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Neuntes Kapitel

Intermezzo mit Ileana

 

Pelteanu ist ein Nest, aber ein reizendes Nest, hart am Fuße der Karpathen, von mächtigen Wäldern umgeben, wenige Stunden vom Rotenturmpaß entfernt. Siebzehn Häuser zählt das Dorf. Sie besitzen nur ein Stockwerk mit weit ausragenden Schindeldächern und Umgängen, die für diese Gegend charakteristisch sind. Die Hauswände schimmern in lebhaften Farben. An den Hausecken und um die nicht allzu weiten Fenster ziehen sich gefällige Stuckfriese und Ornamente. Bei manchen Häusern hat man die hölzernen Umgänge durch gemauerte Veranden mit kurzen, dicken Säulen und geschweiften Bogenfenstern ersetzt.

Die Straße, die von der Bahnstation in vielen Windungen nach Pelteanu hinaufführt, könnte besser sein. Aber wir sind in der Moldau schlechtere Wege gewöhnt, Wege, auf denen während der Frühjahrsmonate der Kot zum Himmel schreit.

Arme Teufel sollen die Leute von Pelteanu sein, obwohl die kunstreichen Stickereien ihrer Frauen sich im Lande großer Wertschätzung erfreuen. Aber die Händler, die den Weibern ihre Erzeugnisse abkaufen, zahlen schlecht. Hier auf dem Lande versteht eigentlich jede Frau zu spinnen und zu weben. Die Muster, die in leuchtenden, oft durch schwarz unterbrochenen Farben in die Teppiche und das Leinen gewebt werden, sind typisch rumänisch. Die Bäuerinnen führen diese ehrwürdigen Ornamente ohne jede Vorlage nach dem Gedächtnis aus. Selten, daß sie eigene Kompositionen hinzufügen.

Im allgemeinen sind zwar die rumänischen Bauern in der Kultur noch sehr zurückgeblieben, aber das ist nicht ihre Schuld. Jahrhundertelange Bedrückung und Ausbeutung verhinderte jede Entwicklung. In der Moldau und in der Walachei gibt es Bauernhütten, die weder Betten noch Stühle aufweisen. Ihre Bewohner schlafen auf Stroh. Gewöhnlich sitzen sie auf der Ofenbank. Noch lieber hocken sie mit übergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden. Waschgelegenheit findet sich selten. Von Tier zu Mensch ist kaum ein Schritt.

Aus einer Schüssel schöpft die ganze Familie das Essen, Krautsuppe mit Mamaliga, jenem öligem Maisbrot, das sie meist in riesigen Würfeln backen, und dessen Duft nebst anderen Düften das ganze Haus erfüllt.

Es herrscht ein Elend, das zu Herzen geht.

Aber dieses Elend konnte nicht die Entfaltung einer wunderbaren, in seiner Originalität bewundernswerten Bauernkunst verhindern. Die reichbestickten Hemden, welche die Frauen tragen, legen davon Zeugnis ab. Sie sind lang und reichen ihnen bis zu den Fußknöcheln hinab. Aber an den reizvollen, verschiedenartigen Mustern kann man sofort die Heimat ihrer Trägerin erkennen. Denn fast jedes rumänische Dorf pflegt eine besondere Art der Stickerei, die seinem Charakter und seiner Eigenart entspricht. Röcke kennen die rumänischen Bäuerinnen nicht. An deren Stelle binden sie sich über das Hemd vorne und hinten je eine schmale, buntgewebte Schürze um, oft auch eine sogenannte Catrintza, wie man hierzulande die schwarzen Wollschürzen nennt.

Um den Kopf schlingen sie einen weißen Schleier oder ein helles Tuch. Die langen Enden wehen hinter ihnen her, wenn sie leichtfüßig über die Dorfstraße laufen.

