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Aufsässige Dynastiemitglieder

Der 18. Dezember brachte einige neue Tatsachen. Schon am Tage vorher hatten Arbeiter in den Morgenstunden Blutspuren auf der Petrowskibrücke gesehen. Sie hatten den ersten Polizeibeamten, den sie auf ihrem Wege trafen, davon benachrichtigt, und dieser meldete es dem Polizeikommissar. Gegen Abend forderte eine Zirkulardepesche des Stadtgouverneurs die Behörden auf, Rasputin zu suchen. In der Morgenfrühe fanden sich die Beamten der verschiedenen Ressorts auf der Brücke zur Untersuchung ein, und sogleich fand man auf einem Brückenpfeilerabsatz einen Schneeschuh. Die Familie erkannte ihn als Rasputins Schuh wieder.

Durch diese ersten Erfolge ermutigt, verdoppelte die Polizei ihre Bemühungen. Der Schnee hatte die Blutspuren schon wieder verdeckt, aber an der Westseite eines der Brückenpfeiler konnte man noch Blut sehen. Man liess einen Taucher die Umgebung der Brücke absuchen, doch mussten die Arbeiten wegen Hereinbrechens der Dunkelheit zunächst einmal ergebnislos abgebrochen werden. Andererseits hatte an diesem Tage die Analyse ergeben, dass die im Hofe des Palais Yussupow aufgefundenen Blutspuren kein Hundeblut, sondern Menschenblut waren.

Am 18. sprach man in ganz Petersburg den ganzen Tag nur vom Verschwinden des Staretz, und in diesen Unterhaltungen traten immer deutlicher die Einzelheiten der Tat und die Namen der daran beteiligten Personen zutage. Protopopow hielt ständig das kaiserliche Palais über den Stand der Untersuchungen auf dem laufenden. Die Zarin zweifelte jetzt nicht mehr daran, dass ihr Freund tot war.

Am 18. morgens erschien der Adjutant Maximowitsch im Palais des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch im Auftrage der Zarin und gab dem Grossfürsten bekannt, dass er seine Wohnung nicht verlassen dürfe. Der Grossfürst wollte daraufhin die Zarin sprechen, aber sie lehnte eine Unterredung ab.

Fürst Yussupow hatte sich im Palais des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch in Sicherheit gebracht. Dmitri erhielt von der Grossfürstin Elisaweta Feodorowna ein Telegramm, in dem sie ihn bat, Yussupow zu sagen, dass sie für ihn bete und ihn für seine patriotische Tat segne.

Da das Gerücht umlief, dass die treuen Anhänger des Staretz ein Attentat auf den Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch vorhatten, wurde das Palais bewacht. Trotzdem liess man aber die Personen eintreten, die den Grossfürsten zu sprechen wünschten. Unter diesen Besuchern befand sich auch der Grossfürst Nikolai Michailowitsch. Er erzählte, dass er beim Eintreten anstatt »Guten Tag« gesagt habe: »Meine Herren Mörder, ich begrüsse Sie!« Als Yussupow einsah, dass es keinen Zweck mehr hatte, ihm gegenüber etwas abzustreiten, bekannte er die volle Wahrheit.

Am 19. morgens nahm die Polizei ihre Arbeiten an der Petrowskibrücke wieder auf. In dem Augenblick, als der Taucher ins Wasser steigen wollte, bemerkte ein Beamter der Flusspolizei, der die eisfreien Stellen am Ufer in der Nähe der Brücke untersuchte, etwas Schwarzes auf der Wasseroberfläche. Es war Rasputins Pelz. In der Höhe des Kragens war er mit einem Stück schwarzen Stoffes zusammengebunden. Als der Taucher ins Wasser stieg, hatte er bald die Leiche gefunden. Sie war unter die Eisdecke geraten, an die sie jetzt mit dem Rücken angefroren war. Um sie loszubekommen, musste man das Eis aufhacken. Sie war bekleidet mit einem blauen Hemd, weiten Hosen und hohen Stiefeln. Die Beine waren oberhalb der Knie zusammengebunden mit einem Tau, dessen Ende gleichzeitig noch um das rechte Handgelenk gewickelt war. Die Augen waren geschlossen, der Mund ein wenig geöffnet, die Zähne zusammengepresst. Das Gesicht war mit Blut bedeckt. Die Leiche zeigte drei Wunden: eine am Kopf, eine an der Brust, eine dritte am Rücken.

