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XVIII

Neuerliche gewissenhafte Aufzeichnung von mir, Centa von Vogelschrey

Ich habe allein, ohne meinen guten Mann, der drüben nach dem Pater Faramund suchte, mit den Gästen bei Tisch gesessen und mich recht unglücklich und verlassen gefühlt und nur mit Mühe Konversation gemacht. Da und dort waren an der Tafel Stühle leer. Der Gaudenz Safferstätt hat sich entschuldigen lassen, er hätte Geschäfte. Die Mette, seine Frau, ist wegen Kopfschmerzen auf ihrem Zimmer geblieben. Der Oetsch war auf der Jagd.

Die leeren Plätze haben unheimlich gegähnt. Das war anders, als wenn sonst ein paar Leute fehlen. Das waren gerade die drei, um die sich heimlich alle Gedanken gedreht haben. Ausgesprochen hat die Gedanken keiner. Dazu waren die Herren zu wohlerzogen, um über Abwesende zu reden. Sie haben sich über die Jagd und das Wetter und die Wilddiebe unterhalten. Aber es war gezwungen. Jeder hat es gefühlt. Es war, als säßen Gespenster auf den leeren Stühlen zwischen uns.

Der Haushofmeister war auch nicht da, um die Bedienung zu überwachen, und die Laquaien haben sich ohne ihn recht bäurisch angestellt und meine Zeichen nicht bemerkt. Ich war steinunglücklich.

Da endlich kommt der Rubesoier. Aber nur, um sich von hinten über meinen Stuhl zu beugen und zu flüstern, der gnädige Herr müsse mich unbedingt sofort sprechen. Auch das noch! Wirklich nett: Die Gäste ohne Hausherrn und Hausfrau bei Tisch und die Bedienung halb verwildert! Also so geht's jetzt her in Vogelöd! werden die denken, wenn sie weg sind. Aber da war nichts zu machen. Ich hab' die Herren um Verzeihung gebeten, daß ich auch noch unter dem Essen weglauf', und bin hinaus zum Poldl.

Der hat mir in Eile alles von drüben erzählt und geschlossen: »Wir gehen jetzt beide hinauf zur Mette! Sie muß uns die Wahrheit sagen!«

Die Mette Safferstätt ist uns in der Türe entgegengekommen, die aschblonde Haarkrone unordentlich und zerdrückt vom Liegen auf dem Sofa, die Lippen in dem feinen, zarten Gesicht blaß und vor Unruhe und Angst halb offen, und hat gleich gefragt: »Gott sei gelobt, daß ihr kommt! Ja – was ist denn das: der Pater Faramund wär' mit einemmal verschwunden?«

»'s ist schon wahr, Mette!«

»... und ich sitz' hier und wart' auf ihn – um acht Uhr wollt' er kommen – und bete einen Rosenkranz hinter dem anderen ...«

Das klang so ungeheuchelt und so rein in Unschuld, und der Ton ihrer Stimme war so mädchenhaft, daß mein Mann und ich uns stumm angeschaut haben und gar nicht mehr gewußt haben, was wir denken sollen. Mette aber ist in ihrem weichen, weißen, fließenden Hauskleid immer über den Teppich im Zimmer auf und ab geschritten und hat die Hände gerungen und verzweifelt zum Himmel geblickt und in einem fort gebarmt: »Ja – wo ist er denn hin? Wo ist er denn hin? Ich brauch' ihn doch! Er weiß es! Warum kommt er nicht? Warum läßt er mich im Stich?«

So konnte sich gar kein Mensch verstellen. Zum Weinen kann sich der abgebrühteste Komödiant nicht zwingen, und ihr sind die dicken Angsttränen über die bleichen Wangen gelaufen, und sie wurde nicht müde, zu wiederholen: »Das darf der Pater Faramund gar nicht! Das geht gegen seine geistliche Pflicht – mitten in der Beichte! ... Ohne Schluß und ohne Absolution. Es geht doch um meine lebendige Seele! Die hab' ich ihm doch in Gott anvertraut! Christi Blut ist mein Unterpfand! ...«

»Mette ...«

»Der Pater Faramund hat meine sündige Seele in der Hand! Die Seele hat er mit sich genommen! Die muß er mir zurückgeben, sauber und heil! ... Ich bin ja jetzt ganz leer innewendig, wie eine Tote!«

»Mette ... hör' zu ...«

»Der Pater Faramund muß wiederkommen! Ich muß ihn haben! Der kann doch nicht mit meinem Beichtgeheimnis in die Welt hinaus, und ich sitz' da unter Gottes Zorn!«

»Mette!« habe ich zum drittenmal gesagt. »Du weißt, du hast keine Leute auf der Welt, die dich lieber haben als der Poldl und ich!«

Sie hat genickt und lauter geweint und mit tränenüberströmtem Gesicht unsere Hände ergriffen.

