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Tatjana macht eine Eroberung
Im Rummel der ersten Tage, den Balabans Anwesenheit in Bukarest hervorgerufen hatte, kam ich nicht dazu, mich viel um die Angelegenheiten meiner Freunde und Bekannten zu kümmern. Sitzungen und Konferenzen aller Art nahmen meine Zeit vollauf in Anspruch. Ich vermied es, meinen gewohnten Stammplatz im Rauchzimmer des Café Capsa aufzusuchen, um dem Sturm neugieriger Anfragen und ironischer Bemerkungen, die mich wohl erwarteten, auszuweichen. Als ich mich Armand Duprés und meines Versprechens ihm gegenüber erinnerte, fiel es mir erst auf, daß ich ihn seit meiner Rückkehr aus Tulcea überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ich rief ihn sofort in der Gesandtschaft an, wo man mir mitteilte, daß er auf einige Wochen verreist sei. Seinen gegenwärtigen Aufenthalt wollte man mir anscheinend nicht nennen. Ich dankte für die Auskunft und hing ab. Nun versuchte ich, mich mit der Fürstin Tatjana in Verbindung zu setzen. Aber auch sie war nicht zu erreichen. Man sagte mir, sie habe sich auf ihr Landgut Pelteanu begeben, doch werde sie in den allernächsten Tagen zurück erwartet.
Diese, wie es schien, gemeinsame Flucht aus Bukarest konnte zu allerlei Kombinationen Anlaß geben, um so mehr, als ich erfuhr, daß auch Komtesse Ilona, die Tochter des ungarischen Gesandten, die Hauptstadt verlassen hatte. Aber ich zerbrach mir darüber nicht den Kopf, da ich durch andere Dinge und Interessen allzusehr in Anspruch genommen war.
Nicht lange darauf gab die Prinzessin Pizzicatino in den Räumen ihres Palais am Boulevard Bratianu einen ihrer großen Empfänge. Dort begegnete ich der Fürstin Trubakow zum ersten Male wieder, allerdings ohne Armand, ein Umstand, der mich in Verwunderung setzte. Noch erstaunter war ich aber, als mir Tete mit der liebenswürdigsten Miene entgegenkam und mich einlud, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie war wie verwandelt. Ihre kühle, ablehnende Haltung hatte sie abgelegt. Sie erzählte, daß sie bis gestern in Pelteanu gewesen und durch die Einladung der Prinzessin veranlaßt worden sei, wieder nach Bukarest zurückzufahren, um dem Empfang beiwohnen zu können.
»Und Armand?« fragte ich.
»Sie wissen nicht? Er ist jetzt in Paris, um verschiedene Privatangelegenheiten zu ordnen.«
»So?« sagte ich.
Die Fürstin lächelte spöttisch.
»Was meinen Sie mit diesem ›So‹, lieber Freund? Glauben Sie vielleicht, daß Armand nach Paris gefahren ist, um alles für eine Eheschließung mit der Komtesse Ezervary zu regeln?«
Die Offenheit, mit der sie auf diese heikle Angelegenheit zu sprechen kam, verblüffte mich nicht wenig.
»Natürlich glaube ich das! Soweit ich unterrichtet bin, scheint er doch fest entschlossen zu sein ...«
Tete machte eine verächtliche Handbewegung.
»Und ich versichere Ihnen, daß aus der Sache nichts wird, absolut nichts!«
»Sie sollten ein Einsehen haben, Tatjana!«
»Ich habe es!«
»Wie kann ich mir das erklären?«
»Ich werde nicht zulassen, daß er unglücklich wird,« sagte sie mit echt weiblicher Logik, »ich halte es für meine Pflicht, seine Eheabsichten zu durchkreuzen, ja sie sogar zu vereiteln.«
»Spricht da nicht etwas Egoismus mit, Tatjana?«
Sie nickte zustimmend.
