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Mit klingenden Schellen.

Anfangs Dezember war die Gutensteiner Strecke beendet. Lorent wurde weder ins Fahrpersonal übernommen noch entlassen, sondern nach Gaming versetzt, um als Bremser bei der noch im Bau befindlichen Bahn zu dienen, die von Pöchlarn an der Donau aus im Tal der Erlaf Erl-ava = Erl-af = Erl-ach = Erlen-Bach. bis in ihr Quellgebiet aufwärts führen sollte, das an der steirischen Grenze in den nördlichen Kalkalpen liegt. Kienberg-Gaming war die Endstation.

Den Armen schreckt jeder Wechsel. Mutter Maria und die Kinder freuten sich nicht der bevorstehenden Veränderung. In Leobersdorf waren die Menschen gut zu ihnen und die Kinder waren in einer guten Schule. Wie würde es im Gebirg sein?

Der Vater fuhr voraus, machte auf der Strecke Pöchlarn-Kienberg Dienst und fahndete nach einer Wohnung für die Seinen.

In banger Erwartung, aber auch in Geldnöten harrte Mutter Maria mit den Kindern. Denn wieder war es wie auf der Tannwalder Strecke: Der Vater verköstigte sich in Gasthäusern und verbrauchte seinen Verdienst für sich.

Endlich aber kam er, brachte gute Nachrichten und sogar etwas Geld.

In aller Hast wurde gepackt. Weinend nahmen die Kinder Abschied von ihrem Lehrer; sie konnten es ihm nicht sagen, wie sehr sie ihn liebgewonnen hatten. Er aber tröstete sie: »Weint nicht, euch wird es überall gut gehen. Ihr lernt ja so gern. Und wenn ihr in eine andere Schule kommt, dann gebt dem Lehrer dieses Schreiben von mir.« So ging der gute Wille des Lehrers mit den Kindern, ihnen den Weg bereitend.

Mutter Maria schied schweren Herzens von der lieben Hausfrau und vom ärmlichen aber trauten Heim.

Agi und Koja waren trostlos: Susi war nirgends zu finden; die oblag wohl der Mäusejagd irgendwo auf den Feldern. Sie mußten zur Bahn und die dreifarbige Katze übersiedelte nicht mit.

Die Fahrt von Leobersdorf nach Wien, zwischen schneebedeckten Feldern, die Durchquerung des Häusermeeres der Großstadt, wo die Pferdebahn so lustig durch die Straßen bimmelte, dann aber die Reise durch den Wiener-Wald mit seinen fichtengrünen Höhen, all das stimmte die Kinder um so heiterer, als sie diesmal eins das andere hatten zum Mitschauen und Mitfreuen.

Und wie putzig klein im Vergleich zu der Lokomotive der Westbahn erschien ihnen dann die grünlackierte Lokomotive der Gebirgsbahn, die den kurzen Zug aus der Pöchlarner Ebene hineinführte ins Gebirge. Fernher grüßten mächtige Bergriesen; unter ihnen einer, dessen Schneehaube rosig schimmerte in den Strahlen der sinkenden Sonne, während andere Berge schon im blauen Schatten lagen.

Die köstlichste Überraschung aber erlebten die Kinder, als sie in stockfinsterer Nacht in Kienberg ankamen. Da wartete ein schöner Schlitten auf sie mit zwei Laternen aus geschliffenem Glase, zwei Pferde waren vorgespannt und auf dem Kutschbock saß ein bärtiger Mann in grauer Livree; der hatte einen grauen Zylinder auf dem Kopf und war voll Diensteifer.

Eine Plüschdecke, die gelb und schwarz gefleckt war wie ein Pantherfell, breitete er der Mutter, dem Vater und Agi über die Knie. Dann stieg er auf und Koja durfte sich zu ihm auf den Kutschbock setzen. Und vorwärts ging es mit melodischem Schellengeläute, die Bergstraße aufwärts zwischen himmelanragenden dunklen Bergen, über denen die Sterne flimmerten. Im Lichte der Laterne aber glitzerte der Schnee auf den Hängen und die Hufe der Pferde schlugen den harten Boden trab, trab, trab, trab.

Am rauschenden Gebirgsbach aufwärts ging es dann zwischen den Häusern eines Ortes durch. Aus den Fenstern schimmerten gelbe, freundliche Lichter. Dann aber kam ein mächtiges Schloß, das breit und massig dastand. Und vor seinem geschlossenen Tore hielt der Schlitten. Der Torwart öffnete die Torflügel weit, die Hufe der Pferde dröhnten in der gewölbten Einfahrt, dann Klapperten sie über das Pflaster eines weitläufigen Hofes, der von zweifachen Laubengängen umschlossen war. Und wieder ging's durch einen Hof. Dann hielt der Schlitten, und die Ankömmlinge wurden mit Jubel begrüßt. Die Frau des Kutschers und ihre zwei Kinder, ein Mädel und ein Bub, halfen ihnen aus dem Schlitten und trugen ihr Gepäck durch einen Laubengang bis in die erleuchtete Wohnung. Raum aus den Oberkleidern, mußten sich die Gäste in der geräumigen Küche zum gedeckten Tisch setzen. Die Suppe dampfte und auf dem Herde brotzelte etwas in heißem Fett. Das duftete wie Backhühner. Der guten Mutter Maria und den Kindern war, als träumten sie ein liebliches Märchen.

