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Der nächste Tag

Im Palast Yussupow war man damit beschäftigt, die letzten Spuren des Mordes zu beseitigen. Als der Fürst wieder zu sich gekommen war, hatte er sich an das Gespräch mit dem Polizeibeamten erinnert und Befehl gegeben, einen Hund zu töten und den Kadaver dort hinzulegen, wo auf dem Hof noch ein Blutfleck, der von Rasputin herrührte, zu sehen war. Er dachte sich eine ganze Geschichte aus: Es habe eine Abendgesellschaft bei ihm stattgefunden. Der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch sei als letzter mit zwei Damen fortgegangen. Auf dem Hof seien sie von dem Hund angesprungen worden, und der Grossfürst habe ihn niedergeschossen. Daher die Schüsse, die der Polizist gehört hätte.

Als die Ordnung im Esszimmer wieder hergestellt war, ging der Fürst zum Schlafen in das Palais des Grossfürsten Alexander Michailowitsch, das neben seinem Haus lag, und berichtete dem Fürsten Feodor Alexandrowitsch, der dort wohnte, dass Rasputin getötet worden sei.

In der Zwischenzeit hatte die Polizei schon begonnen, ihres Amtes zu walten. Da die oberen Beamten feststellten, dass sehr hochgestellte Persönlichkeiten in der Angelegenheit beschuldigt wurden, lag die Leitung der Untersuchung wegen des Verschwindens und der Ermordung Rasputins zwangsmässig in den Händen der Zarin.

Als der Polizeibeamte, der die Schüsse gehört und mit Purischkewitsch gesprochen hatte, seinen Dienst beendet hatte, erstattete er über die Ereignisse der Nacht im Polizeikommissariat seinen Bericht. Er erwähnte dabei: Purischkewitsch sei betrunken gewesen, und nach den Schüssen habe ein Militärauto, das alle Lichter gelöscht hatte, den Hof verlassen.

Der Bericht war derartig sensationell, dass der Kommissär sich zunächst die Frage vorlegte, ob der Polizist nicht betrunken sei. Und um darin sicher zu gehen, forderte er ihn sogar auf, ihn anzuhauchen. Dann fragte er ihn sehr eingehend aus und nahm ihn mit zu General Grigoriew, dem Chef des Polizeidistrikts.

Im Laufe des Vormittags verständigte man die Ochranasektion und die Kriminalpolizei. Man zog Erkundigungen in Rasputins Wohnung ein. Der Hausangestellte erklärte, dass spät in der Nacht der junge Fürst Yussupow gekommen sei und den Staretz abgeholt habe, und dass Rasputin seither nicht zurückgekehrt sei.

Diese Antwort rief grosse Bestürzung hervor. Man benachrichtigte den Innenminister Protopopow. Von Rasputins Wohnung aus hatte man inzwischen die Wyrubowa antelephoniert, die ihrerseits die Zarin von Rasputins Verschwinden verständigte.

Der General Grigoriew suchte darauf Yussupow auf, den er im Palais des Grossfürsten Alexander Michailowitsch antraf. Auf seine Frage antwortete Yussupow, dass Rasputin nicht bei ihm war und erzählte ihm dann die Geschichte von dem Hund, die er sich ausgedacht hatte. Der General war von dieser Darstellung sehr befriedigt, machte aber Yussupow darauf aufmerksam, dass die Zarin angeordnet habe, eine Haussuchung bei ihm vorzunehmen. Dagegen versuchte Yussupow, sich durch Hinweis auf die Herkunft seiner Frau zu wehren.

»Meine Frau«, sagte er, »ist eine Nichte des Zaren; die zur kaiserlichen Familie gehörigen Personen und ihre Wohnungen sind unverletzlich, und man kann irgendwelche Massnahmen gegen sie nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Zaren ergreifen.«

Der General Balk telephonierte an den Chef der Kriminalpolizei, dass man die Haussuchung aufschieben, aber die Dienerschaft aus dem Hause Yussupow vernehmen möge. Dabei ergab sich nun, dass keiner von den Leuten etwas davon wusste, dass der Grossfürst einen Hund getötet hatte. Der General wollte Purischkewitsch vernehmen, aber dieser liess sich darauf nicht ein und berief sich auf seine Eigenschaft als Abgeordneter.