»Darf ich mir erlauben, Sie zu einer besseren Einsicht zu bekehren?«
»Wer gibt Ihnen das Recht dazu, Nicu?«
»Ihr Vertrauen, Fürstin!«
Tete stieß ein nervöses Lachen aus.
»Mein Vertrauen? Was sind Sie doch für ein eitler Junge, Nicu?! Ganz im Gegenteil – ich halte Sie für meinen gefährlichsten Feind!«
»Oh,« rief ich, »Sie kränken mich tief, Tatjana! Es gibt keinen Menschen in Bukarest, der Sie so heiß verehrt wie ich.«
»Sie sind ein Heuchler!«
»Ich schwöre Ihnen, Fürstin ...«
»Ein netter Verehrer! Wo immer Sie mir einen Schaden zufügen können, sind Sie bereit dazu.«
»Ich bedauere aufrichtig, Tete, diesen Eindruck bei Ihnen erweckt zu haben, aber er ist falsch. Ich hege die tiefsten Gefühle für Sie.«
»Sie schleichen mir nach ...«
»Weil ich besorgt bin um Ihr Wohl, Tatjana!«
»Ah – welch heuchlerische Auslegung, lieber Freund! In der Villa Constantinescu haben Sie damals Ihre rührende Sorgfalt bewiesen und wahrscheinlich auch die Anzeige erstattet.«
Sie blinzelte mich verstohlen an.
»Wie schlecht Sie mich doch kennen, Tatjana,« sagte ich, »ich wollte Ihnen nur Unannehmlichkeiten schlimmster Art ersparen. Darum ging ich Ihnen nach. Darum nahm ich Ihnen die Tasche ab. Man wäre doch auf die Spur gekommen! Aber eine Anzeige – –? Nicht ein Wort kam über meine Lippen. Mein Ehrenwort! Die Kühle, mit der Sie mich in der letzten Zeit behandelten, kränkte mich tief. Ich habe sie wirklich nicht verdient. Ich war sehr unglücklich.«
»Das Unglücklichsein scheint Ihnen aber gut bekommen zu sein, Nicu.«
»Das Glücklichsein steht mir besser!«
»Das müßte sich erst erweisen.«
»Wollen wir doch die Probe machen, Tatjana?!«
Die Fürstin erhob sich. Mit ganz spitzem Mund erklärte sie: »Ich glaube – Sie werden frech, Nicu! Wir sind noch lange nicht versöhnt. Dazu haben Sie zuviel Schuld auf sich geladen. Man reicht Ihnen den kleinen Finger und Sie verlangen die ganze Hand ...«
»Eine so entzückend kleine Hand!«
»Still! Ich erlasse Ihnen alle Komplimente. Ich weiß, was ich davon zu halten habe. Wenn Sie in Gnaden wieder aufgenommen werden wollen, wenn Ihre Sympathie für mich wirklich so groß ist, wie Sie es behaupten, dann müssen Sie mir erst einen Beweis Ihrer Liebe liefern.«
»Tausend, Tatjana!«
»Aber bitte,« wehrte sie ab, »nicht so, wie Sie wieder denken! Sie müssen mir einen großen Gefallen erweisen.«
»Jeden, den Sie wünschen, sofern er nicht mit den Interessen meines Staates in Widerspruch steht.«
»Sie werden schon wieder anzüglich, Nicu! Für wen halten Sie mich eigentlich?«
»Für die reizendste Frau von Bukarest.«
»Und für eine Spionin, nicht wahr?«
»Ach – das liegt doch jeder Frau im Blute!«
»Weichen Sie mir nicht feige aus, lieber Freund! Ich will wissen, was Sie von mir denken!«
»Ich komme gar nicht dazu, Tete. Ihre Nähe berauscht mich.«
»Warum gebrauchen Sie gleich so starke Ausdrücke, Tatjana? Ich versichere Ihnen, daß ich Sie für keine Spionin halte.«
»Sie lügen!«
»Ich gestehe Ihnen, daß ich Sie für eine Spionin gehalten habe ...«
»Warum haben? Sind Sie denn jetzt anderer Meinung?«
»Ich sprach mit Armand Dupré über Sie, Tatjana. Er gab mir sein Ehrenwort, daß Sie nicht – – also, das genügt mir.«
»Und Sie glauben Armand?«
»Ja!«
»Ich aber sage Ihnen, daß er gelogen hat, Nicu!«
Diese selbstanklägerische Aufrichtigkeit sah der Fürstin ähnlich. Sie mußte immer alles gleich auf die Spitze stellen. Sie spielte mit dem Feuer. Ich begriff im ersten Augenblicke nicht, was sie damit bezweckte. Aber langsam dämmerte es mir.
