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Vierzehntes Kapitel

Die »Sigurantza« tritt in Tätigkeit

 

In der folgenden Nacht weckte mich Lajos mit Donnergebrülle aus tiefstem Schlafe.

Ich war nach einem an Aufregungen und hitzigen Debatten reichen Abend, den ich im Parteiklub zugebracht hatte, todmüde zu Bett gegangen.

Wütend richtete ich mich auf.

»Teufel! Was gibt es?«

Lajos hielt mir die grelle Lampe vor das Gesicht.

»Domnule Bracu – Besuch ist da!«

»Bist du verrückt?! Jetzt mitten in der Nacht? Wie spät ist es denn eigentlich?«

»Ein paar Minuten nach zwei Uhr, domnule.«

»Und wer ist es denn?«

»Die Fürstin Trubakow!«

»Tatjana ...?«

»Ja! Sie gab mir den Auftrag, Sie sofort aufzuwecken. Etwas sehr Wichtiges! Sie wartet im Salon.«

Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett. Noch ganz schlaftrunken rieb ich mir die Augen, um mich zu vergewissern, ob ich nicht träumte. Denn die Tür tat sich auf – auf der Schwelle stand Tatjana, gestiefelt und gespornt, als käme sie eben von einer Parforcejagd.

»Nicule,« sagte sie und streckte mir beide Hände entgegen, »seien Sie mir nicht böse, daß ich Sie aus dem besten Schlafe aufscheuche. In der Not gedenkt man seiner Freunde. Und ich bin in Bedrängnis.«

Ihr Atem ging noch hastig. Die frische Nachtluft hatte ihre Wangen leicht gerötet. Das eng anliegende Reitkostüm brachte ihre prachtvolle Figur noch vorteilhafter als sonst zum Ausdruck. Sie sah bildschön aus.

»Selbstverständlich, Tete – ich stehe Ihnen zur Verfügung! Aber sagen Sie doch ...«

Sie warf einen raschen Blick auf Lajos, der sich verlegen in eine Ecke gedrückt hatte und auf weitere Befehle wartete.

»Schicken Sie zuerst Ihren Diener hinaus,« flüsterte sie auf französisch, »ich habe allein mit Ihnen zu reden. Es wird vielleicht lange dauern. Sie müssen nämlich wissen – eine gute Stunde lang bin ich im schärfsten Tempo hin und her galoppiert – seltsames Vergnügen mitten in der Nacht – nicht wahr? Aber ich war so erregt.«

Sie schöpfte tief Atem, warf sich ermattet in einen Sessel und rief meinem Diener zu: »Stell' das Pferd in den Stall, Lajos. Ich habe es draußen an der Gartentür angebunden. Aber rasch! Und dann leg' dich schlafen! Ich brauche dich nicht mehr.«

Lajos schlüpfte wortlos zur Tür hinaus. Sie wartete eine Weile, bis er unten das Haustor aufschloß. Ein Gaul wieherte auf. Dann hörten wir das leise Klappern seiner Hufe.

»Hoffentlich hat mich niemand gesehen,« sagte sie, »und darum halte ich es für besser, wenn mein Rappe nicht draußen auf der Straße steht. Es könnte jemand vorbeikommen, ein Polizist oder sonst ein Kerl von der Sigurantza. Man bewacht mich nämlich – ja – seit einigen Tagen – ich möchte nicht, daß man von meinem Besuche bei Ihnen erfährt. Es könnten sich vielleicht Unannehmlichkeiten für Sie ergeben.«

Sie legte Hut und Reitstock auf den Tisch und verlangte eine Zigarette.

»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten, Tete?« fragte ich, nachdem ich mich einigermaßen von meiner Überraschung erholt hatte.

