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IX

Denkwürdiges der Frau Centa von Vogelschrey für ihren lieben Mann zur Erhellung der geheimnisvollen Begebenheiten in Schloß Vogelöd im Oktober a. d. 1850

Ich habe schon in meiner ersten Aufzeichnung gesagt, daß ich mir ein gemütliches Boudoir für mich, ganz heimlich und entlegen, in dem großen Schloß eingerichtet hab', um auch einmal Ruhe vor den Gästen zu haben. Auf der einen Seite von meinem Stüberl war das Kinder- und das Spielzimmer, durch das kein Unberufener konnte. Da hielt die Luise, das Fräulein, wie ein Erzengel Wacht. Auf der andern Seite führte ein unmittelbarer Aufgang zu meiner Kemenate. Er wand sich durch eine Seitentüre der oberen Halle als steile steinerne Wendeltreppe im Innern eines Turmes empor, die unten auch weiterhin streckenweise stockfinster war, weil nur ein paar schmale Schießscharten noch vom Mittelalter her in das dicke Gemäuer gebrochen waren. Diese Schlitze von Fenstern schauten auf mein sogenanntes »Nizza«. Das war eine kleine, hochgelegene Gartenterrasse, eigentlich ein Hof, den die Gebäudeflügel von drei Seiten umrahmten, so daß er recht windgeschützt gerade gegen Südosten und die Sonne offen lag. Da hatte ich jetzt noch, in dem schönen oberbayrischen Herbst, meine Oleander- und Lorbeerbäume draußen im Freien stehen, und die Kinder spielten da herum. Gäste kamen selten hinein. Es war zu entlegen und auch weiter da nichts los.

Mir waren die Beine bleiern schwer beim Steigen über die enge, krumme Turmtreppe, und mein Herz hat nicht bloß wegen der steilen Stufen so geklopft. An der einen Biegung, im Dunkel, bin ich stehen geblieben, um Atem zu holen, und da sehe ich gerade über mir, da, wo es wieder hell wurde, im Lichtkreis des Fensters eine weibliche Gestalt. Wer, das konnte ich im ersten Moment nicht erkennen. Denn die Frauensperson hat ihren Kopf durch die Schießscharte gezwängt, die Hände flach auf die Brüstung gestemmt, und äugt und horcht mit vorgebeugtem Oberkörper vorsichtig hinunter in den Hof, mit so brennendem Interesse, daß sie nichts hörte und sah, was hinter ihrem Rücken vorging.

Aber die schwarz-weiß getupfte Bluse hab' ich doch gekannt! Ich tippe also der wißbegierigen Dame strafend mit dem Zeigefinger auf den Oberarm. Sie fährt mit einem kleinen Aufschrei herum, und richtig: es ist mein Kinderfräulein, die Luise – und die an sich hübsche, blonde Person wird rot bis unter die Haarwurzeln.

»Was machen Sie denn da. Sie neugierige Elster!«

Sie schluckt und stottert nur und wird noch röter. Ein Krebs hätte sich verstecken dürfen.

»Hinter wem spionieren Sie denn da her?«

Jetzt faßt sie sich, streicht sich über ihr semmelgelbes Haar und sagt gekränkt:

»Was denken nur Frau Baronin von mir?«

»... daß Sie eine vorwitzige Urschel sind! ...« sag' ich. »Was interessiert Sie denn das, ob da unten auf der Terrasse der Herr Baron und die Frau Baronin von Sasserstätt miteinander auf und ab gehen?«

»Ich hab' mich gar nicht um die Herrschaften gekümmert!«

»Warum stehen's denn dann da? Ich mag das Herumschleichen und Hinter-den-Ecken-Geistern in den Tod nicht leiden! Das wissen's, meine Liebe!«

»Frau Baronin tun mir wirklich unrecht! Ich hab' bloß hinausgeschaut, um zu schauen, ob es schon warm genug ist, daß ich die Kinder auf die Terrasse unten bringen kann!«

»Zu kalt ist's noch! Der Nebel hängt ja noch in den Bergen!« mein' ich ärgerlich. »Das hätten's sich schon selber sagen können! Und jetzt schauen's, daß Sie weiter kommen!«

Meine Luise läßt sich das nicht zweimal sagen. Die denkt sich: Eine gute Ausred' ist auch 'was wert!, haucht ein untertäniges: »Danke sehr! Küß d' Hand, Frau Baronin!« und wusch: die Treppe hinauf und hinüber zu den Kindern.

