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XIV

Weitere Aufzeichnungen des Rittmeisters von Vogelschrey

Ich habe an diesem Abend allein in meinem Zimmer gesessen, als meine liebe Frau, die Centa, ganz aufgelöst und angstverwirrt zu mir hereingestürzt kam.

Eine Stunde vorher hatte ich noch zu ihr in den blauen Salon hineingeschaut gehabt. Da saß sie friedlich hinter ihrem Stickrahmen und die Mette Safferstätt neben ihr, und sie haben über dies und das miteinander geplauscht, über das kalte Wetter und die Babypflege, und wie leicht die Leut' im Dienst einem jetzt aufbegehrten und keck daherkämen, seit dem Malefizjahr achtundvierzig vor zwei Jahren, und ich habe die Damen nicht stören wollen und bin wieder hinunter zu den Gästen.

Der St. Hubertus hat sonst gewiß vom Himmel herunter an mir seine Freude! Aber jetzt hab' ich das ewige Gered' von der Jagd gar nicht mehr hören können. Ich hatte weiß Gott anderes im Kopf. Über den Filzenschuster, den verflixten Wilderer, haben die Herren unten gestritten, und daß der Anderl, mein Büchsenspanner, sich gerühmt hätte, ihm würde derselbige Bazi jetzt bald zeitig, und eines schönen Morgens brächte er ihn schon den Herrschaften vom Berg herunter zum Präsent, den Lump, den miserabligen, und ich hab' mich ja gefreut, daß mein Gschwendtner-Anderl so fleißig auf meinen Vorteil geschaut hat, schon bald hitziger, als es seine Pflicht war – denn der Anderl ist überhaupt ein heißer Mann – aber ich habe mir dabei doch gedacht: Mag der Filzenschuster mir in Gottes Namen meine Kapitalskerle von Hirschen und Gemsen zusammenknallen und womöglich noch irgendwo für die Füchse und Bergdohlen in einem Winkel verludern lassen, mir wäre es recht, wenn dafür hier unten, in meinen vier Pfählen, alles in der Reihe wäre!

So bin ich wieder in mein Schreibkabinett hinauf und hab' da recht besorgt nachgesonnen und geraucht, da fegt die Katzel herein – und schlingt die Arme um mich – ich hab' ihr armes Herzel Sturm schlagen hören – und die dicken Tränen laufen ihr über die Backen – und ihr Atem fliegt.

»Poldl! Poldl! Die Mette spricht, sie muß vielleicht heute nacht noch sterben!«

»Ah geh ...«

»Ja ... so spricht sie ...!«

»Aber warum denn?«

»Das sagt sie nicht!«

»Katzel ... Ist denn die ganze Welt narrisch geworden?«

Die Centa hat sich mir auf den Schoß gesetzt, ihr blasses Gesichtel an meine Schulter gelegt, und aus ihren braunen Augen zu mir aufgeschaut wie ein wundes Reh. »Denk dir nur, Poldl: Abschied hat die arme Mette von mir genommen! Für alle Fälle! Es schleicht etwas hinter ihr her! Es ist, als hebt sich von hinten ein tückischer Arm gegen sie! Das weiß sie! Sie sagt es ganz offen!«

»Sapperdibix: Wem gehört denn der Arm?«

»Ja – da fragst mich zu viel! Darauf gibt's bei ihr keine Antwort!«

»Herrgott! Ich halt' doch hier in Vogelöd keine Räuberhöhle! Ich werd' doch die Gäste unter meinem eigenen Dach zu schützen wissen!«

»Vor anderen schon, Poldl! Aber nicht gegeneinander!«

»Ja – was haben's denn gegeneinander vor?«

»Irgend etwas ist halt da! Es liegt in der Luft. Es weht kalt durchs Haus ...«

Die Centa dämpfte ihre Stimme zu angstvollem Flüstern und fuhr mit großen Augen fort:

»Weißt, Poldl: es is halt immer wieder am End' der Geist vom seligen Peter-Paul! Der geht zwischen uns, die wir ihn alle so gut gekannt haben, herum und findet keine Ruh, bis etwas gesühnt ist, was irgendeiner hier im Haus auf der Seele mit sich herumträgt!«

Wir dachten beide an denselben Mann. An den Johann Preisgott, seinen Bruder. Wir guckten uns an und schwiegen. Draußen hat's geklopft.

