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Rasputins Tod

Der 16. Dezember, der Tag des Schicksals, rückte heran. Es war ein Freitag. Mit seinem Rauhreif blitzte der Pfeil über der Admiralität noch heller als sonst in den Strahlen der Sonne. Der Zwölfuhr-Kanonenschuss der Festung dröhnte ganz besonders tief und voll.

Im Hause Rasputin herrschte seit einigen Tagen Besorgnis. Ueberall hatten vertraute Freunde schon davon sprechen hören, dass der Staretz ermordet werden sollte. Ein boshafter Spassvogel fragte am Telephon an, wann das Leichenbegängnis für Grigori Jefimowitsch stattfinde. Grigori schrie ärgerlich in den Apparat: »Man wird dich noch vor mir beerdigen!«

Seit einiger Zeit war Rasputin schon voller Angst. Er hatte Bedenken, auszugehen. Am 14. Dezember schon machte er nur einen kleinen Gang mit Maria Golowina bis zu den Kathedralen des heiligen Isaak und der Notre-Dame von Kasan, und es stimmte ihn froh, dass er unterwegs nicht einen einzigen feindlichen Blick auffing. Nach den späteren Erzählungen des Simanowitsch beunruhigte Rasputin sich in diesen Tagen sehr über die Geldangelegenheiten seiner Töchter. Er ging mit Simanowitsch in eine Bank und deponierte dort auf den Namen jeder Tochter mehrere zehntausend Rubel. Zu Hause verbrannte er seine ganze Korrespondenz und liess sich auch durch die Proteste seiner ältesten Tochter nicht davon abhalten. Der Journalist V. M. Skwortsow, der ihn in diesen Tagen aufsuchte, fand ihn ausserordentlich nachdenklich. Die Eheleute K. besuchten ihn zwei Tage vor dem Mord. Das waren reiche Leute aus Tobolsk, mit denen er auf gutem Fusse stand; sie sahen in Rasputin mehr einen Landsmann, ohne dass seine »Heiligkeit« dabei irgendeine Rolle spielte. Frau K. riet ihm, nach Sibirien zurückzukehren.

»Lass doch all das hier stehen und liegen!« sagte sie zu ihm. »Ein Unglück ist so rasch geschehen! Vielleicht könnte man dich wirklich töten. Fahr ab nach Pokrowskoje!«

»Ach, das weiss ich alles selbst, meine Teure!« antwortete Rasputin. »Dreimal habe ich Papa schon gebeten, mich nach Tobolsk fahren zu lassen … Aber er will nicht. Das wäre eine Konzession an die Duma, sagt er. Ich weiss wohl, meine Teure, dass ich abreisen müsste, ich weiss das alles sehr wohl.«

Seine Tochter Matrona erzählt, dass er in der letzten Zeit viel betete und sehr nachdenklich war. Wiederholt sagte er zu seinen Kindern: »Was soll aus euch werden, wenn ich nicht mehr da bin?«

Und wenn seine Familie ihn fragte, weshalb er das sage, antwortete er:

»Wenn ich vor Weihnachten nicht mehr sterbe, dann werde ich noch sehr lange leben … Meine Seele leidet … Sie leidet ununterbrochen.«

Als sein Sohn abreiste, um die Festtage in Pokrowskoje zu verbringen, sagte er zu ihm, er werde ihn nicht wiedersehen.

Beletski allerdings, der ihn auch in dieser Zeit gesehen hat, konnte keine Veränderungen an ihm feststellen: er war, sagte er, sehr heiter und sehr selbstsicher. Auch die Wyrubowa fand nicht, dass er vor seiner Ermordung im Wesen verändert war.

Am 16. Dezember stand Rasputin in guter Laune auf. Er war sogar lustig, ging in die Kirche und dann in ein Badeetablissement, stets in Begleitung seiner Bewachungsbeamten.

