Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Unbesiegbare

Die Zarin Alexandra Feodorowna hatte Rasputin schon einmal gesagt, dass Iliodor eines Tages sein ärgster Feind werden könne. Sie hatte recht. Als Iliodor Anfang Dezember nach Petersburg kam, hatte er sich dem Staretz gegenüber bereits etwas anders verhalten. Man griff ihn in der Hauptstadt wegen seiner Freundschaft mit Rasputin an. Alle Bischöfe, mit denen er sprach, und vor allem der Bischof Antoni aus Wolhynien, tadelten ihn heftig, weil er einen Scharlatan, einen Wüstling, einen Chlyst in Schutz genommen habe. Bei seiner leidenschaftlichen und wenig ausgeglichenen Natur war Iliodor über diese Vorwürfe stark erschüttert. Der Kosak Rodionow, Journalist und Duma-Abgeordneter, sowie Mitia von Koselsk machten dann endgültig aus ihm einen Feind Rasputins. Rodionow erzählte ihm, was man in Petersburg über den Staretz sagte. Und Mitia brachte ihm, mit Schaum vor dem Munde, das verleumderische Gerücht bei, wonach die Zarin intime Beziehungen mit Rasputin unterhielt. Bei seiner Geradheit war der naive Mitia davon überzeugt, dass das wahr sei. Und voller Wut schrie er, dass man den Grischka töten, zum mindesten aber entmannen müsse. Auch der fanatische Iliodor schenkte diesem Gerücht Glauben. Es genügte, um ihn mit demselben Rausch in den Kampf gegen Rasputin zu stürzen, mit dem er ihn vorher in den Himmel gehoben und verteidigt hatte.

Der hitzige Iliodor bemühte sich, den Bischof Hermogen zu überzeugen, dass man Rasputin unbedingt entlarven müsse. Er schlug ihm vor, ihn in einer Zelle einzuschliessen und dem Zaren die volle Wahrheit zu enthüllen. Dann müsste der Staretz nach einem weit abgelegenen Ort ins Exil geschickt, Haus und Habe öffentlich verbrannt werden. Der Bischof willigte aber nur darin ein, dem Rasputin ernste Vorhaltungen zu machen und ihn zu dem Schwur zu bringen, dass er den kaiserlichen Palast in Zukunft nicht mehr betreten werde.

Am 13. Dezember schickte der Staretz, der sich damals in Moskau aufhielt, ein Telegramm, in dem er sein Eintreffen in Petersburg ankündigte und den Bischof bat, weder Theophan noch den Mönch Weniamin zu benachrichtigen. Da beschloss Iliodor, die Angelegenheit vorwärtszutreiben. Mit Hermogen, dem Bischof, begab er sich zum Justizminister Schtscheglowitow, dem er seinen Plan auseinandersetzte. Was half es, dass der Minister auf das Ungesetzliche eines solchen Vorgehens hinwies und Iliodor davon abzubringen versuchte – das konnte den stürmischen Iliodor nicht hemmen: er war ungeduldig darauf, den Staretz für die Zukunft unschädlich zu machen und mit dieser Handlung seine eigene Sünde, die er darin sah, dass er das Loblied des Staretz gesungen hatte, wieder gutzumachen.

Iliodor machte sich auf die Suche nach Zeugen, die bereit waren, der Szene beizuwohnen, und sprach mit verschiedenen Freunden über seinen Plan. Man warnte ihn vor der Gefährlichkeit seines Unternehmens, aber in seiner Exaltiertheit wollte er davon nichts hören.

Mitia war noch aufgeregter als Iliodor. Er zitterte vor Freude bei dem Gedanken, seinen persönlichen Feind zu vernichten, diesen »Staretz«, der ihm den Weg in den Zarenpalast verbaut hatte!

Am 16. Dezember traf Rasputin in Petersburg ein und telephonierte an Iliodor, dass er ihn unverzüglich bei Frau Golowina treffen möge. Iliodor ging hin und forderte Rasputin auf, mit zum Bischof Hermogen in das »Jaroslawskoje-Podvorie« zu kommen. Rasputin nahm den Vorschlag an. Auf dem Wege dorthin prahlte er noch mit der Gunst, der er sich beim Zaren erfreue. Als sie im Podvorie ankamen, fragte er plötzlich, wie von einer bösen Ahnung gepackt, ob etwa Mitia beim Bischof sei.

Iliodor antwortete, davon wisse er nichts; als sie aber eingetreten waren, benutzte er die Gelegenheit, dass Rasputin mit Hermogen sprach, um an Mitia und Rodionow zu telephonieren. Die beiden liessen nicht lange auf sich warten. Als der Staretz sie sah, begriff er, dass sich hier etwas vorbereitete. Er warf unruhige Blicke um sich und zeigte grosse Nervosität. Plötzlich fing Mitia an, aufzuheulen: »A – a – a! Ruchloser!« Er stürzte sich auf Rasputin und packte ihn … an einer sehr empfindlichen Stelle und beschuldigte ihn, ein Wüstling und Frauenschänder zu sein.

siehe Bildunterschrift

Grigori Rasputin beim Fischen an der Tura, in Pokrowskoje.

Man riss sie auseinander. Dann befahl der Bischof dem Iliodor, das Wort zu ergreifen. Der Mönch brachte eine Unmenge von Anklagen gegen Rasputin vor; er zählte alle Abenteuer auf, die der Staretz mit Frauen gehabt hatte; Rasputin schalt ihn einen Lügner und schrie, dass er unschuldig sei.

Dann nahm der Bischof das Wort. Er hatte seine Stola angelegt und hielt ein Kruzifix.