Die Behörden waren rasch zur Stelle. Der Justizminister erschien ebenfalls persönlich. Mit einer Verspätung von vierundzwanzig Stunden nahmen die Justizbehörden endlich ihre Arbeit in Angriff. Man liess die Leiche von mehreren Photographen aufnehmen, dann setzte man ein Protokoll auf. Und schliesslich schaffte man sie ins Tschesma-Hospital, das auf der Chaussee von Petersburg nach Zarskoje-Selo liegt.

 

Im Palais des Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch erschienen inzwischen weitere Besucher. Die Grossfürsten Kyrill Wladimirowitsch, Andrei Wladimirowitsch und Gawril Konstantinowitsch kamen, um Dmitri Pawlowitsch ihre Sympathie und ihre moralische Unterstützung auszusprechen. Sie sagten, dass ihr Schritt ganz unabhängig von der Frage geschähe, ob Dmitri Pawlowitsch wirklich in die Tat verwickelt sei oder nicht. Dmitri Pawlowitsch war gerührt. Er erzählte ihnen wieder die Hundegeschichte, die Yussupow bestätigte.

Die moralische Haltung im grossfürstlichen Palais war gut. Die beiden jungen Leute sangen sogar und spielten Klavier und Gitarre. Dann kam der Grossfürst Nikolai Michailowitsch und erzählte ihnen, dass man die Leiche gefunden habe. Diese Nachricht war eine unangenehme Ueberraschung.

 

Um sechs Uhr abends traf der Zar aus Mogilew ein. Nach dem Essen hörte er den Bericht des Innenministers Protopopow an. Was er hörte, empörte ihn aufs äusserste. So ruhig er in Mogilew die Nachricht von der Ermordung des Staretz entgegengenommen hatte, so aufgewühlt war er jetzt, als er die näheren Umstände erfuhr, unter denen der Mord vor sich gegangen war. In diesem Zeitpunkt waren in ganz Petersburg schon fast alle Einzelheiten bekannt, und auch der Minister war über den Stand der Untersuchungen ganz genau im Bilde.

Um elf Uhr abends empfing der Zar den Grossfürsten Pawel Alexandrowitsch, den Vater des Dmitri Pawlowitsch.

Der Grossfürst war tief bewegt und protestierte gegen den seinem Sohn auferlegten Arrest und bat um Aufhebung dieser Massnahme. Er erzählte, dass sein Sohn beim Andenken seiner seligen Mutter geschworen habe, dass er seine Hände nicht mit dem Blute des Staretz befleckt habe. Der Zar erklärte, dass Dmitri auf seinen Befehl unter Bewachung gehalten werde, und er werde eine Antwort im Laufe des Vormittags bezüglich der Aufrechterhaltung der Massnahme geben. Am nächsten Morgen teilte der Zar dem Grossfürsten schriftlich mit, dass eine Aufhebung des Arrestes erst nach völliger Aufklärung der Angelegenheit in Frage kommen könne, und er wünsche, dass Dmitri Pawlowitschs Unschuld aus der Untersuchung hervorgehe.

