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»Ein Land, in dem ein Gottesmann dem Herrscher hilft, kann nie zugrunde gehn«

Am 1. November hielt Miljukow, der für den Fall des Umsturzes des Regimes als Aussenminister ins Auge gefasst war, in der Duma eine Rede, die er später selbst als »Signal zum Sturmangriff« bezeichnet hat.

Indem er so tat, als habe er gewisse beweiskräftige Dokumente im Besitz, griff er die Regierung und vor allem Stürmer mit grosser Heftigkeit an, und dabei stützte er sich hauptsächlich auf deutsche Zeitungsausschnitte. Er erwähnte die Namen Protopopow, Manassewitsch-Manuilow, Rasputin und Pitirim, die er unter der Bezeichnung »Hofpartei« zusammenfasste.

»Ich habe Anlass, zu glauben«, sagte er, »dass die Vorschläge, die Protopopow von dem Deutschen Warburg gemacht worden sind, auf einem direkteren Wege und aus höherer Quelle wiederholt wurden.«

Diese Anspielung auf den kaiserlichen Palast war unverkennbar. Miljukow erklärte weiter, er habe gehört, dass auch der Botschafter Buchanan »eine schwere Anklage gegen diese selbe Gruppe von Personen erhoben habe: nämlich die Anschuldigung, den Weg zu einem Separatfrieden vorzubereiten«. Dann zählte er alle Fehler auf, die nach seiner Meinung die Regierung gemacht hatte. Mehrere Male richtete er an das Auditorium die Frage: »Muss man darin Dummheit oder Verrat erblicken?« Und als ob er selbst der Duma die Antwort soufflieren wollte, sagte er: »Nein, meine Herren, Sie mögen sagen, was Sie wollen! Das wäre wirklich etwas zu viel Dummheit. Es scheint mir schwer zu sein, das alles mit Dummheit zu erklären.«

Die Duma schenkte dem Vorwurf des Verrats Glauben und spendete den Ausführungen des Redners grossen Beifall. Nur die Abgeordneten der Rechten entrüsteten sich, und von ihren Bänken erschollen die Rufe: »Verleumder! Verleumder!« Miljukow wusste besser als irgend jemand, dass er log. Aber diese Lüge war notwendig, um die Regierung zu stürzen; denn wenn man sich auch legaler Mittel bediente, so hatte man doch die Duma zusammenberufen, um gegen die Macht Sturm zu laufen.

siehe Bildunterschrift

Zarin Alexandra, geb. Prinzessin Alix von Hessen.

V. L. Burtsew, der bekannte Sozialist und Revolutionär, ein grosser und achtbarer Patriot, ein Fanatiker und Visionär, spricht in folgenden Ausdrücken von dieser Rede:

»Als Miljukow seine Rede hielt, sass ich auf den Tribünen der Duma neben einer bekannten Politikerin. Wie alle Politiker, waren auch wir voller Aufregung, und keines seiner Worte entging uns. Während er mit der einen Hand ein Bündel Papiere hin und her schwang, rief er aus, dass er darin die wohlbegründeten Beweise für seine Anklage des Verrats gegen die in Frage kommenden Personen habe … Der Applaus war noch nicht abgebrochen, als ich mich zu meiner Nachbarin wandte und zu ihr sagte:

›Eine markante historische Rede! Aber sie ist vollkommen auf Lüge aufgebaut!‹«

Diese Versammlung hatte einen grossen Erfolg. Sie lief mit Blitzesschnelle durch ganz Russland. Die von der Zensur gestrichenen Stellen der Rede wurden in den heimlichen Ausgaben, die man in grossen Mengen in der Bevölkerung und im Heer verteilte, wieder aufgenommen. Jedermann glaubte an den behaupteten Verrat, an die Manöver zum Abschluss eines Sonderfriedens.