»So belog er mich eben,« sagte ich ruhig, »es ist ja seine Kavalierspflicht, Sie unter allen Umständen zu decken.«
»Ich denke – Sie beide sind Freunde! Wenn ich recht berichtet bin, so kennen Sie Armand schon seit frühester Jugend, haben mit ihm zusammen in Paris das Gymnasium besucht und später sogar – welch eine Freundschaft! – eine gemeinsame Geliebte gehabt? Unter Freunden pflegt man sich reinen Wein einzuschenken? Ein wissentlich falsch abgegebenes Ehrenwort sollte doch Konsequenzen nach sich ziehen?«
Sie blickte mich lauernd an. Nun verstand ich, worauf sie hinaus wollte.
»Sie glauben wohl, daß ich ihm diese Lüge übelnehme?«
Die Fürstin gab ihre Zustimmung zu erkennen.
»Warum verlangen Sie das?« fragte ich, »er hat doch nur Ihnen zuliebe ... ich würde in seinem Falle bestimmt das gleiche tun!«
»Und in Ihrem Falle?«
»In meinem Falle erst recht, Tatjana!« – Sie ließ eine kleine Pause verstreichen.
»Wie weit ist der Weg bei Ihnen von der Theorie zur Praxis?« fragte sie spöttisch.
»Wie vom Entschluß bis zur Tat!«
»Das dauert wohl bei Ihnen recht lange?«
»Durchaus nicht. Aber warum fragen Sie eigentlich?«
»Weil Sie mich langsam zu interessieren beginnen, Nicu. Ich glaubte, Sie einigermaßen zu kennen. Aber nun gehen mir auf einmal ganz neue Lichter auf. Man wird aus Ihnen nicht klug.«
»Das sollte aber einer Frau wie Ihnen, denke ich, nicht schwer fallen.«
»Sie sind gar nicht überrascht von meinem Geständnis?«
»Gar nicht!«
»So glauben Sie mir also nicht?«
»O doch, Tatjana, ich glaube Ihnen aufs Wort ...«
»Und Armand?«
»Glaube ich auch – unerschütterlich.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich glaube, daß Sie Spionin aus Liebe oder Passion sind.«
»Ist das weniger strafbar?«
»Das weiß ich nicht – aber entschuldbar. Ich verzeihe Ihnen übrigens alles – einer Frau wie Ihnen kann man einfach nichts nachtragen.«
»Sie weichen mir schon wieder aus, Nicu.«
»Im Gegenteil. Ich werde Ihnen bis an das Ende der Welt nachlaufen.«
»Und Sie wissen, daß ich Armand liebe?«
»Warum denn nicht? Er ist ein furchtbar netter Junge. Man muß ihn gern haben.«
»Hat er mit Ihnen auch von seiner beabsichtigten Heirat mit der Komtesse Ilona gesprochen?«
»Natürlich hat er das. Ich redete ihm sogar zu.«
»Es ist das erstemal, daß ich von Ihrer Aufrichtigkeit überzeugt bin, lieber Freund. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es verhindern werde. Es gibt noch einen Skandal! Der erste war noch viel zu geringfügig.«
»Es gibt aber andere, Tatjana, die sich glücklich schätzen würden ...«
»Zum Beispiel?«
»Seine Exzellenz General Danielescu, Professor Voda, Colonel Birescu ...«
»Weshalb nennen Sie mir gerade die ältesten Mummelgreise der Gesellschaft?«
»Weil bei Ihrem Temperament ein junger Mann auf die Dauer ...«
»Nicu – Ihre Keckheit übersteigt alle Grenzen!«
Sie wandte sich ärgerlich zur Seite. Dann meinte sie: »Ich bedauere es fast, mich mit Ihnen in ein Gespräch eingelassen zu haben. Sie sind unverbesserlich.«
»Geben Sie mir doch Gelegenheit, mich zu bessern. Wenn ich mich recht besinne, so dachten Sie mir die Ehre zu, Ihnen einen Dienst zu erweisen?«
Sie sah mich einen Augenblick an.