»Ich bitte Sie sogar darum, lieber Freund! Es spricht sich besser dabei.«

»Wollen wir da nicht lieber in den Salon hinübergehen?«

»Wozu denn? Es sitzt sich hier doch recht nett?«

»Ich wollte Sie für ein paar Minuten um Entschuldigung bitten, Fürstin – Sie sehen, daß ich mich in einem nicht gerade empfangsfähigen Zustande befinde.«

»Ach, das ist gar nicht nötig,« meinte sie, indem sie die Handschuhe von den Fingern streifte, »machen Sie bitte keine Umstände! Ich finde Sie auch im Pyjama ganz passabel, Nicu. Und dies dürfte Ihnen doch genügen?«

Sie ließ es lächelnd geschehen, daß ich ihre Hände mit Küssen bedeckte. Dann aber zog sie mich in den Salon hinüber, um den kleinen Teetisch zu holen.

»Wir wollen es uns gemütlich machen,« sagte sie, »zeigen Sie mir doch, wo Sie Ihre Tassen aufbewahren – ach, hier sind sie ja – und etwas Gebäck wird wohl auch im Hause vorrätig sein, nicht wahr? Und nun brauche ich noch ein wenig Zucker.«

Ich versuchte Einwendungen zu erheben.

»Tete, gestatten Sie, daß ich Sie bediene. Bleiben Sie doch ruhig sitzen. Sie sind doch mein Gast! Ich kann es nicht zulassen ...«

»Papperlapapp,« fiel sie mir ins Wort, »setzen Sie indessen den Samowar auf, wenn Sie sich schon unbedingt nützlich erweisen wollen. Ich habe einen brennenden Durst auf Tee.«

»Fürstin – Sie beschämen mich!«

Aber es war wirklich ein reizender Anblick, wie sie in wenigen Minuten den Tisch auf die entzückendste Weise deckte. Ich war mir noch immer nicht klar, welchen Zweck der nächtliche Besuch verfolgte. Die Unruhe, die mir bei ihrem Kommen aufgefallen war, schien gewichen zu sein.

»Ah,« meinte sie plötzlich, »– was ist das für ein Bild? Sehe ich recht? Elvira Popescu? Eine schöne Frau – das muß man wohl sagen. Sie haben Geschmack, Nicu! Das freut mich.«

Ich witterte etwas wie Eifersucht hinter diesen leicht hingeworfenen Worten.

»Aber Tete – Sie wissen doch ...«

»Schon gut,« gab sie zur Antwort und streckte sich lässig auf den Diwan aus, »nun verstehe ich erst, warum Sie der Popescu zu ihrer letzten Premiere eine so fabelhafte Kritik geschrieben haben. Da schwang schon mehr als ehrliche Begeisterung mit. Aber warum nicht? Ich halte ihre Stimme zwar für mäßig, doch als Bühnenerscheinung läßt sie nichts zu wünschen übrig. Übrigens dachte ich, sie wäre mit Mardarescu liiert? Oder gehört das bereits der Vergangenheit an? Seit einer Ewigkeit – zwei Wochen ist es schon her – bin ich nicht mehr im Café Capsa gewesen und daher über den Stand der Dinge leider nicht mehr so genau unterrichtet. Jedenfalls beglückwünsche ich Sie zu Ihrer Eroberung, mein Freund! Ich sehe mit Vergnügen, daß Sie sich zu trösten wissen.«

Dies klang nun wieder so, daß man nicht wissen konnte, wie sie es meinte.

»Tatjana – ich schwöre Ihnen – es gibt nur eine einzige Frau – wie oft muß ich Ihnen dies noch sagen?«

Sie hob abwehrend den Arm.

»Setzen Sie sich doch lieber zu mir, Nicu, und schwören Sie weniger! Ich verlange doch gar nicht, Ihre Herzensgeheimnisse zu erfahren ...«

Ich fieberte.

»Mein Herzensgeheimnis kennen Sie doch, Tete – o Sie ahnen nicht, wie dankbar ich Ihnen bin für diese Stunde, da Sie mich ...«

Sie lachte hell auf.