Als er wieder zu Hause war, verfiel er bald wieder in seine trübsinnigen Gedanken. Unbekannte Personen benachrichtigten ihn am Telephon, dass er ermordet würde. Auch wurde ihm mitgeteilt, dass der Offizier Chakadse, dem er die Hand seiner ältesten Tochter verweigert hatte, versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Schliesslich bekam er noch eine ganze Reihe anonymer Briefe, die voller Beleidigungen und Drohungen gegen ihn, Annuschka und seine Familie waren.

Gegen Mittag kam sein Freund Simanowitsch und der Bischof Isidor, dann Maria Golowina, die bis zum Abend blieb.

Vom Mittagessen an begann er zu trinken. Er liess sich eine Kiste Madeira bringen und trank ein Glas nach dem anderen, bis er betrunken war.

siehe Bildunterschrift

Fürst Felix Yussopow, der bei der Ermordung Rasputins, am 16. Dezember 1916, mitwirkte.

Während dieser Zeit telephonierten seine Freunde aus Tobolsk. Rasputins Nichte war am Apparat und sagte: »Mein Onkel? Ach, der ist total betrunken!«

Um acht Uhr erschien die Wyrubowa und brachte ihm ein kleines hölzernes Heiligenbild mit, das die Zarin für ihn aus Nowgorod mitgebracht hatte. Auf der Rückseite des Heiligenbildes standen die Namenszüge der Zarin und aller Kinder. Der Wyrubowa erzählte Rasputin, dass er um ein Uhr nachts zu Felix kommen sollte. Als Annuschka sich über diese vorgerückte Stunde wunderte, sagte er, dass er die Frau des Felix, die leidend sei, behandeln solle und dass, da die Familie ihn nicht liebte, der Fürst ihn gebeten habe, erst so spät zu kommen, damit er niemanden von den Familienmitgliedern mehr antreffe. Die Wyrubowa riet ihm dringend, auf keinen Fall hinzugehen, denn sie witterte irgend etwas Verdächtiges hinter der Geschichte. Wenn übrigens Felix und seine Frau sich schämten, ihn ganz offen bei sich zu empfangen, so lohne es sich auch nicht, überhaupt hinzugehen. Annuschka und die Golowina zogen sich um neun Uhr zurück. Sobald Annuschka wieder in Zarskoje-Selo war, setzte sie die Zarin gleich davon in Kenntnis, dass Rasputin um ein Uhr zu Felix wollte, um seine Frau zu behandeln. Alexandra Feodorowna wunderte sich darüber, denn sie wusste, dass die Fürstin Yussupowa noch in der Krim war, glaubte aber, dass wohl irgendein Missverständnis vorliegen müsse.

Rasputin empfing dann nochmals den Besuch des Bischofs Isidor. Dieser bat inständig, keineswegs noch auszugehen und nicht sein Leben aufs Spiel zu setzen, aber Grigori verabschiedete ihn schon sehr bald mit dem Bemerken, dass er noch einen Minister erwarte.

Wie gewöhnlich ging er um zehn Uhr, als seine Töchter im Bett lagen, zu ihnen ins Zimmer; er sagte ihnen, dass er noch spät in der Nacht von Yussupow abgeholt würde, und dass sie, wenn man antelephoniere, sagen sollten, er sei nicht da, jedoch ohne zu sagen, dass er bei Yussupow sei. Dann wünschte er ihnen gute Nacht und segnete sie.

Nach einiger Zeit zogen die Beamten der Ochrana sich zurück. Das entsprach Protopopows Anweisungen, der jeden Abend noch zu Rasputin kam und dabei nicht gesehen werden wollte. Als der Minister an diesem Abend kam, bat er Rasputin inständig, auf keinen Fall mehr aus dem Hause zu gehen. Als er fort war, zog Rasputin saubere Wäsche an, ein blauseidenes Hemd, das mit Kornblumen und Aehren bestickt war, eine lange Samthose und hohe Lackstiefel.

Dann verständigte er Katia, dass um ein Uhr nachts noch der »Kleine« – so nannte Rasputin den Fürsten – über die Hintertreppe zu ihm kommen würde, und sie möge doch wach bleiben, um ihn noch hereinzulassen. Vollständig angezogen warf er sich aufs Bett und wartete auf Yussupow. Die Erwartung, die junge Fürstin kennenzulernen, machte ihn ganz nervös.

