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III

Ergänzung des vorstehenden Berichts durch mich, den Schloßherrn, Rittmeister Leopold Salvator von Vogelschrey auf Vogelöd

Kaum hat mein lieber Freund, der Kunstmaler Franz Salvermoser aus München, so, wie er eben geschildert, voll natürlicher Delikatesse das Zimmer verlassen gehabt, da bin ich in meiner Unruhe und Aufregung, und weil keine Minute Zeit mehr zu verlieren war, dicht vor den Johann Preisgott Oetsch hingetreten. Von dem Schwarzen mit seinen sechzehn Enden hab' ich nicht erst angefangen. Das wollt' ich mir auf zu guter Letzt versparen, wenn ich ihn schon so weit herumgekriegt hätte, daß er einsah, er müßte fort, und ihm dann eine goldene Brücke bauen. Jetzt bin ich mit den ersten Worten gleich aufs Ganze gegangen. Ich weiß selbst nicht wie. Mir war, als hätte ein anderer Mensch, in meiner Angst, aus mir geredet, und ich deute auf die Wand hin:

»Schau das Bild von deinem Bruder an!«

Und er guckt auch hin und nickt ganz ruhig.

»Schad' is halt schon um den Peter-Paul!« sagt er. Und ich noch einmal: »Schau das Bild an!«

Darauf der Oetsch gleichmütig die Achseln zuckend:

»Ich kann heute nicht mehr daran sehen wie jeden Tag!«

»Johann Preisgott ...« Es hat mir in der Seele gewürgt. »Johann Preisgott ... wodurch dein Bruder Peter-Paul so jäh abberufen worden ist, und wessen Hand sich das Schicksal bedient hat, das kennt unser Herr und Seligmacher Jesus Christus allein, dessen kostbares Blut und bitteres Leiden uns alle erlöst hat ...«

Der Oetsch gähnte. »Weißt: I glaub' an nix!« sagte er dann. Meine Frau, die Katzel, hat in der Ecke die Hände zusammengefaltet und geschauert und halblaut ein » 0mnes sancti« gebetet.

»... und zu seiner Zeit wird Gott schon den Schuldigen richten!«

»Eben! Da könnt' er fei' gleich zeigen, daß er auf der Welt ist!« meint der Johann Preisgott trotzig.

»Die Menschen sollen nicht richten, wo sie nicht beweisen können ...«

»Sag's ihnen nur!«

»... aber mit einem Menschen muß man Nachsicht haben, Johann Preisgott, und das ist die Mette, die Witwe vom Peter-Paul, die ihn so sehr geliebt hat und an seiner Seite so unendlich glücklich gewesen ist!«

»Ja. Ich kann ihr nicht helfen. Mich hat sie nie leiden mögen!«

»Das weiß ich. Gerade darum: Setze dich einmal in ihre Lage! Denke, wie in ihrem Kopf – ich sag' ausdrücklich: in ihrem Kopf, dem einer trostlosen, aus allen Himmeln gestürzten, jählings ihres Gatten beraubten, verarmten, von ihrem Schloß vertriebenen Frau, sich die Vorgänge von damals gruppieren müssen. Gewiß ungerechterweise! Ich spreche jetzt nur vom Schein! Johann Preisgott ... Du hast doch ewig Schulden gehabt ...«

»Ja – wovon hätt' ich denn sonst meine weiten Reisen zahlen sollen! Ich kann nix dafür, daß ich der jüngere Bruder war!«

»In irgendeinem festen Beruf, um dir eine sichere Lebensstellung zu schaffen, hast du's nie ausgehalten!«

Der Oetsch sah mich bloß mitleidig an, von oben her, lang, hager, die Hände in den Taschen, der rechte Flibustier. »Es gibt doch bloß ein einziges Verbrechen auf der Welt«, sagt er. »Das heißt arbeiten! Das ist die wahre Todsünde! Selber arbeiten, mein' ich! Dazu sind die andern da! Die Dummen! Ihr seid's alle dumm. Ich und die andern Räuber draußen, die Beduinen und die Rifkabylen – was haben wir uns oft bucklig über euch gelacht!«

»Hauptsächlich hast du doch vom Spiel gelebt, Johann Preisgott!«

»Vom falschen Spiel!« ergänzt der Oetsch und setzt sich und hat plötzlich den listigen Ausdruck von einem Reineke Fuchs in den zwinkernden Augen.

»Mach' dich nicht schlechter, als du bist!«

»Mein Lieber: ich bin schlecht!« spricht er ganz behaglich und streckt die langen Beine aus.