Sonntags zum Kirchgang erscheinen sie in einem besonders langen, weißen Hemd, das unten einen bunt gestickten Saum trägt. Auf den prächtig bestickten Ärmeln glitzert und funkelt Gold- und Silberflitter. Jede ist eine kleine Königin, wenn sie im Festgewand zur Kirche schreitet. –

Die Bauernmädchen von Pelteanu gelten als besonders schön. Man stellt sie den Frauen von Saliste, deren Anmut überall gerühmt wird, an die Seite. Wenn sie wirklich alle so unverschämt hübsch und spitzbübisch frech sind wie die zierliche Ileana Farago, dann übertreffen sie sogar ihren Ruf.

Ileana Farago war die Zofe der Fürstin, ihre Vertraute, eine kleine, prickelnde Hexe, würdig einer solchen Herrin. Wenn jemand Bescheid über den seltsamen Vorfall im Schlosse von Pelteanu wußte, dann konnte es nur sie sein, die überall ihre Augen hatte und mit ihren kaum achtzehn Jahren wissender war als so manche mit dreißig. Ein wahres Kätzchen, schlank, graziös, ständig auf dem Sprunge, einem die Augen auszukratzen, wenn man nach ihren vollen, runden Armen griff. Ich lernte sie am Morgen nach meiner Ankunft in Pelteanu kennen. Man hatte mir eben das Frühstück auf der breiten Terrasse des Schlosses serviert, als sie an mir vorüberhuschte.

Das war ein Morgengruß, wie ich ihn mir nicht reizender denken konnte. Ich rief sie an. Sie lief achtlos vorbei. Das ärgerte mich. Mit einem Satz sprang ich ihr nach, erwischte sie noch an den langen, braunen Zöpfen und zog die Widerstrebende auf die Terrasse hinaus.

»Wer bist du?«

»Ileana! Domnule Bracu!«

»Woher kennst du mich denn?«

Ein neckisches Blinzeln ihrer Augen.

»Balaban hat mir von Ihnen erzählt.«

»Balaban?«

»Ja, und die Fürstin. Ich bin ihre Zofe.«

»Entzückendes Geschöpf,« sagte ich, »setz' dich doch ein wenig zu mir!«

Sie zierte sich nicht lange. Neugierig musterte sie mich von oben bis unten; dann ließ sie sich nieder.

»Sag' mal, kleine Ileana – wie war das mit der Fürstin?«

»Ich weiß gar nichts«, versetzte sie und schlug den Blick zu Boden.

»Falsche Katze!«

Da lächelte sie verstohlen.

In diesem Augenblicke wußte ich, an wen ich mich zu halten hatte. Aber ich will der Reihe nach erzählen.

Spät nachts traf ich in Pelteanu ein. Am Bahnhof erwartete mich der Verwalter des Gutes, Wladimir Panin, den ich telegraphisch von meiner Ankunft verständigt hatte. Ein vollbärtiger Russe mit einem Asketengesicht und fanatischen Augen, seltsame Mischung von Gutmütigkeit und verhaltener Brutalität. Die Fürstin schien es zu lieben, sich mit originellen Menschen zu umgeben. Erst später erfuhr ich, daß Panin, der aus der Bukowina stammte, der merkwürdigen Sekte der Lipowaner angehörte, die sich nicht den Bart scheren, niemals Alkohol trinken und keinen Tabak rauchen dürfen. Sie tanzen aus Prinzip nicht, sie verabscheuen die Musik, weil sie sündhafte Gefühle erweckt, sie halten nicht weniger als einhundertundsechsundachtzig Fasttage im Jahr, betrachten Andersgläubige als unrein und ziehen auch bei den schwierigsten Krankheiten niemals einen Arzt zu Rate, weil es allein in Gottes Ratschluß steht, ob sie genesen oder sterben sollen. Ihre Sekte, staatlich geduldet wie so viele andere, weist in der Bukowina viertausend Seelen auf. Ihr Hauptsitz ist das Städtchen Biala-Kiernitza mit seiner imposanten, russischen Kirche, der einzige Ort in Rumänien, in dem es keine Wirtshäuser gibt.

