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Vom Stolze und der Grobheit

Den vorigen entgegengesetzte Fehler sind Stolz und Grobheit. Stolz ist, wenn der Mensch glaubt, er allein habe für sich einen vorzüglichen Werth vor allen Andern, sei sich selbst genug und brauche in der Welt gar keines andern Menschen gute Meinung und Hilft. Es giebt einen edlen Stolz, wenn ein Mensch fühlt, daß er wirklich etwas werth ist, und sich also nicht wegwerfen, ein guter Mensch durchaus bleiben will. Dieser edle Stolz verdient Lob und Beifall und wird hier nicht gemeint. Es wäre zu wünschen, daß alle Menschen einen solchen edlen Stolz hätten, so würden sie nichts Schlechtes und Niederträchtiges thun; er ist ein lebhaftes Gefühl der Menschenwürde und der Pflicht. Aber der fehlerhafte Stolz ist eine Verachtung der Andern neben sich; wenn man glaubt, man habe viele Vorzüge allein und in einem sehr hohen Grade, und wenn man noch dazu den Werth dieser Vorzüge zu hoch anschlägt. Dieser Stolz gehet bald über in Lächerlichkeit; er wird bald Eigendünkel, Hochmuth, Prahlerei, Hoffart. Er äußert sich auf verschiedene Weise nach der verschiedenen Gemüthsart und nach den verschiedenen Lagen der Menschen. Jede Lebensart hat ihren eigenen Stolz, vor welchem man sich hüten muß. Der Reiche ist oft stolz auf sein Geld und wird dadurch hart und grausam, um Andern seine Vorzüge fühlen zu lassen: dieses ist Unmenschlichkeit. Oder er zeigt sich in Pracht und Prunk, Glanz und leerem Tand, Verschwendung und Blendwerk aller Art: dieses ist Lächerlichkeit und Thorheit. Wer auf Kenntnisse und Kunst einen übertriebenen Werth legt und dieses durch ein anmaßliches Betragen zeigt, wird leicht aufgeblasen. Einbildung auf Schönheit, Wohlgestaltheit, Leibesstärke oder andere körperliche Vortheile äußert sich immer entweder lächerlich oder unangenehm und widerlich. Es giebt sogar einen sehr fehlerhaften Stolz darauf, daß man tugendhaft zu sein glaubt. Die wahre Tugend hat gewiß nicht diesen Stolz. Sie ist voll Bescheidenheit und Demuth; sie weiß, daß Vermessenheit und Kühnheit oft den Fall befördert, und bauet ihre Sicherheit auf ihre innere wahre Kraft und auf Vorsichtigkeit. Der fehlerhafte Stolz aller Art steht allgemein bei den Menschen in einer so Übeln Meinung, daß sie ihn immer nur mit Narrheit zusammensetzen. »Er ist ein stolzer Narr,« sagt man, um anzuzeigen, daß der Stolz immer aus thörichten Vorstellungen entsteht und zu thörichten Dingen verleitet. Der feinere Stolz weiß sich zu verbergen und sich oft sogar das Ansehen der Menschenfreundlichkeit und Leutseligkeit zu geben; aber der gröbere Stolz führt fast immer Grobheit und Ungeschliffenheit bei sich. Der Grobstolze zeigt überall auf eine beleidigende Weise seine Überlegenheit in dem Punkte, auf welchen er stolz ist. Der Reiche, welcher groben Stolz besitzt, wirft Jedem geradezu seine Armuth vor und läßt ihn sehen, was er mit seinem Gelde Alles machen kann, und rechnet es Andern zur Gnade an, wenn sie dann und wann von ihm einigen Genuß haben. Der Starke, welcher groben Stolz besitzt, thut groß und prahlet wie ein Goliath, als ob er mit seiner Faust Alles zusammendrücken und zusammenschlagen könnte, bis irgend einmal ein Anderer ihm zeigt, daß Geschicklichkeit und Gegenwart des Geistes sich immer mit körperlicher Stärke messen können und ihr oft überlegen sind. So treibt der Hund, ein kleines Thier, die größten Stiere zusammen und hält die Heerde in Ordnung.