Die Centa huscht von meinen Knien herunter. Herein! Wer steht in der Tür? Der Gaudenz Safferstätt! Ein bissel schläfrig wie immer, mit seinem gutmütigen, nichtssagenden Gesicht. Gedrückt war er. Das sah man ihm an. Mir hat der arme Depp in dem Augenblick leid getan. Wie ein Ausgestoßener hat er in dem dunklen Türrahmen gestanden.

»Darf ich ein wenig zu euch herein?« hat er halb bittend gefragt. »Aus meinem eigenen Zimmer haben's mich weggeschickt! Da ist jetzt der Pater Faramund bei meiner Frau! Das kann die längste Zeit dauern. So lange bin ich dort das fünfte Rad am Wagen!«

Er hat sich bei uns hingesetzt und ein wenig blöd, wie er halt ist, mit offenem Mund trübselig vor sich hingeschaut. Ich habe gesagt: »Eben, wie du kamst, haben wir von deiner Frau gesprochen!«

»Rechte Sorgen machen wir uns um sie!« hat die Centa hinzugefügt.

Mein Gaudenz hat sich umständlich eine Virginia am Strohhalm angezündet, ihn ausgeblasen, gepafft und dabei eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand gemacht. »Regt's euch nicht zu sehr auf! Ich kenn' das bei der Mette! Das sind die Nerven!«

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Der Gaudenz raucht und spricht in seiner immer schon ein bissel faden Art, echt pomadig: »Die Nerven! Da bildet sie sich immer was Neues ein! I bitt' euch: nehmt das net zu tragisch!«

»Meinst?«

»I werd' doch meine Frau Gemahlin kennen! Die sieht am hellen Tag Gespenster! 's is aber nix dahinter! Sie hat so ein versatiles Gemüt!«

»Na, Gott sei Dank!«

»Das, wenn ich gewußt hätt'!« Die Centa atmete dabei erleichtert auf und legte die Hand aufs Herz. »Einen schönen Schreck hat die Mette mir eingejagt mit ihren narrischen Cauchemars!«

»Nix dahinter!« wiederholt der Gaudenz fast stumpfsinnig, saugt an seiner Zigarre und glotzt vor sich hin. Ich weiß nicht: Er hat mir nicht recht gefallen. Aber ich war froh, daß die Centa wieder beruhigt war. Ich habe ihre kalte kleine Patsche zwischen meine beiden Hände genommen und ihr recht liebevoll zugeredet.

»Schau, Katzel: das war vorhin nur ein Schreckschuß. Die Mette weiß manchmal selber nicht, was sie daher redet ...«

»Das glaubst ...«, bestätigte aus einer Tabakwolke um seinen runden, glattgeschorenen Kopf herum der Safferstätt in schläfrigem Ton.

»... und hat dich unnütz aus der Contenance gebracht, du arm's Katzel! Am besten ist, du legst dich jetzt hin und verschläfst bis morgen die Angst! Elf Uhr abends ist's eh vorbei! Ich komm' auch bald zu dir hinüber.«

Wenn die Centa merkt, daß ich etwas gern möcht', dann tut sie's! Wir sind ein Herz und eine Seele. So eine Frau darf man lang suchen. Sie hat sich erhoben, dem Gaudenz die Hand gegeben, mir mit ihrem lieben Lächeln zugenickt und ist wie ein braves Kind hinüber schlafen gegangen.

Der Gaudenz Safferstätt hat noch eine Weile bei mir gehockt, hat geraucht und immer dieselbe Melodie vor sich hingesummt. Viel Gescheites hat man nie mit ihm reden können und heute schon gar nicht. Die Worte haben spärlich bei ihm getropft und wieder aufgehört, und er mußt', sozusagen, einen Rippenstoß kriegen, daß er mir in seiner Damischkeit nicht ganz einschlief. Ich hab' in der Stille meinem Schöpfer gedankt, wie er sich endlich entschlossen hat, aufzustehen und gute Nacht zu sagen. »I muß 'mal schauen, ob der Pfaff immer noch bei mir einheimisch is!« sprach er. Wenn's is, no dann prominter' ich eben bon gré, mal gré draußen auf der Terrasse! Schlaf gut, Poldl!«

Vor der Türe machte er noch einmal halt und wurde plötzlich lebhafter. Ein geisterbleicher Schein ging über sein Gesicht, so daß mir das verwandelt und fremdartig erschien.

