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Lucio und Isabella, zu den Vorigen.
Kerkermeister will abtreten.
Angelo. Bleibt noch ein wenig – – (Zu Isabella.) Seyd willkommen; was ist euer Begehren?
Isabella. Ich bin eine bekümmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun möchte, wenn es euch gefiele mich anzuhören.
Angelo. Gut; was ist eure Bitte?
Isabella. Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft zu sehen wünsche, und für welches ich keine Fürbitte thun würde, wenn ich nicht müßte.
Angelo. Gut, zur Sache.
Isabella. Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch, laßt das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder fallen.
Kerkermeister (leise.)
Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu rühren;
Angelo. Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Thäter? Ein jedes Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was würde mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen fände, deren Strafe die Geseze bestimmt haben, und die Thäter gehen liesse?
Isabella. O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez! – – Ich habe also keinen Bruder mehr – –
(Sie will fortgehen.)
Lucio (leise.)
Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn, fallt auf die Knie, hängt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt; wenn ihr eine Steknadel nöthig hättet, könntet ihr sie mit keiner gleichgültigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich.
Isabella zu Angelo.
Muß er denn nothwendig sterben?
Angelo. Mädchen, dafür ist kein Mittel.
Isabella. Ey ja, ich denke ihr könntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder der Himmel noch die Menschen mißbilligen es, wenn man Gnade vor Recht gehen läßt.
Angelo. Ich will aber nicht.
Isabella. Könntet ihr, wenn ihr wolltet?
Angelo. Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht.
Isabella. Aber könntet ihr es thun, ohne daß die Welt einen Schaden davon hätte, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fühlte?
Angelo. Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu spät.
Lucio (leise.)
Ihr seyd zu kalt.
Isabella. Zu spät? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich gesprochen habe: Glaubet nur, den König ziert seine Crone, den Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; wäret ihr an seinem Plaze gewesen und er an euerm, ihr würdet gestrauchelt haben, wie er; aber er würde nicht so strenge gewesen seyn.
Angelo. Ich bitte euch, geht.
Isabella. Wollte der Himmel, ich hätte eure Macht, und ihr wäret Isabella; es sollte nicht so seyn.
Lucio. Nur weiter – – das ist der rechte Ton – –
Angelo. Das Gesez hat euern Bruder verurtheilt; alle eure Worte sind verschwendet.
Isabella. Ach! gnädiger Himmel! wie? Alle Seelen hatten einst gesündigt, und waren vom Gesez verurtheilt. Aber der, der sie mit bestem Fug straffen konnte, fand ein Mittel aus. Wenn er euch richten wollte, wie ihr seyd? O! denkt an das! und Gnade wird, gleich dem neuerschaffnen Menschen, aus euern Lippen athmen.
Angelo. Gebt euch zufrieden, schönes Mädchen; das Gesez verurtheilt euern Bruder, nicht ich. Wär' er mein Verwandter, mein Bruder, mein Sohn, so würd' es ihm nicht anders ergehen; morgen stirbt er.
Isabella. Morgen? O! das ist zu schnell. Schonet seiner, gebt ihm noch Frist; er ist nicht zum Sterben bereitet. Wir tödten ja das Geflügel für unsre Küche nicht eher, bis es Zeit ist; sollen wir den Himmel schlechter bedienen, als den gröbsten Theil von uns selbst? O! mein gütiger Herr, bedenkt euch: Wenn ist jemals einer für diß Vergehen gestorben. Es sind manche, die es begangen haben.
Lucio (leise.)
Gut, wohl gesprochen!
Angelo. Das Gesez ist nicht todt gewesen, ob es gleich geschlaffen hat. Diese Manche hätten sich nicht unterstanden zu sündigen, wenn der erste, der das Gesez übertrat, gestraft worden wäre. Izt, ist es aufgewacht, erkundigt sich dessen was gethan wird, und sieht, gleich einem Wahrsager, in einem Spiegel, alle die künftigen Verbrechen vor, die durch eine längere Nachsicht veranlaßt würden, und auf keine andere Art verhindert werden können, als wenn sie vor ihrer Geburt getödtet werden.