Aber auch ohne Stolz, ohne allen Uebermuth und ohne böse Meinung sind manche Menschen so ungefällig, so zurückschreckend, so grämlich und mürrisch, daß ihr ganzes Leben nichts als eine Grobheit ist. Manche von ihnen fürchten sich, man möchte sie für Schmeichler halten, wenn sie höflich wären; um dieses zu vermeiden, sagen sie Jedermann, was sie zu sagen haben, auf eine Weise, die jedem wohlgesitteten Menschen unangenehm sein muß. Diese verwechseln Offenherzigkeit, Geradheit und biederes Wesen mit Grobheit und Trotz; und um den Vorwurf der Kriecherei und Schmeichelei zu vermeiden, fallen sie in die entgegengesetzten Fehler. Höflichkeit und zuvorkommende Dienstfertigkeit ist nicht allein eine sehr löbliche Eigenschaft, sondern auch eines Jeden Pflicht, sie gehört mit zur allgemeinen christlichen Bruderliebe. »Kommt Einer dem Andern zuvor!« sagt der Apostel. Jeder sollte vorzüglich auch hier denken: »Was Du nicht willst, daß Dir geschieht, das thu auch einem Andern nicht!« Jeder will gewiß freundlich, gefällig und leutselig behandelt sein; so soll er auch jeden Andern bei jeder Gelegenheit freundlich, gefällig und leutselig behandeln. »Gutes Wort findet gute Statt,« sagt man, und wer wollte etwas auf eine rohe, unsittliche, beleidigende Weise thun oder sagen, was er mit Anstand, Güte und Artigkeit verrichten kann?

Man legt die Grobheit wol zuweilen vorzüglich unserm Stande zur Last. Wenn auch die Beschuldigung nicht mehr Grund hat als gegen manche andre Stände, so ist es doch eine Warnung, daß wir uns vorzüglich vor diesem Fehler hüten, da er einer der nachtheiligsten und unangenehmsten ist. Freilich können wir Landleute keine so artigen Manieren und zierlichen Wendungen haben wie Gelehrte und Vornehme aus der Stadt und vom Hofe; das würde uns ebenso übel kleiden als ihr Haarbeutel; aber wir können doch durchaus eine gewisse natürliche Höflichkeit und gutmüthige Gefälligkeit beobachten, welche jedem rechtschaffenen Manne ziemt, und welche schon in dem gesunden Menschenverstande liegt. Dahin gehört ein freundschaftlicher Gruß und eine ebenso freundschaftliche Erwiderung desselben; die Vermeidung harter Ausdrücke überall, wo man kann, und der Gebrauch sanfter, theilnehmender und freundschaftlicher Redensarten, die jedem guten Herzen eigen sind. Wer gute Gedanken und Gesinnungen gegen seinen Nachbar hat, wird leicht gute Worte finden, ihm diese guten Gedanken und Gesinnungen gelegenheitlich mitzutheilen. »Er ist ein höflicher Mensch,« sagt man zum allgemeinen Lobe von Jemand; und man hat immer schon einige Ursache zu glauben, daß ein solcher auch ein guter Mensch sein werde. »Er ist ein grober Geselle, grob wie ein Klotz,« sagt man zum allgemeinen Tadel von Jemand, gegen dessen Gesellschaft und nähere Bekanntschaft man jeden Gutgesitteten warnt. Zuweilen wird ein solcher grober Mensch eben durch zuvorkommende Höflichkeit beschämt und gebessert und gutgesellig gemacht; aber zuweilen wird er kaum noch durch Verachtung überzeugt, wie verächtlich sein Betragen ist. Auch diesen Fehler der Rohheit, Ungesittetheit und Grobheit muß man vorzüglich unterdrücken oder vielmehr nicht entstehen lassen. Es ist sehr schwer, die Gewohnheit der Jugend zu bessern. Indessen wird dieser Fehler doch vielleicht noch am Leichtesten gehoben, da er nicht so sehr die innere Gesinnung des Menschen, sondern mehr nur sein äußeres Betragen betrifft.


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