»Wo denken Sie schon wieder hin, lieber Freund? Ich will Sie um etwas bitten – und Sie sind mir dankbar? Wofür? Abwarten! Ich verlange einen großen Dienst von Ihnen. – Hören Sie doch, wie schön der Samowar singt! Ein prachtvolles Stück! Übrigens drehen Sie doch die Deckenbeleuchtung ab! Ich liebe das milde Licht. Finden Sie nicht auch, daß es allein mit der Stehlampe viel stimmungsvoller ist? Warum schauen Sie mich so leidenschaftlich an? Das steht Ihnen gar nicht. Es gibt Männer, die in ihrer kühlen Reserviertheit am interessantesten wirken. Sie gehören zu diesen. Also bitte – legen Sie Ihren Kopf ruhig hierher, wenn es Ihnen Spaß bereitet! Und nun lassen Sie sich erzählen! Der Generalinspektor hat mich am Abend durch zwei Beamte zur Sigurantza zitiert ...«

»Romulus Voinescu?«

»Ganz recht. Sie können sich denken, was dies bedeutet!«

»Sollte man ...?«

»Unterbrechen Sie mich doch nicht immer. Auch der alte Trabianu war da. Die Herren benahmen sich sehr liebenswürdig. Und ich dachte schon, man würde mich auf die Folter spannen. Es sah ganz so aus. Fabelhaft, wie gut die Leute hier über alles unterrichtet sind. Ich glaube – die Tscheka bei uns in Rußland könnte sich eure Sigurantza noch zum Vorbild nehmen.«

»Was wollte man bloß von Ihnen, Tatjana? Sprechen Sie doch endlich!« sagte ich ungeduldig.

Sie schwieg und starrte versonnen auf den Teekessel, in dem es leise brodelte. Es wurde ganz still. Eine müde Traumstimmung schwang durch den Raum. So nahe mir diese berückende, seltsame Frau auch war, so sehr mich ihre Nähe aufstachelte und einlullte zugleich, so schien es mir dennoch, als rücke sie immer weiter in die Ferne. Eine geheimnisvolle Nebelwand, die man nicht sehen, nur fühlen konnte, trennte uns voneinander. Irgendwo im Zimmer gab es plötzlich einen leichten Knacks – im Kasten, am Schrank, auf dem Fußboden? Ich wußte es nicht. Aber dieses jähe Geräusch verband sich mit der eintönigen Musik des Samowars und dem leisen Zusammenfließen unserer Atemzüge zu einem rätselhaften Dreiklang.

Da öffneten sich auf einmal ihre Lippen:

»Ssss! Das Wasser summt – summt – summt! Wie mich das an meine Heimat erinnert – an die langen Winternächte. Ich fürchte, ich werde sie niemals wiedersehen, meine große, meine gute russische Mutter Erde. – Mein Gott, Sie haben ganz heiße Wangen, Nicule!? Warum zittern Sie so? Was flüstern Sie mir da für Dummheiten ins Ohr? Es sieht fast so aus, als wollten wir beide sentimental werden. Sie sind mir ein lieber Freund, Nicu, vielleicht der einzige, dem ich vertraue, aber ich bin wirklich nicht gekommen, um mit Ihnen ein Abenteuer zu erleben. Also nein! Der Tee ist fertig. Reichen Sie mir Ihre Tasse! Und nun seien Sie artig. Hören Sie lieber, was ich Ihnen zu sagen habe! Man mutet mir Schreckliches zu. Ich soll einen Menschen verkaufen, verraten, preisgeben, um dafür meine Freiheit zu retten, vielleicht sogar meinen Kopf, wenn ich die Anspielung des alten Trabianu richtig verstand. Begreifen Sie nun, daß ich mich in einer ziemlich ungemütlichen Lage befinde?«

Ihr leichter Plauderton setzte mich in Erstaunen. Eine Ahnung dämmerte in mir auf. Die Staats- und Geheimpolizei, die Sigurantza, war auf sie aufmerksam geworden! Wie sagte sie doch? Der Generalinspektor hatte sie durch zwei Beamte zu sich zitieren lassen? Und der alte Trabianu war auch dabei? Da drohte Gefahr! Sollte jemand Verrat geübt haben? Ich gab diesem Gedanken Ausdruck.