»Nein – mit der Mette hat's keine Not!« sagte er geheimnisvoll. »Aber mit mir, Freunderl! Mit mir!«

»Herrgott im Himmel! Jetzt fangst du auch an!«

»Aber mit mir schon sehr. Kein Mensch weiß, wie lang er noch lebt. Und ich am wenigsten!«

»Gaudenz! Seit wann halt' ich denn hier einen Narrenturm in Vogelöd?«

»Kann leicht sein, daß mich's trifft!«

»Wo is denn die Gefahr ..? Kruzitürken! So redet's doch schon!«

»Überall!« spricht der Gaudenz und schaut scheu um sich herum, als ob schon einer hinter ihm stände. Dann, nach einer Pause, dumpf, hoffnungslos:

»Poldl: da kannst nix machen!«

»Freilich kann ich!« schrei' ich in hellem Zorn. »Wozu hab' ich denn meine Leut'? Wozu sind denn die königlichen Behörden da? Der Landrichter selber ist als Jagdgast im Schloß ...«

»Lieber Gott: der Landrichter!« versetzte der Safferstätt mitleidig. Ganz weiß war er.

»Aber wenn ihr umeinandertappt wie die Geisterseher und 's Maul nicht auftut, dann bin ich wehrlos.«

»Nein. Da kannst nix machen!« bekräftigt der Gaudenz trübe.

»Ich will aber handeln! Ich bin doch Rittmeister. Ich fürcht' mich doch nicht! Wo sind die Schwerverbrecher? Her mit der Bagasch! Feuer geläutet! Ins Spritzenhaus mit ihnen! Die Bauern bei! Himmel, Blut, Sakra! Ich werd' doch noch in meinem Haus für Ordnung sorgen können!«

»Du bist ein recht ein Gewalttätiger!« sagte der Gaudenz, und ich hab' in meinem Zorn und meiner hellen Aufregung beinahe lachen müssen über den Tropf.

»Ich? Ich bin weiß Gott ein friedsamer Mensch! Ich möcht' nur mei' Ruh'! Ihr tragt der Katzel und mir die Unruh' ins Haus ...«

»Freilich schon! 's tut mir selber leid ... Sterben müssen wir schließlich alle ...«

»Gut, daß ich das endlich mal erfahr'!«

»... und wann? ... Poldl ... Poldl ... das ist uns verborgen!«

»War mir auch ganz neu!«

»... und ich mein' bald: der Gaudenz Safferstätt ... das bin i nämlich selber, Poldl ...«

»Wirklich?«

»... der treibt's nimmer lang ... Vielleicht müßt's ihr euch schon in vierundzwanzig Stunden ohne mich behelfen ...«

Gott verzeih' mir die Sünde: Es fuhr mir durch den Kopf: Tät' schon gehen! So groß wär' die Lücke nicht! Unersetzlich bist du gerad' nicht, mein Lieber! Aber ich hab' das für mich behalten und den armen Narren nur entschlossen gefragt: »Heraus mit der Sprache: wer trachtet dir nach dem Leben?«

Der Gaudenz hat nur laut geseufzt und dumpf vor sich hingeschaut. Ich hab' wieder denken müssen: Was hat denn einer davon, wenn er den harmlosen Gockel abkragelt? Ich habe beinahe drohend wiederholt: »Wer ist's? Mit dem Kerl, dem verdächtigen, red' ich auf gut Deutsch, und wenn's der Kaiser von China wär'!«

Wieder ein schweres Atemholen von dem Gaudenz, sehr hohl, als brächte er es tief von unten aus dem Schloßbrunnen herauf.

»Was hilft's denn, wenn ich dir den Namen nenn', Poldl? I dank' dir! Aber da kannst doch nix machen!«

Es war wie eine Lähmung auf seiner langsamen Zunge und in seinen schleppenden Worten. Willenlos hat er dagestanden, als wäre er verhext, und da sah ich im Geist wieder die kaltblütigen, starr durchdringenden Augen vor mir, mit denen der Johann Preisgott Oetsch die Menschen unter seine Macht zu bringen und förmlich vor sich tanzen zu lassen pflegt, wie die Schlangengaukler im Morgenland, von denen er so oft erzählte, ihr Gewürm.

