeben. Sie muß doch ein Einsehen haben!«

Der gute Junge tat mir leid. Er befand sich tatsächlich in der ärgsten Verlegenheit.

»Armand,« sagte ich, »wenn du von mir verlangst, daß ich dir raten oder helfen soll, dann mußt du mir erst reinen Wein einschenken. Lassen wir alle Redensarten beiseite. Gib doch zu, daß du Tete als Spionin beschäftigt hast.«

»Ich verweigere darüber die Auskunft.«

»Auch gut. Warum läßt du dich aber, wenn du Tete los sein möchtest, nicht von Bukarest abberufen und zu einer anderen Gesandtschaft versetzen?«

»Tete würde mir sofort folgen!«

»Sie liebt dich?«

»Schrecklich!«

»Und du?«

»Ich habe sie einmal geliebt. Aber so, wie die Dinge heute stehen, ist es ganz unmöglich ...«

»Du meinst, weil Tete jetzt im Solde des französischen Spionagedienstes steht, ist sie in deiner Achtung gesunken und ...«

»Ich schwöre dir, Nicu, daß dies nicht der Fall ist,« sagte Dupré leise, »was sie tat, das tat sie mir zuliebe, um mir bei meinen leider nicht immer ganz reinlichen Aufgaben behilflich zu sein.«

»Also Spionin aus Passion oder Liebe?«

»Bitte, sprich nicht mehr davon!«

»Ich muß davon reden, wenn ich einen Ausweg suchen soll. Ich konstatiere also, daß du ihr persönlich tief verpflichtet bist.«

»Ja – so ist es!«

»Hast du ihr nicht eine entsprechende Abfindung angeboten?«

»Natürlich, aber sie wollte nichts davon wissen. Sie war geradezu empört, als ich davon sprach. Sie liebt mich eben.«

»Laß dich versetzen!«

»Das will ich tun, wenn ich geheiratet habe.«

»Ilona Ezervary?«

»Selbstverständlich!«

»Und wenn ich mich auch aus alter Gewohnheit in Ilona verliebe? Was soll dann geschehen?«

Ich warf das mehr zum Scherz hin.

»Mach' keine schlechten Witze,« sagte Dupré ärgerlich, »ich wäre dir dankbar, wenn du dich lieber um Tete bemühen würdest. Sie entspricht auch mehr deinem unruhigen Temperament. Für mich ist sie auf die Dauer zu lebhaft. Die Frau macht mir die Hölle heiß. Du ahnst ja nicht, was ich hier in Bukarest schon für Dinge erlebt habe. Und nun jetzt das Renkontre mit der Komtesse!«

»Hat dich vollends aus der Fassung gebracht. Kann es mir vorstellen. Hoffentlich ist Ilona nicht allzu übel dabei weggekommen?«

»Sie hat sich tüchtig gewehrt. Es muß ein schauderhafter Anblick gewesen sein – und das ärgste: Graf Ezervary will natürlich nach diesem Auftritt von unserer Verlobung nichts mehr wissen, ehe Tete nicht das Land verlassen hat.«

»Gibst du mir Vollmacht, in deinem Namen mit Tete zu sprechen?«

»Was willst du ihr denn sagen?«

»Ich werde sofort mit schwerem Geschütz auffahren und ihr mit der Verhaftung drohen.«

»Das ist unfair, Nicu,« wandte Dupré ein, »das hat sie wirklich nicht verdient.«

»Es soll doch bloß ein Schreckschuß sein, damit sie nachgibt. Vielleicht entschließt sie sich, abzureisen.«

Er blinzelte mich verstohlen an.

»Hör' mal, guter Freund,« meinte er, »ich wüßte einen besseren Vorschlag.«

»Und der wäre?«

»Heirate doch Tatjana!«

In diesem Augenblicke schnarrte der Telephonapparat. Mr. Stoping rief an. Eben wäre er ins Hotel zurückgekehrt, wo man ihm meine Bestellung ausgerichtet hätte. Was denn los sei?

»Sie müssen sich reisefertig machen, Mister Stoping,« rief ich, »Ihr Projekt soll verwirklicht werden. Wir wollen die Angelegenheit mit B. so rasch als möglich erledigen. In zwei Stunden geht unser Zug.«

» Well, wohin?« erkundigte sich der Amerikaner.

»Mit der Bahn nach Galatz und von dort mit Wagen oder Auto nach Tulcea!«

» All right! Wir treffen uns am Bahnhof!«

»Einverstanden! Auf Wiedersehen!«

Armand sah mich erstaunt an, als ich vom Apparat zurückkehrte.

»Du willst verreisen?«

»Wie du gehört hast.«

»Und was wird mit Tete?«

»Ich werde mit ihr sprechen, sobald ich wieder zurück bin, was spätestens in drei Tagen der Fall sein dürfte. Verlaß dich nur auf mich! Die Angelegenheit soll zu deiner Zufriedenheit geregelt werden.«

Dupré drückte mir lange und innig die Hand.

»Nicu,« sagte er, »wenn es dir wirklich gelingen sollte, Tete umzustimmen – du weißt nicht, wie dankbar ich dir sein würde.«

Zwei Stunden später waren Tete und Armand Dupré aus meinem Bewußtsein geschwunden. Mr. Stoping belegte mich vollkommen mit Beschlag. Er hatte bereits ausführlich nach New York gekabelt, damit eine entsprechende Vorpropaganda für die Rumänien-Gesellschaftsreisen in die Wege geleitet werde. Nebenher fand er in den zwei Stunden bis zur Abfahrt des Zuges noch Zeit, die beiden amerikanischen Pressevertreter, die sich in Bukarest befanden, aufzusuchen, um sie für sein Projekt zu interessieren. Sie mußten ihm versprechen, aufsehenerregende Berichte und Schilderungen über die landschaftlichen Schönheiten unseres Landes an ihre Blätter zu senden. Während der Schnellzug gegen Ploesti raste, entwickelte er mir sein weiteres Programm. Zwei große Reisegruppen waren geplant. Die eine sollte ihren Weg von Marseille aus nehmen und mit dem Simplonexpreß zuerst ins Banat nach Temesvar befördert, die andere über Konstantinopel an das Schwarze Meer gebracht und in Konstanza ans Land gesetzt werden. Mit dem Reisebüro Cook waren bereits diesbezügliche Verhandlungen eingeleitet worden.