»Wahrscheinlich,« sagte sie, »ich hege auch einen ganz bestimmten Verdacht, und zwar auf Christophorus, meinen armenischen Koch. Er befand sich ein halbes Jahr in meinen Diensten. Madame Varga hatte ihn mir empfohlen. Ein netter Schützling. Er stahl so viel zusammen, daß ich mich genötigt sah, ihn auf die Straße zu setzen. Ich nehme an, daß er ein Spürhund der Sigurantza ist. Verschiedene Vorkommnisse, die ich nachträglich von diesem Gesichtspunkt aus betrachtete, deuten darauf hin. Genug – der Mann scheint seine Sache gut gemacht zu haben. Die Sigurantza glaubte soviel Belastungsmaterial zu besitzen ...«

»Um Sie zu verhaften?«

»Ja! Ich war in der letzten Zeit vielleicht ein wenig zu unvorsichtig. Die Wände hatten Ohren. Während ich in Pelteanu war, muß dieser Christophorus in meinen Schrankfächern herumgewühlt haben. Es fehlen jedenfalls ein paar Briefe und Papiere, die ich besser rechtzeitig verbrannt hätte.«

»Und Sie sind heute nacht entflohen? Ja, warum sagen Sie das mir erst jetzt?! Wir müssen Sie in Sicherheit bringen, Tete! Ich werde alles tun ...«

Sie winkte lächelnd ab.

»Noch ist es nicht so weit, Nicu,« sagte sie, »man hat mich nach einem mehr als dreistündigen Verhör wieder gehen lassen. Ich bin nicht geflohen. Aber ich werde natürlich bewacht und darf die Stadt nicht verlassen. Morgen kann ich vielleicht schon festgenommen werden. Und dann ist mein Schicksal besiegelt!«

»Wie ruhig Sie dies sagen, Fürstin! Ich weiß nicht, was man Ihnen zum Vorwurf macht. Aber ich kann es mir denken. Man beschuldigt Sie der Spionage?!«

»So ist es, lieber Freund.«

»Sind Sie sich denn nicht bewußt, in welcher Gefahr Sie sich befinden? Ich brauche Ihnen doch nicht erst zu erzählen, was die Sigurantza für ein Instrument ist? Wer einmal in ihre Hände fällt, ganz gleich, ob er schuldig oder unschuldig ist ...«

»Sie sagen mir nichts Neues, Nicu,« fiel sie mir ins Wort, »und darum kam ich ja zu Ihnen. Nach der Unterredung mit Voinescu war ich verzweifelt. Im ersten Augenblick dachte ich an Flucht. Auf dem raschesten Wege wollte ich die Grenze erreichen. Aber dann fiel mir ein, daß man mir meinen Paß gestohlen hatte. Einen neuen bekomme ich nicht. Es ist für mich unmöglich, das Land auf legitime Weise zu verlassen. Aber selbst wenn ich meinen Paß hätte – man würde mich bestimmt an der Grenze zurückhalten.«

»Aber wieso ließ man Sie wieder frei? Da müssen doch irgendwelche Gründe vorhanden gewesen sein ...?«

»So hören Sie mich an! Voinescu eröffnete mir in aller Liebenswürdigkeit, die diesem Manne zweifellos in reichem Maße zur Verfügung steht, daß ich von der Staatspolizei schon seit langem beobachtet werde. Monatelang sei jeder meiner Schritte kontrolliert worden. Man habe mir die rumänische Staatsbürgerschaft, um die ich seinerzeit angesucht hatte, auf schnellstem Wege zuerkannt, um mich in Sicherheit zu wiegen und zu vereiteln, daß ich im Notfalle den Schutz eines fremden Staates in Anspruch nehmen könnte. Ich finde diese Aufrichtigkeit geradezu edel. Denn ich hatte wirklich nicht an die Möglichkeit gedacht, daß man mir an den Kragen gehen wollte. Solange die frühere Regierung am Ruder war, begnügte man sich mit dem Belauern. Ich glaube, man wollte die Minister Ihrer Partei, von denen man wohl annahm, daß der eine oder andere von ihnen mit mir in irgendwelcher Beziehung stand, nicht desavouieren. Ich weiß es nicht genau. Der Generalinspektor drückte sich über diesen Punkt nicht näher aus. In jenem Augenblick trat übrigens der alte Trabianu ins Zimmer. Auch er benahm sich überaus höflich, ja er begrüßte mich sogar fast herzlich. Er ist immer ein Kavalier. Nur darf man ihm nicht über den Weg trauen!

