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Von Fehlern und Lastern überhaupt

So wie die Tugend, und nur die Tugend allein, den Menschen wahrhaft glücklich macht, so kann nur das Laster ganz allein den Menschen wahrhaft elend machen. Die Weisen mögen es nennen Laster, die Richter mögen es nennen Unrecht, die biblischen Sittenlehrer mögen es nennen Sünde: es ist Alles Eins. Sein verderbliches Wesen ist, daß es Unordnung stiftet, jeden Frieden stört und die Menschen zu nichtswürdigen, verworfenen Creaturen macht, alles mögliche Glück untergräbt, die Lasterhaften mit innerlicher Pein quält und sie und Alle um sie her endlich vielleicht ohne Rettung elend macht. »Die Sünde ist das Unrecht und der Leute Verderben,« sagt die Schrift. »Thorheit und Laster sind die Geißeln der Menschheit,« sagen die weisen Männer aller Völker. »Ungerechtigkeit und Bosheit schaffen alles Unheil auf dem Erdboden,« sagt der rechtschaffene Verwalter der Gesetze: und Alle sagen die Wahrheit, und die nämliche Wahrheit. Bei den Guten ist der Himmel, und bei den Bösen ist die Hölle. Wenn es also unbezweifelt fest und wahr ist, daß Gutes am Ende nur Gutes und Böses endlich Böses wirken muß, so sollen wir billig beständig mit der größten Aufmerksamkeit über uns wachen, damit nicht Fehler, üble Gewohnheiten, Unbesonnenheiten und endlich Laster in unserer Seele Wurzel fassen, ohne daß wir daran denken. Obgleich Fehler, Vergehungen und Laster wider unsere Vernunft und also auch wider unsere Natur sind, so ist es doch so leicht, durch Unbesonnenheit und Mangel der Ueberlegung in manchen Fehler zu gerathen, ohne daß wir es uns bewußt sind, was wir thun. Endlich ist unvermerkt eine schlimme Fertigkeit daraus entstanden, von der wir uns nur mit vieler Anstrengung wieder losmachen können. Nenne man dieses Erbsünde oder Schwachheit oder Unvollkommenheit, sie ist das Loos jedes endlichen Wesens, und wir sollen mit aller Kraft dagegen kämpfen. Wenn wir sie auch nie ganz austilgen können, weil wir immer endliche Wesen bleiben, so werden wir sie durch Uebung, Aufmerksamkeit und Fertigkeit im Guten doch immer mehr und mehr unterdrücken und sie uns und Andern immer unschädlicher machen. Wenn wir uns im Guten üben, so gewinnen wir nach und nach immer mehr Liebe zu demselben und mehr Fertigkeit darin; eine gute Eigenschaft hilft der andern, eine Tugend bietet der andern die Hand. Vielleicht kostet uns der Anfang Anstrengung und Ueberwindung; aber bald wird sie leicht, dann angenehm, dann wohlthätige Neigung und endlich Notwendigkeit unserer Denkart und Handelsweise und unsers Wesens selbst. So auch mit dem Bösen. Anfangs hat der Mensch bei den ersten Versuchungen vielleicht Furcht und Widerwillen, sodann wird er gleichgültig, sodann leichtsinnig und unbesonnen, und endlich ist das Schlimme zur Gewohnheit geworden, in welcher ein Gedankenloser immer weiter geht, bis er am Rande des Verderbens durch den Anblick der entsetzlichsten Gefahr aufgeschreckt wird.

Sobald wir uns fest und unwidersprechlich überzeugen, daß das Gute oder die Tugend endlich unsere Glückseligkeit, daß das Böse oder das Laster endlich unser Elend bewirkt, wie könnten wir dann noch eine Minute zweifelhaft sein, welchen Entschluß wir auf unser ganzes Leben fassen und festhalten wollen? Meistens straft sich das Laster sogleich selbst, und der Uebertreter trägt sogleich seinen Lohn mit sich; aber wo auch Versteckung und Heuchelei die sichtbaren Folgen desselben weiter hinaus entfernen, da kommen sie doch endlich desto schrecklicher. Und wie verächtlich und erniedrigend ist es nicht schon, seine Zuflucht zur Verstellung und Heuchelei nehmen zu müssen und sich in seiner wahren Gestalt nicht zeigen zu dürfen! Endlich wird dem Scheinheiligen und Scheinredlichen die Larve zu desto größerer Schande abgezogen, und er steht nackend und bloß da in seiner ganzen Häßlichkeit. Die Klugheit der Bösen wird bald nur zu desto größerer Thorheit; denn nur die Weisheit der Tugend und Redlichkeit, der Wahrheit und Rechtschaffenheit, der Gerechtigkeit und Menschenliebe hält immer fest und bringt ihren Verehrern immer Sicherheit.

Wir haben bisher von einigen der vorzüglichsten Tugenden gesprochen, deren Ausübung zu dem Glück der einzelnen Menschen und der Gesellschaften höchst nöthig oder durchaus unentbehrlich ist. Wir wollen nun auch über einige der gewöhnlichen Fehler und Laster reden, welche das Glück der Menschen zerstören und so manches Unheil auf der Erde anrichten. So wie jene Vorstellung der Tugend uns zur Tugend ermuntern sollte, so muß uns der Anblick dieser Laster von dem Laster zurückschrecken. Es war zwar bei der Betrachtung jeder Tugend sehr leicht, auch das entgegengesetzte Laster kennen zu lernen, um es zu hassen und verabscheuen zu können, da aber diese Laster in einer oder der andern Gestalt überall noch großen Schaden in der Welt anrichten, so wird es nicht überflüssig sein, von einigen derselben noch etwas mehr zu sagen, damit wir an der Ausrottung derselben desto mehr und thätiger und glücklicher arbeiten mögen.


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