Um halb eins sprang er plötzlich auf, ging ans Telephon und rief Simanowitsch an. Ob er schon im Bett liege? Als er hörte, dass Simanowitsch noch auf war, bat er ihn, sich nicht zu Bett zu legen, denn er wolle ihn später noch einmal anrufen. Er machte einen Rundgang durch alle Zimmer, dann legte er sich auf den Diwan.

Inzwischen bereitete man am Quai Moika im grossen Palast der Yussupows alles für Rasputins Empfang vor. Das Zimmer, in das man den Staretz wie in eine Falle hineinführen wollte, lag halb im Souterrain. Es war sehr geräumig und hatte Fliesen aus Granit, eine niedrige, gewölbte Decke und steinerne Mauern, die einen Geruch von Feuchtigkeit ausströmten. Zwei schmale Fenster, die oben in der Höhe des Erdbodens angebracht waren und auf den Quai hinausgingen, liessen am Tage ein spärliches Licht hereinfallen. Durch einen Doppelbogen war der Raum in zwei Teile geteilt: in einen breiten Teil, der einen riesigen Kamin enthielt und in dem man den Essraum eingerichtet hatte, und in einen schmalen Teil, der die Eingangstür enthielt. Bei dieser Tür begann eine Treppe. Stieg man die Stufen hinauf, so kam man zunächst an einen Treppenabsatz, von dem aus eine Tür auf den Hof führte; von da aus führte eine hölzerne Wendeltreppe zum Arbeitszimmer des jungen Fürsten hinauf.

Trat man von der Treppe aus in den Essraum, so bemerkte man zuallererst zwei grosse rote Vasen, die sich von dem grauen Hintergrund des schmalen Raumteils abhoben. In dem geräumigen Teil, der mit einem Perserteppich bedeckt war, befanden sich ein grosser runder Tisch, Stühle und Sessel aus massivem Eichenholz und mit Lederüberzug, mehrere geschnitzte, kleine Schränke, kleine Tische, Kunstgegenstände, Becher und Teller. Einer dieser Schränke war im Innern ausgeputzt mit einem phantasiereich ersonnenen Irrgarten aus Spiegeln und kleinen Bronzesäulen. Auf einem anderen Schrank stand ein Kruzifix aus Bergkristall und Silber, das aus Italien stammte. Vor diesem Schrank lag ein grosses Eisbärfell. An der Decke hingen altertümliche Laternen mit bunten Gläsern. Die Wände waren mit schweren, dunkelroten Vorhängen bespannt.

Um Mitternacht erschienen der Grossfürst Dmitri Pawlowitsch, Suchotin, Purischkewitsch und Lazavert. Yussupow liess sie in den Essraum hinuntersteigen. Im Kamin brannte ein helles Feuer. Die Laternen verbreiteten ein mildes Licht. Auf dem reichgedeckten und mit Kuchen beladenen Tisch summte leise ein Samowar. Auf einer Anrichte war eine ganze Auswahl von Weinflaschen und Gläsern zu sehen. Eine Atmosphäre von Luxus, Komfort und Intimität herrschte im Raum. Yussupow servierte Tee. »Diese Viertelstunde, die wir an diesem Tisch verbrachten, erschien mir wie eine Ewigkeit«, schreibt Purischkewitsch in seinem »Journal«.

Nachdem sie ihren Tee getrunken hatten, liessen die Verschwörer absichtlich eine gewisse Unordnung auf dem Tisch bestehen. Dann nahm Yussupow aus dem Schrank mit den Spiegeln und Bronzesäulen eine kleine Schachtel heraus, die die Zyankali-Kristalle enthielt, und übergab sie dem Doktor Lazavert. Dieser zog Gummihandschuhe über und streute reichliche Mengen von dem Gift in das Innere von drei Kuchen, die mit einer Schokoladekruste bedeckt waren. Hinterher warf er die Handschuhe in den Kamin. Schliesslich überreichte Yussupow dem Abgeordneten Purischkewitsch das Fläschchen mit der flüssigen Giftlösung, die ein wenig später in zwei Gläser geschüttet werden sollte, und stieg mit Lazavert nach oben, um sich anzukleiden.