Am 20. Dezember abends um zehn Uhr nahm der Professor Kossorotow im Totenzimmer des Tschesma-Hospitals die Sezierung der Leiche vor. Er konstatierte drei Schusswunden. Die erste Kugel war in die linke Brustseite eingedrungen und war durch Magen und Leber gegangen; die zweite war rechts im Rücken eingedrungen und hatte die Rippen durchschlagen; die dritte hatte Rasputin an der Stirn getroffen und war ins Gehirn eingedrungen. Die beiden ersten Kugeln hatten den Staretz noch im Stehen getroffen, die dritte erst, als er schon auf der Erde lag. Die Gehirnmasse strömte einen Alkoholgeruch aus. Im Magen fand der Professor an zwanzig Löffel einer bräunlichen Flüssigkeit, die ebenfalls nach Alkohol roch. Gift konnte nicht festgestellt werden.

Auf dem Leichnam fand man ein kleines goldenes Kreuz, auf dem die Worte »Rette und hilf« eingraviert waren, und ausserdem ein Armband aus Gold und Platin, dessen Verschluss den Buchstaben »N« sowie die Krone und den Doppeladler zeigte. Diese beiden Gegenstände und das blaue Hemd wurden am 28. Dezember vom kaiserlichen Palais angefordert.

Der Leichnam wurde dann in die Kapelle des Tschesma-Hospitals gebracht.

Die Familie Rasputins bekam dort am 20. Zutritt, und sein Freund, der Bischof Isidor, sprach ein Requiem und hielt den Sterbegottesdienst. Das Waschen und Ankleiden der Leiche übernahm die Akulina Laptinskaja.

Noch am selben Tage beriet man sich im kaiserlichen Palais darüber, wo der Staretz begraben werden sollte. Die Wyrubowa und Protopopow waren der Meinung, dass man ihn in Zarskoje-Selo beerdigen solle. Man sprach sogar davon, den Sterbegottesdienst im Feodorowski-Sobor abzuhalten und ihn dort beizusetzen. Der General Wojekow erhob dagegen energischen Widerspruch und versuchte darzulegen, dass man ihn unbedingt nach Sibirien schaffen und dort in heimatlicher Erde bestatten müsse.

Aber alle angeführten Gründe des Generals blieben unbeachtet und verschärften nur noch die Antipathie, die die Zarin schon gegen ihn empfand. Man beschloss dann schliesslich, den Staretz auf einem der Wyrubowa gehörigen Terrain zwischen dem Dorfe Alexandrowka und dem Alexandrowski-Park zu begraben. Später sollte dort eine Kapelle errichtet werden.

Der General Wojekow versuchte dann noch, den Zaren zu bestimmen, den Beerdigungsfeierlichkeiten nicht beizuwohnen. Der Zar hörte ihn an, ohne ein Wort zu sagen.

Noch am selben Tage entliess der Zar den Justizminister Makarow, dessen Verhalten ihn empört hatte, und ersetzte ihn durch den Senator Dobrowolski, der ihm schon vor längerer Zeit von Rasputin empfohlen worden war.

 

Am 21. morgens wurde dem General Wojekow gemeldet, dass Ihre Majestäten einen Wagen angefordert hätten.

Um neun Uhr fuhr das Zarenpaar mit den vier Töchtern nach der Stelle, wo der Staretz beigesetzt werden sollte. Niemand aus dem Gefolge begleitete sie.

Als die kaiserliche Familie die Grabstelle erreichte, war der Sarg schon versenkt. Man hatte dem Staretz das Heiligenbild auf die Brust gelegt, das auf der Rückseite die Namenszüge der Zarin und ihrer Töchter trug; die Wyrubowa hatte es ihm noch am Tage seiner Ermordung überbracht. Nur die Zarenfamilie, die Familie Rasputins, die Wyrubowa und ein paar intime Freunde waren bei der Beerdigung zugegen.

Da an den folgenden Tagen Unbekannte das Grab entweihten, musste man es unter Bewachung stellen. Alles Geschwätz und Gerede ging nun wieder von neuem los. Nach einiger Zeit begann man mit der Errichtung einer Kapelle.

 

Im Zarenpalast war die Stimmung ausserordentlich verzweifelt. Die Zarin äusserte ihren Intimen gegenüber, dass man nunmehr eine schreckliche Katastrophe erwarte.