Wladimir Panin empfing mich ernst und würdevoll.

»Gott der Herr hat uns eine schwere Prüfung auferlegt, Domnule Bracu,« begann er, »die gnädige Fürstin ...«

»Ich weiß, ich weiß,« fiel ich ihm ins Wort, »deswegen bin ich auch gekommen. Hat man seit gestern nichts Neues erfahren?«

»Nichts!« sagte Panin, »die Gendarmerie unternimmt große Streifen, aber es ist noch nicht die geringste Spur gefunden worden. Ich fürchte das Schrecklichste.«

»Und Balaban?«

»Verschwand in der gleichen Nacht. Und darum glauben wir, daß er ...«

»Hat es denn einen Streit zwischen ihm und der Fürstin gegeben?«

»Nein!«

»Ist er vielleicht von ihr geschlagen worden?«

»Bestimmt nicht. Die Fürstin tut so etwas nicht. Die frühere Gutsfrau war da anders.«

»Ja zum Teufel, es muß doch irgend etwas vorgefallen sein?!«

»Wir wissen alle nichts – nicht das geringste. Balaban war unser bester Arbeiter, unermüdlich am Werke, immer freundlich, wenn auch schweigsam. Die Fürstin lobte ihn oft vor den anderen. Wir können es nicht fassen.«

Da erinnerte ich mich Armand Duprés.

»Panin,« sagte ich, »erkundigen Sie sich beim Stationschef, ob er oder sein Vertreter sich erinnern kann, wer in der gestrigen Nacht aus dem Zwei-Uhr-Schnellzug hier ausgestiegen ist!«

Der Bahnhofsvorstand, der zu jener Zeit selbst im Dienste war, erklärte mit Bestimmtheit, daß damals überhaupt kein Reisender den Zug verlassen hatte.

»Wissen Sie das wirklich so genau?«

»Ja, domnule, ich stand selbst an der Sperre.«

»War auch kein Wagen am Bahnhof vorgefahren?«

»Nein!«

Mein Verdacht gegen Armand brach völlig zusammen.

»Wann kam der nächste Zug aus der Richtung Bukarest?« wollte ich noch wissen.

»Um drei Viertel auf fünf – ein Personenzug.«

»Stiegen da Reisende aus?«

Der Stationschef nickte.

»Ungefähr zehn Personen, darunter der Gendarmeriekommandant unseres Ortes.«

»Befand sich unter den übrigen neun Personen vielleicht ein eleganter, hochgewachsener, junger Mann?«

Ich beschrieb Armand Dupré.

Der Vorstand schüttelte nur den Kopf.

»Bestimmt nicht, domnule. Es waren alles Leute, die ich kenne, zwei Männer aus Ramnicul-Valcea, eine Frau aus Calimanesti, die anderen Bauern aus den umliegenden Dörfern, die täglich in der Früh zum Markte kommen.«

Ich wußte nicht mehr, was ich von der ganzen Sache zu halten hatte, da es ausgeschlossen schien, daß Armand Dupré daran beteiligt war. Da mir das gespannte Verhältnis zwischen ihm und der Fürstin bekannt war, so lag die Vermutung nahe, daß er in einem Anfalle von Verzweiflung Tatjana aus dem Wege räumen wollte. Es war möglich, daß er sich dabei Balabans als Werkzeug bediente, obgleich alle Anhaltspunkte zu einer solchen kühnen Annahme fehlten. Denn erstens kannte er meines Wissens Balaban gar nicht, zweitens konnte ich mir nicht vorstellen, welche Versprechungen oder Zusicherungen diesen bewogen haben könnten, eine solche Tat auszuführen. Ein Balaban, der es ablehnte, für eine garantierte Summe von zweihundertfünfzigtausend Dollar wieder ein bißchen Räuber zu sein – nein, das war undenkbar!