Bald darauf hörte man das Brummen eines Motors und das Geräusch eines abfahrenden Autos …

Eine Viertelstunde später stieg Yussupow, in einen grossen Pelz gehüllt und mit einer Mütze, deren heruntergeschlagene Ohrenklappen das Gesicht verdeckten, die Hintertreppe zu Rasputin hinauf und klopfte an die Küchentür. Der Staretz selbst öffnete ihm.

»Guten Tag, Kleiner!« sagte er in zärtlichem Ton, während er den Fürsten freundschaftlich in die Arme schloss und küsste. Er liess ihn in sein Zimmer eintreten, in dem er dann mit ihm die letzte ruhige Unterhaltung seines Lebens führte. Sehr bald schon jedoch liess Yussupow vernehmen, dass es Zeit sei, aufzubrechen. Darauf fragte Rasputin:

»Wohin gehen wir? Zu den Zigeunern?«

»Das weiss ich noch nicht«, antwortete der Fürst. »Vielleicht.«

»Bei dir«, fragte Rasputin besorgt weiter, »da treffen wir doch jetzt niemanden mehr?«

Der Fürst beschwichtigte seine Befürchtungen, indem er ihm sagte, dass Rasputin bei ihm niemanden mehr antreffen werde, der ihm unsympathisch sei, und dass seine Mutter noch in der Krim wäre.

»Ich liebe deine Mutter nämlich nicht« sagte Rasputin. »Und sie verabscheut mich … Sicher ist sie mit der Lisaweta befreundet. Sie unterminieren unter mir den Boden, alle beide, und sie verleumden mich. Selbst die Zarin hat mir schon gesagt, in wie vielen Fällen sie als meine wütigsten Feindinnen aufgetreten sind …«

»Weisst du«, sagte er dann plötzlich, »ich muss dir etwas sagen: Protopopow ist heute abend bei mir gewesen, und ich habe ihm mein Ehrenwort darauf geben müssen, dass ich all diese Tage zu Hause bleibe. ›Man will dich töten!‹ hat er mir gesagt. ›Es gibt bösartige Leute, die einen schlimmen Streich mit dir vorhaben!‹ … Aber ich lache darüber. Jedenfalls wird es ihnen nicht gelingen; dazu sind ihre Arme noch nicht lang genug!«

Es ist merkwürdig, dass in dieser Unterhaltung – vorausgesetzt, dass Yussupow sie wirklich lücken- und fehlerlos aufgezeichnet hat – mit keinem Worte die junge Fürstin erwähnt wurde, die Rasputin doch zu behandeln gedachte.

Rasputin zog seinen Pelzmantel mit Yussupows Hilfe an, setzte seine Bibermütze auf, zog Schneeschuhe an, steckte Geld ein und ging mit dem Fürsten hinaus.

Der Doktor machte auf der Fahrt einige Umwege, um die Spur zu verwischen. Eine Viertelstunde später fuhr er auf den Hof des Palais Yussupow und hielt, wie ein geübter Chauffeur, unmittelbar vor der kleinen Eingangstür, die auf die Treppe zum Esszimmer führte.

Yussupow und Rasputin traten ein und stiegen über die Treppe hinunter in den Essraum. Die Tür schloss sich wieder hinter ihnen. Aus dem Arbeitszimmer in dem oberen Geschoss drangen die fröhlichen Klänge des Yankee Doodle.

Die Unterhaltung zwischen Rasputin und Yussupow dauerte über eine Stunde. Im Anfang lehnte der Staretz alles ab, was der Fürst ihm anbot. Schliesslich aber gab er doch dem Drängen seines Gastgebers nach: er trank Tee, ass drei vergiftete Kuchen und verschlang auch noch zwei Gläser von dem vergifteten Wein. Ohne dass man ihm etwas anmerkte, unterhielt er sich weiter. Er wurde nur ein wenig grau im Gesicht; der Speichel tropfte ihm aus dem Mund, und er bekam ein Schlucken.