Im Lager des Staretz herrschte Aufregung. Protopopow bemühte sich, die Bedeutung dieser Kampagne in den Augen der Zarin abzuschwächen. Aber die Zarin fühlte klar, dass das eine neue Offensive war, die gegen ihren »Freund« und gleichzeitig gegen sie selbst losbrach. Und sie hatte sich nicht geirrt. Noch ein paar Tage vorher hatte die Zarin-Mutter in Kiew Nikolaus II. aufs ernsteste vor Rasputin gewarnt. Am 1. November hatte der Grossfürst Nikolai Michailowitsch im Laufe einer sehr offenen Aussprache den Zaren ebenfalls gewarnt. Am 3. November erlangte der Abgeordnete Purischkewitsch, als er mit seinem Sanitätszug durch Mogilew kam, eine Audienz beim Zaren und erstattete ihm einen Bericht über den unheilvollen Einfluss, den Rasputin auf die Gemüter ausübte. Fast alle Personen aus dem Gefolge und die Grossfürsten hatten vor dieser Audienz den Abgeordneten inständig gebeten, in voller Offenheit mit dem Zaren über Rasputin zu sprechen und alles aufzudecken. Das tat Purischkewitsch.

Zu Beginn dieses Monats November sah die Zarin Rasputin fast täglich: am 3., 4., 5. und 7. unterhielt sie sich mit ihm. Auch mit Protopopow hatte sie fast täglich Besprechungen. Im Verlaufe einer Zusammenkunft am 7. November rieten ihr Rasputin und Protopopow, Stürmer auf einige Zeit zu beurlauben. Die Zarin schloss sich diesem Rat an. Sie schrieb in diesem Sinne an ihren Gatten und bat ihn am nächsten Tage, auf Anraten Rasputins, nach Zarskoje-Selo zu kommen, um dort alles zu regeln.

Der Zar liess Stürmer ins Hauptquartier kommen und enthob ihn am 9. November seiner Funktionen. Noch am selben Tage kam er mit Trepow, dem Minister für das Verkehrswesen, zusammen, dem er den Posten des ersten Ministers übertrug. Trepow bat Nikolaus um die Amtsenthebung von Protopopow und zwei anderen Ministern, deren Namen für die russische Gesellschaft sehr eng mit dem Namen Rasputin verknüpft waren. Der Zar ging darauf ein, jedoch unterzeichnete er bezüglich Protopopows das Dekret nicht gleich, sondern sagte, dass er es durch einen Boten senden werde.

Nach seiner Rückkehr aus Mogilew, am 10. November, wurde Stürmer von der Zarin empfangen. Sie bat ihn, Trepow zu sagen, wie er sich hinsichtlich Rasputins zu verhalten habe, und ihm bekanntzugeben, dass er ihn Tag und Nacht bewachen lassen müsse.

Am nächsten Tage, am 11. November, bekam die Zarin einen Brief von Nikolaus, in dem er ihr mitteilte, dass er Protopopow abgesetzt habe:

»Das tut mir leid um Protopopow, der ein guter und anständiger Kerl ist, aber er ist sehr sprunghaft in seinen Gedanken und kann sich niemals entschliessen, eine feste Ansicht zu haben … Das hatte ich schon von Anfang an bemerkt. Man behauptet, dass er vor ein paar Jahren nicht ganz normal gewesen sei, und zwar in Auswirkung einer gewissen Krankheit, wegen der er sich an Badmajew wandte. Es wäre doch riskant, das Innenministerium in einem solchen Zeitpunkt diesem Manne weiter zu überlassen.«

Und er schloss mit folgenden Worten:

»Nur darum bitte ich Dich – verquicke nicht unsern Freund damit. Ich bin es, der für die Sachen verantwortlich ist, und ich wünsche, frei wählen zu können.«

Die Zarin war natürlich verdutzt bei dieser Nachricht, dass Protopopow abgesetzt werden sollte.

Stürmer und Trepow waren zum 11. November von ihr vorgeladen. Der listige Stürmer konnte sich nicht entschliessen, ihr über die neuen Pläne des Zaren etwas zu sagen, aber Trepow, der darin offener war, brachte die ganze Sache zum Scheitern.