»Ach ja,« rief sie, »fast hätte ich es vergessen. Wie geht es Ihrem Balaban? Die ganze Stadt spricht von ihm. Ist er wirklich so ein Hüne, wie man sich erzählt?«
»Und gutmütig – gar nicht, wie man sich einen solchen Banditen vorstellt?«
»Das reine Lamm, Fürstin.«
»Was für eine sonderbare Idee, ihn nach Bukarest zu lotsen?«
»Bloß ein Zufall! Ich griff ihn auf und nahm ihn mit, um unseren Bukarestern ein bißchen Gesprächsstoff zu liefern.«
Tete rümpfte die Nase.
»Ein komischer Einfall! Das muß ich schon sagen.«
»Finden Sie?«
»Und was haben Sie mit ihm vor?«
»Nichts Besonderes. Vorläufig wohnt er bei mir. Vielleicht orientiert er sich indessen über die Möglichkeiten zu neuen Überfällen. In Bukarest findet ein intelligenter Räuber eher Gelegenheit ...«
»Sie sind frivol,« entrüstete sich Tatjana, »statt den armen Mann einem geordneten Leben zurückzugeben und alles zu tun, was ihm zu einer ehrlichen, gesicherten Existenz dienlich sein kann ...«
»Wir sind schon auf der Suche nach einer passenden Beschäftigung für ihn.«
»Oh, das interessiert mich,« sagte die Fürstin lebhaft, »haben Sie bereits etwas gefunden?«
»Noch nicht!« gab ich zur Antwort, »es scheint schwierig zu sein, ihn gut unterzubringen.«
»Ich hätte einen Vorschlag, Nicu – vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Was für ein Vorschlag wäre das, Fürstin?«
»Für mein Gut Pelteanu brauche ich einen tüchtigen Menschen, in den ich Vertrauen setzen kann ...«
»Ei – und da wollen Sie ausgerechnet einen ehemaligen Räuberhauptmann dazu nehmen?«
Tatjana hob den Blick von neuem.
»Warum nicht? Man muß solchen Leuten Gelegenheit geben, sich zu bewähren.«
Ich mußte lachen. Der Vorschlag der Fürstin kam mir nicht unerwartet. Die Anziehungskraft, die Balaban auf die Damen der Bukarester Gesellschaft ausübte, konnte ich während der letzten Tage bis zum Überdrusse wahrnehmen. Daß die Fürstin Trubakow nicht dabei fehlen würde, hatte ich vorausgesehen. Sie besaß immer den Ehrgeiz, etwas den anderen vorauszuhaben. Es wäre ein Triumph für sie, könnte sie den übrigen Bewerberinnen um den braven Banditen den Rang ablaufen. Da sie nun einmal ihre Absicht ausgesprochen hatte, bestand für mich kein Zweifel mehr, daß sie sich nicht so leicht wie die anderen abspeisen lassen würde. Tete war sehr zähe, wenn sie etwas erreichen wollte. Nun begriff ich auch die unerwartete Liebenswürdigkeit, mit der sie mich an diesem Abend begrüßt hatte.
»Der Mann hat zwei Morde auf dem Gewissen. Bedenken Sie doch«, sagte ich im warnenden Tone.
Tete zuckte mit den Achseln.