Zweimal ging Yussupow in sein Arbeitszimmer hinauf. Er erzählte voller Bestürzung seinen Komplizen, dass das Gift keinerlei Wirkung tue. Seine Freunde sprachen ihm nach besten Kräften frischen Mut zu, und beide Male stieg er wieder hinunter. Er bot Rasputin wieder Wein an. Er fühlte, wie er selbst allmählich betrunken wurde. Seine Nerven waren am Ende. Der Staretz, dessen stämmige Natur gegen das Gift ankämpfte, war nur traurig geworden. Er bat den Fürsten, ihm eines seiner Lieder vorzusingen. Yussupow nahm seine Gitarre, und während der Staretz ihm zuhörte und dabei Glas auf Glas leerte, sang er melancholische Zigeunergesänge …

Rasputin war immer noch am Leben. Während sein »lieber kleiner Freund« ihm weiter zur Gitarre vorsang, musterte er ihn mit liebevollem, trübsinnigem Blick.

Es war drei Uhr, als Yussupow, halb von Sinnen, zum dritten Male die Treppe hinaufstieg. Man beriet, was zu tun sei. Grossfürst Dmitri empfahl, dass man den Staretz in seine Wohnung zurückkehren lassen sollte; man würde ein anderes Mal Schluss mit ihm machen. Purischkewitsch geriet in Aufregung und erklärte, dass entweder alle zusammen hinuntersteigen müssten, um den Staretz zu töten, oder man solle ihn, Purischkewitsch, allein mit einem Revolver oder einem Totschläger hinuntersteigen lassen. Nach ein paar Minuten war man sich darüber einig, dass alle zusammen hinuntergehen wollten, um den Staretz zu erwürgen. Purischkewitsch allerdings berichtet, dass er dazu ausersehen war, Rasputin mit einem Totschläger niederzuschlagen. Einer hinter dem andern, Purischkewitsch voraus, begannen sie langsam die Wendeltreppe hinunterzuschleichen. Plötzlich aber hiessen Dmitri Pawlowitsch und Yussupow alle wieder umkehren und hinaufgehen. Sie blieben beide an der Tür stehen und berieten sich. Die andern zogen sich in den Hintergrund des Arbeitszimmers zurück; dann kamen Dmitri und Yussupow zu ihnen, und Yussupow erklärte, dass er Rasputin ganz allein töten werde. Niemand sagte etwas dagegen. Yussupow nahm den Revolver von Dmitri, und mit entschlossenem Schritt stieg er wieder die Treppe hinunter.

Rasputin sass noch immer auf seinem Platz. Er hatte seinen Kopf auf die Brust hängen lassen und atmete laut. Yussupow trat an ihn heran und setzte sich neben ihn. Grigori verlangte Wein. Als er getrunken hatte, erwachte er plötzlich aus seiner Erstarrung, fand all seine Heiterkeit wieder und sprach davon, dass sie zu den Zigeunern gehen wollten. Von Entsetzen gepackt über so viel unerhörte Lebenskraft, glaubte Yussupow, dass er es mit übersinnlichen Kräften zu tun habe und dass ein Dämon in Rasputin stecke. Das konnte doch nur der Teufel selbst sein, der einer solchen Menge fürchterlichen Gifts, wie Grigori sie geschluckt hatte, Widerstand zu leisten vermochte! Diese diabolische Kraft musste man unschädlich machen! Aber wie? Der Blick des Fürsten fiel auf das Kruzifix, das auf einem der Schränke blitzte, und im selben Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke, dass nur dieses Kruzifix den Teufel auszutreiben vermöchte.

Er stand auf, trat ans Kruzifix und rief Rasputin. Der trat zu ihm. Als er das Kruzifix betrachtete, warf Yussupow ihm vor, sich nicht bekreuzigt zu haben. Eben hatte Rasputin das Kreuz geschlagen, als ein Schuss ertönte. Rasputin schrie auf, dann fiel er auf das Eisbärfell.

