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Wie hat nun Russland auf die Ermordung des Staretz reagiert? Hatte dieses Ereignis irgendeine Bedeutung in politischer Hinsicht?
Die Auswirkungen in den einzelnen Bevölkerungsschichten waren sehr verschieden. Die sogenannte erste Gesellschaft jubelte über den Mord und versuchte, aus den Mördern Helden zu machen. Und aus diesen Kreisen ging eine Reihe von Legenden hervor: dass Leute aus dem Volke Gnadenmessen vor den Heiligenbildern der Schutzpatrone der Verschwörer sprechen liessen; dass Fabrikarbeiter bereit waren, sie zu verteidigen; dass der Schuss auf Rasputin für einen der Täter das Sprungbrett sei, um auf den Thron zu gelangen.
In den intellektuellen Kreisen des Mittelstandes freute man sich im allgemeinen ebenfalls über die Ermordung Rasputins, ohne jedoch ernsthaft über ihre Bedeutung nachzudenken. In den politischen Kreisen jedoch wurde die Tat kritisiert.
»Dieser Mord«, schrieb Miljukow, der Führer der Kadettenpartei, »hat zweifellos die russische Gesellschaft mehr beunruhigt als befriedigt. Im Augenblick kannte die Oeffentlichkeit noch nicht alle Einzelheiten der grauenhaften Szene, die sich im Palais Yussupow abgespielt hatte. Man ahnte aber, dass da irgend etwas Schandbares geschehen war, irgend etwas, was absolut nichts mit den Problemen der Stunde zu tun hatte.«
Ein anderes, weniger radikales Mitglied der Opposition, V. A. Maklakow, sagt, dass »der Mord die russische Gesellschaft aus der Fassung brachte. Ungeschickter und unglückseliger hätte man nicht handeln können. Die Mörder verstanden es weder sich im Dunkeln zu halten, noch sich Sympathie zu erwerben. Jeder kannte die hässliche Wahrheit, wusste von der Falle, die man dem Staretz im Palais Yussupow gestellt hatte, kannte die abstossenden Umstände, unter denen man einen Gast ermordet hatte, und schliesslich wusste man auch, dass ihr Name und Rang den Mördern Straffreiheit garantierte.«
Beim Volke selbst lehnte man sich gegen den Mord, dem ein Bauer zum Opfer gefallen war, auf. Ein verwundeter Soldat gab einer Patronatsdame, die ihm ganz vergnügt diesen Mord mitteilte, folgende charakteristische Antwort: »Er war eben nur ein Muschik, ein Bauer, der bis zum Zar vorzudringen verstanden hat, und deshalb haben die Herren ihn getötet.«
Die Revolutionäre drückten ihre Empörung darüber aus, dass die von den Mördern niedergeschlagene Person nur eine »Privatperson«, aber kein Repräsentant der Obrigkeit war.
Diejenigen, die noch Respekt vor der Dynastie hatten und die Vorgänge mit gesundem, einfachem Blick betrachteten, konnten nur bitter beklagen, dass ein Grossfürst und ein naher Verwandter des Zarenhauses in diese Geschichte verwickelt waren. Schändlicheres konnte es, so schien es ihnen, nicht geben.
Die Verschwörer dagegen standen nach wie vor auf dem Standpunkt, dass sie eine heldenhafte und nützliche Tat begangen hätten.
Am 2. Januar 1917 schrieb Yussupow, der in Unruhe war, ob die Zarin und seine Schwiegermutter etwa den »Mann, der Rasputin ermordet hatte, als einen gewöhnlichen kriminellen Mörder ansehen könnten«, an die Grossfürstin Xenia Alexandrowna, seine Schwiegermutter:
»Ich, der ich ganz genau weiss, was dieser Mann vor, während und nach der Tat gefühlt hat und was er auch noch weiterhin empfindet, kann in ganz kategorischer Form erklären, dass er kein Mörder, sondern ein Werkzeug in den Händen der Vorsehung gewesen ist. Nur die Vorsehung war es, die ihm die unfassbare und übermenschliche Kraft und auch die Gemütsruhe verlieh, seine Pflicht gegenüber dem Vaterlande und dem Zaren zu erfüllen, indem er diese schlechte und dämonische Macht auslöschte, die eine Schande für Russland und für die ganze Welt war und der gegenüber bislang noch alle machtlos gewesen waren.«
Der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch schrieb am 14. Januar an seinen Vater:
»Der Gott der russischen Heimat weiss sicher, dass, wer auch immer die Täter gewesen sein mögen, es Leute waren, die ihre russische Heimat liebten, mit einer aufrichtigen, brennenden, leidenschaftlichen Liebe.
