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XIX

Rapport des Herrn Josef Wappolt, Forstmeisters des Schloßguts Vogelöd

Mein Herr Chef, der Herr Rittmeister von Vogelöd, ließ mir an dem obenbemerkten Oktoberabend sagen, ich möge mich ehestens aus meiner Dienstwohnung hinüber in das Schloß, und zwar in dessen Gästeflügel, verfügen. Ich hatte schon etwas davon läuten hören, daß es dort nicht ganz geheuer war, und zwar durch meine Frau, die gern die Nase in alle Suppenschüsseln steckt. Ich saß gerade mit ihr beim Nachtessen, als die Bestellung kam. Ich hängte meine Büchse um und nahm für alle Fälle meinen besten Spürhund, den Teifi, mit.

Diesen Hund hatte einmal ein englischer Lord mitgebracht und zum Dank dafür, daß er ein paar Gemsen hatte schießen dürfen, die es bei ihm in England nicht gibt, uns zurückgelassen. Dieser Lord hat mir durch die gnädige Frau, die Englisch kann, dolmetschen lassen, es sei ein schottischer Hund, wie ihn dort die Schäfer brauchten. Mittelgroß war der Hund, mit langen Beinen und spitzen Ohren und einem spitzen Fuchskopf. Eine Nase hat er gehabt! So einen Hund find'st nicht wieder. Seinen englischen Namen haben wir nicht aussprechen können. Da haben wir ihn, weil er gar so vif war, den »Teifi« genannt. Außerdem habe ich mir noch zwei Jagdburschen geholt, die Schneid genug gehabt haben, und den deutschen Vorstehhund, die Diana, und den kleinen Schweißteckel den Waldl, und wir sind los.

Im Korridor vom Schloß habe ich meine Kollegen von der Schloßverwaltung getroffen, den Herrn Ökonomiedirektor Stadelhofer und den Herrn Rentamtmann Mitterhuber, die auch zuverlässige Leute mitgehabt haben.

Das Zimmer des hochwürdigen Herrn stand offen. Der Herr Baron Safferstätt hat darin gesessen. Wie sich immer mehr Leute draußen ansammelten, ist er aufgestanden, hat finster vor sich hingebrummt: »Jetzt kommt der Pfaff doch net mehr!«, hat uns kurz gegrüßt und ist gegangen.

In der Ecke hat der Mantel des Herrn Pater Faramund gehangen. Den habe ich auf alle Fälle gleich dem Teifi und den anderen Hunden gewiesen, damit sie eine rechte Witterung kriegen, und hab' den Mantel, obwohl es vielleicht nicht gottesfürchtig war, auf dem Boden ausgebreitet und dem Teifi geheißen: »Da kusch dich!« und der Teifi hat wohl fünf Minuten auf dem Mantel gelegen und so seine Nasen recht voll von dem hochwürdigen Dunstkreis des Herrn Pater gesogen. Der Mantel hat auch einen recht strengen Klostergeruch an sich gehabt. Eine Spur Weihrauch war darin. Sogar ein Mensch hat es gemerkt. Der Herr Rittmeister ist gekommen. Er war sehr aufgeregt. Ich habe ihm zuerst gemeldet, daß der Büchsenspanner, der Anderl G'schwendtner, nach dem er auch geschickt hatte, nicht vorhanden war. Der Anderl hatte vermeint, daß der Herr ihn bei einfallender Nacht nicht mehr brauchen würde, und war in die Berge gestiegen. Das war der Ehrgeiz vom Anderl. Er wollte dort oben dem Herrn Grafen Oetsch zuvorkommen und dem Filzenschuster endlich einmal sein Wildererhandwerk legen.

Auf diesen Bericht von mir hat der Herr Rittmeister nur zerstreut genickt und dann schwer Atem geholt und gesprochen: »Meine Herren! Es ist furchtbar: ein Priester ist in meinem Hause verschwunden! Ich vermute nach Lage der Dinge einen Unglücksfall oder ein Verbrechen! Wir müssen sofort uns auf die Suche begeben!«

»Da ist jede Stunde heilig!« habe ich gesagt und auf die Hunde gesehen. Die waren, seitdem sie die Witterung von dem Mantel hatten, merkwürdig unruhig, der Teifi an der Spitze. Der hat fortwährend, mit dem Kopf nach oben, leise gewinselt, ist durch das Zimmer gelaufen und hat um sich geschaut.

Jetzt, in dem Zimmer selber war nichts. Das war einmal sicher. Der Herr Rittmeister hat gesagt: »Die Nacht ist jetzt ganz hell geworden! Der Mond ist heraus! Suchen wir erst einmal im Park nach etwaigen Spuren!«

Das war nach dem langen Platzregen keine Kleinigkeit, sogar für dem Teifi seinen sechsten Sinn. Aber ein Gutes hat die Nässe doch wieder gehabt: der Boden war so aufgeweicht, daß man jeden Eindruck eines Fußes darin sehen mußte. Denn vor dem Schloßflügel war nicht Gras, sondern zuerst eine breite Kiesfläche. Aber auch im hohen Gras weiterhin hätten die heruntergetretenen Halme gezeigt, wo jemand gegangen war. Wir haben den ganzen Park durchstreift, der nicht groß ist, weil das enge Bergtal nicht viel Platz bietet, und haben rein nichts gefunden. Niemand war tagsüber da irgendwo gewesen, und das war bei dem Sauwetter auch gar nicht anders denkbar.