»Du bist ein Heuchler und Betrüger«, sagte er ganz erschüttert. Sein Gesicht drückte tiefsten Ernst aus, und er hatte das Kruzifix gegen ihn erhoben. »Du gibst dich für einen heiligen ›Staretz‹ aus, aber du wälzt dich in der Gottlosigkeit und im Schmutz. Du hast mich umgarnt, aber ich sehe jetzt dein wahres Gesicht. Ich sehe, dass ich eine Sünde begangen habe, als ich dich mit der kaiserlichen Familie in Verbindung brachte. Deine Anwesenheit bedeckt sie mit Schande. Mit deinen Taten und mit deinen Worten beschmutzest du den Namen der Zarin. Mit deinen unwürdigen Händen wagst du ihre heilige Person zu berühren. Wir können nicht dulden, dass das so weitergeht. Im Namen des lebendigen Gottes beschwöre ich dich, zu verschwinden und nicht mehr weiterhin durch Betreten des kaiserlichen Palastes Zweifel in die Seele des russischen Volkes zu säen!«

Rasputin, der im Anfang vollkommen fassungslos war, hatte inzwischen seine Sicherheit wiedergewonnen. Bleich und zornfunkelnden Auges fing er an, Beschimpfungen und Drohungen auszustossen.

Da packte Hermogen die Wut:

»So weigerst du dich also, infamer Wüstling, dich den Befehlen eines Bischofs zu unterwerfen, und du gehst sogar so weit, ihn zu bedrohen! Nun, so höre denn, dass ich, der Bischof, dich hiermit verfluche!«

Abscheulich anzusehen, mit wutverzerrtem Gesicht und geballten Fäusten, stürzte sich Rasputin auf den Bischof. Rodionow zog seinen Degen und sprang mit Iliodor dem Bischof bei. Mitia krallte sich wie eine wilde Bestie an Grigori. Es gab ein entsetzliches Handgemenge. Endlich gelang es dem Staretz, die Treppe zu erreichen. Mitia aber, der sich mit Zähnen und Nägeln geradezu in ihn verbissen hatte, konnte er nicht abschütteln. Und ineinander verknäult, kugelten beide von oben bis unten die Treppe hinunter, während oben auf dem Treppenabsatz der Bischof sein Kruzifix hin und her schwenkte und noch einmal sein Anathema über den Teufelsbauern ausstiess.

Rasputin beeilte sich, davonzukommen.

Am nächsten Tage versuchte Rasputin, mit dem Bischof Frieden zu schliessen; seine Annäherungsversuche wurden aber zurückgewiesen. Man liess dann Iliodor zu Frau Golowina kommen, wo sich alle Anbeterinnen des Staretz versammelt hatten, vorab Frau Wyrubowa. Rasputin machte ein siegessicheres Gesicht und schien sich durchaus unbesorgt zu fühlen. Alle diese Frauen überhäuften Iliodor mit Vorwürfen und schalten ihn undankbar, treulos und perfide; er sei ein Verräter! Aber die beiden Gegner söhnten sich nicht aus, und der Kampf ging – nun in der Oeffentlichkeit – weiter.

Grigori beschwerte sich telegraphisch beim Zaren, der sich damals im Süden Russlands aufhielt. Die Geschichte sprach sich rasch in der Hauptstadt herum: überall erzählte man sich, dass versucht worden sei, den Staretz zu entmannen. Iliodor reiste schleunigst nach Tsaritsyn ab.

Grigori dürstete nach Rache. Als das Zarenpaar zum Weihnachtsfest nach Zarskoje-Selo zurückkam, erzählte man ihm, dass Rasputin in eine Falle gelockt worden sei und dass man versucht habe, ihn zu ermorden. Rasputin, der dem Bischof Hermogen die Hauptschuld an den Vorgängen zuschrieb, verlangte dessen Bestrafung. Am 3. Januar legte Sablère dem Zaren eine Entscheidung der Synode zur Unterschrift vor, wonach Hermogen in seine Diözese verwiesen wurde. Der Zar unterzeichnete. Bischof Hermogen weigerte sich aber kategorisch, der Entscheidung nachzukommen und rief telegraphisch Iliodor aus Tsaritsyn herbei. Iliodor gewährte Journalisten ein Interview, und die ganze Presse war voll vom Fall Hermogen und von Rasputin. Kurz: der Skandal wuchs.

Die Synode bemühte sich nach Kräften, Hermogen zu veranlassen, den Befehlen des Herrschers nachzukommen, aber der Bischof sagte immer wieder: »Ich bin bereit, dem Zaren zu gehorchen, aber einem Grischka Rasputin – niemals!« Am 16. Januar erbat er telegraphisch Audienz beim Zaren, doch dieser liess ihm durch Sablère mitteilen, dass er ihn nicht empfangen wolle. Hermogen sandte dann ein Telegramm an die Zarin. Er erhielt die Antwort, dass die Zarin ihm in keiner Weise helfen könne, und dass er sich den Befehlen der von Gott eingesetzten Obrigkeit unterwerfen müsse. Der Bischof weinte. Iliodor drängte ihn mit seinen demagogischen Gedankengängen zu weiterem Widerstand.

Am 17. Januar erhielt Hermogen eine Entscheidung der Synode zugestellt, wonach er ins Kloster Jirowitz verwiesen wurde, weil er dem Beschluss der Heiligen Synode und des Zaren nicht Folge geleistet habe. Iliodor wurde ins Kloster Florischtschewa Pustinije verbannt. Beide weigerten sich, Folge zu leisten. Die Zeitungen schrieben, dass Iliodor sich zu Fuss nach Moskau auf den Weg gemacht habe. In Wirklichkeit hatte er sich beim Doktor Badmajew in Sicherheit gebracht, und von da aus führte er seine Kampagne gegen Rasputin weiter. Der Skandal nahm ungeheure Dimensionen an. Der Name Rasputin war in aller Munde.

Im Zarenpalais war man ausser sich. Rasputin drängte zu Zwangsmassnahmen. Dank der Intervention des Palastkommandanten Dedjudlin, der auf Badmajew einwirkte, unterwarf sich Hermogen den Befehlen des Zaren: Am 23. Januar reiste er ins Exil ab. Ein paar Tage später stellte Iliodor sich den Behörden, die ihn ins Kloster Florischtschewa Pustinije brachten.