Der Gaudenz hat mir kurz und krampfhaft die Hand gedrückt und ist dann langsam, mit gesenktem Kopf, den Gang entlang. Er ist dahingeschlichen wie ein Opfertier.

Ich fand mich in dem Zimmer allein und fürchtete mich förmlich vor dem Alleinsein und löschte die Lampe aus und ging hinüber ins Schlafgemach zu meiner lieben Frau. Sie lag schon im Bett, und ich hab' mich zu ihr an den Rand gesetzt und mir nicht helfen können und hab' ihr auch noch das neueste Rabengekrächze von dem Gaudenz Safferstätt erzählt, auf die Gefahr hin, daß die arme Katzel wieder ihre fliegenden Zufälle kriegt.

Aber sie war schon zu erschöpft, und daß ich bei ihr war, hat sie beruhigt, und sie hat still dagelegen und meine Hand in der ihren gehalten. Wie ich zu Ende war, hat sie genickt und gesagt:

»Ja, Poldl! ... Das ist jetzt alles sonnenklar!«

»Mir nicht!«

Die Katzel hat mich vom Bett aus mit einem langen, seelenvollen Blick gemessen und mitleidig die Achseln gezuckt darüber, daß sie an einen Mann von so kurzem Verstand geraten war. »Die Mette gesteht jetzt eben in der heiligen Beichte, daß der Johann Preisgott der Mörder seines Bruders ist!« sagte sie. »Der Mörder hat umsonst noch diesen Morgen alle seine Beschwörungsformeln aufgeboten, um sie davon abzubringen! Das war ihr Gespräch mit dem Oetsch im Park!«

»Meinst?«

»Die Mette ist aus dem Park gekommen und hat ihrem Mann offenbart, daß sie heute abend, nach schwerem Seelenkampf, den Oetsch in der Beichte preisgeben wird! Da hat ihr der Gaudenz ihre bisherige Liebe zu dem Oetsch verziehen, und sie waren ein Herz und eine Seele. Das war das Gespräch der beiden auf der Terrasse, das der Salvermoser beobachtet hat, wie die zwei in das Schloß zurückgetreten sind und sich dabei liebevoll umschlungen gehalten haben!«

»Und jetzt?«

»Jetzt beginnt für die Safferstätts die furchtbare Gefahr ... just in diesem Augenblick, wo die Mette in der heiligen Beichte den Mund auftut und redet! Jetzt setzen sie sich den Anschlägen aus, die ein ruchloser Mensch wie der Oetsch als eine Tat der Selbstverteidigung ansieht! Sicherlich hat er ihnen schon die ganze Zeit offen damit gedroht, um sie einzuschüchtern und im letzten Augenblick zurückzuhalten!«

»Möglich ist's!«

»Trotzdem haben sie sich dazu entschlossen! Die Safferstätts wissen, daß sie von dieser Stunde ab der Rache des Oetsch preisgegeben sind! Deswegen sind sie so furchtbar erregt und gedrückt!«

»Du meinst, daß der Oetsch sie aus Rache umbringen will?«

»Freilich, ja! Poldl, Poldl – sei doch ein bißchen gescheiter! Am meisten gefährdet ist der Gaudenz Safferstätt. Denn er ist ja die treibende Kraft gegen den Oetsch. Darum hat er dir vorhin von der Möglichkeit seines Todes in heutiger Nacht gesprochen und gemeint, seine Frau sei nicht so bedroht wie er!«

»So hat er geredet!«

»Aber wer steht denn dafür, wo der Oetsch in seiner Wut haltmacht? Der kann seine Wut ebensogut auch noch an der armen Mette kühlen! Deswegen hat sie mir, ehe sie mich verließ, gesagt, daß sie vielleicht diese Nacht nicht überleben wird!«

»Katzel ... das wäre ja gräßlich!«

»Deswegen haben die unglückseligen Safferstätts ihre Angst vor dem Tod erst überwinden müssen, ehe die Mette sich zu der Beichte entschloß! Nun ist's mit Gottes Hilfe geschehen, und das Schicksal im Gange!«