Aber ich kam von Dupré nicht los. Ich fand keine andere Erklärung für das geheimnisvolle Verschwinden der Fürstin. Nur er und kein anderer konnte daran ein Interesse haben. Er stand vor der Hochzeit mit der Komtesse Ilona. Tatjana hatte in einem ihrer letzten Briefe vielleicht gedroht, einen neuen Skandal zu entfesseln oder Enthüllungen angekündigt, die seine Stellung als akkreditierter Militärattaché erschüttern mußten. Da packte ihn die Verzweiflung – – nein, nein – nichts sprach für diesen ungeheuerlichen Verdacht als seine plötzliche Abreise aus Bukarest. Aber nach Pelteanu war er nicht gekommen! Wohin also sonst?

Diese Frage stand offen.

Auf der Fahrt nach dem Schlosse erkundigte ich mich bei Panin, ob die Fürstin in der letzten Zeit Gäste empfangen hätte.

»Es fanden nur ein paar kurze Visiten der Gutsnachbarn statt. Die Herrschaften, die mit dem Wagen gekommen waren, fuhren nach einer Stunde wieder ab.«

»Und aus Bukarest?«

»Kam niemand,« entgegnete der Verwalter, »die Fürstin hatte zwar vor ungefähr einer Woche Herrn Kapitän Dupré erwartet ...«

»Oh, das interessiert mich außerordentlich! Trafen sie sich beide?«

»Nein! Die gnädige Frau gab am Morgen den Befehl, die Fremdenappartements empfangsbereit zu stellen. Am Nachmittag erhielt sie aber eine Depesche, über die sie sich sehr zu ärgern schien. Denn sie schloß sich in ihrem Zimmer ein und ließ sich nicht mehr blicken. Für halb acht war ich zum Rapport angemeldet. Aber es war mir nicht möglich, sie zu sprechen.«

»Und weiter?«

»Ich wurde auf den nächsten Tag bestellt, an dem ich auch wie gewöhnlich meinen Bericht erstatten konnte, den die Fürstin freundlich zur Kenntnis nahm. Sie zeigte sich trefflich gelaunt. Herr Dupré ist allerdings nicht eingetroffen. Ich nehme an, daß das Telegramm seine Absage enthielt.«

»Und was geschah später?«

»Nichts Besonderes! Es ging alles seinen gewohnten Lauf. Die Fürstin ritt jeden Morgen aus ...«

»Allein?«

»Nein, mit Balaban, der ihr ständiger Begleiter war. Wenn sie ausreiten wollte, ließ sie ihn von seiner Arbeit wegrufen.«

»Und er?«

»Gehorchte natürlich. Aber einmal sagte er mürrisch, er wisse nicht, was die Fürstin von ihm wolle. Sie stelle manchmal an ihn so seltsame Fragen.«

»Was für Fragen?«

»Das sagte er nicht. Er ist mitunter schwer von Begriff. Und vielleicht verstand er sie nicht, weil sie die rumänische Sprache mit einem fremdartigen Akzent spricht.«

»Wann bemerkten Sie das Verschwinden der Fürstin?«

»Gestern in der Frühe. Ich war am Tage vorher nach Ramnicul-Valcea gefahren, um Pferde einzuhandeln, da wir für die Frühjahrsbestellung noch ein paar Zugkräfte notwendig haben. Den Rückweg trat ich mit den gekauften Gäulen auf der Landstraße an. Unterwegs wurden wir von der Dunkelheit überrascht. Da kein Mond schien und die Tiere sehr müde waren, stellte ich sie bei einem Bauern unter und wartete in dessen Hause den Sonnenaufgang ab, um mich dann von neuem auf den Marsch zu setzen.

