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Höhlengräber.

Als der laue Frühlingswind Schnee und Eis zum Schmelzen brachte, rieselte über den Wiesenhang neben dem Bäckerhause ein klares Wässerlein in handtiefem Rinnsal nieder, das unter der Straße durch in den Bach mündete. Es plauderte so munter, daß Koja seinem Locken nicht widerstehen konnte. Da übergab er ihm Rindenstücke und Holzspäne und lief nebenher, wenn sie zu Tale fuhren. Und Julie lehrte Koja aus steifem Papier zierliche Schifflein zu falten, die er mit papierenen Männlein von hoch oben hinunterfahren ließ bis in den Bach.

Zu Ostern stellten sich unverhofft neue Spielkameraden ein. Herr Fekete, ein Beamter aus Ungarn, war nach Paka versetzt worden Damals standen österreichische und ungarische Bahnlinien unter gemeinsamer Verwaltung.; der hatte zwei schwarzgelockte Kinder: die vierjährige Maruscha und den fünfjährigen Schandor, lebhafte, pausbackige Kinder. Anfangs hielt sich Koja von ihnen fern, hatte doch die Großmutter von den ungarischen Husaren erzählt, daß sie im Preußenkrieg böse gewesen waren wie die Wilden. – Aber bald siegte sein Spielbedürfnis; er schaute sich Maruscha und Schandor näher an. Die sahen gar gutherzig drein. Sie sprachen ein Kauderwelsch von Slowakisch, Deutsch und Ungarisch. Aber im Spiele verständigten sie sich mit Koja, weil sein Tschechisch dem Slowakischen sehr ähnlich war und weil es auf beiden Seiten am guten Willen nicht fehlte. Und einen plumpen vierbeinigen Spielgefährten hatten die ungarischen Kinder mitgebracht, den alten schwarzbraunen, zottigen Hund Zikán, einen Neufundländer, der nicht viel kleiner war als ein Kalb. Er schien die Stimme verloren zu haben. Er redete nur mit dem buschigen Schwanz. Wenn ihn etwas verdroß, ließ er ihn hängen, wenn er sich schämte, zog er ihn ein, wenn er sich aber freute, schwenkte er ihn wie eine Fahne. Schandor konnte auf seinem Zikán reiten und konnte ihn vor das Wägelchen spannen, in dem die kleine Maruscha saß, stolz wie eine Prinzessin.

Da Julie für Schandor und Maruscha zu ernst war, hielten sie sich mehr an Koja, den sie häufig zu sich luden. So begann Koja die Julie zu vernachlässigen. Und Julie schloß sich mehr an die noch ernstere Agi an, der sie als Vorleserin von Geschichten bei den Handarbeiten willkommen war.