Vor seiner Abreise hatte Iliodor seine berühmte Denkschrift unter dem Titel »Grischka« geschrieben und Badmajew gebeten, sie dem Zaren eigenhändig durch Vermittlung Dedjulins zu übermitteln. In diesen Erinnerungen waren sehr kurz aber mit sehr viel Energie und Ueberzeugungskraft alle Entgleisungen Rasputins aufgezeichnet. Es war auch darin die Rede von der Zarin, von den Briefen der Zarin und der Grossfürstinnen an den Staretz. Die Denkschrift endigte so:

 

»Grischka ist ein Chlyst, ein unverbesserlicher Wüstling; man muss ihn entfernen und dafür bestrafen, dass er bei seiner Verworfenheit die Stirn gehabt hat, sich als einen heiligen Mann auszugeben und sich der Zarenfamilie zu nähern. Wenn man Grischka nicht entfernt, wenn man ihn nicht zwingt, sich zu verkriechen, so wird der Zarenthron gestürzt werden, und Russland wird untergehen.

25. Januar 1912.
Iliodor.«

 

Wir wissen nicht, ob diese Denkschrift dem Zaren vorgelegt worden ist. Eines aber steht fest: man las sie im Zarenpalast, und man war empört darüber. Badmajew, der in diesem Augenblick nicht zu den Freunden Rasputins zählte, übergab sie auch dem Präsidenten der Duma, Rodzianko. Mehrere Deputierte der Duma nahmen sie zur Kenntnis. In Petersburg begannen Vervielfältigungen von angeblichen Briefen der Zarin und der Grossfürstinnen an Rasputin zu zirkulieren. Diese Briefe waren vielfach Fälschungen. Einige Briefe, nur mit »A« unterzeichnet, waren zwar an sich echt, aber sie stammten in Wirklichkeit nicht von der Zarin, sondern von einer der Anbeterinnen des Staretz. In den Gängen der Duma und in den Salons plätscherte der Klatsch in hohen Wogen.

In der russischen Gesellschaft fand die monströse Verleumdung von den intimen Beziehungen der Zarin zu Rasputin immer mehr Verbreitung. Man stützte sich dabei auf die Korrespondenz zwischen der Zarin und dem Staretz. Aus dem Briefe der Zarin, den Iliodor sich bei Rasputin anzueignen verstanden hatte, konnte man aber nichts anderes entnehmen als ihre äusserste religiöse Verehrung für Rasputin, ihren Glauben an seine Gebete und ihre geistige Unterwerfung unter seinen Einfluss. Nur Leute, die weder die Zarin, noch ihre moralische Erziehung, noch das kristallreine Familienleben des Zarenpaares kannten, nur ganz lasterhafte Leute, Fanatiker oder Liebhaber von Skandalen konnten in diesem Brief die Bestätigung dieser empörenden Verleumdung finden, die in den Beschuldigungen des reinen Toren Mitia von Koselsk und des Demagogen Iliodor und in den verpesteten, prahlerischen Anspielungen Rasputins Nahrung fanden.

Gewisse Mitglieder der Petersburger Gesellschaft, die sich selbst allerlei Ausschweifungen hingaben, und, am andern Ende der sozialen Stufenleiter, die unwissenden Massen des Volkes glaubten aber diese Gerüchte. Andererseits nahmen alle Feinde des Zaren und der Autokratie sie mit Freuden auf; denn für sie waren sie ein wichtiger Trumpf im Kampfe gegen das Regime.

Die kindlichen Briefe der kleinen Grossfürstinnen stammten aus dem Jahre 1909. Olga Nikolajewna war damals vierzehn, Anastasia Nikolajewna neun Jahre alt. Aber es gab trotzdem viele Mütter, die den Kopf schüttelten, wenn von den Briefen der Kinder der Zarin an Rasputin die Rede war, und dann mit vorwurfsvoller Miene von der Zarin sagten: »Na, das ist eine Mutter!«

Photographien, auf denen man Rasputin im Kreise seiner Anbeterinnen und Bewunderer sah, gingen von Hand zu Hand. Man sagte, dass das der »Nef« des Chlysten Rasputin sei; denn die Bezeichnung »Nef« verwendeten damals die Chlysty für ihre Jünger- oder Anhängergruppen. Später liess Purischkewitsch eine Menge dieser Photos abziehen, um sie in der Oeffentlichkeit zu verbreiten.

Rasputin trug durch seine grossmauligen Prahlereien zu einem guten Teile dazu bei, den vielen Gerüchten noch neue Nahrung zu geben. Während er sich bislang immer nur vor seinen Freunden mit seinem Einfluss gebrüstet hatte, fing er gegen Ende des Jahres 1911 an, ganz offen in den Petersburger Salons herumzuprahlen. Im Salon der Frau Golowina, seinem grossen Generalstabsquartier, erzählte er seinen Anbeterinnen, dass der Zar ihn gar nicht mehr entbehren könne; er liesse ihn überhaupt nicht mehr nach Hause fahren, und ununterbrochen bekomme er im kaiserlichen Palais Geschenke. Alles das machte die Runde durch die Hauptstadt. Im Hause Sasonow, in dem er wohnte, ging es noch schlimmer her. Jedem, der es hören wollte – und von Zeit zu Zeit verkehrten dort Journalisten – streute er Sand in die Augen: »er«, Rasputin, habe diesen oder jenen »fortgejagt«, diesen oder jenen »empfohlen« oder »ernannt«. Schliesslich hörte man in den Redaktionsräumen der Petersburger Zeitungen nur noch von Rasputin reden, die Presse der Hauptstadt beschäftigte sich nur noch mit ihm. Aber auch die Moskauer Zeitungen griffen die Sache auf. Und eine von diesen sollte Rasputin einen fürchterlichen Schlag versetzen.