»Ja. Ihr seid gut! Helft's mir – gelt? Bringt mir den Pater Faramund! Ich bin ganz außer mir!«

»Mette ... hast du Vertrauen zu uns?«

»Mehr als zu mir selber!« spricht sie aufrichtig wie ein Kind, und ihre schönen, tiefblauen Augen haben in Wasser geschwommen, und sie hat am ganzen Leib gezittert wie ein Blatt an einer wilden Pappel.

»Dann mußt du uns aber auch dein Vertrauen zeigen, Mette!«

Sie hat mich geküßt und ihren Arm um mich geschlungen und sich zart an mich geschmiegt und andächtig zu mir aufgeschaut – ein bißchen größer wie sie bin ich schon – und gehorsam gefragt: »Was soll ich tun, Katzel?«

»Mette! Hier vor meinem Mann: Gib Gott und der Wahrheit die Ehre ...«

»Das tu' ich immer, Centa!«

»Dann tu es jetzt besonders! Willst du mir schwören, mir die reine Wahrheit auf das zu sagen, was ich dich fragen will ...«

»Wenn ich kann – heilig und gewiß!«

»Du kannst es leicht! Aber die volle Wahrheit – gerad' wie sie ist – ohne Hinterhalt ...«

»Ja – Katzel – ja!«

»... und wir dürfen dir unbedingt glauben?«

Die Mette Safferstätt hat auf dem Tischchen neben der Chaiselongue ein kleines, elfenbeinernes Kruzifix liegen gehabt. Das habe ich gekannt. Das war ein uraltes Familienerbstück, und sie hat es seit unserer Schulzeit bei den Englischen Fräulein überall mit sich geführt. Auf den Korpus Christi hat sie die linke Hand gelegt und zwei Finger der rechten zum Schwur gehoben und ruhig gesagt: »Du hörst von mir die Wahrheit! So wahr mir Gott helfe und die Jungfrau Maria!« »Mette: wer ist der Mann, der sich für den Pater Faramund ausgibt, in Wirklichkeit?«

Niemals in meinem Leben habe ich ein so erstauntes Menschenantlitz gesehen. Die Mette hat Zeit gebraucht, um sich meine Frage überhaupt klar zu machen, und sie auch dann noch nicht begriffen.

»Es ist der, für den er sich ausgibt!« sagt sie mit großen Augen. »Eben der Pater Faramund!«

»Aber doch nicht er selber?«

»Ja – wer denn sonst? ... Katzel ... sei mir nicht bös'. Aber ich weiß gar nicht, was ihr wollt!«

»Du glaubst, daß er es ist?«

»Ihr seid aber merkwürdig ...«, spricht sie langsam und schüttelt immer noch verständnislos den Kopf. »Daran kann doch gar kein Zweifel sein! Da gibt es doch gar keine andere Möglichkeit ...«

»... außer, daß jemand unter seinem Namen auch dich betrügt, wie uns alle!«

»Das wird es sein!« bekräftigte mein Mann. Aber sehr sicher klang es nicht.

Die Mette kam allmählich aus ihrer Fassungslosigkeit zu sich. »Wie seid ihr denn nur darauf gekommen?« sagte sie. »Ihr erschreckt einen ja ohne Not. Und euch selber dazu! Ihr seht ja ganz verstört aus ...«

»Kein Wunder!« sagt der Poldl schon mit schwankender Stimme. »Wenn einem der liebe Gott solch einen rätselhaften Menschen ins Haus schickt!«

»Der liebe Gott hat euch einen frommen Mönch vom Orden der Golgathianer ins Haus geschickt!« spricht die Mette sanft und traurig. »Vielleicht habt ihr ihn verkannt! Mein Mann haßt ihn ja auch, weil ich ihm kindlich mein Herz ausschütte ...«

»Ja, Mette – hassen tut ihn der Gaudenz schon!«

»Vielleicht habt ihr ihn beleidigt und vertrieben, statt dankbar zu sein, daß der gottselige Mann da ist!«

»Niemand hat ihm ein Haar gekrümmt!«

»Warum kommt er dann nicht zu mir?« schreit sie angstvoll auf. Mein Mann sagte: »Mette: wir glauben's dir ja, daß du glaubst, daß er's ist! Aber hast du denn irgendeinen Beweis, daß er's ist?«

Die Mette Safferstätt lief zu einem kleinen ledernen Reisekästchen und schloß es auf. Innen lag ihr Schmuck. Mit einem Fingerdruck öffnete sie einen geheimen zweiten Boden und holte einen Packen Schriftstücke heraus.

»Da sind seine Briefe!« sagte sie einfach. »Ich habe doch schon seit Monaten mit ihm in Briefwechsel gestanden, um das Zusammentreffen hier vorzubereiten, wenn er nach Deutschland käme. Da – der erste ist aus Siena. Der zweite und dritte aus Rom. Sie stecken noch in ihren Umschlägen ...«

Und auf den Außenseiten, die als Umschläge dienten, waren die gestempelten Postdrucke. Ich überzeugte mich. Der Poldl auch.

