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Der Gottlosigkeit und dem Unglauben ist entgegengesetzt die fromme Schwärmerei und der Aberglaube. Der Unglaube will sich von nichts überzeugen und spottet über Alles; der Aberglaube glaubt zu viel und findet in seiner Schwäche des Verstandes überall Gegenstände der Furcht und Verehrung. Der Unglaube ist stolz und verwegen; der Aberglaube ist niedrig und kriechend. Die Gestalt des Aberglaubens ist zwar nicht so schrecklich und furchtbar, aber desto trauriger und niederschlagender. Es ist nicht selten der Fall, daß der Mensch von einem zum andern übergeht: der Abergläubige wird ein Ungläubiger, und so im Gegentheil. Der Ruchlose und Ungläubige hat über Gott und Vorsehung gespottet, hat über Wahrheit und Tugend Hohn gelacht, hat die Lehren von Seligkeit und Verdammniß wie Märchen behandelt und in seiner kühnen, stolzen Unbesonnenheit Jeden für einen Schwachkopf gehalten, dem ein Begriff dieser Art heilig war. Auf einmal wird seiner Seele bange; er sinkt oder stürzt herab von seiner Höhe, und wo er vorher nichts sahe, sieht er nun lauter Schreckgestalten und Gespenster. Der Mensch, der ehemals keinen Gott fürchtete, fürchtet nun die thörichte Prophezeiung eines alten Weibes. Der Unglaube ist Verwegenheit des Verstandes in kühner Zweifelsucht; der Aberglaube ist Mangel des Verstandes in blinder Annahme voll Träumereien ohne alle vernünftige Gründe. Der Unglaube verwirft mit ruchloser Verwegenheit das Heiligste, worin die Vernunft des Menschen Licht und sein Herz Beruhigung findet; der Aberglaube sieht mit Blödsinn überall Dinge, die er mit der Religion verbindet, ohne daß sie in einiger nahen Verbindung mit ihr ständen. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, ob Unglaube oder Aberglaube mehr Schaden stifte und den vernünftigen Menschen mehr zur Schande gereiche. Der Abergläubige ist beständig ein sehr jämmerlicher Mensch. Seine Begriffe sind eingeschränkt und thöricht; seine Handlungen sind also furchtsam, unbestimmt und ohne Werth. Er unternimmt etwas, nicht weil es Pflicht, nicht weil es gut ist, sondern weil seine Großmutter ohne Gründe es so oder so befohlen hat; er unterläßt etwas, nicht weil es schlecht, gewissenlos und pflichtwidrig ist, sondern weil irgend eine eingebildete Vorbedeutung ihn davon abhält, und so unterläßt er oft etwas sehr Gutes und thut etwas sehr Schlimmes. Alle Raben und Kauze und Eulen sind ihm Unglücksbringer und Leichenvögel. Jeder Kreuzweg ist für ihn voll Gespenster, und jede Mitternachtstunde eine Geisterwandlung. Er fürchtet sich mehr vor einem quergelegten Besenstiel als vor Sünde und Hölle und hat mehr Achtung vor der Wahrsagung einer alten Sibylle als vor allen zehn Geboten. Ein Hase oder eine Elster setzen ihn in Angst, und etwas ebenso Gleichgiltiges erlöset ihn wieder daraus. Der Abergläubige sieht in jedem Irrlicht einen bösen Geist, in jedem Stückchen leuchtenden, faulen Holz einen Drachen, hört in jeder Unke eine Wehklage und hält jede schwarze Katze für eine Hexe. Nichts ist lächerlicher, aber nichts ist oft auch trauriger als Menschen mit so verkehrtem, schwachem Verstande, welche von den gewöhnlichsten Erscheinungen der Natur in Furcht und Schrecken gesetzt werden. Solchen Leuten ist Alles voll Ahnungen, und sobald die Sonne untergeht, tritt die Zeit der Angst und Bangigkeit ein. Solche schwache Menschen sehen in ihrer kranken Einbildungskraft Engel und Teufel herumwandeln, und es ist kein Winkel, kein Hohlweg, kein alter Weidenbaum, den sie nicht mit einem Geiste besetzten. Sie sehen sogleich Krieg und Blutvergießen und Hunger und Pest in einem Nordlichte und ängstigen sich über einen Schatten im Mondschein. Das Herzdrücken von schwerem Blute und den zu reichlichen Mahlzeiten halten sie für den Alp, der in sonderbaren Gestalten die Besessenen quält. Sie halten in ihrer Seelenkrankheit alle Diejenigen für leichtsinnig und ruchlos, die ihre frommen, schwärmerischen Thorheiten nicht mit glauben, und fürchten, man wolle ihnen ihren Glauben nehmen, wenn man ihnen nur etwas mehr Erleuchtung und Menschenverstand geben will.