Eine Moskauer Gruppe, der Kreis um einen gewissen Samarin, hatte eines seiner Mitglieder, den Privatdozenten Nowosselow der theologischen Akademie, beauftragt, Rasputin der Sektiererei zu überführen. Nowosselow schrieb daraufhin eine Broschüre, in der er den Staretz aufs heftigste angriff. Die Sache kam zu Ohren von Sablère, der jetzt seinen Hilfsprokurator Damanski beauftragte, nach Moskau zu fahren, damit diese Broschüre nicht veröffentlicht würde. Aber der Kreis um Samarin ging über die Vorstellungen Damanskis einfach hinweg. Da nahm man zu einer polizeilichen Massnahme Zuflucht: die Broschüre wurde beschlagnahmt. Alsbald erschien dann in der Moskauer Zeitung »Golos Moskvi« unter der Ueberschrift »Die Stimme eines Orthodoxen« ein Artikel von Nowosselow, in dem man die nachstehenden Zeilen lesen konnte:

»Quo usque … Das ist der Ruf, den die getreuen Anhänger der orthodoxen Kirche voll Traurigkeit und Bitterkeit an die Synode zu richten sich gezwungen sehen, und zwar im Hinblick auf die schuldhafte Toleranz, die die oberste Kirchenbehörde dem besagten Grigori Rasputin gegenüber bewiesen hat. Wie lange will die Synode noch schweigend und untätig diese verbrecherische Komödie mit ansehen, die sich seit mehreren Jahren schon vor ihren Augen abrollt?

Warum schweigt sie? Warum handelt sie nicht, während doch eine unwiderstehliche Kraft die Prälaten vorwärtstreiben sollte, die das Amt haben, den wahren Glauben zu hüten und ihre Herde, wie der gute Hirte im Evangelium, vor den Angriffen der Wölfe zu schützen?

Warum schweigen die Bischöfe, die doch die unheilvolle Betriebsamkeit dieses Schwindlers, dieses unverschämten Verführers, kennen? Warum bleiben die Wächter Israels stumm, obgleich sie doch in den Briefen, die manche von ihnen an mich geschrieben haben, diesen falschen Propheten offen als verkappten Chlyst, als Erotomanen und Scharlatan bezeichnen?

Warum trägt die Synode die Bezeichnung »Heilig«, wenn sie aus Nachlässigkeit oder aus Kleinmut nicht über den wahren Glauben der Kirche Gottes wacht und statt dessen duldet, dass ein verkommener Chlyst ein Werk der Finsternis betreibt, indem er seine wahre Natur hinter einer Maske des Lichts verbirgt?

Wo ist diese rechte Hand Gottes, mit der die Synode doch die orthodoxe Gemeinde leitet, wenn sie nicht einmal den kleinen Finger krumm macht, um diesen Verderber, diesen anmassenden Ketzer aus dem Schosse der Kirche zu verjagen?

Aber vielleicht kennt die Synode nicht genügend die Missetaten dieses Grigori Rasputin? Nun, dann bitte ich ganz untertänig um Verzeihung wegen meiner Entrüstung und meiner Kühnheit, und ich bitte ganz respektvoll, mich vor dieser höchsten kirchlichen Institution erscheinen zu lassen, damit ich beweisen kann, wie wohlbegründet meine Anklagen gegen diesen Chlyst und Verführer sind.«

Die Moskauer Behörden liessen diese Zeitung konfiszieren und belegten sie mit einer Geldstrafe: der Gouverneur und sein Adjunkt gehörten nämlich zu Rasputins Anhängern. Das verhinderte aber nicht, dass eine Unmenge von Vervielfältigungen dieses offenen Briefes durch ganz Russland die Runde machte. Zum erstenmal wurde der Fall Rasputin zu einer nationalen Angelegenheit. Ueberall beschäftigte man sich mit Rasputin: angefangen bei den oppositionellen Parteien bis zur Zarinmutter Maria Feodorowna. Die Gründe waren nicht überall dieselben, aber das Interesse war überall gleich gross. Man hätte glauben können, dass der geheimnisvolle Schleier, der diese Persönlichkeit umgab, nun zerrissen sei. Menschen, die in jeder Hinsicht grundverschieden voneinander waren, versuchten, die verschiedenen Seiten seiner Natur und seiner Betriebsamkeit aufzuklären. In den meisten Fällen verfolgte man damit das Ziel, seinen Heldentaten den Garaus zu machen. Eine Kampagne von ungeheurer Heftigkeit brach los.

Die gegen die kaiserliche Familie erhobenen Verleumdungen hatten in der unmittelbaren Umgebung des Zaren mehr als anderswo eine starke Empörung hervorgerufen. Die hohen Hofbeamten von Zarskoje-Selo standen zwar dem Staretz feindselig gegenüber. Unter ihnen gab es aber nur zwei, die in Anbetracht ihrer Position die Möglichkeit gehabt hätten, beim Zaren das Gespräch auf dieses Thema zu bringen: das waren der Baron Fredericks, der Hofminister, und der General Dedjudlin, der Palastkommandant. Kein anderer, und mochte er von aussen her in den Augen der Uneingeweihten scheinbar dem Zaren noch so nahestehen, hatte die Möglichkeit oder das Recht, dem Zaren hierüber Bericht zu erstatten. Man muss, um das zu verstehen, daran denken, dass die strengen Regeln der Hofetikette noch dadurch erschwert wurden, dass alle Offiziere, die zum Gefolge Nikolaus' II. gehörten, innerhalb der Grenzen des Gesetzes dem Zaren gegenüber noch zur militärischen Disziplin verpflichtet waren.