Gegen halb acht Uhr morgens langten wir in Pelteanu ein. Ich wunderte mich, daß Balaban nirgends zu sehen war. Er schlief in einer Dachkammer des Schlosses, die ihm die Fürstin als besondere Auszeichnung zur Verfügung gestellt hatte. Das übrige Personal ist mit Ausnahme meiner Person und der Ileana Farago, einem Mädchen aus dem Dorfe, das die gnädige Frau als Kammerzofe beschäftigt, im Nebengebäude untergebracht. Da an diesem Morgen niemand Balaban zu Gesicht bekommen hatte, fürchtete ich, daß er krank sei oder verschlafen habe. Ich ging daher in seine Kammer, um nach ihm Ausschau zu halten. Aber er befand sich nicht mehr oben. Es fiel mir auf, daß sein Lager unberührt war.«

»Was taten Sie dann?«

»Ich wunderte mich sehr.«

»Und außerdem?«

»Als ich hinunterging und den Schloßpark überquerte, auf den die Wohnräume der Fürstin hinausgehen, fiel es mir auf, daß die Fenster ihres Schlafzimmers offen standen.«

»Warum fiel Ihnen das auf?«

»Weil die Fürstin bei geschlossenen Fenstern und herabgezogenen Vorhängen zu schlafen pflegte. Vor neun Uhr stand sie aber selten auf. Und übrigens herrschte damals sehr trübes Wetter. Da ich die Fürstin begrüßen und nach ihren Wünschen fragen wollte, kehrte ich in das Schloß zurück und war sehr erstaunt, von Ileana zu hören, daß die Fürstin noch nicht aufgewacht sei. Ich erkundigte mich, ob sie gestern abend die Fenster im Schlafzimmer der gnädigen Frau wie gewöhnlich geschlossen habe. Ileana bejahte dies. Dann erzählte sie, während der Nacht wäre sie plötzlich durch einen Lärm erwacht, der aber nur einige Sekunden gedauert hätte. Sie wußte aber nicht, woher er gekommen war. Gleich darauf sei sie wieder eingeschlafen.«

»Um welche Zeit war das?«

»Das konnte sie nicht sagen. Es herrschte noch stockdunkle Nacht.«

»Na – und weiter?«

»Ich sagte Ileana, daß jetzt die Fenster im Schlafzimmer der Fürstin weit aufgerissen seien, daß also die Herrin schon aufgewacht sein müßte. Daraufhin eilte Ileana an die Tür der Fürstin und klopfte an. Doch es kam keine Antwort. Es blieb mäuschenstill. Nun begannen wir erst Verdacht zu schöpfen. Ileana rüttelte an der Tür, die verschlossen war. Ich lief noch einmal in den Schloßpark hinunter und bemerkte auf dem Beete unterhalb der Schlafzimmerfenster eine breite Fußspur, die auf dem Kieswege plötzlich abbrach. Mit lauter Stimme rief ich die Fürstin an, aber sie gab keine Antwort. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich befahl einem der Knechte, die ebenfalls aufmerksam geworden waren, einen Dietrich zu holen, einen anderen Knecht schickte ich zur Gendarmerie. Dann öffneten wir die verschlossene Schlafzimmertür. Zehn Minuten nachher erschien der Gendarmeriekommandant, der sogleich das Zimmer der Fürstin einer eingehenden Untersuchung unterzog, ohne aber etwas Auffälliges zu bemerken. So war es, Domnule Bracu,« schloß der Verwalter, »und mehr wissen wir heute auch noch nicht.«

*

Irgendeine Erklärung, was der Anlaß zu dem plötzlichen Verschwinden Balabans und der Fürstin gewesen sein konnte, war aus dem Berichte Wladimir Panins nicht zu entnehmen. Daß noch irgendein Zusammenhang mit Armand Dupré bestand, begann ich ernstlich zu bezweifeln.

Erst der nächste Morgen, der mir die Begegnung mit der hübschen Ileana Farago brachte, ließ mich eine neue Spur wittern, die alle meine bisherigen Kombinationen über den Haufen warf.