Gegen Abend erklärte ein Diener Yussupows, den die Polizei hatte kommen lassen, dass er auf Befehl des Fürsten einen Hundekadaver auf den Hof gelegt hätte. Man sezierte den Hund und stellte fest, dass er mit einer Browningkugel fast aus unmittelbarer Nähe totgeschossen war. Dann liess man eine Analyse machen, um festzustellen, ob das Blut, das man im Schnee auf dem Hof gefunden hatte, Hunde- oder Menschenblut war.

Solange nicht feststand, dass es sich um Menschenblut handelte, weigerten sich die Gerichtsbehörden, ein Untersuchungsverfahren wegen Mordes zu eröffnen. Die Sache ruhte also noch allein in den Händen der Polizei. Der Direktor des Polizeidepartements und Protopopow waren ihrer Sache nicht sicher. Sie rechneten damit, dass Rasputin noch lebte und irgendwo Feste feierte.

Yussupow hatte inzwischen den Gouverneur von Petersburg aufgesucht; als er wieder zurückkam, fuhr er fort, die Blutspuren, die noch immer im Essraum waren, zu beseitigen, dann begab er sich zum Grossfürsten Dmitri Pawlowitsch. Da er aus einer Unterhaltung mit der Golowina ersehen hatte, dass man ihn verdächtigte, mit dem Verschwinden des Staretz irgendwie in einem Zusammenhang zu stehen, bat er telephonisch um eine Audienz bei der Zarin; diese liess ihm aber durch die Wyrubowa antworten, dass er schriftlich seine Wünsche einreichen möge.

Nach dem Mittagessen setzten dann Yussupow und der Grossfürst zusammen mit dem herbeigerufenen Purischkewitsch den nachstehenden Brief an die Zarin auf:

 

»Eure Majestät!

Ich beeile mich, Ihrem Befehl zu gehorchen und Ihnen alles auseinanderzusetzen, was gestern abend in meinem Hause geschehen ist, um Licht in diese abscheuliche, gegen mich erhobene Anschuldigung zu bringen. In der Nacht vom 16. zum 17. Dezember hatte ich, um meine neue Lichtinstallation einzuweihen, eine Abendgesellschaft bei mir veranstaltet, zu der ich mehrere Freunde und Damen eingeladen hatte. Der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch war darunter. Gegen Mitternacht rief Grigori Jefimowitsch mich an und bat mich, mit ihm zusammen zu den Zigeunern zu gehen. Ich lehnte das ab, weil ich Gäste bei mir hatte, und fragte ihn, von wo aus er spreche. Er sagte: ›Du willst zuviel wissen!‹ und hing wieder an. Während wir miteinander sprachen, hatte ich das Geräusch vieler Stimmen hören können. Das war das letzte, was ich von Grigori Jefimowitsch an dem Abend gehört habe.

Als ich wieder bei meinen Gästen war, erzählte ich ihnen von dem Telephongespräch, was eine Reihe von Bemerkungen hervorrief. Eure Majestät wissen ja genau, dass der Name Grigori Jefimowitsch in zahlreichen Kreisen sehr unpopulär ist. Gegen drei Uhr nachts begannen meine Gäste aufzubrechen. Nachdem ich mich vom Grossfürsten und zwei Damen verabschiedet hatte, zog ich mich mit den übrigen in mein Arbeitszimmer zurück.

Plötzlich hörte ich irgendwo einen Schuss. Ich klingelte nach einem Diener und befahl ihm, sich zu informieren, was geschehen sei. Er kam wieder und sagte mir, dass er wohl einen Schuss gehört habe, aber dass man nicht wisse, von wo er gekommen sei.

Ich ging dann selbst hinunter in den Hof und fragte den Portier und einen Polizisten, wer geschossen habe. Der Portier und seine Frau sagten mir, dass sie in ihrer Loge Tee getrunken hätten, und der Polizist, dass er wohl einen Schuss gehört hätte, aber nicht wisse, woher er gekommen sei. Damit ging ich ins Haus zurück, liess den Polizisten rufen und telephonierte bei Dmitri Pawlowitsch an. Als ich ihn fragte, ob er geschossen habe, antwortete er lachend, dass er beim Verlassen des Hauses mehrere Revolverschüsse auf einen Hund abgegeben hätte und dass eine Dame ohnmächtig geworden sei. Als ich ihm sagte, dass die Detonationen Aufsehen gemacht hätten, rief er, das sei doch unmöglich, denn es sei niemand da gewesen.

Ich rief einen Diener und ging wieder auf den Hof. Am Gitter fand ich dann den Kadaver eines unserer Hunde. Ich befahl dem Diener, ihn im Garten zu beerdigen.