In den Plänen Trepows erblickte Alexandra Feodorowna eine Intrige, die in erster Linie gegen ihren eigenen Einfluss gerichtet war. Das war wieder, dachte sie, eine neue Kampagne gegen alle, die ihrem Gatten und ihr ergeben waren. Die Minister, die man sich abzusetzen entschloss, waren doch gerade die besten, die sichersten und treusten Diener des Zaren! Man jagte doch gerade diejenigen fort, die den Staretz verehrten und deren Arbeit dadurch unter Gottes Segen stand!

Sie benutzte daher ihren ganzen Einfluss, um ihren Mann umzustimmen. Sie sandte ihm eine ganze Serie von Telegrammen und Briefen, in denen sie ihn geradezu anflehte, doch auf keinen Fall sich von Protopopow zu trennen und keine neuen Ernennungen vorzunehmen, bevor er nicht mit ihr Rücksprache genommen hätte.

In der Nacht um zwei Uhr telefonierte Rasputin an Manuilow und bat ihn, eiligst zu kommen: »Ich habe dir eine Neuigkeit mitzuteilen«, sagte er mit bewegter Stimme. Und als sein Freund da war, unterrichtete er ihn von einer Unterhaltung, die er bei der Zarin gehabt hatte. »Es ist beschlossene Sache«, sagte er, indem er seinen Zeigefinger Manuilow auf die Brust setzte, »dass wir Papa nicht im Stich lassen. Papa hat einen Haufen von Dummheiten gemacht, und Mama wird zu ihm fahren!«

Am 12., nachmittags, reiste die Zarin mit ihren Töchtern nach dem Hauptquartier in Mogilew ab. Die Wyrubowa begleitete sie.

Das Eintreffen der Zarin warf tatsächlich alle Entscheidungen des Zaren über den Haufen. Protopopow blieb auf seinem Posten. Als Trepow wieder nach Mogilew kam, um seinen Kandidaten vorzuschlagen, lehnte der Zar kategorisch ab, den Kandidaten zu ernennen. Und als der neue Premierminister darauf Miene machte, zu erklären, dass er, wenn Protopopow bliebe, nur noch um Enthebung von seinen Funktionen zu bitten habe, forderte Nikolaus ihn mit gebieterischem Tone auf, seinen Posten zu behalten, der ihm anvertraut worden sei, und mit den Ministern, die er – der Monarch – bestimmte, zusammenzuarbeiten. Trepow gab nach.

Ein so frappantes und so klares Beispiel für die Herrschaft, die der Staretz auf Nikolaus II. ausübte, hatte man bislang noch nicht erlebt. Wie ein persischer »Pir« wirkte Rasputin vermittels seines »Naib« Wyrubowa auf die Zarin ein, die ihrerseits den Zaren beeinflusste. In Anwesenheit des »Pir« setzten seine beiden »Naibs« seine suggestive Einwirkung fort. Dieser Fall, dass ein Hypnotiseur durch die Vermittlung einer ihm ganz unterworfenen Person einwirkt, kommt bei den persischen Derwischen sehr häufig vor.

In Petersburg wusste man rasch, dass Protopopow seinen Posten nur durch die Einwirkung der Zarin und Rasputins behalten hatte. In der ganzen Hauptstadt sprach man nur noch von den »dunklen Mächten«. In den Gängen der Duma erzählte man sich, dass die Zarin in ihrem Zuge nach Mogilew mit der Wyrubowa zusammen die zukünftigen Reichsratsmitglieder aussuche, indem sie »Ganz Petersburg« und »Ganz Moskau« durchgingen.

Die Wolken zogen sich mehr und mehr zusammen.

Am 19. November hielt der Duma-Abgeordnete Purischkewitsch, der als fanatischer Monarchist galt, eine geisselnde Rede gegen die Regierung.