Das versteckte Lächeln, mit dem sie sich von der Antwort drückte, verriet mir mehr, als sie vielleicht dachte.

Kein Zweifel – das Mädchen wußte etwas!

Ich ließ sie während des ganzen Tages nicht mehr aus den Augen. Sie schien es gern zu hören, wenn man ihr nette Worte sagte, was mir bei ihr nicht schwer fiel. Denn sie war wirklich ein reizendes Ding.

Gegen Mittag stellte sich der Gendarmeriekommandant ein, um das Gutspersonal einem neuerlichen Verhör zu unterziehen. Mir gegenüber äußerte er sich überaus zuversichtlich.

Er war überzeugt, daß Balaban die Fürstin entführt hatte, um von ihr ein entsprechend hohes Lösegeld zu erpressen.

Mir widerstrebte es, diese Annahme zu teilen. Dazu glaubte ich den ehemaligen Räuberhauptmann doch schon zu gut zu kennen. Durch eine tragische Schuld war er seinerzeit gezwungen worden, die Banditenlaufbahn zu ergreifen. Die Amnestie gab ihn dem geordneten Leben wieder. Es war unmöglich, zu glauben, daß ihn auf einmal schnöde Gewinngier wieder zu einem Verbrechen verleitet hatte.

Ganz bestimmt lagen andere Gründe vor! Aber welche?

Nach einer Stunde entfernte sich der Gendarmeriekommandant, nicht ohne vorher sich mit ein paar Schnäpsen für die weiteren Dienstgänge gestärkt zu haben. Beim Abschied versicherte er prahlend, daß er Balaban spätestens in vierundzwanzig Stunden zur Strecke bringen würde. Seine Gendarmen seien daran, die ganze Gegend zu durchstöbern.

»Glaubst du auch, Ileana,« fragte ich, »daß Balaban die Fürstin entführt hat, um von ihr ein Lösegeld zu erpressen?«

»Nein,« sagte sie, »das glaube ich bestimmt nicht!«

»Warum nicht?«

Um ihre Mundwinkeln zuckte es. Dann meinte sie:

»Domnule Bracu, Sie bemühen sich vergebens! Ich bin verschwiegen!«

»Nun hast du dich verraten, Ileana«, fiel ich rasch ins Wort.

»Wieso?« wollte sie wissen. Doch ihre Wangen färbten sich rot.

Es war ein schweres Stück, sie zum Reden zu bewegen. Irgendeine begreifliche Scham hinderte sie daran. Ich drohte ihr, sie beim Gendarmeriekommandanten anzuzeigen. Aber dieser Schreckschuß verfehlte seine Wirkung. Ich sagte, daß ich sie an dem Verschwinden der Fürstin mitschuldig halte. Sie antwortete bloß mit einem Achselzucken.

Da begann ich andere Saiten aufzuziehen.

Für Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien war sie empfänglicher. Ein paar kleine Geschenke erhöhten ihre Zutraulichkeit. Am Abend war es so weit.

Ich zog sie in mein Zimmer herein, überschüttete sie mit Zärtlichkeiten, die sie erst widerstrebend, dann aber immer freundlicher aufnahm, spaßte und scherzte mit ihr, bis sie schließlich ganz ausgelassen wurde. Dann fühlte ich ihr nochmals auf den Zahn. Anfangs tat sie furchtbar geheimnisvoll, dann aber löste sich langsam ihre Zunge unter dem Einfluß genossener Getränke. Das übrige ergab sich von selbst. – – –

Es war übrigens eine Geschichte, die Tatjana ähnlich sah. Ich erzähle sie hier zum ersten Male nach den Angaben der kleinen Ileana. Denn die Darstellung, die später in den Bukarester Zeitungen erschien, entsprach mit Rücksicht auf den Ruf der Fürstin durchaus nicht der Wahrheit.


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