»Da ist sein vierter Brief – vor ungefähr vierzehn Tagen – schon aus dem Kloster Maria Stern, von wo er jetzt gekommen ist – mit dem Inhalt, er wolle mich hier zur verabredeten Zeit aufsuchen, wie er es ja auch pünktlich getan hat! Da seht selbst!«

Es war eine gleichmäßige, klare Handschrift mit lateinischen Buchstaben, wie sie sich deutsche Priester, die viele Jahre in Rom verbringen, leicht angewöhnen. Danach schien alles sonnenklar. Aber ich meinte:

»Mette: es könnte doch auch jemand anderes diese Briefe geschrieben haben!«

Jetzt schaute mich die Mette schon beinahe mitleidig, mit gefalteten Händen an, ob ich denn wirklich so dumm sei. »Ich habe ihm doch immer auf die Briefe geantwortet!« versetzte sie. »An seinen Aufenthaltsort in den drei Klöstern in Siena und Rom und Maria Stern. Dort kann doch nicht überall ein immer verschiedener Dritter gewesen sein, der meine Briefe etwa unter dem Namen des Paters Faramund in Empfang genommen hat. Denn seine Ordensbrüder werden doch wahrhaftig den Pater Faramund kennen!«

»Nein. Das ist unmöglich!« sagte mein Poldl.

»Also sind meine Briefe in die Hände des Paters Faramund gekommen, und seine Briefe sind immer die Antwort darauf, von ihm selbst, die er auch noch ganz genau im Kopf hatte, als wir uns jetzt sprachen, bis zum letzten aus Maria Stern, auf dem Weg, wohin ihn der Graf Meerwarth ja noch vor kurzem in München persönlich gesehen und gesprochen hat!«

Mein Mann war tief bewegt. »Die Briefe sprechen Bände!« sagte er. »Der Pater Faramund hat deine Briefe unbedingt erhalten. Also hat er sie auch unbedingt beantwortet. Also ist er es auch selbst, der hierher kam!«

»Da ist leibhaftigen Gottes kein Zweifel mehr!« versetzte auch ich, und der Poldl meint:

»... und wir haben den wirklichen Pater Faramund im Haus!«

»Wir hatten ihn!« rufe ich entsetzt. »Wo ist er?«

Und die Mette, die Arme ausbreitend, in leidenschaftlicher Angst und Sehnsucht, mit irren Augen, ihn durch die Wände und Nacht durch suchend:

»Wo ist er? Was habt ihr mit ihm gemacht?«

»Wenn es der Pater Faramund selber ist,« sagt mein Mann mit bebender Stimme, »dann ist es undenkbar, daß sich solch ein hochwürdiger und hochgeborener Herr ohne jede Rücksicht auf Brauch und Sitte plötzlich heimlich ohne Abschied und Entschuldigung entfernt ...«

»Er hat sich ja noch das Nachtessen bestellt!« rufe ich dazwischen.

»... und vor allem ist es ganz unmöglich, daß er die Mette da mitten in ihrer Beichte sitzen läßt.«

Die Mette Safferstätt richtet ihre zarte Gestalt jäh auf und spricht in einer unheimlichen, starren Ruhe das aus, was uns auch schon aus den Lippen lag:

»Nein. Er ist nicht von selber weg! Sie haben ihm bei euch ein Leids angetan!«

»Mette!«

»Wahrscheinlich heute mittag schon, wie er von mir wegging und ihr alle auf der Jagd wart und das ganze Haus leer war!«

»... und der Salvermoser verträumt in seinem Zimmer gehockt hat und Kohle und Papier verschmiert, statt aufzupassen!« stöhnt der arme Poldl.

»Da ist's geschehen!« sagt die Mette heiser und hart.

»Von wem?«

Sie zuckte die Achsel, als ob sie's wüßte, aber nicht sagen wollte, weil es sich bei einigem Nachdenken jeder ja doch selbst sagen muß.

Es ist ja auch niemand im Hause gewesen als nebenan der Oetsch! Die Domestiken kamen nicht in Frage. Der Salvermoser-Franzl schon gar nicht. Mir ist ein eisiger Schauer über den Rücken gelaufen. Ich hab' gestammelt: »Mette – wie könnte sich denn einer an einem geweihten Priester vergreifen?«

Mein Mann macht ein Gesicht, das heißt: »Gott, der Oetsch! Bei seinem krankhaften Haß gegen alles, was Tonsur trägt!« Die Mette spricht, den Blick ganz in der Ferne: »Gerade am Priester!«

»Weswegen?«

Da schreit sie auf: »...weil er mein Beichtgeheimnis mit sich getragen hat und sie nicht gewollt haben, daß noch ein anderer Mensch das Geheimnis weiß, und wenn es ein Priester ist!... Deswegen haben sie heute mittag den Pater Faramund ermordet!«

Wir waren lange still.

Dann hat mein Mann gesagt: »Der Verdacht des Mords liegt vor! Die Nacht draußen wird heller. Der Mond kommt heraus. Ich lasse jetzt gleich das ganze Schloß und die ganze Umgebung durchsuchen!«


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