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Vom Neide und vom Haß

Es giebt Laster, welche man nur gewöhnlich vorzugsweise recht schwarze Laster zu nennen pflegt, weil sie eine wahre Brandmarke des Menschen sind, der ihnen unterworfen ist, und von diesen sind die schwärzesten der Neid und der Haß. Von allen übrigen Lastern war in ihrem Anfange irgend ein Grund und eine Ursache vorhanden, die nicht so böse oder wol gar gut war und nur mit der Zeit durch Verirrung schändlich wurde; aber von dem Neide und dem Hasse ist durchaus kein guter oder nur gleichgiltiger Grund aufzufinden: ihre tiefste Ursache ist Bosheit des Herzens. Keine Laster zeigen mehr von der Verdorbenheit der Seele als diese; keine Laster peinigen mehr Diejenigen, die sie an sich haben, und die ganze Gesellschaft, welche mit Lasterhaften dieser Art umgehen muß. Haß ist so erzböse, daß man nach ihm gewöhnlich alles Böse häßlich nennt. Der Haß ist die fürchterlichste, unmenschlichste Erscheinung in einer menschlichen Seele, die peinlichste Empfindung für den Besitzer selbst und von der schrecklichsten Wirkung für die Person, welche gehaßt wird. Nichts verdient Haß in der Welt als die reine, vollkommene Bosheit, und wie können wir, die wir nicht allwissend sind, die wir nur sehr wenig von den Herzen der Andern und von ihren Bewegungsgründen zu erfahren im Stande sind, wie können wir wissen, ob und wo der Mensch völlig böse denkt und handelt? Haß und Neid können durchaus in keiner guten Seele wohnen. Daher sucht auch unsere heilige Religion, die göttliche Lehre Christi, mit allen Kräften diesen bösartigen Lastern entgegenzuarbeiten, so sehr, daß ihr Hauptgebot in dem Gegensatze derselben, in Liebe und Wohlwollen, besteht. In diesem Artikel zeigt sich die göttliche Erhabenheit derselben über alle anderen Sittenlehrer, die jemals in der Welt gehört wurden; sie will allgemeine, wirksame, wohlthätige Menschenliebe einführen und befestigen und allen Haß und alle Bosheit ausrotten. In den heiligen Büchern spricht der Stifter nicht allein: »Liebet Euern Nächsten wie Euch selbst!« sondern er spricht auch: »Liebet Euere Feinde, thut wohl Denen, die Euch hassen und beleidigen und verfolgen, auf daß Ihr würdige Kinder Eueres himmlischen Vaters seid!« Wenn wir also selbst unsere Feinde und Verfolger noch als Menschen achten und lieben sollen, wie schrecklich ist es, Diejenigen zu hassen, von denen wir nicht einmal gewiß wissen, ob sie unsere Feinde sind; wie abscheulich, selbst Diejenigen zu hassen, von denen es sogar wahrscheinlich ist, daß sie unsere Freunde sind!

So Jemand spricht: »Ich liebe Gott«,
        Und haßt doch seine Brüder,
        Der treibt mit Gottes Wahrheit Spott
        Und reißt sie ganz darnieder;
        Gott ist die Lieb' und will, daß ich
        Den Nächsten liebe gleich wie mich.

Es ist freilich schwer, gegen Diejenigen noch gut und freundschaftlich gesinnt zu bleiben, von denen wir überzeugt sind, daß sie uns auf alle Weise übelwollen, auf alle Weise zu schaden suchen, auf alle Weise an unserm Unglück arbeiten; aber es ist auch dieses die höchste, größte Pflicht des Menschen, deren Erfüllung ihm eine Würde giebt, die ihn über alles Irdische erhebt. »Du sollst Deinem Bruder verzeihen des Tages siebenmal; nein, nicht blos siebenmal, sondern siebenmal siebenmal«; das heißt, es soll kein Groll, kein Haß sich in Deiner Seele festsetzen, sondern in Deinem Gemüthe sollen immer Friedfertigkeit und Sanftmuth herrschen; Du sollst immer und ohne Ausnahme leutselig, freundschaftlich und gütig gegen Deinen Nächsten handeln, wenn er Dich auch noch so sehr und noch so oft beleidiget hätte. Vielleicht sammelst Du dadurch doch endlich feurige Kohlen auf sein Haupt, rührst ihn zur Besserung, zur Menschlichkeit, zur christlichen Bruderliebe und machst ihn zu Deinem wahren beständigen Freunde. Der Haß entsteht oft aus dem Neide, der Neid aus dem Geize, und so sagt die biblische Lehre auch hier mit Recht: »Der Geiz ist eine Wurzel alles Uebels«; denn welches Uebel und Unglück entspringt nicht aus dem Hasse und dem Neide? Die Tugend wird nicht allein erstickt, sondern alle Laster werden dadurch fortgepflanzt und genährt. Neid und Mißgunst sind so schwarze Flecken in einem Menschen, daß wir uns schämen, sie noch menschlich zu nennen. »Er ist neidisch wie ein Hund«, sagt man, um das Niederträchtige und ganz Hassenswürdige dieses Lasters auszudrücken. Es ist unsinnig und unvernünftig, sich peinlich darüber zu quälen, daß Andere mehr Güter des Glücks und mehr Vorzüge des Geistes und Körpers besitzen als wir. Der Scheelsüchtige, der mit mißvergnügtem, gierigem Auge nach dem Glück der Andern blickt, verliert eben darüber den Genuß, den er von seinem eigenen haben könnte, und giebt Allen, die ihn kennen und betrachten, das häßliche Bild einer schlechten Seele.

Von dem Neide muß aber unterschieden werden der edle Eifer, es Andern gleich oder zuvor zu thun, auf eine löbliche Weise sich die nämlichen Vorzüge des Geistes und des Körpers oder die nämlichen Güter des Glücks zu erwerben. Dieser Eifer ist eine sehr empfehlenswerthe Eigenschaft und der Sporn zu manchem guten Entschlusse, der Antrieb zur Beharrlichkeit und Standhaftigkeit in Ausführung desselben. Nacheiferung und Wetteifer ziemen den Besten und haben manches Gemeinnützige bewirkt. Wenn diese Nacheiferung aber in Aengstlichkeit, bange Sorge und peinliche Rücksicht auf Andere ausartet, so kann vielleicht Scheelsucht und Neid am Ende daraus entstehen. Mit beständiger Aufmerksamkeit sollen wir also über alle unsere Triebe, auch über die besten, strenge wachen, damit sie nicht durch Unachtsamkeit in üble Eigenschaften übergehen, damit die Sparsamkeit nicht Geiz, die Vorsichtigkeit nicht Mißtrauen, die Klugheit nicht künstliche Verstellung, die Nacheiferung nicht Neid werde. Das Uebermaß jeder guten Eigenschaft tritt in eine schlimme über, und die guten dienen sodann wegen des äußern Scheins den schlimmen oft zum Deckmantel. So will der Tollkühne für muthig, der Harte und Grausame für gerecht, der Ausgelassene für frohgesinnt, der Verschwender für großmüthig und freigebig gehalten werden, und so weiter. Haß und Groll wollen Eifer für Tugend und Gerechtigkeit scheinen, und jedes Laster versteckt sich unter den Namen einer Tugend, die in der äußerlichen Erscheinung nur etwas Aehnliches hat.


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