Fragen und Antworten schwirrten hin und her, und das Märchen ward zum freundlichen Alltag. Graf und Gräfin Festetics, denen das Schloß gehörte, waren fast den ganzen Winter über in Wien und die Bediensteten hatten freie Hand. Mit des Verwalters Zustimmung war der Kutscher Trinkl zum Bahnhof gefahren, um die neue Mietpartei des Grafen abzuholen. Denn die Lorentischen bekamen eine Wohnung in einem der zum Schloß gehörigen Zellhäuser Im Volk irrtümlicherweise »Zelthäuser« genannt.. Und morgen holte er die Einrichtung. Es war ja für die Pferde nötig, daß sie Bewegung machten. Trinkl und Lorent waren vor wenigen Tagen Freunde geworden.

In der Gaststube des Höllriegel am Kirchenplatz zu Gaming hatten sie sich zusammengefunden und waren im Nu wie alte Bekannte gewesen. Da hatte Lorent dem Trinkl von Agi und Koja Wunder erzählt. Dann war er bei ihm zu Abend Gast gewesen. Und die Frau Trinkl versicherte, sie hätte sich gefreut, daß ihr Mann sich jemanden gebracht hätte zum Kartenspielen; wenigstens blieb er den Abend daheim, wie gern hatte sie dem Gast ein Lager zurecht gemacht. Aber es war unnötig gewesen: »Die Spielratzen haben gekartelt die Nacht hindurch, bis es höchste Zeit war zum ersten Zug.« Lachend erzählte das die Frau Trinkl und als sie auf Mutter Marias Stirne die Falten sah, fügte sie entschuldigend hinzu: »Aber nicht ums Geld haben sie gespielt, nur um Zündhölzchen. Unterhalten haben sie sich und gekostet hat's nichts.«

Sie ahnte nicht, warum Frau Lorent Angst hatte vor dem Wiedererwachen der Spielwut bei ihrem Manne, der als reicher Bauer ein Hazardspieler Hazardspiel = Zufallsspiel um hohen Einsatz, sehr aufregend und darum leider beliebt. gewesen war.

Den Gästen schmeckte das Essen, daß es eine Freude war. Aber nicht Backhühner waren es, die so lieblich dufteten, sondern »gebackene Hasen«, d. h. es waren gebackene Kaninchen. Aber sie schmeckten nicht anders als Backhühner.

Die kosteten den Kutscher nichts. In den Stallungen, wo des Grafen Rennpferde standen, wimmelte es von Kaninchen. Die lebten vom Hafer und Heu der Pferde.

Die elfjährige Trinkl-Marie und der neunjährige Edwin schlossen Freundschaft mit Agi und Koja und kramten ihre Bilderbücher aus, Weihnachtsgeschenke der Gräfin, die zu allen Kindern ihrer Bediensteten Taufpatin war und sie verwöhnte, weil ihr selbst das Glück nicht beschieden war, Mutter zu sein.

Im Plaudern, das den langen Abend füllte, erfuhren die Lorentischen, was es mit dem Schloß für eine Bewandtnis hatte. Es war ein ehemaliges Karthäuserkloster, in dem die gelehrten Mönche lateinische Bücher abgeschrieben und gewirtschaftet hatten, bis Kaiser Josef das Kloster aufhob. Und aus den Zellen der Mönche waren Mietwohnungen geworden. Eine solche bekamen auch die Lorentischen.

Als den Kindern die Augen zufielen, ging es ans Bettenmachen. Strohsäcke wurden in der Küche aufgelegt für die Trinkl-Familie; die Lorentischen aber sollten in den Betten schlafen, anders taten es die Gastgeber nicht.

Die Männer blieben noch auf beim Apfelmost und Kartenspiel.

Als sich Mutter Maria mit den Kindern niedergelegt hatte, dankte sie im Gebete dem Herrgott, daß er ihr und den Ihrigen wieder gute Menschen entgegengeschickt hatte in der neuen Fremde. Das leidenschaftliche Kartenspiel ihres Mannes und seines Gefährten machte ihr wohl Sorge. Ging es auch heute nur um Zündhölzchen, ein andermal konnte es um Geld geben.

Während sie wachend lag, hörte sie das Aufklatschen der Karten und das Aufschlagen der Knöchel auf den Tisch, sie hörte die Turmuhr in hellen Schlägen die elfte Stunde verkünden, dann viertel, dann halb.

Und dann vernahm sie schlürfende Schritte im Hofe, die Küchentüre ging und eine fremde Männerstimme sagte leisen Gruß. Freudige Worte hin und her, dann wieder Stille, nur das Klatschen der Karten. Ein dritter Spieler hatte sich eingefunden. Es mochte wohl einer der Schloßbediensteten sein. – Nach kurzem Schlafe wurde Frau Lorent vom Hahnenschrei geweckt. Durchs Fenster fiel das graue Morgenlicht. Da ging leise die Türe, und auf den Zocken schlich Lorent in die Stube. Sein Weib schloß die Augen; er sollte sie nicht wachend wissen. Mochte er noch ein Weilchen Schlummer haben. Über das Kartenspiel wollte sie mit ihm ein andermal reden – zu gelegenem Seit.


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