»Das berührt mich nicht. Er soll doch seine Geliebte und ihren Liebhaber, einen Gendarmen, in begreiflicher Wut getötet haben. Ein Totschlag also, der menschlich verständlich ist. Er muß eine sehr leidenschaftliche Seele haben, dieser Balaban. Übrigens hat man ihn ja amnestiert. Wissen Sie vielleicht, aus welchen Gründen?«
»Weil man ihn auf andere Weise nicht zur Ruhe bringen konnte. Elf Monate lang machte er das Land unsicher. Aber man konnte ihm nicht beikommen. Die armen Gendarmen liefen sich die Schuhsohlen nach ihm und seiner Bande ab. Vergebens. Seinetwegen wurden die Königsmanöver in die Gegend verlegt, wo er sein Unwesen trieb, mit der Absicht, ihn durch die Truppenmassen derart zu umkreisen, daß ein Entkommen nicht mehr möglich war. Trotzdem gelang es ihm, die dichte Sperrkette zu durchschlüpfen. Man erschoß im blinden Übereifer drei Unschuldige, aber seiner wurde man nicht habhaft. Das war nur denkbar, wenn ihn die bäuerliche Bevölkerung unterstützte und über alle Truppenbewegungen und Maßnahmen der Polizei auf dem laufenden erhielt. Er hatte ja die Sympathien der breiten Massen auf seiner Seite. Den armen Teufeln tat er bekanntlich nichts zuleide. Im Gegenteil – er beschenkte sie, teilte mit ihnen seine Beute, erschien überall dort, wo die Behörden oder ihre ausübenden Organe sich gewisse Gesetzwidrigkeiten zuschulden kommen ließen, um den Übeltätern einen gehörigen Denkzettel zu verabreichen, vergaß auch die Dorfpopen nicht, denen er von seinem Überfluß oft etwas abgab und die ihn dafür segneten, sobald er ein neues Unternehmen in Angriff nahm.
Als die frühere Regierung stürzte und die jetzige ans Ruder gelangte, versuchte man, sich mit Balaban in Verbindung zu setzen. Kurz vorher war es nämlich dem vereinten Bemühen von Militär und Gendarmerie gelungen, ihn durch Verrat eines Armeniers aus der Dobrudscha, der sich den ausgesetzten Kopfpreis verdienen wollte, bei Babadag festzunehmen.«
»Ist das der Kurort Babadag am Razimsee?«
»Ganz recht. Er schlief allein in einer kleinen Schaluppe, die am Strande verankert lag und von den Soldaten in aller Stille umzingelt wurde. Als er aufwachte, war er bereits gefesselt.«
»Und dennoch ...«
»Hören Sie mich an! Man brachte ihn nach Cernavoda, von da nach Constanza, um ihm dort den Prozeß zu machen. Aber in der Nacht nach seiner Einlieferung glückte es ihm trotz der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, aus dem Gefängnis auszubrechen und das Weite zu suchen.
Ganz Rumänien geriet in einen Taumel der Begeisterung. Von überall her kamen abenteuerlustige junge Leute, manche sogar aus den besten Familien, Landwirts- und Fischersöhne ebenso wie Studenten, um Aufnahme in seine Bande zu erbitten. Balabans Popularität erreichte damals den Höhepunkt. Die neue Regierung sah sich außerstande, die Verfolgung der Banditen von neuem mit Aussicht auf Erfolg aufzunehmen. So ließ sie, beeinflußt durch die herrschende Volksstimmung, Balaban heimlich in Kenntnis setzen, man sei geneigt, ihn zu begnadigen und die weitere Verfolgung einzustellen, wenn er sich verpflichtete, seine Bande aufzulösen und das Räuberleben aufzugeben.
Überraschenderweise ging Balaban sofort auf den Vorschlag ein und forderte nur Zusicherung völliger Straffreiheit für seine sämtlichen Genossen, die ihm auch gewährt wurde. Der König erließ eine Amnestie. Und obwohl die Opposition den Gnadenakt der Regierung scharf kritisierte, konnte diese einen vollen Erfolg buchen. Der Balabanspuk nahm ein jähes Ende.«
»Und seither hat sich Balaban ruhig verhalten?« fragte die Fürstin.