Um vier Uhr morgens zogen sich meine letzten Gäste zurück, und ich ging ins Palais von Alexander Michailowitsch, in dem ich augenblicklich wohne. Am nächsten Tage, also heute erfuhr ich dann, dass Grigori Jefimowitsch verschwunden sei und dass man sein Verschwinden mit meiner Abendgesellschaft in Zusammenhang bringen wolle.

Man hat mir erzählt, dass man mich angeblich bei ihm gesehen haben will und dass er in der Nacht mit mir fortgegangen sein soll. Alles das ist reine Lüge, weil doch ich und meine Gäste den ganzen Abend über mein Haus nicht verlassen haben. Man hat mir weiter erzählt, dass er gesagt haben soll, er werde in diesen Tagen Irinas Bekanntschaft machen. In dieser Bemerkung ist ein Teil Wahrheit. Tatsächlich hat er mich, als ich ihn zum letzten Male sah, gebeten, mit Irina bekannt gemacht zu werden, und er hat mich gefragt, wann sie da sei. Ich habe ihm geantwortet, dass meine Frau in der Krim wäre, aber am 15. oder 16. Dezember zurückkäme. Am 14. abends bekam ich von Irina ein Telegramm, in dem sie mir mitteilte, dass sie krank sei, und mich bat, mit ihren Brüdern, die heute abend abreisen, nach der Krim zu kommen.

Ich finde gar keine Worte, um Eurer Majestät auszudrücken, wie bestürzt ich über all das bin, was mich betroffen hat, und wie ganz aussergewöhnlich mir die gegen mich erhobenen Anschuldigungen erscheinen.

Ich bin Euer Majestät sehr ergebener Diener
Felix.«

 

Alle drei Komplizen waren ein wenig peinlich berührt von diesem Brief, in dem sie die Rolle der verfolgten Unschuld spielten, sie gaben sich aber noch einmal ihr Wort, mit keiner Silbe den Mord einzugestehen und sich an die Hundegeschichte zu halten.

Yussupow ging dann zum Justizminister. Er verstand Makarow so gut von seiner Unschuld zu überzeugen, dass dieser ihm versicherte, die Polizei werde sich mit der bisherigen Vernehmung begnügen und auch keine Haussuchung vornehmen. Als Yussupow gefragt hatte, ob er Petersburg verlassen dürfe, bejahte Makarow das ohne weiteres.

Während aber dieser naive Justizminister, den Nikolaus schon seit langer Zeit wegen Unfähigkeit hatte absetzen wollen, Yussupow gegenüber so liebenswürdig war, weil der Fürst ihn so geschickt eingewickelt hatte, wusste bereits ganz Petersburg, wer den Staretz ermordet hatte.

Schon am Morgen war der französische Botschafter Paléologue über den Mord unterrichtet. Nachmittags um halb sechs erfuhr der Grossfürst Nikolai Michailowitsch die Ermordung telephonisch vom englischen Botschafter Buchanan. Das hinderte aber den Grossfürsten nicht, noch am Abend mit der ihm eigenen Sicherheit im Yacht-Klub zu erklären, dass das eine neue »Provokation« des Ministers Protopopow sei.

Yussupow selbst informierte Rodzianko von der Ermordung. »Er und seine Frau«, schreibt Yussupow, »kannten sehr wohl unseren Plan, mit dem Staretz Schluss zu machen, und warteten voller Ungeduld auf die Einzelheiten … Meine Tante trat mit Tränen in den Augen an mich heran, presste mich in ihre Arme und segnete mich; Michail Wladimirowitsch drückte mir ebenfalls mit seiner Stentorstimme seine Billigung aus.«

Nach Yussupows Angaben wusste auch ein Freund, ein englischer Offizier, von der Ermordung, und Purischkewitsch telegraphierte an Maklakow nach Moskau. Die Verschwörer selbst wahrten also keineswegs ihr Geheimnis.

Von Rasputins Wohnung aus verbreitete sich die Nachricht an alle treuen Anhänger. Die Namen der Mörder lagen auf aller Lippen; niemand zweifelte mehr daran, wer es gewesen war. Auch Protopopow und hohe Polizeibeamte bekräftigten es. Da Protopopow kein Vertrauen zum Justizminister hatte, beauftragte er den General der Gendarmerie Popow, seinerseits ein Untersuchungsverfahren einzuleiten.