Diese Leute, die Russland lieben, sind ihrem Zaren brennend ergeben. Eine solche Situation konnte nicht mehr lange dauern. Unser Land konnte nicht weiter von Strohpuppen regiert werden, die den von einem Pferdedieb, einem fast ungebildeten, schmutzigen und ausschweifenden Muschik hingekritzelten Zettelchen gehorchten. Es war Zeit, die Atmosphäre von diesem Alpdruck zu befreien; es war Zeit, dass man wieder einen Strahl reinen Lichtes sah.«
Und Purischkewitsch schreibt in sein Tagebuch:
»Rasputin ist nicht mehr. Er ist getötet. Das Schicksal wollte es, dass ich es war und kein anderer, der den Zaren und Russland befreite; das Schicksal wollte es, dass er durch meine Hand fiel. Gott sei gelobt! Ja, Gott sei gelobt, dass die Hand des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch nicht von diesem unreinen Blut befleckt wurde; er ist allein Zuschauer bei der Sache gewesen.«
Auf das weitere Schicksal Russlands hatte die Ermordung Rasputins einen ungeheuren Einfluss.
Aus der Tatsache der Beteiligung des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch ergab sich zunächst, dass sich das Zarenpaar fast mit allen Dynastiemitgliedern entzweite. Und diese Entzweiung hatte eine gewisse politische Bedeutung. Sie gab sozusagen den Leuten, die einen Umsturz des Regimes vorbereiteten, das Recht zu der Annahme, dass gewisse Mitglieder der Dynastie auf ihrer Seite standen. Tatsächlich scheuten diese Mitglieder sich auch nicht, sich über revolutionäre Projekte mit ihnen zu unterhalten.
Sodann trennte die Ermordung den Zaren endgültig von den Mitgliedern der russischen Gesellschaft und der Duma, deren Symbol in den Augen des Herrschers Rodzianko, der Präsident der Duma, war. Nikolaus II. erfuhr, dass Rodzianko sich nicht nur über die Ermordung freute, sondern sie sogar gewollt hatte. Und das löste den Zaren so sehr von der Duma los, dass ihm sogar der Gedanke kam, das für diese Volksvertretung geltende Grundgesetz zu ändern, was wieder die Energie der Opposition und aller derjenigen, die gegen das Regime konspirierten, verstärkte.
Der Mord ermunterte auch alle diejenigen, die schon Pläne für einen Staatsstreich schmiedeten und den Zaren fortjagen wollten, und trieb sie zu grösserem Tempo in der Durchführung ihrer Pläne an.
Nur zwei Wochen nach dem Mord, am 1. Januar, schlug A. I. Chatissow in Tiflis dem Grossfürsten Nikolai Nikolajewitsch vor, die Krone anzunehmen. Und Tereschtschenko, der, zusammen mit Gutschkow, die Absetzung Nikolaus' II. vorbereitete, sagte am 7. Januar zum Grossfürsten Nikolai Michailowitsch, dass in einem Monat »alles in die Luft fliege«.
Die Ermordung entzündete jene revolutionäre Psychose, die sich jetzt aller Kreise der russischen Gesellschaft bemächtigte und der nicht einmal gewisse Mitglieder der Dynastie entgingen. Nur dieser psychische Zustand macht es erklärlich, dass Nikolai Nikolajewitsch nicht sofort Chassitow festnehmen liess, als er ihm die Krone anbot; der Grossfürst überlegte sogar drei Tage lang, ob er sie annehmen sollte. Er lehnte sie dann schliesslich ab, aber auch dann noch hat er es versäumt, den Zaren von dem Komplott, das auf seine Abdankung gerichtet war, in Kenntnis zu setzen.
Und deshalb betrachteten alle, die die Revolution spürten und sich auf ihre Psychologie verstanden, die Ermordung des Staretz als den Beginn der Revolution. Die Mörder Rasputins waren die ersten, die dem von Miljukow gegebenen »Signal zum Sturmangriff« gehorchten, und die Schüsse, die sie abgaben, waren die ersten Schüsse der russischen Revolution.
Die plötzliche Einstellung des Verfahrens gegen die Täter versetzte dem Prestige des Regimes den letzten Stoss. »Weil man Angst hat, die Sache vor die Gerichte zu bringen, und weil alles das, was man über Rasputin erzählt, wahr ist«, sagten die einen … »Bei uns ist alles erlaubt«, sagten andere, »man muss nur ein Verwandter vom Zaren oder Mitglied der Duma sein.«
»Der Mord war ein Skandal«, sagt Tschebyschew, der damals Staatsanwalt war, »aber der Skandal wurde verzehnfacht durch die Nichtbestrafung der Mörder. Sie zeigte, dass das Reich zusammenbrach und dass das Gesetz nur noch ein toter Buchstabe war, weil man es in einer so ungewöhnlich bedeutsamen Angelegenheit, die sich vor den Augen der Oeffentlichkeit abgespielt hatte, ausser Kraft setzte. An die Stelle des Gesetzes war eine revolutionäre Tat getreten, vor der die Macht die Waffen streckte, obgleich sie noch über genügend Autorität und über alle Mittel verfügte, um sich Gehorsam zu verschaffen.«
Im ganzen hat die Ermordung wie die nachfolgenden Ereignisse lehren, nichts geändert, sie diente zu nichts und hat nur das Tempo der Revolution beschleunigt, an der Leute verschiedenster Einstellung mit sehr verschiedenartigen Mitteln schon lange vor dem Tode Rasputins zu arbeiten begonnen hatten.