»Wenn du falsch gespielt hättest, hättest du nicht so viel verloren! Schließlich stand dir das Wasser an der Kehle ...«

»Oft!« meinte er träumerisch und wohlgefällig, als hätt' ich ihm eine Schmeichelei gesagt, und wiederholt: ... »oft ... oft ... oft ...«

»Da hast du den Peter-Paul bestürmt, daß er dir den Diebsturm in der Parkmauer von Pfaffenrod eingeräumt hat. Du hast dir dort in den ehemaligen geheimen Illuminaten-Zimmern aus dem achtzehnten Jahrhundert ein schwarzes Kabinett eingerichtet und hast versucht, Gold zu machen!«

»Das Rezept dazu kenn' ich seit fünfhundert Jahren!« nickte der Oetsch. Sein Gesicht war dabei tiefernst. In sich versunken. Viel älter als sonst.

»Dann mußt du in der langen Zeit einen Teil von dem Kunststück vergessen haben! Denn was ist dabei herausgekommen: Ein Katzendreck!«

Der Johann Preisgott sprang auf und ging unruhig durch das Zimmer. »Ja, wenn Mars und Venus in Opposition stehen ...,« murmelte er vor sich hin. »Dann ist die Welt überhaupt krank, Polderl! Dann gibt's auch kein Gold!«

»Gold gekostet hat es nur deinen Bruder Peter-Paul. Große Summen hat er dir gutwillig gegeben, obwohl er mir oft gesagt hat, daß er dich für einen Narren hielt! Er war halt so arg gut. Aber schließlich war es ihm zuviel, und er hat den Beutel zugemacht!«

»Gerad', wie ich dicht daran war!« schrie der Oetsch mit funkelnden Blicken. Man konnte sich vor ihm fürchten, so wild und leidenschaftlich verbissen waren seine Mienen. So fanatisch gierig mögen die Cortez und Pizarro in der Neuen Welt hinter dem Gold hergewesen sein. Er fuhr erbittert fort: »Ein paar Tage nur noch hätt' ich dabei bleiben müssen ...«

»Und wie der Peter-Paul dir das abgeschlagen hat, hast du an einem Abend einen furchtbaren Auftritt mit ihm gehabt. Du hast um jeden Preis von ihm Geld haben wollen ...«

»... und er hat gemeint, er braucht's für seine faden Armenküchen und ist's seinen langweiligen Witwen und Waisen schuldig, und er muß seine armen Brüder und Schwestern kleiden und behausen!« Der Oetsch lachte höhnisch. »Jesses ... Wenn's darauf in der Welt ankäm'! Ich hab' ihm zugesagt: ›Du bist ein Fastenmönch, ein spinneter ... Dafür haben uns unsere Vorfahren das Fideikommiß nicht hinterlassen, sondern für weltmännische Art. Wenn du einen Säulenheiligen machen willst, dann verzichte auf Pfaffenrod und fress' in Afrika Heuschrecken und gürt' dich in Kamelhaar, wenn's dich nicht zu sehr kitzelt, und laß mir das Fideikommiß! Ich mach' schon einen anständigeren Gebrauch davon als du!'«

»Daraufhin hat er dem Diener geklingelt und ihm bedeutet, dir die Türe zu öffnen.«

»Das vergess' ich ihm nie!« sagte der Oetsch auf einmal unheimlich ruhig.

»Am selben späten Abend hast du ihm noch aus deinem Alchimistenloch im Diebsturm einen Brief geschrieben: Er müsse dir helfen! Sonst sei es mit dir gar! Du wüßtest dir keinen Rat mehr vor deinen Gläubigern, und das Gold sei schon beinahe aus der Retorte in dem Schmelztiegel! Und was ein Esel wie der Cagliostro gekonnt hätte, das könntest du noch im kleinen Finger! Und ehe du jetzt in der letzten Sekunde aufhören und am nächsten Morgen aus Pfaffenrod abreisen solltest, eher gäb' es ein Unglück! Den Brief von dir hat die Witwe noch nachher im Schreibtisch vom Peter-Paul gefunden!«

»Das hab ich auch niemals in Abrede gestellt, daß ich den Brief geschrieben hab'!« sagte Oetsch. Er wurde langsam bleich.