Aber selbst für die beiden genannten Beamten wurde der Fall dadurch noch kompliziert, dass die Persönlichkeit der Zarin hineingezogen war. Damals glaubte man noch nicht an den politischen Einfluss des Staretz; die Tatsachen, die wir heute kennen, waren noch nicht alle enthüllt. Von Rasputin sprechen und dabei eine Anspielung auf die angebliche Intimität mit der Zarin machen, das wäre derartig absurd gewesen, dass man sich dabei die Zunge abgebrochen hätte. Rasputin beschuldigen, dass er der Sekte der Chlysty angehöre, das war ebenso unmöglich, nachdem er den Majestäten durch ihren ehemaligen Beichtvater Theophan vorgestellt war und durch ihren jetzigen Beichtvater, den Pater Alexander, gestützt wurde. Ausserdem ging sie das nichts an. Es blieb also nur die einzig mögliche Lösung: die Unmoral Rasputins, die Verderbtheit dieses Bauern, der im Palast empfangen wurde, zu entlarven. Aber hatte der selige Stolypin das nicht schon ohne Erfolg versucht? Und konnte eine solche Anklage dem Zaren nicht als scheinheilig vorkommen? Warum – so hätte er sie fragen können – werfen Sie denn nicht die gleiche Frage auf im Zusammenhang mit den anderen Vertretern der hohen Petersburger Gesellschaft, die, obgleich ihre Ausschweifungen aller Welt bekannt sind, dennoch die Schwelle des Palastes überschreiten dürfen? Oder ist ihnen das nur deshalb erlaubt, weil sie keine Bauern sind? Und hatte der Zar nicht schon seinerzeit Stolypin gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine private Angelegenheit handle, in die sich niemand zu mischen habe? Und dem Palastkommandanten gegenüber hatte er ja einmal gesagt:

»Das ist ein guter, schlichter und religiöser Mann, ein echter Russe. In Augenblicken, in denen ich Zweifel habe und in denen meine Seele unruhig ist, spreche ich gern mit ihm; nach diesen Unterhaltungen habe ich immer ein Gefühl der Erleichterung und der Beruhigung.«

Im Laufe ihrer privaten Unterhaltungen kamen der Hofmarschall Benkendorf, der General Dedjudlin, der Admiral Nilow, der Prinz Orlow und Oberst Drenteln zu der Auffassung, dass von dem Augenblick an, in dem man die Sache zu einer nationalen Angelegenheit machte, die Regierung das Problem zu lösen habe: das Schwergewicht der Angelegenheit lag damit bei dem Premierminister Kokowtsew und dem Innenminister Makarow.

Am 29. Januar, anlässlich eines Diners im Winterpalais zu Ehren des Fürsten von Montenegro, unterhielt sich der Zar zum erstenmal mit dem Innenminister Makarow über die Haltung der Presse in der Angelegenheit Rasputin, und er forderte, dass man zu durchgreifenden Massnahmen gegen die Zeitungen griffe. Die vom Zaren angeschnittene Frage wurde am nächsten Tage in einer Konferenz zwischen Kokowtsew, Sablère und Makarow geprüft. Sablère erklärte, dass es unerlässlich sei, den Staretz nach Sibirien zurückzuschicken, und er erklärte sich bereit, dem Zaren darüber Bericht zu erstatten, dass ein längeres Verweilen des Staretz in Petersburg Gefahr bedeute.

Kokowtsew und Makarow begaben sich sofort zum Hofminister Baron Fredericks und überredeten ihn, das Terrain beim Zaren vorzubereiten, indem er ebenfalls seinerseits dem Kaiser einen Bericht erstattete. Der Baron setzte tatsächlich dem Zaren alles auseinander, was er aus dem Munde der Minister gehört hatte, aber sein Bericht wurde sehr übel aufgenommen. Der Zar war aufgebracht gegen die Duma, gegen Gutschow, unzufrieden mit der Schwäche der Regierung. Er widersetzte sich ganz einfach der Abreise des Staretz.

»Heute fordert man die Abreise Rasputins«, sagte er, »und morgen ist es irgendein anderer, der nicht gefällt und den man zur Abreise auffordert.«

Am nächsten Tage versuchte auch der Innenminister einen Bericht über Rasputin zu erstatten, aber der Zar sagte ihm, er möge das auf ein anderes Mal verschieben.

Am 3. Februar machte Kokowtsew seinen gewöhnlichen Bericht beim Zaren und versuchte, die Gelegenheit zu benutzen, die Sprache auf Rasputin zu bringen. Der Zar bemühte sich aber, die Unterhaltung auf ein anderes Thema abzubiegen.

»Immerhin gelang es mir«, schreibt der Graf später in seinen Erinnerungen, »ihm mit allen Einzelheiten auseinanderzusetzen, was für einen schrecklichen Schlag diese Geschichte der Zarenmacht versetze und wie wichtig es sei, das Uebel ohne Zögern an der Wurzel zu packen, indem man die Ursache, die zu den unwahrscheinlichen Gerüchten Anlass gegeben hatte, entfernte. Der Zar hörte mir schweigend mit unzufriedener Miene zu; er sah, wie immer in solchen Fällen, aus dem Fenster. Plötzlich unterbrach er mich mit den Worten:

›Ja, Sie haben recht, man muss diese Gemeinheit an der Wurzel packen, und ich werde nach dieser Richtung hin einschneidende Massnahmen ergreifen. Ich werde Ihnen später davon sprechen; im Augenblick aber – reden wir nicht mehr davon!‹«

Zehn Tage später wurde Kokowtsew zur Zarinmutter Maria Feodorowna gerufen, und auf ihren Wunsch erzählte er ihr alles, was er von Rasputin wusste. Die Zarinmutter war vollkommen erschüttert, vergoss Tränen und versprach, mit dem Zaren darüber zu reden. »Meine arme Schwiegertochter weiss nicht«, sagte sie, »dass sie die Dynastie und sich selbst zugrunde richtet. Sie glaubt aufrichtig an die Heiligkeit dieses Abenteurers, und wir alle sind nicht imstande, das Unglück abzuwenden!«

Die Unterredung der Zarinmutter mit Kokowtsew war sofort in Zarskoje-Selo bei Rasputins Anhängerinnen bekannt. Man empfahl ihm, selbst zum Premierminister zu gehen. Er erbat eine Audienz und wurde am 15. Februar in Gegenwart des Senators Waleri Nikolajewitsch Mamontow empfangen. Dieser Senator Mamontow, den man nicht mit dem kaiserlichen Kanzleichef gleichen Namens verwechseln darf, war ein Schwager des Premierministers und ein grosser Bewunderer Rasputins.