Beim Aufknallen des Schusses waren die anderen die Treppe hinuntergestürzt. Sie kamen in den Essraum. Einer von ihnen drehte am Schalter, und das elektrische Licht erlosch. Bald darauf zündete man es wieder an. Rasputin lag ausgestreckt auf dem Rücken. Die Muskeln seines Gesichts waren von nervösen Zuckungen verkrampft. Die Verschwörer glaubten, die Kugel sei in die Herzgegend eingedrungen, und Rasputin sei tot. Um nicht das schöne Eisbärfell zu besudeln, trug man den Körper zur Tür hin und legte ihn auf die Fliesen. Yussupow rief alle nach oben. Einige Zeit darauf ging Suchotin in Rasputins Kleidern mit dem Grossfürsten und Lazavert fort. Sie sollten direkt zum Sanitätszug fahren, rasch die Kleider des Staretz verbrennen und dann im geschlossenen Auto des Grossfürsten wiederkommen. Purischkewitsch und Yussupow blieben im Arbeitszimmer und sprachen über das, was geschehen war.

»Wir glaubten«, schreibt Yussupow, »dass Russland gerettet war und mit dem Verschwinden Rasputins sich eine neue Aera für uns eröffnete; wir glaubten, dass wir überall Unterstützung finden würden.«

Yussupow ging bald wieder hinunter. Purischkewitsch blieb oben und ging im Arbeitszimmer auf und ab. Yussupow näherte sich dem Körper Rasputins und fing an, ihn zu betasten und zu untersuchen. Plötzlich schlug der Staretz die Augen auf, richtete seinen Blick wild auf den jungen Fürsten, erhob sich, Schaum vor dem Munde, und warf sich auf Yussupow. Dieser konnte sich kaum aus der Umklammerung seines Opfers befreien und musste noch eine Epaulette in seinen Händen zurücklassen; dann stürzte er unter lautem Geschrei davon, lief mit verstörtem Gesicht auf Purischkewitsch zu, der zu seiner Hilfe angelaufen kam, und flüchtete in die Zimmer seiner Eltern. Purischkewitsch hatte ein Geräusch unten gehört und stieg mit dem Revolver in der Hand die Treppe hinunter. Die Tür zum Hof war offen, und mitten im Hof sah er Rasputin, der im Begriff war, zu fliehen …

Der Staretz lief taumelnd auf das Eingangstor zu. »Felix! Felix!« rief er. »Ich werde alles der Zarin erzählen.« Purischkewitsch nahm die Verfolgung auf. Im Laufen gab er zwei Schüsse ab, die beide ihr Ziel verfehlten. Als Rasputin gerade daran war, die Tür zu erreichen, blieb Purischkewitsch stehen und gab nochmals zwei Schüsse ab. Dieses Mal fiel der Staretz mit vorgestreckten Armen vornüber in den Schnee. Purischkewitsch lief zu ihm und begann, seinen Kopf mit Fusstritten zu bearbeiten. Er lief ins Haus zurück und bat zwei Soldaten Yussupows, die am Haupteingang postiert waren, die Leiche ins Haus zu schaffen. Die Soldaten machten sich auf die Suche und legten die Leiche auf dem Treppenabsatz nieder. Yussupow war wie von Sinnen; er stürzte sich auf Rasputin und prügelte mit seinem Totschläger auf ihn ein. Es war kaum möglich, ihn von der Leiche fortzureissen. Man setzte ihn blutbefleckt auf den Lederdiwan in seinem Arbeitszimmer. Er befand sich in einer Nervenkrise; mit dem Blick eines Geistesgestörten rief er ununterbrochen: »Felix! Felix! Felix! …«

Purischkewitsch befahl den Soldaten, die Leiche in irgendein Stück Stoff einzuwickeln und zu verschnüren. Sie kamen dem Befehl nach.