»... und wir müssen die Safferstätts vor dem Johann Preisgott schützen, Centa!«

»Mit allen Mitteln! Das ist unsere Christenpflicht!«

»Aber wie?«

Aber wie? Die Frage habe ich im Kopf herumgewälzt in langen Nachtstunden, in denen ich keinen Schlaf finden konnte und mit offenen Augen dalag und in das Dunkel vor mir schaute. Endlich hab' ich es nicht mehr ausgehalten und hab' meine Frau angerufen. Da fand sich's, daß es der Katzel geradeso ging wie mir und sie auch ganz wach war und sich nur recht still gehalten hatte, um mich nicht zu stören. Ich hab' die Kerze angezündet und gesagt:

»Du, Centa: wie erklärst du dir denn das, daß aber auch der Johann Preisgott selber wieder heute abend unten vor uns Herren allen laut und öffentlich erklärt hat, er sei hier im Schlosse in Lebensgefahr?«

»Das hat der gottlose Mensch getan, um sich von vornherein den Rücken zu decken, falls sein Anschlag gegen den Gaudenz mißglücken und Leute dazu kommen sollten! Dann will er sagen, er, der Oetsch, sei der Angegriffene gewesen!«

»Womit wollte er denn das erklären?«

»Mit dem Gaudenz seiner Eifersucht, weil dem seine Frau in ihn, den Oetsch, verliebt ist! Oh – ich schau' dem Oetsch schon in die Karten! Mich betrügt er nicht!«

Der Centa, der frommen Seele, war nicht beizukommen. Die hat sich die Geschichte nach allen Seiten ausgebaut und zurechtgelegt, und, frei gesagt, gescheiter wie ich war die Katzel schon. Denn mir ist überhaupt rein gar nix eingefallen. Ich hab' ihr einen Kuß gegeben und das Licht ausgeblasen und versucht, die Augen zuzumachen. Nach einer Viertelstunde habe ich mich leise geräuspert. »Katzerl? Schläfst?«

»Ach – wenn ich nur könnt'!«

»Du – wenn, wie du glaubst, die, die vom Tod des Peter-Paul wissen, in Lebensgefahr durch den Oetsch sind ...«

»Sie sagen's ja selbst ...«

»Dann ist es jetzt der Pater Faramund ja auch ...«

»Der weiß es seit einer Stunde auch, durch die Mette ...«

»Da wär' es ja beinahe denkbar, daß sich der Oetsch sogar am Pater Faramund vergreifen könnt', um einen neuen Mitwisser zu beseitigen!«

»Beim Oetsch ist nichts unmöglich, Poldl! Nicht einmal diese Todsünd'!«

Wieder eine Viertelstunde. Dann hat's mich nicht länger im Bett gelitten. Der Gedanke hat mir den letzten Rest von Schlaf genommen: Das fehlte noch, daß ein Ordensmann hier, in Vogelöd, als dein Gast an Leib und Leben beleidigt wird! Das Geschrei ginge ja bis Rom! Dein Haus wäre ja für jeden guten christkatholischen Menschen verflucht und geächtet, solang du lebst ...

Wieder Licht. In die Kleider. Ein paar Worte zur Centa.

»Katzel! Ich mach' lieber heut' nacht selber im Schloß die Rond' und Sentinelle, als daß was Unrechtes passiert! Ich geh' jetzt und spür' mal dem Johann Preisgott hinter seinen Schlichen her, ob er schläft, wie sich's gehört, oder was er treibt!«

Mein liebes, altes Schloß Vogelöd, das mir bei Tag in jedem Winkel und jedem Eckchen so warm und vertraut ist, dünkte mich nun ganz fremd in dem geisterhaft hellen Mondschein, der durch die Fenster in die leeren Säle und langen Korridore und breit flimmernden Treppen flutete. In der Totenstille haben meine Schritte an den Kreuzwölbungen widergehallt, als gingen neben mir, hinter mir, vor mir, überall unsichtbar andere Menschen. Die Ahnenbilder an den Wänden haben in dem bläulichen Dämmern veränderte Gesichter bekommen, mit einem Spiel um die Lippen, als lebten sie noch, und es ist mir eingefallen, wie wir als Buben manchmal solch einen gemalten Herrn Vorfahren so lange unverwandt angeschaut haben, bis seine Augäpfel anfingen, sich zu bewegen, und dann, so schnell wir konnten, davongerannt sind. Der alte, zehn Fuß hoch bis zur Decke reichende Stammbaum der Vogelschrey im Rittersaal ist wirklich unruhig geworden, wie ich hereingekommen bin, und hat gezittert und geraschelt. Jetzt das waren die Mäus', die hinter seinen gichtbrüchigen, pergamentenen Falten ihr Wesen getrieben haben. Die Gobelins haben leise geweht, weil ein Luftzug von irgendwoher ging, als ständ' einer hinter dem gewirkten Stoff und lauerte. Die aufrechtstehenden geharnischten Ritter am Eingang haben in dem grellen Mondschein pechschwarze Schatten hinter sich geworfen, dick und kurz wie die guten Ahnen selber, und ich hätt' mich wahrhaftig nicht gewundert, wenn hinter dem Visier ein menschliches Angesicht mit einem Paar weißer, rollender Augäpfel herausgeschaut hätte. Die Welt ist eben anders zwischen der Mitternacht und dem ersten Hahnenschrei. Das hab' ich da recht gemerkt und mein gemütliches Vogelöd gar nicht recht in seinem Geisterstunden-Kamisol wiedererkannt.