Durch Protopopows Berichte kam man dahinter, dass eine ganze Menge von Personen vorher schon über das Mordprojekt Bescheid gewusst hatten und dass Leute gesetzten Alters, ja sogar solche im Greisenalter, die jungen Leute in ihrem Unternehmen noch ermutigt hatten; dass man ihnen Beistand zugesagt und dass die erste Petersburger Gesellschaft die Nachricht von der Ermordung Rasputins mit grosser Freude aufgenommen hatte. Die von den Behörden aufgefangenen Korrespondenzen bewiesen das mit unwiderlegbarer Klarheit.

Das Verhalten einer Reihe von Mitgliedern der Dynastie war ebenfalls ein Beweis dafür.

Am 21. Dezember versammelten sich nämlich beim Grossfürsten Andrei Wladimirowitsch dessen zwei Brüder und die Grossfürsten Pawel Alexandrowitsch und Alexander Michailowitsch, um die Lage zu besprechen. Man beschloss, beim Zaren vorstellig zu werden, um die Einstellung des Verfahrens zu erreichen.

Am nächsten Morgen wurde der Grossfürst Alexander Michailowitsch, den die Teilnehmer an dieser Zusammenkunft zur Verhandlung mit dem Zaren bestimmt hatten, von Nikolaus II. empfangen. Der Grossfürst war der Schwiegervater Yussupows. Er drückte den Wunsch aus, in aller Offenheit »wie bei einer Beichte« sprechen zu dürfen. Der Zar bewilligte das, und der Grossfürst erzählte ihm nun alles, was er von dem unheilvollen Einfluss Rasputins wusste; er erklärte, dass der Sache ein Ende gemacht werden müsse, und bestand darauf, dass alle Verhafteten in Freiheit gesetzt würden. Nach Ansicht der Wyrubowa, die gerade im Palais war, soll der Grossfürst sehr aufgebracht gewesen sein. Nikolaus geriet darüber in noch grössere Empörung und liess sich nicht umstimmen.

Ausserdem setzten diese Personen alles daran, auf den Premierminister, den Justizminister und den Innenminister einzuwirken, damit auch sie auf die Einstellung des Verfahrens drängten. Der Grossfürst Alexander Michailowitsch war dabei der rührigste, und vor allem suchte er seinen Einfluss beim neuen Justizminister Dobrowolski geltend zu machen. Der neue Justizminister war ohnedies der Meinung, dass man das Verfahren einstellen müsse, ebenso der Premierminister, der seinen Posten verlassen hatte, und auch Protopopow. Die Tatsache, dass ein Grossfürst in eine Untersuchung wegen Mordes verwickelt war, und die ganzen Hintergründe dieser Geschichte brachten sie zu der Auffassung, dass die Untersuchung sowieso nicht in voller Unbeschränktheit durchgeführt werden könne. Ausserdem war es nach dem Gesetz nicht möglich, ein Mitglied der Dynastie abzuurteilen; allerdings hätte der Zar das Recht gehabt, dem Grossfürsten seine Titel und Vorrechte abzusprechen und ihn damit vor den Gerichten jedem anderen Angeklagten gleichzustellen.

Ob man nun das Verfahren ohne Urteil einstellte oder die Sache dem Arm der Gerechtigkeit überliess: in jedem Falle musste es einen grossen Skandal geben, und es war sehr schwer vorauszusehen, welcher Weg die schlimmsten Folgen nach sich ziehen würde. Aber danach hat sich keine der betreffenden Personen gefragt.

siehe Bildunterschrift

General Spiridowitsch, Chef der geheimen Sicherheitspolizei am Hof Nikolaus II. von 1906-1916.

Der Zar, den der Mord und die näheren Umstände so sehr in Empörung versetzt hatten, bekämpfte seine inneren Gefühle. Er, der die Mörder als Ungeheuer bezeichnet hatte, er, der gesagt hatte: »Ich schäme mich vor Russland, dass meine Verwandten ihre Hände mit dem Blut dieses Bauern befleckt haben!« – er liess Milde walten.