Die Sigurantza, so erklärte Voinescu, besitze unumstößliche Beweise, daß ich wichtiges Geheimmaterial aus den rumänischen Archiven dem diplomatischen Vertreter einer auswärtigen Macht in die Hände gespielt habe. Er vermied es geflissentlich, Armands Namen zu nennen, obgleich er ihn natürlich meinte.«

»Und weiter?«

»Man las mir ein großes Sündenregister vor. Manches stimmte, vieles entsprach nicht den Tatsachen. Ich begnügte mich damit, seine Anklagen zur Kenntnis zu nehmen, ohne darauf zu antworten. Da mischte sich Trabianu hinein, der bisher schweigend zugehört hatte. Er stellte mir vor, daß man mich auf Grund des erwiesenen Hochverrates den Militärgerichten übergeben müsse. Was mir bevorstehe, brauche er wohl nicht näher auszuführen. Er bedaure, ja er beweine aufrichtig mein Schicksal. Gern hätte er auf meinen Stand und auf meine Beziehungen zu den Spitzen der Gesellschaft Rücksicht genommen und meine Angelegenheit in aller Stille geregelt, aber die Interessen des Staates ständen höher. Man sehe schweren Zeiten entgegen. Aber eben diese schweren Zeiten gebieten außerordentliche Maßnahmen. Und dann nach weiteren Umschweifen sagte er, daß er nach langem Beraten mit dem Generalinspektor der Sigurantza zu dem Entschluß gekommen sei, mir Gelegenheit zu geben, meine Schuld wettzumachen. Er zweifle nicht an meiner höheren Einsicht. Und darum überlasse er mir die Wahl, entweder den Gerichten übergeben zu werden und das Schlimmste zu gewärtigen – oder aber in den Dienst der Regierung zu treten und ihre Weisungen auszuführen. Man verlange nicht viel von mir. Eine Bagatelle. Wenn ich mich dazu bereit erklären wolle, würde man mir Leben und Freiheit garantieren und alle weiteren Untersuchungen gegen mich einstellen.«

»Was forderte man von Ihnen, Tatjana?« unterbrach ich sie, »handelte es sich um Armand?«

»Nein,« gab sie leise zur Antwort, »um – Balaban! Trabianu meinte, er wisse aus guter Quelle, daß ich auf Balaban einen großen Einfluß ausübe. Es sei ihm auch bekannt, daß Balaban ohne mein Zureden die ihm angebotene Kandidatur nie angenommen hätte. Nun drohe dem Lande große Gefahr, da der ehemalige Räuber es für gut befunden habe, einen Guerillakrieg gegen die Regierung zu entfesseln. Der Ausgang sei nicht zweifelhaft. Man kenne zwar die Volkstümlichkeit, die Balaban trotz seiner Untaten in vielen Kreisen der Bevölkerung genieße. Aber man sei gewiß, daß es in absehbarer Zeit der vereinigten Militär- und Polizeimacht gelingen werde, ihn ein für allemal unschädlich zu machen. Andererseits wolle man jedes Blutvergießen vermeiden und auch die Gegensätze zwischen der Regierungspartei und der Opposition nicht verschärfen.«

»Kurz und gut – Sie sollen Balaban an die Regierung verraten?!«

»Ja!«

»Ein reizender Vorschlag, der dem alten Fuchs ähnlich sieht. Wie wenig Vertrauen setzt er doch in die Strategie der Gendarmen, wenn er zu solchen Mitteln greift! Jedenfalls fühlt sich die Regierung nicht ganz sicher. Aber dies alles ist ja Nebensache. Wie stellten Sie sich zu diesem Anerbieten?«

Tatjana sah mich mit ihren großen Augen eine Weile prüfend an.