So bin ich vor dem Johann Preisgott sein Zimmer gekommen und hab' leise geklopft. Stärker. Von außen gefragt: »Du? ... Bist du daheim?« Keine Antwort. Ich habe die Türe aufgeklinkt. Sie war sorglos offen. Recht der Oetsch. Wegen dem können Mörder und Gespenster hereinspazieren, wie's halt mögen! Er schläft ruhig weiter. Er schlief aber nicht. Das Bett war gebraucht, aber leer. Das ganze Gemach. Alle Schränke und Schubfächer unverschlossen. Ich hab' mich umgesehen. Sein Kugelstutzen hing nicht am Haken. Der Rucksack nicht. Das Hütl mit dem Gamsbart nicht. Der Bergstock in der Ecke fehlte. Ebenso seine pfundschweren Genagelten. Das Fenster zur ebenen Erde stand weit offen. Die kalte Nachtluft strömte herein. Es war so hell, daß ich im Mondschein auf meine Taschenuhr sehen konnte. No ja: drei Uhr morgens! Da war der Oetsch schon über alle Berge! Nach seiner Gewohnheit durchs Fenster ins Freie und hinaus auf die Jagd.

Ich hab' recht aufgeatmet! Der Gast da war mir wahrhaftig draußen lieber als daheim. Vor dem frühen Vormittag kam der Oetsch jetzt nicht wieder, und für diese Nacht wenigstens war also jedes Unheil von Vogelöd abgewendet. Gott sei Dank! Ich habe recht zufrieden dem Johann Preisgott seine Räuberhöhle verlassen und bin auf den Korridor hinausgetreten und ihn zurückgegangen. Im Wittelsbacher-Saal, der ganz kalkweiß vom Mondlicht war, und in dem die lebensgroßen Ölbilder der Landesfürsten an den Wänden hingen, bin ich stehen geblieben.

Es dröhnte etwas gleichmäßig durch die tiefe Stille. Schwere, feste Schritte, die rasch näher kamen. Ein Licht flackerte am Ende des Ganges auf, der Farbenfleck einer Hand, die es trug, dahinter, von den gelben Kerzenreflexen und den bläulichen Mondstrahlen in ein wechselndes Spiel von wunderlicher Beleuchtung getaucht, ein italienisch dunkles Mädelgesicht mit blauschwarzem Kraushaar.

Das war die Poletta, die Safferstättsche Kammerjungfer. Sie leuchtete – obwohl es bei dem grellen Vollmond wahrhaftig nicht nötig war, sondern es geschah mehr ehrenhalber – und hinter ihr schritt, die Hände in den Kuttenärmeln ineinander geschlungen, die hohe Gestalt vornübergebeugt, der Pater Faramund.

Jetzt erst, gegen Morgen, kam er von der Mette Safferstätt. Mehr als vier Stunden hatte die geistliche Unterredung mit ihr gedauert, und die Ergriffenheit, als Folge ihrer Beichtgeständnisse, spiegelte sich in einer feierlichen Strenge auf seinen sonst stillen, bebrillten, bartlosen Gelehrtenzügen wider, aus denen von der Seite, wo ich im Schatten einer Säule stand, die gebogene Nase, das Erbteil der Oetsch seit Jahrhunderten, scharf vorsprang. Er trug ein Hauskäppchen auf der Tonsur. Das Schläfenhaar darunter war grau. Er hatte im Schreiten die Blicke in tiefstem Nachdenken auf den Parkettboden vor sich gesenkt und bemerkte mich nicht.