Er antwortete der Zarin-Mutter auf ihre Depesche mit einem Telegramm, in dem er sie darüber beruhigte, dass gerichtliche Verfolgungen nicht einsetzen würden und dass man die Sache in Gottes Hände legen werde.

Am 23. Dezember befahl er tatsächlich, dass die gerichtlichen Untersuchungen gegen diejenigen Personen, die beschuldigt würden, Rasputin ermordet oder die Spuren der Tat verwischt zu haben, niedergeschlagen werden sollten. Unter diese letzteren fiel auch der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch.

Der Fürst Yussupow wurde auf eines seiner Güter im Gouvernement Kursk ins Exil geschickt. Er musste noch am selben Tage abreisen.

Der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch bekam, ebenfalls noch am 23. Dezember, den offiziellen Befehl des Zaren, sich unverzüglich an die persische Front zu begeben, wo er sich dem General Baratow zur Verfügung zu stellen habe. Der Befehl schrieb ihm vor, den Zug in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember um zwei Uhr zu nehmen; er werde vom General Leiming und dem Grafen Kutaissow, dem Adjutanten des Zaren, begleitet werden.

 

Dass der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch in die Verbannung geschickt wurde, entfachte eine Art von Aufstand unter den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses, die gerade in Petersburg waren. Das Zentrum dieser Protestbewegung war das Palais der Grossfürstin Maria Pawlowna, der älteren. Es lief sogar das Gerücht um, dass sich ein richtiges Komplott gegen den Zaren vorbereite. Das traf zwar nicht zu, aber es fanden sich Leute, die das glaubten. In Wirklichkeit handelte es sich um Besprechungen unter den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses, die den ganz natürlichen Wunsch hatten, dem Grossfürsten Dmitri zu Hilfe zu kommen, und sich darüber berieten, auf welchem Wege man das wohl erreichen könnte.

Im Verlaufe dieser Zusammenkünfte wurde beschlossen, eine Petition an den Zaren zu richten. Man entschied sich für einen Wortlaut, den die Fürstin Palei entworfen hatte. In diesem Brief bat man den Zaren, den Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch von der persischen Front zurückzurufen und ihn ins Exil auf seine Besitzungen in Ussowo oder Illinskoje zu schicken. Die Eingabe trug sechzehn Unterschriften.

Besonders die jüngeren Mitglieder der Dynastie waren vom Kampfgeist beseelt. Der Grossfürst Nikolai Michailowitsch sprach sich vor allem in sehr lebhaften Ausdrücken gegen die Zarin aus. Man erwog sogar, ob man sich nicht demonstrativ von der Neujahrsvisite bei den Majestäten fernhalten sollte; aber schliesslich liess man diesen Gedanken doch wieder fallen.

Am nächsten Morgen kam die Petition an den Grossfürsten Pawel Alexandrowitsch mit folgender Notiz des Zaren zurück:

»Niemand hat das Recht, zu töten. Ich weiss, dass es viele gibt, die von ihrem Gewissen gequält werden, denn Dmitri Pawlowitsch ist nicht der einzige, der in dieser Sache beschuldigt wird. Ich wundere mich über den Brief, den Ihr mir geschickt habt. Nikolaus.«

Diese Antwort empörte einige der Unterzeichner, beleidigte andere und trieb den Groll auf den Gipfelpunkt; denn man schrieb diesen Brief wieder der Zarin zu.

Die ersten drei Weihnachtstage verliefen im Zarenpalast im Gedenken an Rasputin. Der Zar hatte den Premierminister Trepow, der ein Feind des Staretz gewesen war, abgesetzt und an seiner Stelle den Fürsten Golyzin ernannt.

Den Abend des ersten Tages verbrachte das Zarenpaar bei der Wyrubowa. Die Kinder und die Frau Rasputins waren auch eingeladen. Die Majestäten waren sehr freundlich zu ihnen und das Zusammensein verlief in grosser Rührung.

