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Siebzehntes Kapitel

Stunden der Hochspannung

 

Ich will die Ungeduld meiner Leser nicht länger auf die Probe stellen. Es klappte alles wie am Schnürchen. Da Mr. Stoping infolge der Hitze vergessen hatte, den ausländischen Pressevertretern Einladungen zugehen zu lassen, verließ er in Ploesti den Waggon und begab sich nach Bukarest zurück, um von dort nach erfolgter Verständigung der Journalisten mit dem nächsten Zuge über Ciulnitza, Fetesti und Ovidiu nach Constantza zu fahren. Hier sollte er weitere Nachrichten abwarten. Ich selbst stieg in Galatz aus. Einen verstohlenen Blick konnte ich noch mit Tatjana austauschen, die am Bahnhof von mehreren Beamten der Sigurantza in Empfang genommen und zu einem Auto geleitet wurde.

Galatz glich einem großen Heerlager. Die Regierung hatte hier eine ganze Armee zusammengezogen. Der schöne Donaukai war voll von Soldaten, die sich zum Abmarsch rüsteten. Es sah recht bedrohlich aus. Beim Anblick der vielen Truppen sank mir ein wenig der Mut. Als ich aber die Morgenzeitungen aufschlug, die über weitere Erfolge Balabans zu berichten wußten, die Zahl seiner offenkundigen Anhänger auf mehrere Tausend schätzten und die Regierung aufforderten, Verhandlungen mit Balaban und der hinter ihm stehenden Opposition anzuknüpfen, um einen blutigen Bürgerkrieg zu verhüten, da wurde ich wieder zuversichtlich. Überall, im Hotel, in den Kaffeehäusern und Hafenkneipen sprach man nur von Balaban. Er war der Mann des Tages. Aber nicht mit Haß und nicht mit Entrüstung sprach man von ihm. Er genoß die Sympathien der gesamten Bevölkerung. Wenn man sich unbeobachtet glaubte, schimpfte man auf Trabianu und gab der Hoffnung Ausdruck, daß endlich bessere Zeiten für das Land kommen möchten.

Das Lokal unserer Galatzer Parteileitung stand unter polizeilicher Kontrolle. Ich vermied es daher wohlweislich, hinzugehen, um nicht die Aufmerksamkeit der Sigurantza auf mich zu lenken. Dagegen trieb ich mich in den engen, winkeligen Gassen der Altstadt herum und horchte die Stimmung aus. Überall pfiffen die Jungen das Lied von »Balaban und seinen neun Getreuen«. Diese Melodie, halb Trutz-, halb Triumphgesang durchzog die ganze Stadt. Wohin ich kam, klang es mir in die Ohren. Es war das Freiheitslied der Bevölkerung. Mit Bewunderung erzählte man sich, wie Balaban die Gendarmerie zum Narren gehalten habe. Zwei Kompagnien bessarabischer Truppen, die ihn verfolgen sollten, wären zu ihm übergegangen. Verschiedene größere Ortschaften hätten von der Gendarmerie geräumt werden müssen. Die halbe Dobrudscha sei in seinem Besitz. Und immer neue Anhänger strömten ihm zu.

Als ich am Abend in mein Hotel zurückkehrte, erwartete mich eine junge Bäuerin. Tatjana hatte sie geschickt. Um nicht aufzufallen, ging ich mit ihr auf die Straße hinaus. An der Ecke stand ein mit Planken gedeckter Leiterwagen. Auf dem Kutschbock saß in einem weiten Mantel, den Kragen über die Ohren geschlagen, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verhüllt, ein Mann. Er winkte mir mit dem Peitschenstiel. Ich verstand und schwang mich auf das Gefährt. Die Bäuerin, die mich benachrichtigt hatte, ging gleichgültig die Straße weiter. Ich fiel auf einen Haufen von Säcken. Als ich mich aufrichten wollte, setzte sich der Wagen bereits in Bewegung. Im rasenden Tempo fuhren wir durch die dunklen Straßen in die Nacht hinein. An der Stadtgrenze hielt uns ein Wachtposten zur Ausweisleistung auf. Eben als er mit der Blendlaterne in den Wagen leuchten wollte, stürzten sich zwei Kerle auf ihn, entrissen ihm das Gewehr, banden ihn, steckten einen Knebel in seinen Mund, ehe er noch einen Laut von sich geben konnte, und warfen ihn zu mir herauf. Dann kletterten sie ebenfalls auf den Wagen, während der Mann auf dem Kutschbock die Pferde von neuem antrieb. Bald rollten wir über die Landstraße.