»Wenn ihr treue Untertanen seid, … so geht hin in die kaiserliche Stawka, werft euch dem Zaren zu Füssen und bittet ihn, dass er euch erlaubt, ihm die Augen über die entsetzliche Wahrheit zu öffnen … Dann werden sie alle aus unserem Gesichtskreis verschwinden: der Andronikow, der Warwara, der Mardari, der Manassewitsch und all die anderen Herren, die eine Schande für unser Dasein sind.«

Auch in dieser Rede mischten sich Wahrheit mit Verleumdung. Aber obgleich man allgemein wusste, dass der Abgeordnete teilweise die Unwahrheit sprach, fand doch seine Rede grösseren Widerhall als Miljukows Rede: denn sie war kühner und demagogischer.

»Die Rede«, sagt Wladimir Burtsew in seinem Werk über Rasputin, »enthielt dieselben Lügen wie die Rede von Miljukow. Aber wie er, drückte auch Purischkewitsch alles aus, was sich in der Seele der russischen Gesellschaft angesammelt hatte … Und sogar diejenigen, die wussten, dass diese Anklagepunkte unwahr waren, hielten es für unnütz, sie zurückzuweisen, ja: sie meinten sogar, dass man es nicht tun dürfe. Man bekämpfte diese Anklagepunkte auch noch nicht einmal, als es klar geworden war, dass die Dokumente, die Miljukow auf der Tribüne der Duma vorgezeigt hatte und die nach seiner Behauptung die schriftlichen Beweise für alle seine Behauptungen enthalten sollten, in Wirklichkeit nicht die geringsten Beweise für Spionage seitens der Regierungskreise zugunsten Deutschlands enthielten. Man wies sie auch dann noch nicht zurück, als es sicher geworden war, dass, im allgemeinen wenigstens, sämtliche Anklagepunkte ohne Unterlagen waren. Tatsächlich spielten sie nämlich in jenem Augenblick eine notwendige Rolle und kamen den Wünschen aller entgegen.«

Am 26. November kam der Zar nach Zarskoje-Selo zurück. Er blieb bis zum 4. Dezember. Zur grössten Wut der Dumakreise befestigte sich in dieser Zeit Protopopows Stellung endgültig. Alle wussten, dass das Rasputins Werk war.

Trepow versuchte nun, Rasputin zu kaufen. In seinem Auftrage schlug einer seiner Verwandten, der General Mossolow, dem Staretz bei einer Flasche Madeira eines Tages vor, dass man ihm von jetzt an eine erhebliche Summe, eine Art von beträchtlicher monatlicher Pension, zahlen wolle, wenn er bereit sei, sich nicht mehr in die Ernennungen zu mischen und nach Sibirien abzureisen. Dieses Angebot versetzte den Staretz in grosse Wut. Er werde, sagte er, nach Zarskoje-Selo fahren und »Papa« und »Mama« fragen, was er tun solle. Der General möge doch in zwei oder drei Tagen wiederkommen und sich die Antwort holen. Mossolow, der auf diese Wendung nicht gefasst gewesen war, zog es vor, nicht wieder vor dem Staretz zu erscheinen. In Zarskoje-Selo war man wegen dieses Angebots empört. Aber Rasputin triumphierte: konnte er doch wieder einmal beweisen, wie uninteressiert und unbestechlich er war!

Um diese Zeit wurden noch mehrere Versuche unternommen, der Zarin die Augen über den Staretz und seinen Freund Protopopow zu öffnen. Am 26. November hatte die Grossfürstin Viktoria Feodorowna mit ihr darüber eine Aussprache. Kurze Zeit darauf bekam Alexandra Feodorowna einen Brief von der Fürstin Wassiltschikowa. Dieser Brief war aber im Grunde brutal und in der Form unliebenswürdig, so dass er nur zur Folge hatte, dass das kaiserliche Paar sich erboste und die Fürstin auf ihre Güter verbannte. Balaschew, ein Reichsratsmitglied, schrieb ebenfalls, aber auch ohne jeden Erfolg. Abgesehen davon, bekam die Zarin und die Wyrubowa eine Unmenge heftiger anonymer Zuschriften, die sich mit dem Fall Rasputin befassten. Die öffentliche Meinung wurde immer feindseliger gegen die Herrscherin.