Wie sie weg war – ja ... Ehrlich soll der Mensch sein, und ich hab' gelobt, in dem, was ich hier niederschreibe, die reine Wahrheit zu sagen ... also ... halt 'raus damit, Centa: Es muß schon sein ... also ... Ich hab' nicht anders gekonnt: Jetzt war ich diejenige, die sich ans Fenster gestellt hat! Statt dem Kinderfräulein die Baronin selber! Ich hab' mich schon geschämt! Es war wahr und wahrhaftig das erstemal in meinem Leben, daß ich den Horcher an der Wand gemacht hab'! Aber es hat mir schon beinahe das Herz abgedrückt – das Gefühl, daß in meinem Haus irgendein Unheil brütet, das ich nicht erkennen und nicht abwenden kann, und ich hab' mir gedacht: Da heiligt doch der Zweck die Mittel! Wenigstens die frommen Väter Jesu lehren das, wie man sagt! Vielleicht gelingt es mir so, das Schlimmste zu verhüten!

Ja, wenn ich nur wenigstens, nachdem ich mich schon da hingestellt hab', etwas hätte erhorchen können! Aber die Terrasse unten lag zwei Stockwerke tiefer. Man hat kein Wort von dem verstanden, was der Gaudenz Safferstätt und seine Frau im Auf- und Abgehen leise und leidenschaftlich miteinander sprachen ...

Jetzt hatte die Mette nicht nur geschwiegen und zugehört, wie vorher, nach dem Bericht des hochwürdigen Herrn Pfarrers, im Park bei dem Beisammensein mit dem Oetsch. Sie hat jetzt in einem fort geredet, eindringlich, aufgeregt, die feinen weißen Hände bewegend, und der Gaudenz, ihr Mann, ist ihr alle Finger lang ins Wort gefallen und hat das Wort an sich gerissen, in unterdrücktem Ton, aber so heftig und wild, wie man es dem gutmütigen, faden, alleweil fidelen Menschen gar nicht zugetraut hätte! Und dann wieder sie – und dann wieder er – und dann alle beide zugleich. Gehetzt haben sie sich förmlich gegenseitig. Man merkte an den Lippen, mit welcher Erbitterung sie aufeinander einsprachen und jeder den Gegenpart zu sich hinüberzuziehen suchte. Dabei sind sie leidenschaftlich mit schnellen Schritten zwischen den Oleanderkübeln hin und her gegangen. Von der Hauswand bis zu der Mauer, unter der der Berghang steil in die Tiefe ging, kehrt, den Weg zurück, wieder kehrt – wohl hundertmal.

Wie gesagt: um zu wissen, was sie zueinander sprachen, da hätte man imstande sein müssen, Gedanken zu lesen. Aber daß sie nicht einig waren, daß sie verzweifelt miteinander stritten, daß ihnen in dem atemlosen Ringen förmlich gegenseitig der Haß aus den Augen sprühte – dazu brauchte man nur ihre verstörten Gesichter anzuschauen. Die waren jetzt, wo sie sich unbeobachtet glaubten, bleich und erschöpft, matt aneinander, voll Groll gegeneinander. In dem Gaudenz seinen nichtssagenden Zügen war eine Wut, die sie beinahe roh und gewöhnlich erscheinen ließ, als sei er ein Mensch aus dem niedrigen Volk, und auf ihrem schmalen, zarten Antlitz, das jetzt eher noch vornehmer aussah und himmelweit von seinem ordinären Äußeren abrückte, malte sich eine feindselige, steinerne Abwehr, an der alles, was er heiser flüsterte, abprallte. Und ebenso zornig und verächtlich lachte er wieder ein paarmal auf, wenn sie hartnäckig, den Blick am Boden, den Kopf schüttelte und zwischen den halb zusammengepreßten Lippen unerbittlich etwas wiederholte, dessen Sinn offenbar: Nein! Nein! Nein! war.

Ich habe in meinem Ausguck am Turmfenster die Hände ineinandergepreßt, daß mir die Knöchel weh getan haben, und kaum mehr zu atmen gewagt. Das Bild da unten hat ja nur zu deutlich gerade das alles bestätigt, wie ich es mir in meinen Gedanken eingebildet und ausgebaut hab'. Da unten wurde eine Ehe zu Grabe getragen! Nein. Die war schon lange tot, und die beiden unseligen Menschen haderten miteinander um das äußere Band, das sie immer noch umschlang.

So unvorsichtig wie die Neugier, die Fräulein Luise, war ich nicht. Wie ich von unten jemanden auf der Treppe hörte, bin ich rechtzeitig von meiner Horcherecke zurückgetreten. Dann habe ich die festen, gleichmäßigen Schritte erkannt, und mir wurde ruhiger ums Herz. Gott sei Dank: das war mein lieber Mann, der mir, wie er versprochen, zu den Kindern nachkam, nachdem der Onkel Franz Assisi und der Professor weggefahren waren.