»Ja! Man hörte die ganze Zeit nichts mehr von ihm. Angeblich lebte er am Razimsee. Aber das stimmte nicht. Er hatte in der Nähe von Tulcea eine Schenke erworben, die er allein mit einer alten Magd bewirtschaftete. Ich schreibe mir das Verdienst zu, ihn wieder entdeckt zu haben.«
»Und ich möchte mir das Verdienst zuschreiben, ihm eine gesicherte Existenz für das Alter verschafft zu haben.«
»Für das Alter? Da hat es noch seine Weile, Tatjana. Er dürfte nicht viel mehr als dreißig Jahre zählen.«
»Um so besser,« meinte Tete, »Sie müssen mir den Gefallen tun, Nicu!«
»Wenn aber sein Dämon wieder erwacht?« fragte ich.
»Er wird es so gut bei mir haben, daß er sich nichts Besseres mehr im Leben wünschen kann«, erklärte die Fürstin.
Ich verzichtete darauf, irgendwelche Einwendungen zu erheben, weil im nächsten Augenblick die Prinzessin Pizzicatino an uns herantrat, um die Fürstin zu einer Kartenpartie zu entführen.
»Und du, Nicule,« erkundigte sich die gütige, alte Dame, die sich bereits in Champagnerlaune befand, »rührst du noch immer keine Karte an?«
»Nein, verehrte Prinzessin – Sie wissen, daß ich aus Prinzip nicht spiele. Man offenbart dabei zu sehr seine Leidenschaften ...«
»Von denen du eben unserer lieben Tete wahrscheinlich etwas erzählt hast«, lachte die Pizzicatino.
»Erraten, Prinzessin, aber ich habe kein Glück bei ihr. Seien Sie doch meine Fürsprecherin!«
»Will ich gern besorgen, mein Junge,« sagte schmunzelnd meine hohe Gönnerin und tätschelte meine Wange, »übrigens muß ich dir eine Eröffnung machen. Ich sprach heute vormittag mit dem Metropoliten. Wir wollen eine Gesellschaft zur Bekehrung mohammedanischer Kinder gründen. Eine sehr schöne Idee, eine wahrhaft christliche Idee. Eine heilige Sache. Du wirst selbstverständlich dabei sein. Wir werden dich zum Schriftführer wählen, Nicule, nicht wahr? Hoffentlich wirst du mir Dank wissen, daß ich bei jeder Gelegenheit an dich denke!«
Ich küßte ehrerbietig ihre Hand und war glücklich, weil sie mir zu sagen vergaß, wann die nächste Versammlung dieser neuen Gesellschaft stattfinden sollte. Der Vereinsfimmel der Prinzessin ging mir nachgerade auf die Nerven.
Aber auch Tatjana beunruhigte mich.
Es war mir noch nicht ganz klar, was sie mit ihrer Unterhaltung für Zwecke verfolgt hatte. Warum erzählte sie mir, daß sie doch eine Spionin war? Warum strafte sie Armand Lügen? Überhaupt – welche Absichten hegte sie? Im Salon der Prinzessin, umgeben von der großen Gesellschaft, jeden Augenblick gewärtig, gestört zu werden, war es unmöglich, mit Tatjana ernsthaft über Dupré zu sprechen. Sie schien entschlossen zu sein, auf alle Fälle eine Heirat Armands mit der Komtesse Ezervary zu verhindern. Die Blicke, die aus ihren dunklen Augen schossen, gaben mir zu denken. Dieser Frau war alles zuzutrauen. Sie spielte im gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt eine große Rolle. Aber niemand wußte Genaueres über sie. Auf den ersten Blick wirkte sie leichtsinnig, bereit, jedes Abenteuer zu wagen, manchmal frivol bis zum Exzeß. Aber das war Trug. Es gab eine Grenze bei ihr, die sich nicht überschreiten ließ. Selbst die Lästermäuler mußten zugestehen, daß Tete in vieler Beziehung den Bukarester Damen der großen Gesellschaft ein Vorbild sein könne. Ihr Verhältnis mit Armand war anerkannt. Aber darüber hinaus gab es nichts, was den bösen Zungen begründeten Anlaß bot, sich zu betätigen.