»He, Kutscher!« rief ich, »wohin führst du mich?«

Da drehte sich der Mann um, streckte den mächtigen Schädel aus der Deckung des Kragens empor und lachte mich stolz an. Selbst in der Finsternis leuchtete sein Gebiß.

»Balaban?!«

Er nickte. »Drei Stunden lang habe ich in der Stadt auf dich gewartet, Domnule Bracu,« sagte er, »es war höchste Zeit, daß du kamst. Es hätte nicht viel gefehlt, und man hätte mich erwischt.«

»Und wo ist die Fürstin?«

»Bei uns im Lager. Es geht ihr gut. Sie freut sich, dich wiederzusehen.«

»Hat sie dir von den Amerikanern erzählt?«

Er lachte hell auf.

»Ja! Jetzt sollen sie mir recht sein! Ich werde den Herren in Bukarest zeigen, daß ich nicht der dumme Bauer bin, für den sie mich halten. Das ganze Land ist bereit, sich gegen die Regierung zu erheben. In der Moldau sammeln sich die Bauern, in Bessarabien, höre ich, sind Unruhen ausgebrochen. Nur noch wenige Tage – dann muß die Entscheidung fallen!«

»Du willst nach Bukarest marschieren?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein,« rief er, »ich will mit den Bukarestern nichts zu schaffen haben. Nun kenne ich sie. Hier ist mein Reich! Hier will ich wirken, sterben oder siegen. Ich habe mich gestern mit Barbu Costiceanu in Verbindung gesetzt. Er fuhr in die Hauptstadt, um den Ministerpräsidenten zum Rücktritt zu bewegen. Wir werden sehen!«

Und von neuem hieb er auf die Pferde ein.

*

Ich weiß nicht, ob es bloß die beneidenswerte Liebe einer Tatjana Trubakow war, die ihn so verklärte, daß ich ihn und sein Wesen kaum wiedererkannte. Vielleicht mußte er nur auf den richtigen Platz gestellt werden, um seine Größe und seine Fähigkeiten zu offenbaren. Nichts mehr von der Demut, Dumpfheit und Unterwürfigkeit des Dobrudschabauern war an ihm. Schlauheit und Zielbewußtsein blitzten ihm aus den Augen.

Wie ein Fürst trat er unter seine Leute. Wie ein Fürst gebot er ihnen. Irgendein Funke hatte sein Inneres entzündet. Und nun strahlte das Feuer aus ihm.

In einer großen Waldlichtung des Babadagsees befand sich sein Hauptquartier. Zweitausend bis auf die Zähne bewaffnete Männer, die meisten in regulären Gendarmerieuniformen, die aus geplünderten Magazinen stammten, leisteten ihm blinde Gefolgschaft. Kleinere Trupps durchstreiften ununterbrochen die weitere Umgebung, um Lebensmittel und Munition heranzuschaffen. Die Landbevölkerung unterstützte sie dabei nach Kräften.

Jetzt unter Balabans Leuten verstand ich erst den Beinamen, den ihm der Volksmund verliehen hatte. Den »König des Donaudeltas« nannten sie ihn. Und wie ein König ritt er hoch zu Roß durch das Lager, durch jubelnden Zuruf von seinen Getreuen begrüßt, von den Fischern und Bauern, die in ihm ihren Abgott erblickten.

Von allen Seiten kam neuer Zuzug. Mit Sensen, Dreschflegeln und alten Türkenpistolen rückten sie heran. Schaudernd erzählte man von den Schandtaten, die von den Gendarmen Valerian Ionescus verübt worden waren. Die Empörung kannte keine Grenzen. Nur mit Mühe konnte Balaban verhindern, daß die gefangenen Gendarmen der Lynchjustiz zum Opfer fielen. »Wir sind keine Banditen,« sagte er, »wenn man uns auch Räuber nennt. Wir wollen nur das Land von der Schreckensherrschaft der Trabianu befreien. Das ist alles!«

Unermüdlich ritt er die Feldwachen ab, denen er einschärfte, jeden Angriff auf die Polizeitruppen zu vermeiden. Er wollte kein Blutvergießen, bevor die Antwort Costiceanus aus Bukarest eintraf.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft im Lager der Aufrührer besetzte Balaban das Städtchen Babadag. Die Gendarmerie hatte am Abend vorher den auch als Seebad bekannten Ort preisgegeben und sich nach Harmagia am Imaicasee zurückgezogen. Hier erfuhren wir durch Überläufer, daß ein Steckbrief gegen die Fürstin Trubakow erlassen worden war. Man hatte bei der Sigurantza wohl erkannt, daß sich diese Frau zu keinem Verrat hergeben würde. Ein ähnlicher Haftbefehl soll gegen mich ergangen sein.