Am dritten Tage stiess sich der Thronfolger beim Spielen den Arm, und wie immer bekam er davon heftige Schmerzen. Die Zarin holte ein seidenes Hemd, das der Staretz getragen hatte, legte es unter das Kopfkissen des Kindes und sagte ihm, es solle an den Freund denken. Das Kind soll dadurch Linderung verspürt haben. Alexandra Feodorowna hatte zu dem toten Staretz noch denselben Glauben wie zu dem lebenden. Bis zu seiner Ermordung war er für sie ein Gottesmann gewesen; jetzt meinte sie, dass er »für sie das Martyrium erlitten habe«.

Am 29. Dezember liess man den Metropoliten Pitirim, weil er mit dem Staretz befreundet gewesen war, im Zarenpalast die Weihnachtskantaten singen. Er und die Wyrubowa wurden zum Essen eingeladen, bei dem auch noch der General Groten, der neue Adjunkt des Generals Wojekow, zugegen war. Der Palastkommandant Wojekow war wegen seiner Abneigung, die er gegenüber dem ermordeten Staretz in der Untersuchungsaffäre hatte durchblicken lassen, in Ungnade gefallen.

Noch am selben Tage befasste sich der Zar mit dem Verhalten des Grossfürsten Nikolai Michailowitsch, dessen Aeusserungen ihm zu Ohren gekommen waren.

Der Grossfürst hatte schon am 1. November eine Unterredung mit dem Zaren gehabt, bei welcher er dem Herrscher einen Brief übergab, in dem er behauptete, dass es unerlässlich sei, die Zarin von den Staatsgeschäften fernzuhalten. Ausserdem schrieb er dem Zaren einen Brief, in dem er nochmals alles zusammenfasste, was er persönlich dargelegt oder den Hofminister dem Zaren auszurichten gebeten hatte.

Der Zar gab ihm darauf folgende Antwort:

 

»Der Graf Fredericks sollte Dir auf meinen Befehl mitteilen, dass Du die Hauptstadt verlassen und für zwei Monate nach Gruschewka gehen solltest. Ich bitte Dich, den Befehl auszuführen und morgen nicht zur Audienz zu erscheinen. Befasse Dich auch nicht mehr mit der Kommission zur Ausarbeitung der Friedensvorschläge. Ich sende Dir die Papiere von verschiedenen Ministerien zur Frage der Jubiläumskommission zurück.

Niki. 31. Dezember 1916.«

 

Schon am 1. Januar reiste der Grossfürst ab. Seine Exilierung erregte in der Hauptstadt grosses Aufsehen. In den aristokratischen Salons, in denen man eine Kampagne gegen das Zarenpaar führte, die jedem Revolutionär Ehre gemacht hätte, zeigte man sich von jetzt an sehr vorsichtig. Nach einiger Zeit verliessen fast alle Mitglieder der Dynastie die Hauptstadt. Noch vor der Abreise des Grossfürsten war sein Bruder, der Grossfürst Alexander Michailowitsch mit seinen Söhnen nach Kiew gefahren. Der Grossfürst Pawel Alexandrowitsch reiste an die Front ab. Grossfürst Kyrill Wladimirowitsch wurde mit einem Auftrag an die Murmanküste geschickt, der Grossfürst Andrei Wladimirowitsch wegen Krankheit beurlaubt. Die Grossfürstin Maria Pawlowna, die ältere, reiste nach dem Kaukasus wegen Angelegenheiten ihres Komitees.

In Petersburg und in Zarskoje-Selo war allmählich nur noch die Zarenfamilie im engen Sinne des Wortes. Damit hörten die Gerüchte von einer »Verschwörung« der Grossfürsten ganz von selbst auf.

So endete äusserlich das Durcheinander, das Rasputins Ermordung in der Dynastie hervorgerufen hatte.


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