Mir schien es nicht geziemend, ihn in dieser nächtlichen Stunde, in der er wahrscheinlich, im Innern tief erschüttert, ein neues dunkles Beichtgeheimnis in seiner Brust verwahrte – mir schien es nicht geziemend, jetzt den Hochwürdigen, im Beisein der Jungfer, unversehens hinter der Säule vor mir mit einer Anrede zu überfallen und als Hausherr zu begrüßen. Ich ließ ihn stumm und ungesehen vorübergehen und hörte, wie er an seiner Türe freundlich sagte: »Ich danke Ihnen, liebes Kind!« und die Poletta mit einem Knicks: »Küss' die Hand, Euer Hochwürden! Ich hab' die Ehre, eine gute Nacht zu wünschen!« Gleich darauf ist sie, mit ausgeblasener Kerzen, wie besessen zurück und an mir vorbeigerannt und hat sich im Springen mit der linken Hand die Röcke geschürzt! Gefürchtet hat sie sich, das Madel, allein in der Nacht unter den Ahnenbildern in dem stillen Schloß! Ich kann's ihr nicht verdenken.

Wie ich wieder bei der Katzel war, habe ich aufgeatmet und gesagt: »So! Diese Nacht passiert nix mehr! Jetzt hat die arme Seele Ruh'! Jetzt kann man schlafen.«

Wir haben jetzt auch wirklich noch ein paar Stunden die Augen zugemacht, bis es Zeit zum Aufstehen und zur Jagd war. heute sollte ganz nahe vom Schloß am Hochgang getrieben werden. Die Reveille war nicht so früh wie sonst. Bis wir gefrühstückt hatten und alles beisammen war, da war es schon gegen acht Uhr morgens. Ich bin noch einmal nach dem Park hinaus und hab' nach dem Wetter geschaut. Das hat mir nicht recht gefallen wollen. Der Himmel war gar zu strahlend blau, und die Sonne meinte es in aller Herrgottsfrühe schon so gut mit der Wärme, und auf der Straße ließ ein leiser Föhnwind manchmal kleine Staubwirbel tanzen. Regen in Sicht. Regen.

»Mir scheint, wir kommen heute schon um Mittag heim!« sage ich gerade zu dem Königlichen Oberförster von Mengern, meinem Jagdgast, und schieb' das Perspektiv zusammen, da sehe ich zu meinem Mißvergnügen den Johann Preisgott Oetsch schon aus den Bergen zurückkehren und die Allee vom Parkeingang daherkommen. Mehr wie ein Wildschütz hat er dahergeschaut als wie ein Kavalier, der lange verwegene Kerl mit dem ebenso langen Schnurrbart, den nackten Knien, die graue Lodenjoppe über die Schulter gehängt, das Hemd über der Brust offen, vorn in dem breiten, mit Hirscherln und Rehlis bestickten ledernen Leibgurt das griffeste Messer, den Hut rauflustig im Genick.

»Wo kommst denn du schon her?« frag' ich, und der Oetsch, ohne sich um meine unangenehme Überraschung zu kümmern, geheimnisvoll und glückselig, indem er die weißen Zähne in dem hageren, braungebrannten Gesicht zeigt, und mit einem Wetterleuchten in den graublauen Augen: »Du, Poldl! ... Jetzt hab' ich ihn schon bald in der Hand!«

»Wen?«

Er war ganz erstaunt.

»Den Filzenschuster! Deinen Herrn Wilderer!«

Der Oetsch schob vertraulich seinen Arm in meinen und ging mit mir nach dem Schloß.

»Heut' früh – noch im Morgennebel hab' ich ihn beobachtet, wie er einen von deinen schönsten Hirschen derschossen hat, der Hallodri! Jetzt kenn' ich seinen Wechsel! Jetzt kommt mir der Spitzbub nicht mehr aus!«

»Fang ihn halt!« mein' ich zerstreut. Ich hatte andere Sorgen im Kopf. Aber der Johann Preisgott brannte vor Jagdgier nach menschlichem Wild.

»Auf den Abend gib's schlecht Wetter!« sagt er.