Wohlan – der Kampf konnte beginnen!

Bis spät in die Nacht saßen wir, Balaban, Tatjana und ich, in einem Hotelzimmer von Babadag, um die weiteren Maßnahmen zu beraten. Kundschafter waren in alle Richtungen entsandt worden, deren Berichte wir noch erwarteten. Es hatte den Anschein, als ob die Regierung einen Generalangriff vorbereitete. Es hieß, daß aus Constantza schwere Artillerie im Anmarsch sei.

Plötzlich wurden wir in der Besprechung durch einen wüsten Lärm unterbrochen. Eine Frauenstimme schrie auf. Balaban stürzte an die Tür, um nachzusehen, was es gab. Auf der Schwelle stand mit zorngeröteten Wangen die Prinzessin Pizzicatino.

»Nicule,« rief sie vor Erregung zitternd, »was sagen Sie zu solcher Unverschämtheit? Der Wachtposten will mich nicht zu euch hineinlassen, mich, eure beste Freundin?!«

Balaban hieß den Mann abtreten und bot der Prinzessin galant einen Platz an.

»Wie kommen Sie bloß auf einmal hierher?« fragte ich überrascht.

»Aber teure Freunde! Jetzt, wo es um das Wohl und Wehe des ganzen Landes geht, kann ich euch doch nicht im Stiche lassen. Warum hast du mich nicht von deiner Abreise verständigt, Nicule? Ich mußte erst von anderen erfahren, daß die Sigurantza dich verhaftet und wieder freigelassen hat. Und auch die unerhörte Zumutung, die man an Sie stellen wollte, teuerste Tatjana – ich war ganz außer mir.«

»Wie sind Sie nur durch die Polizeikette hindurchgekommen?« wollte ich wissen. Die gütige alte Dame machte eine abwehrende Geste.

»Niemand wagte es, die Prinzessin Pizzicatino aufzuhalten,« sagte sie stolz, »mein Name ist der beste Passagierschein. Seit acht Uhr morgens sitze ich im Auto. Ich bin wie gerädert. Habe fürchterliche Angst um euch ausgestanden. Und nun will mich dieser Lümmel nicht zu euch lassen. In Bukarest ist alles in heller Aufregung. Heute tritt der Regentschaftsrat zusammen. Die Wahlen sollen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Ihr dürft unter keinen Umständen nachgeben! Auch du, mein goldiger Balaban! Ich habe auf dich immer große Stücke gehalten. Mein herrlicher Koloß! Wie prächtig du aussiehst! Laß dich küssen! Die Prinzessin Pizzicatino küßt nur Auserkorene!«

Schon war sie ihm um den Hals gefallen, um mit tränenerstickter Stimme weiter zu plappern: »Du bist der kommende Mann Rumäniens! Du Herkules der Dobrudscha! Auch Romulus und Remus waren Räuber und haben dennoch später Rom gegründet, das die ganze Welt beherrschen sollte. Denke daran, Balaban! Denke daran, daß ich alte, gebrochene Frau keine Mühsal scheute, um in der Stunde der Gefahr bei dir und meinem lieben Nicule und meiner teuren Tatjana zu weilen. Denke daran, wenn du einmal Minister sein wirst, und versprich mir heute schon, meinen süßen Bibi wieder nach Paris zu schicken! Nicht satt sehen kann ich mich an dir, du herrlicher Junge!«

Und während sie dies alles sagte, hing sie wie eine Klette ununterbrochen an seinem Halse und überschüttete ihn mit Zärtlichkeiten. Gutmütig, wie er im Grunde seines Herzens war, ließ er ihre Liebeserklärungen über sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber schließlich riß ihm die Geduld. Behutsam setzte er sie auf einen Stuhl und trat vorsichtshalber einige Schritte zurück.

Doch die gütige alte Dame war nicht still zu kriegen. Unverdrossen redete sie weiter: »Kinder – hört, was ich euch rate! Revolution ist eine schöne Sache, aber man darf sie nicht auf die Spitze treiben! Vergeßt um Gottes willen nicht, daß die Bolschewiken an unseren Grenzen lauern. Den alten Trabianu müßt ihr zum Teufel jagen, Gott wird es euch tausendfach lohnen und vergelten. Aber sobald dieses Ziel erreicht ist, wollen wir alle wieder gute, brave Menschen sein, nicht wahr? Wir dürfen dem Volke kein böses Beispiel geben! Und ach – noch eines! Wie steht es mit den Amerikanern? Die ›Seara‹ schrieb gestern, daß heute früh viertausend Yankees in Constantza landen werden. Diese Nachricht scheint der Regierung einen mächtigen Schreck eingejagt zu haben. Man möchte nicht, daß gerade jetzt so viele Fremden in unsere verworrenen Verhältnisse Einblick gewinnen. Dabei sind doch unsere Verhältnisse gar nicht so verworren. Nur Trabianu hat sie durch seine intolerante Politik so verwirrt. Das werdet ihr mir doch zugeben?! Oh, wenn meine hohe Freundin, Ihre Majestät die Königin Maria, noch auf dem Throne säße – niemals ...!«