Die Audienz dauerte fast eine Stunde. Rasputin versuchte, vermittels Hypnose auf den Minister einzuwirken, aber vergebens. Er erklärte, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und dass man nur Verleumdungen über ihn ausstreue. Er fragte, was er tun solle; vielleicht wünsche man, dass er abreise. Der Minister und sein Schwager bemühten sich, ihm klarzulegen, dass seine Abreise in der Tat unerlässlich sei, worauf Rasputin antwortete:

»Na, schön! Selbstverständlich, ich bin ein böser Mensch, und ich werde abreisen. Sollen sie versuchen, ohne mich fertig zu werden! Aber weshalb ruft man mich denn überhaupt, dass ich meine Meinung sage über diesen und über jenen, hierzu und dazu?«

Er stand rasch auf und zog sich zurück.

Auf Kokowtsew machte Rasputin den Eindruck eines intelligenten Vagabunden, eines Scharlatans, der sich für einen »unschuldigen Heiligen« auszugeben versuchte.

Am 17. Februar erstattete der Premierminister dem Zaren in der Sache Rasputin einen neuen Bericht. Er erzählte ihm von der Audienz, skizzierte nochmals die Gefahr und schloss dann damit, dass Rasputins Abreise unerlässlich sei.

Daraufhin wurde Kokowtsew nach seinem Eindruck über Rasputin gefragt, und der Minister schilderte ihn, wie er uns in seinen Erinnerungen berichtet, wie folgt:

»Ich sagte ihm, dass ich einen aussergewöhnlich unangenehmen Eindruck bekommen hätte. »Während der ganzen Unterredung sei er mir vorgekommen wie der typische Vertreter jener sibirischen Vagabunden, von denen ich mit zahlreichen Exemplaren zu Beginn meiner Karriere in den Gefängnissen und Zuchthäusern zusammengekommen war; wie einer jener Verbrecher, die behaupten, weder ihren Vater noch ihren Geburtsort zu kennen, um ihre mit langer Vorstrafenliste belastete Vergangenheit zu vertuschen, und die buchstäblich zu allem bereit sind, wenn sie nur ihr Ziel erreichen. Ich fügte noch hinzu, dass ich nicht gern mit ihm allein unter vier Augen zusammenkommen würde, so abstossend sei sein Anblick. Schliesslich sei seine ganze Art, sich aufzuführen, voller Falschheit gewesen. Nachdem er erst den Hypnotiseur und dann den Unschuldsengel gespielt, habe er angefangen, ganz schlicht und sogar verständig über die gewöhnlichen Dinge zu sprechen, aber mit derselben Plötzlichkeit sei er dann wieder in seine Rolle als Unschuldslamm zurückverfallen.«

Zum Schluss drückte Kokowtsew noch seine Missbilligung über diejenigen aus, die Rasputins Protektion suchten. Der Zar war unzufrieden, hörte schweigend zu und sah aus dem Fenster.

Dieser Bericht machte den Premierminister in den Augen der Zarin endgültig unmöglich. Sie sprach in diesem Sinne mit der Wyrubowa. Diese benachrichtigte prompt den Staretz, der Rache schwor.

Inzwischen war es dem Innenminister Makarow gelungen, Originalbriefe der Zarin und der Zarenkinder an Rasputin in die Hände zu bekommen; es waren dieselben Briefe, die Iliodor der Oeffentlichkeit bereits übergeben hatte: ein Brief der Zarin, vier Briefe der Grossfürstinnen und ein Stück Papier, auf das der Zarewitsch den Buchstaben A gemalt hatte. Makarow fiel nichts Besseres ein, als diese Briefe dem Zaren vorzulegen. Der Zar war ausser sich über diesen Mangel an Takt, und die Zarin, die aufs tiefste in ihrer weiblichen Ehre gekränkt war, fing an, Makarow zu verabscheuen. Die Majestäten konnten sich nicht denken, dass das Vorgehen des Ministers auf einem Mangel an Intelligenz oder an Lebenserfahrung beruhe.

Während dieser ganzen Zeit spielte der Prokurator der Synode, Sablère, eine Doppelrolle; in Wirklichkeit aber stand er auf Seiten Rasputins.

So endigte die Intervention der beiden Minister Kokowtsew und Makarow. Sie zeigten dabei viel Zivilcourage, aber leider einen noch grösseren Mangel an Psychologie. In den Augen des Zarenpaares waren sie jetzt »schlechte Staatslenker«, die vor der öffentlichen Meinung zitterten und vor allem darauf bedacht waren, dieser öffentlichen Meinung nachzugeben. Nur weil Kokowtsew das Prestige hatte, ein Spezialist in Finanzfragen zu sein, behielt ihn Nikolaus II. noch einige Zeit. Aber Makarow, der keineswegs ein Innenminister ohnegleichen war und sich nur auf Kokowtsew stützte, war ein erledigter Mann: Rasputin setzte rasch durch, dass man ihn absetzte. Hinsichtlich des Premierministers wurde die Feindseligkeit des Staretz noch einige Zeit durch die Einmischung gemeinsamer Freunde gemildert.

Während die Minister Rasputins Abreise aus Petersburg durchzusetzen versuchten und in ihren Berichten beim Zaren über die delikatesten Punkte mit Stillschweigen hinweggingen, rollte die Duma dieses Problem mit viel grösserer Offenheit auf. Wenn nun auch manche Dumamitglieder, wie vor allem Rodzianko, nur von ihrer Liebe zum Zarenhaus und von ihrem Wunsch, Herrscher und Thron nicht in den Schmutz gezogen zu sehen, getrieben wurden, so gab es aber doch auch andere, die nur darauf bedacht waren, den Skandal noch zu vergrössern, um die Zarenmacht, Nikolaus II. und seine Regierung in Misskredit zu bringen.