Dieser Aberglaube aller Art, dessen Umfang so groß ist, als die verkehrten Vorstellungen der Menschen mannichfaltig und verschieden sind, herrscht zwar jetzt nicht mehr so auffallend albern und lächerlich als ehemals in den noch ganz finstern Zeiten. Aber doch giebt es noch hier und da eine Menge Personen beiderlei Geschlechts, besonders auf dem Lande, die bald über diesen, bald über jenen Punkt ihre eigenen abergläubischen Meinungen haben. Viele bringen dergleichen Vorurtheile mit aus der Kinderkappe, wo man sie in ihrer ersten Jugend damit zu unterhalten oder auch zu schrecken suchte. Manche Eltern bedienen sich aus Unüberlegtheit des Mittels, fürchterliche Geschichten des Aberglaubens zu erzählen, um ihre Kleinen in Ruhe zu erhalten, ohne selbst im Geringsten daran zu glauben. Aber sie bedenken nicht, was sie thun, daß sie die junge feurige Einbildungskraft der Kinder mit solchen Ungereimtheiten anfüllen, die sie dann nur sehr schwer oder auch wol nie ganz mit Vernunft wieder herausbringen können. Gewöhnlich wird in der Jugend der Grund zu jeder Tugend oder zu jedem Laster gelegt; vorzüglich setzt sich da der Aberglaube und die lächerliche ängstliche Leichtgläubigkeit an vernunftlose Vorurtheile fest. Selten werden die Menschen ganz wieder von allen diesen verkehrten Vorstellungen geheilt, und selten kehren sie ganz ruhig zu geläuterten, vernünftigen Begriffen zurück. So wie auf den Unglauben oft Aberglaube folgt, so folgt nicht selten auf den Aberglauben auch der Unglaube, wenn der Mensch endlich das Lächerliche und Abgeschmackte seiner alten Meinungen einsieht und nun in der Unbesonnenheit und der neuen Verwegenheit Alles für Falschheit und Betrug hält. So irrt der Mensch sehr oft sehr gefährlich, indem er zu viel oder zu wenig glaubt, zu viel oder zu wenig redet, zu viel oder zu wenig thut. Gegen den Aberglauben ist kein sichereres Mittel als entschlossener Gebrauch unserer Vernunft, unbefangene Ueberlegung, freimüthige Untersuchung eines jeden Dinges. Diejenigen, welche den Aberglauben befördern und unterhalten helfen, sei es Aberglaube in der Religion oder im gemeinen Leben, um dadurch die Menschen zu täuschen und ihren eigenen Vortheil daraus zu ziehen, sind immer schlechte, verächtliche, schändliche Betrüger; sie mögen sein, von welcher Art Menschen sie wollen. Und alle Diejenigen, welche helle, wahre, reine, richtige Begriffe verbreiten helfen, sind wahre Freunde und Wohlthäter der Menschen; denn daraus muß endlich immer etwas Gutes und Nützliches entstehen.