Isabella. Laßt wenigstens einiges Mitleiden sehen.
Angelo. Ich kan es nicht besser sehen lassen, als wenn ich Gerechtigkeit sehen lasse; denn alsdann hab' ich sogar Mitleiden mit denen, die ich nicht kenne, indem ich verhindere, daß ein ungestraftes Verbrechen sie nicht zur Nachfolge reize; ja mit dem Verbrecher selbst, der wenn er für eine böse That büssen muß, nicht lebt um die zweyte zu begehen. Gebt euch zufrieden; euer Bruder stirbt morgen; gebt euch zufrieden.
Isabella. So müßt ihr also der erste seyn, der ein solches Urtheil spricht, und er der erste, der dadurch leidet. O! es ist vortrefflich, die Stärke eines Riesen zu haben; aber es ist tyrannisch, sie wie ein Riese zu gebrauchen.
Lucio (leise.)
Das ist wohl gesprochen.
Isabella. Könnten die Grossen der Welt donnern wie Jupiter, so würde Jupiter selbst keine Ruhe vor ihnen haben; denn bis auf den kleinsten ledernen Officianten würde ein jeder seinen Himmel zum donnern brauchen wollen. Nichts als donnern – – Gütiger Himmel! dein scharfer schweflichter Keil zersplittert lieber die harte und knottichte Eiche als die sanfte Myrrthe: O! nur der Mensch, der stolze Mensch, für etliche Augenblike in ein wenig Ansehen gekleidet, vergißt was er am gewissesten wissen kan, seiner zerbrechlichen Natur; und spielt, gleich einem erboßen Affen, so phantastische Streiche vor den Augen des Himmels, daß die Engel darüber weinen, die, wenn sie unsre MilzDie Alten schrieben ein unmäßiges Gelächter der Grösse der Milz zu. hätten, sich alle sterblich lachen müßten.
Lucio (leise.)
Weiter, weiter, Mädchen – – das wird würken – – es kömmt ihm, ich merk' es.
Kerkermeister. Wollte Gott, sie möchte ihn gewinnen!
Isabella. Ich darf meinen Bruder nicht gegen euch abwägen; grosse Herren dürfen mit Heiligen scherzen; an ihnen ist Wiz, was an geringem Gottlosigkeit wäre.
Lucio. Du hast recht, Mädchen; mehr dergleichen – –
Isabella. An dem Hauptmann ist das nur ein hastiges Wort, was an dem gemeinen Soldaten eine platte Lästerung ist.
Angelo. Wozu sagt ihr diese Dinge mir?
Isabella. Weil das höchste Ansehn, ob es gleich dem Irrthum eben so sehr unterworffen ist als andre Leute, doch immer eine Art von Arzney bey sich führt, die seine Vergehungen sogleich wieder zuheilt; geht in euch selbst; klopft an euerm Busen an, und fragt euer Herz, was es sich bewußt ist, das meines Bruders Fehler ähnlich ist; und wenn es euch wenigstens die Fähigkeit gesteht, eben so zu sündigen wie er, so erlaubt ihm keinen Gedanken gegen meines Bruders Leben auf eure Zunge zu tönen.
Angelo (für sich.)
Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen überwältiget – – Lebet wohl – –
(Er will weggehen.)
Isabella. O! mein Gnädiger Herr, kehret zurük.
Angelo. Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder.
Isabella. Höret doch, wie ich euch bestechen will; mein gütiger Herr, kehret zurück.
Angelo. Wie? Mich bestechen?
Isabella. Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll.
Lucio (leise.)
Gut, sonst hättet ihr alles verdorben.
Isabella. Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung sie gelten läßt, sondern mit unschuldigen Fürbitten, die zum Himmel aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder aufgeht; mit Fürbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind.
Angelo. Gut, kommt morgen wieder.
Lucio (leise.)
Geht izt, es ist genug – – weg.
Isabella. Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich morgen Euer Gnaden aufwarten?
Angelo. Vor Mittag, wenn ihr wollt.
(Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.)