Obwohl Schandor nur ein Jahr jünger war als Koja, übertraf er ihn an Geschicklichkeit und Findigkeit. Durch die Höhlung einer alten Kopfweide am Bach wußte er sich emporzuschieben wie ein Kaminfeger durch den Rauchfang und sprang dann von oben herab auf die Wiese ohne hinzupurzeln. Aus Schachteln und Zwirnspulen baute er mit seines Vaters Hilfe kleine Wägelchen, denen eine Lokomotive vorgespannt wurde. Die war aus schwarzem Zuckerpapier; und aus ihrem Rauchfang flatterte ein Flöckchen Watte, Herr Misera hatte im Hofe einen Sandhaufen aufführen lassen zur Mörtelbereitung für einen Zubau. Dom Regen feucht, lockte der Sandhaufen Schandor und Koja zum Tunnelgraben für den Eisenbahnzug. Der Sandhaufen wurde zu Mörtel verbraucht, aber mit ihm schwand bei den Kindern nicht die Lust am Gestalten des Sandes. Und sie gaben acht, wo denn die Fuhrleute herkämen, die den Sand ins Dorf brachten. An einem trüben Maitag, der einer sonnigen Woche gefolgt war, entdeckten sie, einem Wagengeleis nachgehend, jenseits des Baches oberhalb des Bauernhofes eine große Sandgrube, deren steile Wände gelb und rötlich gestreift waren. Koja, der schon die Erfahrung gemacht hatte, daß beim Aufgraben des Erdbodens darin verborgen Gewesenes zum Vorschein kommt, suchte die wände mit forschenden Blicken ab, fand aber nur vermoderte Baumwurzeln, die dafür Zeugnis ablegten, daß einst ein Wald oder Baumgarten bestanden hatte, wo jetzt Äcker waren. Auch auf dem Boden der Grube fand er nichts Besonderes, es sei denn einige rund gerollte und zerschlagene Kiesel, die fast ziegelrot waren. Dort, wo die schiefe Ebene des Fahrweges die Wand erreichte, war durch Abarbeiten des feinkörnigen Sandes eine seichte Höhle entstanden, die auf die Kinder den Reiz des Bergenden ausübte. Da sie aber viel zu seicht war, als daß sie sich hätten darin zusammenhuscheln können, machten sie sich unverzüglich daran, durch Abschaben der Wand die Höhle zu erweitern. Weil sie mit den bloßen Händen nicht rasch genug vorwärts kamen, sahen sie sich nach geeigneten Hilfen um und fanden solche in den scharfkantigen Bruchstücken der zerstreut herumliegenden Kieselsteine. Dicht nebeneinanderstehend schabten sie nun um die Wette, der staubtrockene Sand gab leicht nach, schnell drangen sie ins Sandlager ein. Der weiche Sand unter ihren Füßen häufte sich. Bald war die niedere höhle so tief, daß die Kinder, als sie sich mit dem Rücken gegen die Wand niedersetzten, auch noch die Fußspitzen herinnen hatten. Jetzt rasteten sie, lauschten dem Jubilieren einer Lerche, die, unbekümmert um die tiefgehenden Wolken zum Himmel stieg, und folgten mit den Augen den niedrig über den Boden hinstreichenden Schwalben. Maruscha erhob sich und begann, den Sand aus der Höhle zu schaffen, der sich unten an der Hinterwand gehäuft hatte; sie wollte den Boden des Kämmerleins eben haben. Sie kam damit nicht weit. Ein Platzregen, der fast senkrecht fiel und vom Höhleneingang wie von einer Traufe niedertropfte, zwang die Kinder, sich ganz an die Hinterwand der Höhle zu kauern. Jetzt erst war das Vergnügen über den selbstgeschaffenen Unterschlupf recht groß, die bergende Höhle schützte vor dem Unwetter. Als gälte es, durch einen Wall das Höhleninnere vor einer Flut zu schützen, die von außen kommen könnte, verständigten sich die Kinder, daß sie den lockeren Sand an den Eingang schaffen wollten. Sie knieten nieder, die Gesichter zur Hinterwand gekehrt und schoben den Sand mit den Händen an den Knien vorbei nach außen. Plötzlich hörten sie hinter sich ein dumpfes »Huch«; sie spürten etwas Schweres und Nasses auf ihren Füßen. Da wendeten sie die Köpfe und gewahrten hinter sich einen breiigen Sandhaufen, dessen Saum ihre Füße deckte. Der Rand der Höhle war niedergegangen. Mit klopfenden Herzen verharrten sie in kniender Stellung, verdrehten die Hälse und starrten über den Sandwall durch den schmalen Spalt in den Regen hinaus. Kam noch etwas nach? – Nichts regte sich. Als erster befreite Schandor seine Füße aus dem Sandbrei, indem er sich seitlings zu Boden legte und die Knie an sich zog. Ihm folgte Koja. Dann wühlten sie Maruschas Füße frei. Mit einem Ruck richteten sie sich auf, probierten, ob sie stehen und gehen konnten und dann huben sie an zu lachen. Keinem war etwas geschehen! Sie hatten wohl Ursache, froh zu sein! Wäre etwas mehr von der Höhlendecke mitgegangen, sie wären verschüttet worden und wären erstickt und niemand hätte gewußt, wo sie steckten.

Da trugen sie ihre jauchzende Lebensfreude heim, durch den schüttenden Regen trabend wie freigelassene Fohlen.


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