Natürlich munkelte man allerlei, was sich nicht beweisen ließ. Natürlich hatte man sie im Verdacht, politische Fäden zu spinnen. Aber welche von den Frauen ihrer Gesellschaftssphäre tat dies nicht? In allen Salons wurden mehr oder weniger geheim Geschäfte politischer Natur eingeleitet. Die Bukarester Luft schrie geradezu nach Intrigen. Man wußte, daß der Außenminister sich lebhaft um Tete bewarb. Man wußte aber auch, daß er bei ihr kein Glück hatte, daß sie ihn glatt abfallen ließ. Der General Danielescu, trotz der Agrarreform noch immer einer der reichsten Männer unseres Landes, bot ihr Hand, Herz und Vermögen an. Ihre Stellung in der Gesellschaft wäre durch eine Heirat mit ihm stark gefestigt worden. Sie sagte nein. Ebenso bemühte sich Professor Voda vergeblich um sie. Tatjana hielt an Dupré fest, obgleich er ihr die Wandlung seiner Gefühle nicht verbarg.
Man kann nicht in die Menschen hineinsehen. In Tatjana schon gar nicht. Manchmal gibt sie sich rückhaltlos, mit einer Offenheit, die durch ihren Übermut überrascht. Dann wieder erscheint sie geheimnisvoll, unnahbar, fremd, ein anderes Wesen. Welche Interessen sie und Armand Dupré miteinander verbunden hatten und vielleicht noch verbanden, wußte ich nicht, konnte ich auch nicht ergründen. Daß mich ein Abenteuer mit dieser Frau reizte, habe ich nicht verschwiegen. Aber ich hatte kein Glück wie alle anderen.
Und nun dieses Interesse für Balaban! Wahrscheinlich war es nur eine Marotte von ihr – bestimmt sogar. Aber ihr Vorschlag kam mir höchst ungelegen. Ich durfte Balaban nicht aus meiner Nähe lassen.
Wenn es schon nicht anders ging, so mußte ich, falls die Amerikaner kamen, mit Balaban in die Berge ziehen und dort ein paar Überfälle wenigstens fingieren, damit die sensationshungrigen Ladys und Misses aus Übersee ihre im Programm vorgesehene Banditenbegegnung absolvieren könnten. Das war ein letzter Ausweg aus dem Dilemma und vielleicht nicht der schlechteste. Mr. Stoping, der sich schon auf der Überfahrt nach New York befand, hatte mein Wort. Und dieses Wort mußte eingelöst werden.
Andrerseits wollte ich der Fürstin gefällig sein, um sie nicht gegen mich einzunehmen. Da war guter Rat teuer. Und so tat ich, was in diesem Falle wohl das klügste zu sein schien – ich sprach am nächsten Morgen mit Balaban. Lang und breit setzte ich ihm auseinander, daß eine vornehme Dame sich für ihn interessiere und ihn in ihre Dienste nehmen möchte. Er hörte aufmerksam zu, aber dann schüttelte er mißmutig den Kopf. Ich hatte es auch nicht anders erwartet, obgleich ich mir alle Mühe gab, ihm die Vorteile, die eine Stellung bei der Fürstin Tatjana Trubakow mit sich brachte, auseinanderzusetzen.
Ein Mensch, der in seinem kindlichen Unverstand, in seiner abgrundtiefen Weltfremdheit es ablehnte, ein paar Monate lang Räuber in allen Ehren zu spielen und dabei zweihundertfünfzigtausend Dollar, für unsere Verhältnisse eine geradezu märchenhafte Summe, zu verdienen, ein solcher Mensch war für praktische Erwägungen überhaupt nicht zu haben.