Wir sind rund um den Weiher herum. Das Schilf an den Ufern war unberührt. Der Teifi hat immer heim wollen. Er hat leise gewinselt, erst nach dem Schloß geguckt und dann mit seinen klugen, glänzenden Augen auf uns und hat sich schließlich wohl gedacht: Die Sach' is gar! Ihr seid's zu dumm! Und hat sich hingelegt, die rote Zunge aus dem Maul hängen lassen und gelangweilt geblinzelt. Der Herr Rittmeister hat geseufzt und eine gute Zeit geschwiegen. Dann hat er gefragt:

»Was is hernach Ihre Meinung, Herr Wappolt?«

Ich habe mich gerad' hingestellt und mit allem Nachdruck geantwortet: »Herr Rittmeister! Wenn etwas hier draußen zu finden wäre, dann hätte es der Teifi finden müssen! Sogar wir hätten die Spur am Boden sehen müssen! Der Herr Pater Faramund hat das Schloß seit heute mittag mit keinem Fuß verlassen!«

Meine Herren Kollegen haben genickt, und die niederen Bediensteten auch, und der Rentamtmann hat feierlich gesagt: »Das ist wahr und gewiß!«

»Dann wäre der Pater Faramund also noch im Schloß?«

»Er muß noch im Schloß sein, Herr Rittmeister!«

Es war, als ob der Teifi das verstanden hätte, so ungeduldig ist er aufgesprungen und in langen Sätzen nach dem Schloß zurück, die Wand entlang gerannt und, hast du nicht gesehen, wieder ohne Besinnen durch das offene Fenster in das Zimmer des hochwürdigen Herrn hinein!

Wie wir auf dem gewöhnlichen Weg nachgekommen sind, ist er schon wieder im Schloß unten aufgeregt herumgelaufen, hat die Nase in alle Ecken gesteckt und leise, aber durchdringend und unaufhörlich gewinselt. Die beiden anderen Viecher hat er damit angesteckt. Die haben's ebenso gemacht. Wir haben dagestanden und die Herren Hunde betrachtet und waren ratlos, weil wir ihnen nicht helfen konnten. Denn sowohl das Zimmer selbst als der Gang draußen, in dem sie sich halblaut in ihrer Sprache unterhielten und Beobachtungen und Befürchtungen miteinander austauschten, boten für menschliche Augen und Nasen nicht das geringste, was auffallend gewesen wäre.

Der Herr Rittmeister faßte einen Entschluß und sagte flüsternd: »Meine Herren! Es ist mir furchtbar peinlich, in die Räume meiner Gäste einzudringen! Aber irgend etwas ist hier, wo wir stehen, oder in der Nähe nicht in Ordnung! Die Hunde geben zu untrügliche Zeichen.«

»Sicherlich!«

»Wir müssen in dem Nebenzimmer des Pater Faramund nachforschen, ob wir da etwas Verdächtiges finden!«

Das Gemach des Pater Faramund war auf der einen Seite durch die Brandmauer des Schloßflügels abgeschlossen. Es besaß nur auf der anderen Seite Nachbarschaft, und zwar das Zimmer des Grafen Oetsch. Das hatte der Herr Graf beim Weggehen ruhig offengelassen. Innen lag, als wir hereintraten, allerhand an Kleidungsstücken und Stiefeln, noch so wie er sich zur Jagd angezogen hatte, wie Kraut und Rüben durcheinander. Er hatte die Flügeltüren des Schrankes nicht zugemacht. Die Schubladen der Kommode standen halb offen. Sogar den Koffer in der Ecke hatte er nicht der Mühe wert gefunden, zuzuklappen. Der Herr Graf war eine leichtlebige und unbekümmerte Natur. Das sah man schon daran, daß im ganzen Zimmer, im strengsten Sinn, kein Gewahrsam war, in das nicht der aufräumende Domestik in seiner Neugier hätte hineingucken können. Von dem Pater Faramund war da unter solchen Umständen natürlich kein Lebenszeichen und keine Spur.

Die Hunde beschnupperten das alles denn auch sehr gleichgültig. Der Teifi drängte wieder hinaus. An die nächsten Gästezimmer mochte er gar nicht erst heran, sondern kehrte um. Es wäre ja auch lächerlich gewesen. Da wohnten Herrschaften wie der Herr Kämmerer von Höllring und der Königliche Landrichter Ritter von Söller, die man im hitzigsten Fieber nicht mit dem Verschwinden des Paters in Verbindung bringen konnte, ganz abgesehen davon, daß sie in der fraglichen Zeit zwischen zwölf und zwei ja, ebenso wie der Herr Baron von Safferstätt oben, mit den anderen Herren auf der Jagd gewesen waren.