So war die Situation, als Nikolaus II. am 4. Dezember wieder ins Hauptquartier abreiste. Am Abend vor seiner Abreise traf er Rasputin bei der Wyrubowa. Annuschka schildert uns diese Szene selbst mit folgenden Worten:

»Der Zar erschien mit sorgenvoller Miene. Er setzte sich und sagte:

›Nun, Grigori, bete mit grossem Eifer! Es will mir scheinen, dass jetzt sich sogar die Natur noch gegen uns wendet.‹

Er erzählte, dass Schneestürme die Getreidezüge nicht nach Petersburg kommen liessen. Grigori Jefimowitsch tröstete ihn und sagte, dass man vor allen Dingen keinen Frieden schliessen dürfe, denn der Sieg würde sich wieder dem Lande zuwenden, das Höchstmass an Ausdauer und Festigkeit beweise. Der Zar stimmte ihm darin vollkommen bei.

Schliesslich sagte Grigori Jefimowitsch, dass man daran denken müsse, für die Waisen und die Kriegsverletzten zu sorgen, damit keiner von ihnen gekränkt würde, denn jeder habe dem Zaren das Kostbarste gegeben, was er hatte.

Als die Majestäten sich erhoben, um Abschied von uns zu nehmen, sagte der Zar wie jedesmal:

›Grigori, segne uns alle!‹

›Heute wirst du mir den Segen geben‹, antwortete Grigori Jefimowitsch. Und der Zar erteilte ihm den Segen.«

Dies war nicht das erste Mal, dass Rasputin erklärte, man dürfe keinen Frieden schliessen, sondern müsse bis zum vollständigen Siege durchhalten. Er brachte diesen Gedanken sogar sehr oft zum Ausdruck, und nie hörte man aus seinem Munde Meinungen, die man hätte als »germanophil« ansprechen können. Es liegt nicht ein einziger Beweis dafür vor, dass Rasputin germanophil war oder einen »Separatfrieden« anstrebte. Alle darüber umlaufenden Gerüchte entbehrten jeglicher Grundlage. Der Autor hatte selbst Gelegenheit, ihn sagen zu hören, dass man die Feindseligkeiten bis zum Enderfolg durchhalten müsse.

Am Tage nach der Abreise des Zaren verbrachte Alexandra Feodorowna den Abend bei der Wyrubowa mit Rasputin, Frau Golowina und Frau Den.

Noch unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Unterhaltung schrieb sie an Nikolaus II:

»Glaube mir, Du musst den Ratschlägen unseres Freundes folgen. Er betet für Dich Tag und Nacht mit einer solchen Inbrunst! Er war es, der Dich dort geschützt hat, wo Du warst, er allein … und das wird in Zukunft auch so sein, und dann wird alles gut gehen …

In ›Die Freunde Gottes‹ sagt ein Greis Gottes, dass das Land, in dem ein Gottesmann dem Herrscher hilft, niemals zugrunde gehen wird.

Das ist volle Wahrheit. Man braucht nur auf ihn zu hören, Vertrauen zu ihm zu haben, ihn um Rat zu fragen und nicht zu denken, dass es Dinge gibt, die er nicht versteht.

Der Herr enthüllt ihm alles …«

Auf Rasputins Drängen bestand sie dann in diesem Brief noch darauf, dass die Duma bestimmt am 14. Dezember aufgelöst wurde, und nicht, wie Trepow wollte, am 17. Dezember.

Dieses Verlangen, die Auflösung drei Tage vorzuverlegen, ist ganz unerklärlich und merkwürdig. Man könnte annehmen, dass Rasputin für den 17. irgendeine unbestimmte böse Ahnung hatte.

Am 11. Dezember begibt sich die Zarin mit ihren Töchtern und der Wyrubowa nach Nowgorod und besichtigt dort Hospitäler und Kirchen und lernt eine »Staritza«, einen weiblichen Staretz, kennen.