»Unten an den Brief hat der Peter-Paul, offenbar noch tief in der Nacht, geschrieben: »Ich war zu hart mit meinem Bruder. Ich habe lange gebetet. Ich bereue. Ich will morgen in aller Frühe zu ihm gehen und mich mit ihm aussöhnen. Er muß von hier abreisen und seine schwarzen Künste lassen. Die Bauern in der Umgegend sind schon abergläubisch und murmeln, im Diebsturm säße der Gottseibeiuns. Schon, daß er den hochwürdigen Herrn Pfarrer niemals grüßt und ihm und allen Weltpriestern in den Dörfern und den terminierenden Kapuziner-Patres nach seiner Art unverbrüchlich in weitem Bogen aus dem Weg geht, macht ihn bei unserm guten, einfachen Landvolk zu einer gespenstischen Erscheinung. Aber er ist mein Bruder. Gott hat ihm die Prüfung eines wilden, unstet flackernden Irrlichts von Charakter auferlegt. Um so treuer muß ich ihm die Hand reichen. Ich will die seine festhalten und ihm sagen, daß ich seine Schulden ordnen und ihm dann behilflich sein werde, durch eine sichere Anstellung als Staatsdiener in einer ruhigen kleineren Amtsstadt und dann vielleicht durch das reinste, menschliche Glück, das der Ehe, das mir selbst durch Gottes Gnade in so überreichem Maß beschieden ist, allmählich Ruhe vor seinem eigenen heißen und wilden Blut zu finden und ein froher, seinem Schöpfer dankbarer, im Herzen einfältiger Mensch zu werden, wie wir armen Sünder es alle sein sollen. Ich will in Liebe und Güte zu ihm reden und nicht wieder zornig und ungeduldig werden, was er auch sagt! Die Morgensonne soll auf zwei versöhnte Brüder scheinen. Das walte Gott! ...‹ Ich hab' mir die Worte damals aus dem Brief abgeschrieben, Johann Preisgott! Da halt' ich sie in der Hand! Was sagst du dazu?«

»... daß das ein Schmarren ist, was mir der Peter-Paul da drin hat bieten wollen!« sprach der Oetsch verächtlich.

»In aller Herrgottsfrühe, wie noch alles schlief, muß der Peter-Paul durch den einsamen Park zu dir nach dem Diebsturm gegangen sein. Zum Frühstück kam er nicht zurück. Man hat angefangen, ihn zu suchen. Da lag er dicht vor dem Diebsturm mitten auf dem Weg tot, neben dem undurchdringlichen Gebüsch an der Parkmauer, einen Schuß von dieser Seite her durch den Kopf, eine alte abgeschossene Reiterpistole, die man sonst niemals bei ihm gesehen hatte, an seiner Seite ...«

»Das weiß ich doch eh' alles!« sagte der Oetsch verdrießlich. »Warum kaust du's denn nach drei Jahren noch 'mal her?«

»Du warst zu gleicher Zeit plötzlich verschwunden, Johann Preisgott! Ein paar Stunden vorher, ehe es Tag wurde, hat man doch in deinen Fenstern im Diebsturm Licht gesehen. Erst nach Wochen hat man dich in einer Almhütte weit weg im Allgäu hoch oben in den einsamsten Bergen bei einem Sennen gefunden, wo du wie ein Bauernknecht gelebt hast ...« »Das ist das Schlimmste noch nicht! Mir war's nur um den großen Stier zu tun! Ich war der einzige, der mit dem Mordsvieh fertig geworden ist. Das war eine Gaude. Jeden Tag hat's einen neuen Tanz gegeben!«

»Und warum du gerade unmittelbar vor oder nach dem Mord – denn ein Mord war es doch sicher, Johann Preisgott! – den Turm verlassen hast ...«

»... weil ich nicht erst hab' abwarten wollen, daß mein Herr Bruder mich am nächsten Morgen als Streuner abschiebt! Da hab' ich mein Lodengewand angezogen und mein Hütel mit dem Gemsbart aufgesetzt und bin, weil ich kein Geld mehr gehabt hab', zu Fuß übers Land und hab' bei dem schönen Wetter in den Heustadeln genächtigt und pfei'gerad auf die fernen Berge zu marschiert und in die hinauf und als irgendein Seppl auf die Alm. Ich trag' viele Röcke, mein Lieber!«

»Das weiß ich!«

Der Johann Preisgott Oetsch stand vor mir und schaute, wie ich dasaß und mir die Stirn trocknete, aus seinen unergründlichen, graublauen Augen scharf und spöttisch auf mich herunter.