»Eher schon!«

»Die Nacht wird stockdunkel. Da denkt der Filzenschuster, er kann in aller G'rüebigkeit den Hirsch von heute früh, den er aufgebrochen und mit Latschenästen zugedeckt hat, sich holen! Freunderl: ich bin auch noch auf der Welt! Sowie's dämmrig genug ist, um sechs Uhr spätestens, marschier' ich aus und leg' mich auf die Lauer. Ein Satz vom Felsblock herunter, und ich hab' ihn, ehe er noch nach seiner Büchse greifen kann!«

»Und den Tag über bleibst hier?« forschte ich unbehaglich. Im Hof drüben sammelten sich meine Jagdgäste alle schon zum Auszug. Auch der Gaudenz war darunter.

»Jetzt schmeiß' ich mich mal erst aufs Bett und schlaf' bis zum Mittagessen!« verkündete der Oetsch. »Dann sei nur fei' stad und gib acht, daß du den geistlichen Herrn nebenan nicht inkommodierst, Johann Preisgott, mit deinem Die-Nagelschuh'-Umeinanderwerfen und Auf-zwei-Fingern-nach-dem-Bedienten-Pfeifen!«

Der Oetsch hat eine Grimasse geschnitten, wie er was von dem Vetter und Schwarzrock gehört hat, und verächtlich und verbissen ins Gras gespuckt und ist in das Schloß hineingeschlenkert, lang und hager, der Fra Diavolo und Schlagtot in Person, und jetzt hatte ich das Unheil wieder unter meinem Dach ...

Ich hab' dagestanden wie der Ochs am Berg. Da war guter Rat teuer. Aber zum Glück ist er mir doch eingefallen, so sehr die Zeit auch gedrängt hat.

Ich bin zu meinen Gästen auf den Hof und hab' mir aus all den Herren und den Jagdgehilfen und Hunden meinen Freund Salvermoser herausgewinkt und denselbigen Kunstmaler beiseite genommen.

»Franzl!« hab' ich gesagt. »Jetzt ist deine Zeit gekommen! Jetzt darfst zeigen, daß du wirklich und wahrhaftig mein Freund bist!«

»Da feit si nix!«

»Ich weiß, was du für 'ne Jagdpassion hast! Trotzdem: Franzl – tu mir die Lieb! Bleib heut' daheim und hüte mir das Haus!«

»Ja – warum denn?« fragte der gute Franzl recht erstaunt.

»Nur heute! Das eine Mal! Es wird heut' doch nix Gescheit's mit der Jagd, Franzl! Den Malefizwind da kenn' ich! Der bringt den Regen aus Tirol herüber.«

»Ich tu' dir ja gern den Gefallen!« sagte die ehrliche Haut, so sauer es ihr auch ankam. »Ich seh' bloß net ein ...« »Schau: der Oetsch ist, statt um Mittag oder später wie sonst, jetzt schon aus den Bergen heim und will dafür am Abend um sechs wieder hinaus! Du – ganz unter uns ... Verrat' es keiner Menschenseele: Ich trau' dem Oetsch alles Menschenmögliche zu ...«

»Ich auch!« spricht der Salvermoser-Franz.

»Ich kann als Jagdherr nicht daheim bleiben, und ich vergeh' vor Unruhe, wenn wir alle aus dem Schloß weg sind und nur die beiden Damen und der Pater Faramund darin, und dazu der Oetsch! Ich kann dir das alles nicht so ausdeutschen, Franzl! Es sind auch nur Vermutungen und Befürchtungen, keine Tatsachen. Aber trotzdem ... es ist mir eine Beruhigung, wenn ich weiß: es ist wenigstens, außer der Dienerschaft, noch ein Mensch da, der ein Auge auf den Oetsch hat!«

»Was soll ich denn da aber tun?«

»Weiter nix als eben da sein! Ich weiß ja nicht, was der Oetsch vorhat und ob er was vorhat. Aber ich denk' mir, es hilft schon, wenn er weiß, daß immer ein Zeuge da ist für alles, was er etwa tut! Geh! sei lieb, Franzl, und bleib daheim! Es ist ja nur für den Vormittag! Zum Mittag sind wir wieder da und wahrscheinlich schon naß wie die gebadeten Katzen! Kannst ja mit der Centa plauschen oder, wenn d' magst, beim Pater Faramund beichten!«

Dabei lach' ich und er sagt:

»Ich brauch' keinen Beichtzettel nicht! Aber schön! ... Also, bis du heimkommst, mach' ich armer Kunstmaler den Schloßherrn! Weidmannsheil!«

»Weidmannnsdank!«


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