»Nicu,« sagte sie, »Sie sollten mich nun soweit kennen, um zu wissen, daß ich niemals einer solchen Gemeinheit fähig bin. Es ist ja in gewisser Beziehung meine Schuld, daß Balaban die Kandidatur angenommen hat. Die Ereignisse hätten sonst eine andere Entwicklung genommen. Ich dachte, ihm zu nützen. Ich wollte nur sein Bestes. Aber es hätte keinen Sinn gehabt, dem Ministerpräsidenten ein entschlossenes Nein entgegenzusetzen.«

»So haben Sie also eingewilligt?!«

Ich erschrak und war beschämt zugleich. Der Sinn ihrer Worte erschien mir schleierhaft. War sie nun bereit, den Mann preiszugeben, um sich zu retten – oder nicht?

Doch sie schüttelte nur den Kopf.

»Da man mir den Dolch auf die Brust gesetzt hat, mußte ich vor allem Zeit gewinnen. Ich bat um eine Frist. Bis morgen zwölf Uhr mittag soll ich mich entscheiden.«

»Und was gedenken Sie jetzt zu tun?«

»Ich sagte Ihnen schon: mein erster Gedanke war, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Aber dann erkannte ich, daß sich keine Möglichkeit dazu bietet. Wenn ich morgen um zwölf Uhr den Vorschlag der Sigurantza ablehne, nimmt man mich sofort in Haft. Ich bin überzeugt, daß dies keine bloße Drohung bedeutet. Man wird mir in aller Form den Prozeß machen, schon um die frühere Regierung und Ihre Partei bloßzustellen. Seien Sie versichert, Nicu – ich habe keine Angst. Mein Leben ist verpfuscht. Ob man mich einsperrt, totschießt, oder was man sonst mit mir tun will – ich bin zu allem bereit. Die Hoffnung, Armand wiederzugewinnen, habe ich endgültig aufgegeben.«

»Auf einmal, Tatjana?! Jetzt, wo Sie sich in höchster Bedrängnis befinden, muß er sich Ihrer annehmen! Glauben Sie mir, Tete – ich habe mit ihm gesprochen – er wird Sie nicht im Stiche lassen!«

»Glauben Sie wirklich,« fragte sie mit einem müden Lächeln, »– aber sehen Sie: das Leben ist so seltsam! Jetzt in dieser Stunde, wo es um meine Freiheit, um mein Leben geht, zieht mich nichts mehr zu ihm. Ich sehe ein, daß ich einen vergeblichen Kampf gewagt habe. Daß dieser Mensch aller meiner Opfer nicht wert war. Daß ich in seiner Achtung gesunken bin, weil ich mich zu seinem Werkzeug erniedrigte. Er mag die Komtesse Ezervary heiraten! Er mag tun und lassen, was er will. Nichts bindet mich mehr an ihn. Ich habe den Glauben an ihn verloren. Aber dafür einen anderen Menschen gewonnen, der würdiger ist, geliebt zu werden – Balaban! Sie kennen ihn nicht so wie ich, Nicu! Wäre er nicht der Sohn eines armen Fischers, er hätte Großes erreicht. Ich liebe ihn! Er ist der Mann, der sich nicht duckt, der in einer Welt von Banditen Räuber werden mußte, ehrlicher, mannhafter Räuber, um sein freies Menschentum zu bewahren. Das Volk, das ihn verehrt, folgt nur einem dunklen Drange nach Gerechtigkeit. Aber in den Händen der Politiker ist er nur ein Spielball. Man wird ihn fallen lassen, wenn man ihn nicht mehr nötig hat. Ganz gleich, ob es Ihre Partei oder die der Trabianus ist. Und das will ich verhindern.«