Den biederen Mann beglückte das Bewußtsein, in der Metropole zu leben, ungehemmt und frei sich in den Straßen bewegen zu dürfen, seinen Sehnsuchtstraum erfüllt zu sehen. Mehr verlangte er nicht. Nur auf den Nationalfeiertag freute er sich, weil er hoffte, anläßlich der großen Parade den König aus nächster Nähe betrachten zu können. Das war sein einziger Wunsch.
Ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als der Fürstin von der Weigerung Balabans Mitteilung zu machen. Im Grunde genommen war ich herzlich froh darüber.
»Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe, Nicu,« sagte Tatjana, »aber ich will mit dem Mann selbst noch einmal sprechen!«
Und schon saß sie in ihrer eleganten Lila-Limousine und gab dem Chauffeur den Auftrag, uns nach meiner Wohnung zu fahren. Wahrhaftig – ich hatte ihren Eigensinn unterschätzt. Wenn Tete sich einmal etwas in den Kopf setzte, dann ließ sie nicht locker. Der arme Dupré tat mir leid. Aber um Balaban hatte ich keine Sorge. Der würde sich schon zu wehren wissen. Den lockte keine Lebensstellung auf dem Gute von Pelteanu. Der würde nur den wuchtigen Schädel schütteln und um Frieden bitten.
Ich mußte eine schwere Enttäuschung erleben.
Zehn Minuten lang sprach Tete mit Balaban unter vier Augen, während ich im anschließenden Salon siegesgewiß auf das Ergebnis wartete. Als sie herauskam, blitzten mich ihre Augen an. Erst jetzt sah ich, wie schön ihre Augen waren, wie tief und unergründlich. Alles war gespannt und gestrafft an ihr. Das Herz lachte einem im Leibe bei ihrem Anblick. Hinter ihr trat Balaban, ein wenig gebückt, über die Schwelle.
»Domnule Bracu,« sagte er, mühsam nach Worten ringend, »Bukarest ist schön, sehr schön, wunderschön – und ich bin dir dankbar, daß du mich hergebracht hast, aber ich habe mich anders besonnen.«
»Anders?!«
»Ja! Ich ziehe nach Pelteanu – zur Fürstin Tatjana Trubakow!«
Damit ging er mit eingezogenem Kopfe aus dem Zimmer. Wahrscheinlich schämte er sich. Vielleicht bedrückte ihn schon sein Entschluß. Was weiß ich?!
Tatjana strahlte über das ganze Gesicht. Ich war sprachlos.
»Nun – Nicule – was sagen Sie jetzt?«
Ich suchte nach Worten. Denn dieser Bescheid kam mir gänzlich unerwartet, warf alle meine Projekte über den Haufen.
»Wie haben Sie es bloß angestellt, herrliche Tete – ich kann es noch immer nicht fassen?«
»Ganz einfach,« sagte die Fürstin und streckte mir lächelnd die Hand entgegen, »ich wußte ja, daß er einwilligen würde!«
»Sie wußten es? Wieso? Haben Sie ihm eine Ministergage geboten?«
»Nein!«
»Oder ihm schöne Versprechungen gemacht?«
»Nein!«
»Ja zum Teufel – was haben Sie ihm denn dann gesagt?«
»Nichts!«
Sie blieb dicht vor mir stehen. Der Hauch ihres Atems strich an mir vorüber. Donnerwetter, war das Weib schön! Ich hätte nicht mehr fragen sollen. Aber ich fragte dennoch: »Nichts?«
Da sagte sie, indem sie sich gleichzeitig von mir abwandte, ganz gleichgültig und doch mit einem Unterton von Stolz, sie, die einem königlichen Minister hartnäckig jede, auch die geringste Gunstbezeugung versagt hatte, Generäle, Professoren und Bojaren vergebens schmachten ließ:
»Ich habe ihm nur einen Kuß gegeben, Nicu. Das war alles!«