Eine Stunde nach der anderen war vergangen. Es war schon sehr spät. Der Teifi spitzte die Ohren, setzte sich vor uns und sah uns aufmunternd und geschäftig an. Seine vierbeinigen Kollegen hinter ihm machten besorgte Gesichter.

»Man sagt, die Hunde können Gespenster sehen!« bemerkte der Ökonomiedirektor Stadelhofer.

Der Rentamtmann zuckte die Achseln. Ich faßte Mut und sprach fest:

»Herr Rittmeister! Hier irgendwo im Schloß, in der Nähe, befindet sich der Pater Faramund! Tot oder lebendig! Ich möchte die Hand dafür ins Feuer legen!«

Es war nun schon, nach dem langen, vergeblichen Suchen, tief in der Nacht. Am die Ecke des Ganges tönten Schritte. Eine lange hagere Gestalt, den Kragen des Lodenmantels hochgeschlagen, die Büchse über dem Rücken, bog um die Säule. Ein Jagdgehilfe hob unwillkürlich, als sie sich näherte, die Laterne und leuchtete dem Fremden ins Gesicht. In dem grellen, gelben Lichtstrahl erkannten wir an dem langen Schnurrbart alle zugleich, daß es der Herr Graf von Oetsch war. Er schaute übellaunig aus. Der Herr Rittmeister musterte ihn schweigend. Gerade in diesem Augenblick schlug die Wanduhr drüben aus der Halle durch die tiefe Stille die dritte Nachtstunde. So lange hatten wir schon nach dem Pater Faramund gefahndet, und die Gäste waren längst alle schlafen gegangen. Endlich frug der Herr Rittmeister:

»Warum kommst denn jetzt schon heim, Johann Preisgott? Ich denk', du willst mir heut' nacht den Filzenschuster fangen?«

Der Herr Graf Oetsch hat mit der Hand durch das Gangfenster auf die helle Nacht draußen hinausgewiesen.

»Der Vollmond is wieder ausgeschlupft, der sakrische!« sagte er und gähnte. »Ich hab' auf eine schwarze Nacht gerechnet! Bei solchem Büchsenlicht läßt sich der Filzenschuster nicht schauen! So leicht läuft einem der Schlankel nicht vors Gewehr! Das ist ganz ein Schlauer!«

Er hat wieder gegähnt, »gut' Nacht, Poldl!« gesagt und ist weitergegangen. Während er stand und sprach, hat sich der Teifi ihm ganz leise von hinten genähert, ihn sorgfältig berochen und dann alles Interesse an ihm verloren und in der Art, wie er wieder auf seinen vier Beinen achtlos von ihm weggetrollt ist, deutlich zu verstehen gegeben: Schau, daß d' weiter kommst! Du hast mit meiner Sach' nix zu tun!

Aber die klugen Hundeaugen haben geglänzt und uns stumm gebeten: Ich glaub', jetzt hab' ich's! Folgt's mir nur getrost! Unsere Herzen haben geklopft. Wir sind, während der Graf Oetsch in sein Zimmer trat, dem Teifi gefolgt. Er hat uns, die Nase auf den Steinstufen, aus der Halle die große Schloßtreppe hinaufgeführt. Ein Stockwerk. Das zweite. Unmittelbar zu den Appartements der bevorzugten Gäste, und hat befriedigt vor der Türe der Freiherrlich von Safferstättschen Herrschaft haltgemacht, und der Herr Rittmeister hat sich mit der flachen Hand vor die Stirne geschlagen und leise, um niemanden zu wecken, gesagt:

»Das hätte ich mir doch selber denken können, ich Esel ich!«

»Was meinen Herr Rittmeister!«

»Der Hund hat uns einfach den Weg geführt, auf dem vorigen Mittag um zwölf der Pater Faramund, von der Baronin Safferstätt kommend, in sein Zimmer zurückgekehrt ist! Das letzte Mal, daß man ihn leibhaftig gesehen hat! Das hilft uns kein Jota weiter!«

Das war leider wahr! Der Teifi hat auch selbst jetzt wieder den Weg zurück nach unten gewollt. Dort war, nach seiner Ansicht, die Lösung des Rätsels. Ich habe mich von dem Herrn Rittmeister, der zu seiner Frau Gemahlin ging, und den anderen Herren verabschiedet und bin noch einmal mit dem Tier hinunter. Da hat es sich in dem hellen Mondenschein, der in dem leeren Zimmer des Paters Faramund lag, wieder genau so ängstlich und warnend verhalten wie vorher. Aber deutsch hat der Hund halt nicht gekonnt – ein Schotte war er zudem noch – und sein unterdrücktes Winseln habe ich nicht verstanden, sondern im Gegenteil befürchten müssen, daß es bei nachtschlafender Zeit dem Herrn Grafen Oetsch nebenan, der gewiß von der Jagd rechtschaffen müde war, und den andern Gästen beschwerlich fallen würde.

So ist mir schließlich nichts anderes übrig geblieben, als mit dem Teifi heimzugehen und zu befolgen, was der Herr Rittmeister angeordnet hat: wir wollten uns am nächsten Morgen, in ein paar Stunden, wieder treffen und schauen, ob die Sonne etwas an den Tag bringt!


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