Sie setzte plötzlich ab. Die Tür wurde aufgerissen. Mihai Carraculi, einer der Unterführer und Balabans treuester Kampfgenosse aus der ersten Banditenzeit, trat ein, abgehetzt, keuchend, mit blutunterlaufenen Augen, über und über mit Staub bedeckt, wie er eben vom Pferde gesprungen war.

»Ich bringe schlimme Nachrichten,« sagte er, »habe einen scharfen Ritt hinter mir – bin in Harmagia gewesen, wo Colonel Zanfirescu das Hauptquartier aufgeschlagen hat – die Kerle schossen höllisch hinter mir her ...«

»Was gibt es dort?« unterbrach ihn Balaban.

»Man plant für morgen nacht einen Generalsturm. Zwei neue Bataillone mit Artillerie rücken an. Der Zugang zum Razimsee ist durch Marinetruppen abgesperrt. Im Norden stehen Maschinengewehrabteilungen. Man schließt einen Kreis um uns. Die Lage ist äußerst bedrohlich. Ich halte es für das beste, wenn wir uns ins Gebirge, in das deutsche Kolonistendorf Atmagea zurückziehen und uns dort verschanzen.«

Die beiden Männer wechselten einen Blick. Carraculi verstummte.

»Wir bleiben in Babadag, bis wir Kunde von Costiceanu erhalten,« sagte Balaban nach einer Weile des Überlegens und griff nach dem Mantel, »aber wir wollen noch einmal nach den Wachen sehen! Wenn uns in dieser Nacht ein Angriff bevorsteht, dann kann er nur von der Seeseite kommen. Die Bereitschaft muß erhöht werden!«

Dann stürzte er aus dem Zimmer. Der Prinzessin war der Schreck in die Glieder gefahren.

»Kinder!« jammerte sie, »es wird doch hoffentlich nicht Ernst?! Man darf kein Blut vergießen! Oh, wie ich Trabianu hasse!«

Wir brachten sie in eine angrenzende Stube. Tatjana half ihr beim Entkleiden, sprach ihr tröstend zu, bis die gute alte Prinzessin vor Müdigkeit einschlief.

Etwas später – gegen ein Uhr früh – gingen Tete und ich auf die Suche nach Balaban. Die Straßen des kleinen, anmutigen Städtchens waren einsam und leer. Wir strebten dem Hafen zu, wo wir unseren Freund vermuteten. Ein lauer Nachtwind wehte vom Wasser herüber. Der schwarze Himmel, feierlich düster wie ein Bahrtuch, glänzte voller Sterne. Schweigend, in Gedanken versunken, schritten wir nebeneinander her. Nie hatte ich die Nähe dieser wunderbaren Frau dankbarer und beseligender empfunden als in dieser Stunde. Da hing sie sich plötzlich in meinen Arm ein, drückte mich krampfhaft an sich. Von irgendwoher flammte uns das Licht einer Lampe entgegen. Ich blickte auf und sah sie an. Eine Träne blinkte in ihrem Auge.

»Tatjana?! Sie weinen?«

Sie schüttelte unwillig, fast trotzig den schönen Kopf.

»Ich bange mich um ihn,« flüsterte sie leise, »ich bin ja so hilflos – so wahnsinnig einsam in dieser Angst um ihn ...«

Und auf einmal riß sie mich an ihre Brust, umklammerte mich mit einer Gewalt, die mich schier erdrückte, hielt mir die fiebernden Lippen entgegen. Und ihr Mund sagte in irrer Sehnsucht: »Küssen Sie mich, Nicule! Küssen Sie mich für den, der in diesem Augenblicke Wichtiges zu tun hat, der um sein Leben und um sein Schicksal kämpft, und für den ich zittere und bange, weil es meine Schuld ist, daß alles so kommen mußte ...«

Ich küßte ihr die Träne aus dem Auge, folgsam wie ein Kind, mit jener Inbrunst, die nicht mehr Liebe, sondern Andacht ist.

Und wieder stand ich vor einem Rätsel, das Tatjana hieß ...


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