»Guck' da hinunter, Poldl!« sagte ich gedämpft zu ihm, wie er vor mir stand. »Da unten, zwei Stockwerke unter uns, da geht das Geheimnis von Vogelöd leibhaftig auf zwei Paar Füßen auf und nieder und spricht und kämpft am lichten Tag mit sich und der Welt, und ein dritter, der Oetsch, geht unsichtbar zwischen den beiden mit, und wir haben das Geheimnis zum Greifen nahe, dicht vor den Augen, und können's nicht ergründen!«

Mein Mann hat hinausgeschaut. Sehr ernst ist er geworden, wie er die zwei, den Gaudenz und die Mette, in ihrem leisen, leidenschaftlichen, ununterbrochenen Diskurs gesehen hat, und immer ihren ratlosen Eilmarsch vom Haus zur Mauer und zurück und immer wieder sein erbittertes, ungeduldiges, bald bittendes, bald drohendes Einreden auf sie, und immer wieder ihr hartnäckiges, gereiztes, mitleidloses Verneinen, das schon bald etwas Fanatisches auf ihr schmales, weiches, frommes Gesichtel legte.

Während mein Mann sich den Zwicker fester vor die Augen setzte, bin ich hinter ihm gestanden und hab' ihm über die Schulter geguckt und gesprochen:

»Jetzt schaust, Poldl, wie sehr ich recht hatte! Es ist alles sonnenklar: der Gaudenz beschwört seine Frau, daß sie endlich der Wahrheit die Ehre und dem Verbrechen vor drei Jahren die Sühne gibt!«

»Sie will es ja dem Pater Faramund beichten, meinst du ...«

»... und hofft dabei noch im stillen, er nimmt es ihr ab und spricht sie los, ohne daß sie den Johann Preisgott anzuzeigen braucht!«

»Katzel ... Katzel ...«

»Deswegen verliert der Gaudenz, der doch sonst ein recht fader, harmloser Bub ist, endlich jetzt einmal die Geduld! Er mag nicht sein Leben lang an der Seite einer Frau herumlaufen, die sich zur Mitwisserin einer Todsünde macht! Er verlangt, daß die Mette sagt, was sie weiß: – aber nicht dem Beichtvater, denn der darf es nur Gott weiter sagen, und unser Herrgott braucht das nicht, der weiß das schon selber – sondern dem Richter!«

»Und die Mette?«

»Schau, wie sie unerbittlich den Kopf schüttelt! Da kann der arme Narr, der Gaudenz, lange reden! Der Johann Preisgott ist im kleinen Finger stärker als er. Der kann mit der Mette machen, was er will!«

»Warum denn, Sakra auch?«

»Ich hab's dir ja gesagt: weil er sie verhext hat – vom Tag der Tat ab! Weil sie ihn liebt! Den Mörder ihres Mannes liebt!«

»Aber Katzel ...«

»Das ist ja der stundenlange Kampf da unten zwischen der unglücklichen Frau und ihrem Mann! Sie kämpfen miteinander um die Seele des Johann Preisgott Oetsch, wenn er die nicht schon längst an den Bösen verschrieben hat!«

Mein Poldl hat lange hinausgeschaut.

»Hören kann man nichts!« hat er endlich gesagt. »Und sehen? Ja – wenn einem das Sehen gegeben wär'! Die Kunst, in einem Menschengesicht wie in einem Spiegel der Seele zu lesen! Die großen Maler in München können's! Ich hab' es oft in den Ateliers beobachtet, wenn sie an ihrer Staffelei vor einem Porträt gestanden haben und mitten im Plauschen drei Schritte zurück und ihren Mann oder ihre Frau, die sie gerad' malten, drüben im Licht am Nordfenster scharf mit dem Aug' aufs Korn genommen, und ein ganz schneller Spritzer von Weiß in die Pupille von dem Bild, ein Strichelchen mit dem Haarpinsel am Mundwinkel, und auf einmal schaut einem aus dem Bild der Mensch von drüben an, nicht wie er leer dasitzt und sich langweilt und womöglich durch die Nase gähnt, sondern wie er wirklich im Innersten ist und wie seine nächsten Freunde und Verwandten ihn kennen! Das sind halt die Künstler! Das sind die Begnadeten! Da müßte einer von denen bei, der sich auf Köpfe versteht und ihre Sprache lesen kann, um zu erkennen, was in den Safferstätts da unten vorgeht!«

»Wir haben ja einen im Schloß! Der Salvermoser ist ja Porträtmaler!«

»Herrgott! Der Franzl!«

»Das Pulver hat der Salvermoser ja nicht erfunden!« sagt' ich.

»... braucht sich auch nicht in der Kunst! Die mehrsten tun sich ohne das leichter! Der Instinkt gehört dazu, Katzel! Der sechste Sinn! Halt das Genie oder ein Stück davon!«

»Etwas davon hat er schon in sich! Denk' nur, wie er uns gemalt hat! Ich bin mir wahrhaftig vor meinem eigenen Konterfei über manches in mir erst klar geworden!«

Mein Mann überlegte. Dann war er entschlossen.

»Bei solch einer drohenden Gefahr gilt jetzt jedes Mittel!« sprach er dann. »Ich probier's in Gottes Namen! Ich geh' und hol' den Salvermoser her!«


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