»Aber ich verstehe Sie wirklich nicht, Fürstin – was wollen Sie denn tun?«

»Ich werde den Vorschlag Trabianus annehmen,« rief sie, »und Balaban aufsuchen, aber nicht, um ihn zu verraten! Um ihm beizustehen! Er darf nicht in die Hände der Polizei fallen! Ich werde versuchen, ihn über die Grenze zu bringen. Wir müssen uns durchschlagen! Gelte es, was es wolle! Ich besitze genug Vermögen, um ihm im Auslande ein neues Leben zu ermöglichen.«

»Aber Tatjana,« beschwor ich sie, »warum denn nur? Bedenken Sie doch ...«

»Ich habe nichts zu überlegen. Er ist ein ganzer Mann! Er besitzt Mut! Und er ist demütig und leichtsinnig wie ein Kind! Und dennoch steht er turmhoch über allen anderen. Genug davon! Ich kenne meine Pflicht! Aber hören Sie, um was ich Sie bitte, wenn ich Sie weiter meinen Freund nennen darf! – Und wenn Sie meine Verzweiflung ausnutzen wollen, wenn Sie als Gegenleistung den Preis meiner Hingabe verlangen – ich bin bereit dazu!«

Sie war in der Erregung aufgesprungen und stand mit flammenden Wangen vor mir.

»Wie wunderbar schön Sie sind, Tete,« stammelte ich verwirrt, »warum beschämen Sie mich aber? Warum zweifeln Sie an meiner Ergebenheit, an meiner reinen Freundschaft? Sprechen Sie, bitte! Ich werde alles tun, was Sie von mir verlangen!«

Da sagte sie: »Haben Sie Dank, Nicule, dafür, daß Sie mir eine Demütigung ersparen. Ich weiß nicht, was uns beide zusammengeführt hat. Ich weiß auch nicht, warum ich gerade Ihnen mein Vertrauen schenkte. Wir wollen das letzte, was uns trennt, nicht fortreißen, nicht zerbrechen, denn daran könnte unsere Freundschaft zugrunde gehen. Und vielleicht liegt Ihnen an meiner aufrichtigen Freundschaft noch etwas. Doch hören Sie! Ein einziger kann mir helfen! Armand Dupré. Sie müssen sofort zu ihm in die französische Gesandtschaft eilen und ihn veranlassen, daß zwei französische Pässe ausgestellt werden und den Sichtvermerk der Bukarester Polizeipräfektur erhalten. Einer für Balaban und der andere für mich. Auf welchen Namen die Pässe lauten, ist völlig gleichgültig. Sagen Sie Armand, daß es der erste und der letzte Dienst ist, den ich von ihm fordere. Sagen Sie ihm, daß die Sigurantza mich mit der Verhaftung bedroht. Was auch geschehen möge – auch wenn mein Plan mißlingen sollte – er kann völlig beruhigt sein. Nichts wird über meine Lippen kommen, was ihn belasten oder seine Stellung erschüttern könnte. Ich nehme alles auf meine Kappe. Unsere Wege gehen auf immer auseinander. Ich wünsche ihm alles Gute. Aber von seiner Gesandtschaft erwarte ich, daß sie mir die Ausstellung der falschen Pässe nicht verweigert. In seiner Macht liegt es, etwaige Bedenken des Gesandten zu zerstreuen. Reden Sie ihm zu, falls er sich nicht dazu verstehen sollte! Und nun gehen Sie, Nicu! Ich darf es ja nicht. Wenn man mich beim Betreten des französischen Gesandtschaftspalais beobachtet, könnte man Verdacht schöpfen. Darum kam ich zu Ihnen. Ich bin sicher, daß man auch jetzt in der Nacht vor der Gesandtschaft einen Spitzel der Sigurantza aufgestellt hat, weil man wohl erwartet, ich würde Armand aufsuchen. Seien Sie bitte vorsichtig! Ich glaube zwar nicht, daß man schon Kenntnis von meinem Aufenthalte in Ihrem Hause erhalten hat, aber ...«

Sie hielt jäh inne und lauschte. Dann fuhr uns beiden der Schreck durch die Glieder. Die Hausglocke ertönte!