Am 12. kehrt sie nach Zarskoje-Selo zurück. Schon am gleichen Abend diniert sie mit dem Staretz bei der Wyrubowa. Keiner der drei Tischgenossen konnte ahnen, dass das der letzte Abend war, den sie zusammen verbrachten. In ihrem Brief, in dem sie von diesem Abend erzählt, übermittelt sie dem Zaren den Rat Rasputins, dass er den »Behörden gegenüber fest« sein möge. Sie bittet ihn, nur zum Freunde Vertrauen zu haben, der sie mit Gottes Hilfe leitet. »Verbirg mir nichts«, schreibt sie, »denn ich bin stark; aber folge meinen Ratschlägen, das heisst: den Ratschlägen unseres Freundes und vertraue uns in allen Dingen.«

Schliesslich übermittelt die Zarin noch zwei Ratschläge des Staretz – die letzten, die er gegeben hat: Dobrowolski zum Justizminister zu ernennen und Schtscheglowitow zum Präsidenten des Reichsrates. Der Staretz war mit letzterem in allergrösster Heimlichkeit zusammengetroffen und hatte gefunden, dass er das notwendige Mass an Festigkeit und Intelligenz besässe, um diesen Posten in einer so ernsten Zeit bekleiden zu können.

Mit ihren Reden hatten Miljukow und Purischkewitsch das Todesurteil Rasputins unterzeichnet. Nach den Beschuldigungen, die sie gegen ihn erhoben hatten, betrachtete Russland ihn als einen Verräter und einen Spion, und mancher zog daraus den Schluss, dass er deshalb beseitigt werden müsse.

War Rasputin nun wirklich ein Verräter und ein deutscher Spion?

Die Aufschlüsse, die man heute besitzt, und die Schlussfolgerungen, zu denen die hervorragenden Mitglieder der von der provisorischen Regierung ernannten ausserordentlichen Untersuchungskommission gelangt sind, ermöglichen es uns, heute ohne Zögern auf diese Frage in verneinendem Sinne zu antworten. Und zwar lassen sich für diesen Standpunkt eine ganze Reihe verschiedener Gründe anführen.

Von Beginn des Krieges und besonders von dem Augenblick an, in dem die Gerüchte über »Verrat« auftauchten, ist Rasputin in aufmerksamster Weise überwacht worden, und zwar vom militärischen Spionage-Abwehrdienst. Der Chef dieser Dienststelle hat sich nicht auf die Berichte seiner Beamten verlassen. Er ist zu Rasputin selbst und zu einer Reihe seiner Intimen, wie zur Frau Laptinskaja, in Beziehung getreten, er empfing den Staretz zwanglos in seiner Wohnung, besuchte ihn in seinem Hause und kannte alle Einzelheiten seines Lebens. Weder er noch seine Beamten haben jemals den kleinsten Anhaltspunkt dafür feststellen können, dass irgendwelche Fäden von Rasputin zu den Kreisen der Spionage führten.

Der Vorwurf der Spionage gegen Rasputin stammte hauptsächlich von Alexei Chwostow, dem Mann »ohne Hemmungszentrum«, wie er sich selbst nannte. Als Chwostow nach der Revolution von der ausserordentlichen Untersuchungskommission über Rasputins Rolle befragt wurde, hat er folgendes ausgesagt:

»Ich habe keine Beweise dafür gehabt, dass er sich wirklich mit Spionage befasste, aber logischerweise kam es mir so vor, als ob er ein Spion wäre – nicht ein bewusster Spion, aber ein Werkzeug für die Spionage; denn durch ihn konnte man leicht alles erfahren, was in Zarskoje-Selo vorging …«

Die von der provisorischen Regierung eingesetzte ausserordentliche Untersuchungskommission, die zu prüfen hatte, ob gesetzwidrige Handlungen seitens der Minister und der hohen Persönlichkeiten des alten Regimes vorlagen, hat sich mit grossem Fleiss ihrer Aufgabe unterzogen und hat gerade bezüglich solcher Personen, die die öffentliche Meinung der Spionage bezichtigte, besonders gründliche Untersuchungen vorgenommen. Der Untersuchungsrichter Grigori Petrowitsch Girtschitsch, der ihr angehörte, hat sich darüber später in einem Artikel »Nichts als die Wahrheit« so geäussert:

»Bis Ende September 1917 leitete ich die 27. Sektion der Untersuchungskommission, wo alle Auskünfte und Berichte, selbst die allerunbestimmtesten, zusammenflossen, die zu dem Schluss führen konnten, dass verräterische Handlungen seitens hoher Personen der zaristischen Regierung und auch seitens der Dynastie selbst vorliegen könnten. Alle diese Dinge wurden aufs gründlichste und in einem vollkommen unparteiischen Geiste nachgeprüft. Die Kommission war sich vollkommen klar darüber, dass gerade in diesen Fragen ein unvollkommen nachgeprüfter Verdacht – nach einem Ausspruch von Suwarow – wie ein Baum ist, den man nur halb gefällt hat und der alsbald wieder neu auszuschlagen beginnt. Sie wusste, dass sowohl das Heil Russlands als auch die Ehre der verdächtigten Personen es erforderte, volles Licht über das, was die Gemüter beunruhigte, auszubreiten.

Unter den Leuten, die in engster Verbindung mit der Zarenfamilie standen, gab es sehr viele biedere Untertanen im besten Sinne des Wortes, aber keine Verräter.

Rasputin, dieser intelligente Bauer aus der sibirischen Taiga, der mit einem aussergewöhnlichen Willen ausgerüstet war, und der nach langen Jahren der Askese von der grossen Welt Petersburgs aus der Bahn geworfen wurde, ist weder ein Spion noch ein Verräter gewesen.«

Auch der französische Botschafter Maurice Paléologue, ein feiner Psychologe, der von allen Botschaftern sicher am besten die Situation in Russland übersah, hat keinerlei Spionagemomente bei Rasputin feststellen können. Er schreibt in seinem Buche über die Zarin:

»Selbstverständlich hatte ich um Rasputin herum einen Ueberwachungs- und Informationsdienst aufgezogen. Ich glaube, sagen zu dürfen, dass ich gut unterrichtet war über alles, was er sagte und tat. Niemals hat man mir aber gemeldet, dass er auf irgendeine Weise den Zaren gedrängt hätte, unter der Hand mit den feindlichen Mächten wegen eines Separatfriedens zu verhandeln.«

All diese Aeusserungen stammen aber aus einer späteren Zeit. Im Jahre 1916, in der Atmosphäre des Krieges, haben jedenfalls Volk und Armee daran geglaubt, dass Rasputin deutscher Spion sei und auf einen Separatfrieden hinarbeite. Mehr und mehr sprach man davon in ganz Petersburg, in den Wandelgängen der Duma, in den Salons der grossen Welt, in den vaterlandstreuesten Familien, und überall hielt man es für notwendig, dass dieser deutsche Agent aus dem Wege geräumt würde.

Woher stammten diese Verleumdungen, die schliesslich auch einen Schatten auf das Zarenpaar warfen? Die einen verbreiteten sie aus ahnungslosem Leichtsinn, andere mehr aus Ränkesucht, wieder andere, mochten sie nun zur Opposition gehören oder revolutionär sein, weil sie die kaiserliche Regierung kompromittieren wollten. Die eifrigsten Propagandisten dieser falschen Nachrichten waren sicher die deutschen Agenten; denn die Verleumdung war eine der Hauptwaffen, deren sich die Feinde bedienten, um den Gärungsstoff im Rücken der russischen Armee auszubreiten. Dafür liegen unwiderlegbare Beweise vor.

Dass der Feind in dieser Weise an der Zerstörung der Moral im Rücken der Armee arbeitete, war begreiflich, denn wir lagen im Krieg. Aber dass russische Parlamentarier, die sich als Patrioten ausgaben, von der Rednertribüne der Duma aus diese Propaganda unterstützten, darüber kann man sich nur wundern und entrüsten.

Man könnte hier die Frage aus Miljukows Rede wiederholen: »Ist das nun Dummheit oder Verrat?«


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