*

Als wir beim ersten Morgengrauen Galatz erreichten, hatten wir große Mühe, zu so früher Stunde ein Auto nach Tulcea aufzutreiben. Kein Wagenführer wollte uns durch den Morast der nördlichen Dobrudscha hindurchlotsen.

Man schrieb Ende Februar. Die Schneedecke war erst vor kurzem aufgebrochen. Ein warmer Wind hatte alles zu Wasser gemacht. Die Wegverhältnisse sollten schauderhaft sein.

Wir mußten das übliche Fahrgeld verdoppeln, um endlich einen Willigen zu finden, der die Richtung gegen Lunkavitza einschlug. Man hatte uns nicht zuviel gesagt.

Auf der Landstraße lag dicker Schlamm. Riesige Kotballen flogen uns ins Gesicht. Man konnte die echten Seen, die in regulären Zeiten das Gebiet bedeckten, nicht von den gewaltigen Pfützen unterscheiden, die den Weg umsäumten. Die riesigen Schilfrohrwälder, an denen wir vorbeifuhren, dösten im Morgennebel. Die Weiden und Gärten waren überschwemmt.

Trostlos einsam in der riesigen Wasser- und Kotwüste erschienen die armseligen Dörfer. Als die Sonne etwas höher stieg, und der Nebel sich verflüchtigte, tauchten im Süden die trotz ihrer geringen Höhe geradezu imposanten Hügelkämme der Dobrudscha auf. Ein Gewirr von Zacken und Klüften, aus denen sich wie ein König der »Tutujat« erhob, der höchste Gipfel dieses Gebirgszuges.

»Schrecklich schön,« meinte Stoping, »wie hoch ist diese Spitze dort drüben? Schätze tausend und darüber?«

»Vierhundertsechsundfünfzig Meter.«

»Nicht mehr? Das wird unseren Ladys und Misses wenig imponieren, Mister Bracu. Die sind andere Höhen gewohnt. Unter zweitausend rechnen wir überhaupt nicht.«

»Aber die Räuber, Mister Stoping!«

» Well – die Räuber! Wo sind sie? Ich denke, Sie wollen mich zu ihnen führen?«

»Nur noch ein wenig Geduld!«

Wir fuhren weiter. Der Motor stöhnte, der Chauffeur fluchte, Mr. Stoping in seinem dicken warmen Pelz zeigte sich versöhnlich und sagte: » Very nice.«

Endlich – es ging auf Mittag – tauchten die schlanken Minaretts von Tulcea auf.

Aus den niedrigen Häusern und Hütten, deren flache Dächer den nahen Orient verrieten, quollen üble Dämpfe. Geruch von verwesenden Fischen. Lärm in den engen Straßen. Schmutz und Dreck in Überfülle. Türken in der farbigen Volkstracht, Armenier mit wild herabhängenden, buschigen Schnurrbärten, große, stämmige Fischer, die zum Einkauf in die Stadt gekommen waren und feilschend vor den muffigen Laden standen, eine schnatternde Schar von Gänsen, die zum Markt getrieben wurde, Kinder, die schreiend unserem Auto nachliefen ...

»Sehr interessant. Es stinkt nur sehr«, sagte Mr. Stoping. Er hatte bereits die richtige Einstellung zu unserem schönen Lande gewonnen. Unser erstes Ziel war die Präfektur. Fünf Minuten später kannte ich Balabans Adresse. Der Präfekt, erfreut über so seltenen Besuch aus Bukarest, erbot sich, uns zu führen. Ich lehnte dankend ab. Meine Unterhaltung mit Balaban benötigte keinen unwillkommenen Zeugen. Aber wir versprachen, den Abend in seiner Gesellschaft zu verbringen, da er die Anwesenheit eines Amerikaners gebührend feiern wollte.

Von neuem wurde das Auto angekurbelt. Wir rasten weiter. Richtung längs des breiten Kilia-Donauarmes, der nördlich von Tulcea vom Hauptstrom abzweigt und gegen das alte, kleine Städtchen Chilia veche führt, das unter dem Namen Licostomo einstmals den Genuesen gehörte.

Vor einer erbärmlichen Schenke, die am Wege lag, hielten wir an. Ein Hünenkerl trat heraus, sah uns mit schwarzen, blitzenden Augen an, musterte dann das Auto und fragte schließlich: »Wen sucht ihr?«

»Balaban!«

Er richtete sich stolz auf. Gleich darauf aber kniff er die Augen mißtrauisch zusammen, als wittere er Unheil. Und erst nach einer Weile sagte er: »Ich bin Balaban!«

» All right!« rief Mr. Stoping, den ich von dieser Antwort in Kenntnis setzte, und fiel dem Hünen fast um den Hals, »eine Augenweide für unsere Ladys und Misses! Der Mann ist unser! Sagen Sie es ihm, Mister Bracu! Er kann ein Vermögen verdienen. Übrigens werde ich ihn sofort photographieren und sein Bild der United Press Association zur Verfügung stellen. Und nun machen Sie rasch ...!«


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