In diesem Augenblick meldete man, dass der nicht weit vom Palais diensttuende Stadtsergeant gekommen sei, um sich nach dem Anlass der Schüsse zu erkundigen. Man liess ihn in das Arbeitszimmer des Fürsten eintreten. Purischkewitsch, der in Uniform war und das Wladimirkreuz trug, trat auf ihn zu und fragte:

»Kennst du mich?«

»Nein, Exzellenz.«

»Hast du einmal von Purischkewitsch gehört?«

»Jawohl, Exzellenz.«

»Nun, ich bin Purischkewitsch. Liebst du deinen Zaren und dein Vaterland?«

»Jawohl, Exzellenz.«

»Nun, dann schwöre mir, dass du es zu niemandem sagst: Grigori Rasputin ist tot.«

Purischkewitsch erklärte ihm, dass er und der Fürst den Staretz getötet hätten, und bat ihn, vollkommenes Stillschweigen zu bewahren.

Der Sergeant zog sich zurück. Kurze Zeit darauf kamen der Grossfürst, der Doktor und Suchotin, und man erzählte ihnen, was in ihrer Abwesenheit geschehen war. Man musste sich mit der Fortschaffung der Leiche beeilen. Der Grossfürst setzte sich an das Steuer des Autos, denn Lazavert war nicht mehr imstande, zu lenken; seine Nerven waren vollkommen erschöpft. Schon im Verlaufe der Nacht war er oben im Arbeitszimmer ohnmächtig geworden.

Suchotin setzte sich neben den Grossfürsten. Den Toten legte man ins Automobil. Purischkewitsch und Lazavert nahmen im Fond Platz. Die Ordonnanz von Purischkewitsch setzte sich auf die Leiche. Auch Gewichte und Ketten nahm man mit. Der Motor zog an. Unterwegs bemerkte Purischkewitsch im Auto den Pelz und die Schneeschuhe Rasputins. Als er sich darüber wunderte, antwortete der Doktor ihm, dass Frau Purischkewitsch den Pelz nicht habe auftrennen wollen, um ihn ins Feuer zu werfen, und dass man sich darauf beschränkt habe, die kleineren Dinge zu verbrennen. Deshalb entschloss man sich, alles zusammen mit der Leiche ins Wasser zu werfen.

Bald war man aus der Stadt. Der Weg wurde schmal, der Wagen holperte über ausgefahrene Spuren und rüttelte den Leichnam hin und her. Endlich war man an der Brücke, die die Petrowski-Insel mit der Krestowski-Insel verband. Das Auto hielt an einem Geländer. Man löschte die Lampen aus. Es war stockfinstere Nacht. Purischkewitsch, Suchotin, Lazavert und der Soldat zogen die Leiche aus dem Wagen und schwenkten sie hin und her, um ihr den nötigen Schwung zu geben, dann warfen sie sie in den eisfreien Raum, den man in der Nähe des Geländers ermittelt und sich gemerkt hatte. Man warf die Gewichte hinterher, denn man hatte vergessen, sie an der Leiche festzubinden. Diese ganze Szene dauerte zwei oder drei Minuten. Der Grossfürst hielt sich während dieser Zeit ein wenig abseits, um aufzupassen. Als alles vorbei war, nahm er wieder am Volant Platz. Purischkewitsch setzte sich neben ihn, die anderen in das Innere des Wagens. Das Auto setzte sich fast lautlos wieder in Bewegung. In seinem Häuschen schlief der Nachtwächter wie ein Bär. Nach einigen kleinen Aufenthalten, die durch ein Versagen des Motors nötig wurden, gelangte man in das Palais des Grossfürsten. Beim Aussteigen bemerkten die Verschwörer Blutspuren auf dem Teppich; sie fanden auch den zweiten Schneeschuh. Der Grossfürst vertraute beide Gegenstände einem Diener an und bat ihn, sie zu verbrennen. Nachdem sie sich von dem Grossfürsten verabschiedet hatten, fuhren Purischkewitsch, Lazavert und Suchotin in einem Schlitten zum Lazarettzug und nahmen auch die Ordonnanz mit, die ihnen geholfen hatte.


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