»Willst du g'scheiter sein wie der Richter, Leopold Salvator?« frug er. »Du – das war ganz ein scharfer! Mit dem kommst du nicht mit! Aber geholfen hat's ihm nichts. Er hat die Untersuchung gegen mich eingestellt, und du mußt es auch tun!«

»Es handelt sich nicht um mich!« rief ich und sprang auf. »Es handelt sich um die Witwe! Um die Mette! Ich hab' dir die Vorgänge von damals so dargestellt, wie sie sich in ihren Augen spiegeln müssen! Und in ihren Augen mußt du ja beinahe ... setz' dich einmal in ihre Lage ... sei gegen sie gerecht ... Bedenke, daß sie immer gegen dich eingenommen war und ihren Mann vor dir gewarnt hat – bedenke, daß alles, so wie es nun einmal geschah, gegen dich spricht – gegen dich sprechen muß, bis nicht die Engel vom Himmel herabsteigen und ihr deine Unschuld verkünden! Und dann mache dir klar, was du der unglücklichen Frau antust, wenn sie in den nächsten Minuten nichtsahnend hier hineintritt und unversehens dich vor sich stehen sieht! Dich ... den sie haßt ... verabscheut ... wie sonst keinen Menschen auf der Erde ...«

»Das tut sie!« sprach der Oetsch nachdenklich.

»Man weiß ja gar nicht, was geschehen wird – wozu sie sich hinreißen lassen wird – was sie dir ins Gesicht schreien wird – im ersten Schrecken! Und vor allen Gästen und Dienern! Ich kann meine Gäste nicht auf ihre Zimmer schicken und um neun Uhr abends schlafen gehen heißen, weil neuer Besuch kommt! Sie sitzen wie jeden Abend in der Waffenhalle, und durch die Halle ist der Eingang vom Portal außen, an dem die Mette vorfährt. Beim Eintreten erblickt sie dich ...«

»Lang genug bin ich dazu!« sagte der Oetsch.

»Willst du ihr denn das nicht ersparen? Dir selbst, Johann Preisgott? Mir, dem Hausherrn, und dem armen Katzel, und schließlich uns allen? Sie wissen's ja schon alle! Sogar der Salvermoser, der gute Kerl, der doch gar nicht aus unseren Kreisen ist, hat schon was gespannt! Die Luft ist mit Elektrizität geladen! Es gibt Donner und Blitz!«

»Als zu!«

»Johann Preisgott: jetzt rollt der Wagen auf der Straße schon ganz nahe auf das Schloß her! Du mußt dich rasch entscheiden! Ich bitte dich! Die Centa bittet dich recht schön ...« »Nein!« sagte der Oetsch.

»Johann Preisgott ... Ich hab' kein Mittel, dich zu zwingen. Du bist nun einmal mein Gast. Die Gastfreundschaft ist mir heilig!«

»Ich tät' dich auch auf der Stelle fordern und morgen über den Haufen schießen, wenn du mich aus deinem Schloß jagen wolltest!« sagte der Oetsch. »Das hab' ich mir von meinem leiblichen Bruder, dem Peter-Paul, gefallen lassen müssen, aber sonst von keinem Menschen!«

Wir waren still. In den Augen der Centa stand die schreckensvolle Überzeugung: Den Peter-Paul hast du ja auch über den Haufen geschossen! Ich habe oft beobachtet, daß der Oetsch die merkwürdige Gabe hatte, Gedanken bei andern zu erraten. So ging er, obwohl die Katzel kein Sterbenswort gesprochen hatte, auf der ihren Gedankengang ein und wandte sich zu mir und sprach vertraulich:

»Weißt: Ich hab' in meinem Leben schon ein paar Leute umgebracht! Wen und wo, sag' ich nicht. Man hat hinterher bloß Unannehmlichkeiten davon ...«

Meine Frau, die Centa, stöhnte und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und bat angstvoll wie ein Kind: »Hör' auf – hör' auf!« Der Johann Preisgott fuhr kaltblütig fort: »... aber just wenn man in so was ein bißchen Übung hat, dann geht man doch nicht so daher wie ein blutiger Anfänger! Wenn ich das getan hätt', in Pfaffenrod, dann hätt' ich's geschickter gemacht! Das darfst du mir schon glauben!«

Ich wollte nichts mehr hören. Es hat sich um mich gedreht. Ich mußte zum Ziel kommen. Ich hab' gesagt:

»Johann Preisgott! Zum letztenmal! Wenn du uns zulieb dem schrecklichen Auftritt aus dem Wege gehen willst ... ich zeig' dir jetzt eine so schöne Gelegenheit dazu. Eine ganz unauffällige! Eine, die so recht zu dir paßt, und bei der dir als Jäger das Herz hupft! Also horch' mal: der Schwarze, der Kapitalhirsch an der End' der Welt-Leiten ...«

Der Oetsch hat mich angesehen und gelacht und dann gesagt: »Ich bleib'!«

»Johann Preisgott ...«

»Ich bleib' und setze mich jetzt vorne in die Halle, bis meine Frau Schwägerin kommt!«


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