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Sie zeigte die vierte Morgenstunde an. Ein Sprung zum Fenster. Die Vorhänge leise auseinandergeschoben. Draußen die Straße leer und einsam. In graues Dunkel noch gehüllt. Erster Dämmerspuk verkündete den nahenden Tag.

Auf der Treppe wurden Schritte vernehmbar. Das war Lajos! Er ging öffnen.

Da läutete es zum zweiten Male, jetzt stärker, länger, anhaltender.

»Erwarten Sie jemand?« fragte Tatjana. Ganz blaß war sie geworden.

»Nicht, daß ich wüßte, Fürstin!«

Sie schluckte etwas hinunter.

»Sollte die Sigurantza ...?« Aber sie endete nicht. Wir hörten, wie die Gartenpforte aufgeschlossen wurde. Die Tür schrie schmerzlich in den Angeln. Dann kamen Schritte näher – nun klangen sie schon im Haus – auf der Treppe, deren dumpfes Knarren wie eine Warnung war. Mit einem Satze stand ich an der Tür des Salons, um sie abzusperren. »Tete,« sagte ich, »wenn wirklich die Polizei – – fürchten Sie sich nicht! Bitte, vertrauen Sie mir! Solange Sie in meinem Hause sind, wird keiner Hand an Sie legen. Verlassen Sie sich auf mich! Ich stehe mit meinem Leben für Sie ein!«

Da trat sie an mich heran und entriß mir den Revolver, den ich eben aus einer Lade hervorgezogen hatte.

»Machen Sie keine Dummheiten, Nicule,« rief sie, »ich verbiete Ihnen ernstlich jeden Widerstand. Ich liebe nicht solchen falschen Heldenmut!«

Doch in diesem Augenblicke klopfte es bereits.

»Wer ist denn da?« fragte ich bangen Herzens, während die Fürstin anscheinend seelenruhig sich vor den Spiegel stellte, das lockige Haar mit dem Kamm zurückstrich und das Gesicht mit Puder betupfte. Ich weiß es heute nicht mehr: spielte sie mit der Angst oder mit der Eitelkeit?

Draußen meldete sich Lajos:

»Domnule Bracu,« sagte er brummig, weil er in dieser Nacht schon zum zweiten Male aus dem Schlafe geweckt worden war, »es ist ein Telegramm für Sie abgegeben worden.«

»Ist sonst niemand da?« fragte ich, da es immerhin möglich sein konnte, daß die Geschichte mit der Depesche fingiert war, um mich zum Öffnen zu bewegen. Vielleicht war mein Diener von den Polizisten gezwungen worden ...

Aber da antwortete er schon: »Wirklich nicht, domnule!«

»Wartet der Postbote noch?«

»Nein – ich habe ihm den Empfang bestätigt. Er sagte, es sei auf dem Telegramm ausdrücklich vermerkt, daß es noch während der Nacht zugestellt werden müsse.«

Jetzt erst schloß ich die Tür auf. Lajos reichte mir das Papier durch die Spalte und ging dann wieder in seine Kammer. Tatjana stieß ein nervöses Lachen aus. Dann griff sie nach einer Zigarette.

»Es ist etwas Schönes an solchen prickelnden Momenten,« meinte sie leichthin, »sie machen erst das Leben lebenswert. Man ahnt sonst nicht, welche Spannkraft, welche Länge, welche Schwere – Sekunden, Augenblicke haben können.«

»Wenn sie von Angst erfüllt sind?!«

»Nein, Nicule,« sagte sie, »nicht von Angst – nur von Erwartung!«

Da erbrach ich das Telegramm.

»Mein Gott! Schon wieder dieser verdammte Amerikaner! Der hat mir noch gefehlt!«

Die Depesche war in London aufgegeben und lautete:

Heute hier eingetroffen. Wahlausgang abwarten undurchführbar. Viertausend schwimmen bereits. Weitere fünftausend abgehen morgen New York. Werde Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Habe Flugzeug zum Non-Stop-Flug nach Bukarest bestellt. Treffe voraussichtlich morgen mittag dort ein. All right. Stoping.


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