Die Beschlagnahme der Broschüre des Privatdozenten Nowosselow und die Strafe, die man der »Stimme Moskaus« wegen der Veröffentlichung des erwähnten Briefs Nowosselows an die Synode auferlegt hatte, gaben Gutschkow Veranlassung, im Büro der Duma eine Interpellation niederzulegen, in der die Frage des Missbrauchs der amtlichen Gewalt aufgeworfen wurde. Das gab den Leuten aus der Umgebung des Zaren, die gegen Rasputin Stellung genommen hatten, zu denken. Sie mutmassten, dass dieser Parlamentsschritt nur ein verkappter Angriff gegen das Zarenpaar sei, eine Intrige Gutschkows, eines persönlichen Feindes des Zaren, und man warf Kokowtsew vor allem vor, dass er es nicht verstanden habe, das zu verhindern.

Zar und Zarin waren voller Entrüstung. Rasputin schickte ihnen Briefe, in denen er sich in heftigsten Ausdrücken über die Duma aussprach.

Während dieser Zeit fuhr Rodzianko fort, Beweismaterial gegen Rasputin zusammenzutragen. Gutschkow und andere halfen ihm dabei. Mit all diesem Material bereitete er einen Bericht an den Zaren vor. Ein paar Tage vor der Ueberreichung bat die Zarinmutter ihn zu sich und fragte ihn, was er alles gegen Rasputin festgestellt habe. Sie war eine durchaus erfahrene Frau, aber damals glaubte sie noch nicht, dass der Staretz irgendwie in politischer Beziehung etwas zu bedeuten habe, und deshalb riet sie Rodzianko, von der Einreichung des Berichtes Abstand zu nehmen.

»Er wird Ihnen, leider, nicht glauben«, sagte sie, »und ausserdem wird die Sache ihm viel Kummer machen. Er hat eine so reine Seele, dass er an das Böse nicht glauben kann.«

Rodzianko erklärte, dass er sich für verpflichtet halte, dem Zaren diesen Bericht einzureichen, um damit die Dynastie zu retten, und er bat die Zarinmutter um ihren Segen.

»Möge der Herr Ihren Schritt segnen!« antwortete sie ihm.

Am 26. Februar wurde Rodzianko vom Zaren empfangen. Nachdem er zunächst über die laufenden Geschäfte der Duma gesprochen hatte, bat er um die Genehmigung, über Rasputin sprechen zu dürfen.

»Ich höre«, sagte der Zar.

»Majestät«, begann Rodzianko, »dass bei Hofe und in seiner intimen Atmosphäre ein so verlästerter, so verkommener und so unedler Mensch zugelassen wird, ist eine Tatsache, die ganz einzig in den Annalen des russischen Reiches dasteht.«

Rodzianko skizzierte zunächst den peinlichen Eindruck, den der Einfluss, den Rasputin auf die Angelegenheiten der Kirche und des Staates habe nehmen können, hervorgerufen hatte. Dieser Bauer, sagte er, sei eine Waffe in den Händen der Feinde Russlands, die sich seiner bedienten, um die Kirche und die Monarchie zu unterwühlen; er sprach von Hermogen, von Theophan und von Iliodor; er schilderte die Chlysty-Praktiken Rasputins, seine Ausschweifungen und seine galanten Abenteuer; er zitierte die Broschüre von Nowosselow; zeigte einen Zeitungsausschnitt, in dem gesagt war, dass die Freimaurer anlässlich eines Kongresses in Brüssel von Rasputin als von einem für sie sehr bequemen Werkzeug gesprochen hatten. Er warnte den Zaren vor der Gefahr, die die Anwesenheit dieses Bauern für den Thronerben bedeute. Er zeigte eine Photographie Rasputins im Priestergewand mit dem Kreuz auf der Brust, die den Zaren empörte; dann Photographien Rasputins im Kreise seiner Anbeterinnen und Photographien Rasputins mit verschiedenen Chlystemblemen. Zum Schluss bat er um die Vertreibung Rasputins. Der ganze Bericht hatte zwei Stunden gedauert, und der Zar hatte sehr aufmerksam zugehört, auch von Zeit zu Zeit eine Frage dazwischengeworfen. Als er zu Ende war, dankte der Zar ihm mit viel Wohlwollen und stellte ihn auch noch auf seinen Wunsch dem Zarewitsch vor.

Dieser Bericht machte auf den Zaren einen solchen Eindruck, dass Dedjudlin nach zwei Tagen Rodzianko mitteilen konnte, der Zar habe ihm die Untersuchung in dem gegen Rasputin eingeleiteten Verfahren wegen Zugehörigkeit zur Chlysty-Sekte, die bislang von der Synode geführt war, anvertraut und beauftrage ihn, eine Art von Enquete über Rasputin anzustellen. Er sollte möglichst bald dem Zaren einen Bericht vorlegen. »Man sieht«, so hatte der Zar sich dem General gegenüber ausgedrückt, »dass Rodzianko ein treuer Untertan ist, der sich nicht fürchtet, die Wahrheit zu sagen. Ich habe manches von ihm gehört, was ich bislang noch nicht wusste.«

Um die gleiche Zeit versuchten mehrere Persönlichkeiten, auf eigene Faust Rasputin beim Zarenpaar zu beschuldigen. Der alte General Bogdanowitsch schrieb an den Zaren einen eingehenden Brief. Die Antwort aber lautete, er solle sich nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Der Admiral Nilow machte mehrere Male den Versuch, das Gespräch auf Rasputin zu bringen; aber jedesmal lenkte Nikolaus vom Thema ab. Die Fürstin Z. N. Yussupowa, die früher eine grosse Freundin der Zarin gewesen war, suchte Alexandra Feodorowna auf und hatte mit ihr eine lange Unterhaltung. Als sie die Zarin bestimmen wollte, das zu glauben, was Rodzianko in seinem Bericht gesagt hatte, antwortete die Zarin, dass Rodzianko und Gutschkow Verbrecher seien, für die der Galgen noch eine viel zu milde Strafe sei. Und als die Fürstin ihr versicherte, dass Rasputin nur ein Chlyst sei, der ihr Vertrauen missbrauche, fing sie an, den Staretz in herzlicher Weise in Schutz zu nehmen:

»Nein, nein!« antwortete sie. »Man verleumdet ihn. Er ist ein heiliger Mann!«

Weder Rasputin noch seine Anhänger waren darauf gefasst gewesen, dass der Skandal vom Dezember ein solches Ausmass annehmen würde. Nach seiner Unterhaltung mit Kokowtsew hatte Rasputin auf Wunsch des Zaren Petersburg verlassen; er hörte aber nicht auf, Briefe und Telegramme zu senden, in denen er sich verteidigte und seine Feinde angriff. Nachstehend ein paar Proben dieser Korrespondenz, die an die Majestäten gerichtet war:

»Lieber Papa und Mama. Gott hat den Engel der Revolte aus dem Himmel vertrieben. Ebenso muss Iliodor jetzt ins Gefängnis gehen. Das wird ihn lehren, was es kostet, sich gegen den Gesalbten des Herrn aufzulehnen. Früher tötete man, heute aber ist es gut, mit dem Gefängnis zu strafen. Keinerlei Gnade für ihn; befehlen Sie das dem Priester Wladimir. Grigori.«

»Lieber Papa und liebe kleine Mama! Was für ein Lärm! Aber das Wasser fliesst dahin, und es gibt immer noch mehr. Warum also beunruhigen Sie sich? Das ist immer so. Wenn sie genug gebellt haben, werden sie ruhig werden. Die Zaren stehen über allem. Nun, seien Sie also auch darüber erhaben. Gott gibt Trost und der Dämon Kummer. Nun, Gott ist stärker als alle Dämonen. Sablère und Damanski werden alles einrenken. Aber ja. Grigori.«

»Lieber Papa und Mama! Man muss diese Revolte des Iliodor bezwingen. Andernfalls wird dieser Hund uns alle zerreissen. Denn er ist ein bissiger Hund. Er macht vor nichts halt. Aber man kann ihm die Reisszähne abfeilen. Man sei streng gegen ihn. Und man bewache ihn gut. Ja. Grigori.«

Die Parteigänger Rasputins versuchten das Unmöglichste, um ihren Staretz zu retten. Als Damanski das Aktenstück der Synode über die bisher gegen Rasputin geführte Untersuchung Rodzianko aushändigte, plädierte er mit sehr viel Wärme für Grigori. Wenn der Staretz ein Betrüger sei, wie habe er dann wohl von einer so grossen Anzahl außergewöhnlicher Persönlichkeiten empfangen werden können, wie von Tanejew, Witte und Bischof Warnawa? Auf Befehl des Zaren führte Damanski den Pater Alexander (Wassiliew), den Beichtvater des Zarenpaares, zu Rodzianko. Alexander bezeugte, dass Rasputin ein gläubiger, frommer Mann sei, er sei durchaus harmlos, ja sogar nützlich für die kaiserliche Familie, denn er unterhalte sich mit den Kindern über Gott und die Religion.

Wie schon erwähnt, hatte die Aktion der Duma gegen Rasputin die hohen Hofbeamten, die sich bislang klar gegen Rasputin gestellt hatten, zurückhaltend gemacht; denn diese Aktion der Dumamitglieder erschien ihnen als ein revolutionäres Manöver, das sich gegen den Thron richtete und das sie nicht mitmachen konnten. Ausserdem standen sie auf dem Standpunkt, dass der Fall Rasputin die Duma nichts angehe. Aus dem gleichen Grunde wahrten von nun an auch einige Minister grössere Zurückhaltung. Dadurch also, dass Gutschkow seiner Kampagne die Form einer politischen Agitation gegen den Thron gab, zerbrach er die Einheitsfront, die sich anfangs gegen den Staretz gebildet hatte. Und als Gutschkow, der eigentliche Spiritus rector der Duma-Aktion, Anfang März anlässlich der Debatte über das Budget der Heiligen Synode den Fall Rasputin zur Sprache brachte, wurde der Bruch noch klarer. Bei Hofe betrachtete man nun endgültig die Kampagne der Duma als ein antidynastisches Manöver.

Bei der Verteidigung des Grigori war die Zarin am eifrigsten. Sie machte sich zu seinem Advokaten bei Elisaweta Feodorowna, die durch die Ehrendamen Tiutschewa und Djunkowskaja vieles über Rasputin zu hören bekommen hatte. Sie schickte die Wischniakowa und die Tiutschewa vom Hofe fort, und als habe sie ganz ausdrücklich dem Wunsch des ganzen Landes Trotz bieten wollen, liess sie den Staretz wieder von Pokrowskoje nach Petersburg kommen. Am 13. März traf er in der Hauptstadt ein, kam nach Zarskoje-Selo zur Wyrubowa, wo er die Zarin traf. Im Palais selbst erschien er aber nicht und bekam auch den Zaren nicht zu sehen.

Der Zar, der nach dem ersten Bericht Rodziankos sehr aufgebracht gegen den Staretz war, betrachtete die Sache mit einem ganz anderen Auge, als er von den Angriffen der Duma hörte. Und als Rodzianko nach Abschluss seiner Untersuchung um eine Audienz bat, weigerte der Zar sich, ihn zu empfangen, und befahl ihm, einen schriftlichen Bericht einzureichen. Rodzianko stellte in diesem Bericht die Schlussfolgerungen auf, dass es notwendig sei, Rasputin zu entfernen, den Bischof Hermogen zurückzurufen und ein Konzilium einzuberufen. Man weiss nicht, was aus diesem Dokument geworden ist; jedenfalls wurde ihm keine Folge geleistet.

Am 15. März reiste die kaiserliche Familie nach der Krim ab. Rasputin wurde eingeladen, sie dort zu treffen. Die gegen ihn geführte Kampagne war damit endgültig gescheitert: Rasputin hatte Rodzianko, Gutschkow und die Minister besiegt!


 << zurück weiter >>