Protopopow informierte telephonisch die Zarin vom Stand der Sache. Alexandra Feodorowna war erschüttert. Es war ihr, als öffne sich vor ihr ein Abgrund … Wenn das wahr war, was der Innenminister ihr sagte, dann war alles verloren … ihr kranker Sohn, der Zar und Russland … Hatte ihr Freund das nicht selbst gesagt? …

Ohne ihn erschien der Zarin die Zukunft so hoffnungslos, dass sie sich noch gar nicht entschliessen konnte, die entsetzliche Botschaft zu glauben. Sicher lag doch irgendein Missverständnis vor … Man würde ihn wiederfinden … Mit Tränen in den Augen hoffte sie, glaubte sie, betete sie.

In ihrem Brief an den Zaren vom 17. Dezember schreibt sie unter anderem:

»… Ich will noch an die Barmherzigkeit Gottes glauben und hoffe, dass man sich darauf beschränkt hat, Ihn irgendwohin zu führen … Schicke mir Wojekow. Wir sind hier nur Frauen mit unseren schwachen Köpfen. Ich habe sie (Annuschka) bei mir behalten, denn jetzt werden sie sich sofort an ihr vergreifen.

Ich kann es nicht glauben, ich will es nicht glauben, dass Er getötet worden ist. Möge Gott doch Mitleid mit uns haben!

Was für eine entsetzliche Angst (ich bin ruhig – ich kann das nicht glauben). Komm sofort her; niemand wird sie (Annuschka) anzufassen oder ihr etwas zu tun wagen, wenn Du hier bist. In dieser letzten Zeit ist Felix oft allein bei Ihm gewesen.«

Da sie wusste, dass Nikolaus diesen Brief erst am nächsten Tage bekommen würde, telegraphierte sie ihm noch am selben Nachmittag um halb fünf:

»Ich danke Dir für Deine Briefe. Könntest Du nicht sofort Wojekow schicken? Wir brauchen seine Hilfe, denn unser Freund ist seit letzter Nacht verschwunden. Wir hoffen noch auf Gottes Barmherzigkeit. Felix und Dmitri sind in der Sache beschuldigt.«

Gegen Abend brachte man ihr die Abendausgabe der »Birjewyia Wedomosti«, in der sie folgende Notiz fand:

»Heute morgen zwischen fünf und sechs Uhr hat in einem der aristokratischen Häuser im Zentrum der Stadt nach einer flotten Gesellschaft Grigori Rasputin Nowych sein Leben abgeschlossen.«

Der letzte Hoffnungsschimmer verschwand. Man sagte ihr, dass in den intellektuellen Kreisen grösster Jubel herrsche; man sage, dass das nur ein Anfang sei und dass andere Attentate in Vorbereitung seien. Daraufhin forderte Alexandra Feodorowna, dass Annuschka Wyrubowa sich nicht aus dem kaiserlichen Palais entfernen dürfe und die Nacht dort verbringen müsse.

Man war sich so klar darüber, dass Yussupow der Täter war, dass man ihn abends um zehn Uhr, als er auf dem Bahnhof erschien, um nach der Krim abzureisen, auf Befehl Ihrer Majestät an der Abreise verhinderte und ihn aufforderte, sich wieder ins Palais des Grossfürsten Alexander Michailowitsch zu begeben.

Als er wieder im Palais war, bekam er den Besuch des Grossfürsten Nikolai Michailowitsch, dem er wieder die Hundegeschichte erzählte.

»Ich hörte ihm schweigend zu«, schreibt der Grossfürst, »sogar fast ohne ihn zu unterbrechen. Als er zu Ende war, sagte ich ihm, dass ich zwar in meiner Eigenschaft als Nikolai Michailowitsch mir niemals erlauben würde, etwa die Geschichte nicht zu glauben, aber dass für einen Herrn X. diese Fabel niemals der Kritik standhalten würde und dass nach Ansicht dieses Herrn X. er der Mörder wäre.«

Der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch hatte abends ins Theater gehen wollen, musste aber den Saal wieder verlassen, denn das Publikum wollte ihm eine Ovation bereiten. Beim Wohltätigkeitsfest in der Bürgermeisterei in Zarskoje-Selo, dem die Schwiegermutter des Grossfürsten an diesem Abend beiwohnte, nannte man sich die Namen der Mörder, und es herrschte eine allgemein freudige Stimmung im Publikum.

Später schrieb man, dass in Moskau an jenem Abend, als sich in einem Theater die Nachricht von der Ermordung Rasputins verbreitete, das gesamte Publikum gefordert habe, dass das Orchester die Nationalhymne spiele.


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