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Von der Traurigkeit und dem Leiden

So viel Freude und Genuß uns auch der Himmel giebt und bereitet, so ist doch das Leben nicht ohne Leiden. Der Kelch des Lebens ist nie ohne Mischung von Bitterkeit; selbst der Glücklichste kostet das Loos der Menschlichkeit. Der Mensch ist ein unvollkommenes Geschöpf; Unvollkommenheit erzeugt Schwachheit, Schwachheit Fehler, Fehler bringen Beschwerlichkeiten, eine Beschwerlichkeit wird Ursache von andern, und endlich wird zuweilen das Leben, verschuldet oder unverschuldet, eine Kette von Ungemach, deren ersten Grund wir kaum finden können. Und wenn wir die Klugheit der Engel und ihre Tugend hätten, würden wir doch nicht ganz ohne Leiden sein; denn auch Engel sind nicht unendlich. Nur der Unerschaffene allein ist rein und von sich selbst und durch sich selbst ewig vollkommen und ewig nothwendig selig. Als Menschen müssen wir also Leiden erwarten, uns als Christen darauf vorbereiten mit Muth und Stärke und Geduld, sie annehmen mit Gelassenheit und tragen mit Standhaftigkeit. Haben wir sie verschuldet, so lernen wir daraus Weisheit und Vorsichtigkeit, um sie ins Künftige zu vermeiden; sind wir uns keiner Schuld bewußt, so unterwerfen wir uns mit Ruhe der allgemeinen Fügung des Himmels und glauben, daß wir als Menschen nicht ganz ohne Leiden sein können, und daß doch endlich Gottes Güte noch Alles zu unserm Besten führen werde. Obgleich dieses Leben kein Jammerthal ist noch sein soll, so kann es doch unserer endlichen Natur nach und als eine Vorbereitung auf einen künftigen weit vollkommenern Zustand nicht ohne manches Uebel sein. Aber alles Uebel wird sich zum Guten lösen, und es hängt von uns ab, dadurch nach der Absicht Gottes weiser und stärker und besser und hier schon vollkommener zu werden. Wir dürfen also nicht glauben, daß Unglücksfälle und ungewöhnliches Elend willkürliche grausame Strafen Gottes sind. Gott straft kein Geschöpf, um es elend zumachen; er ist kein Mensch mit Zorn und Leidenschaft. Wenn wir sagen: »Gott zürnt«, so ist das sehr menschlich gesprochen und heißt nur: Gott will die Menschen durch nothwendige natürliche Folgen ihrer Vergehungen und Laster wie ein Vater durch heilsame Züchtigung zur bessern Einsicht bringen, damit sie nicht ferner den Weg der Tugend verlassen und für sich und Andere in der Welt Unglück stiften. Manche Leiden sind schon so nothwendig mit der menschlichen Natur verbunden, daß wir sie als ein Loos unserer Sterblichkeit nehmen müssen. Eben deswegen sind wir hier nur Menschen, das heißt Geschöpfe, die eben diese Naturen, eben diese Fähigkeiten, eben diese Freuden und Leiden haben und haben sollen. Gottes Rathschluß ist der beste, und kein Sterblicher hat ihn ganz durchschaut.

Wir mögen so aufmerksam über unsere Gesundheit wachen, als wir nur können, irgend ein Zufall kann uns eine mehr oder weniger gefährliche Krankheit zuziehen, die mit mehr oder weniger Schmerzen verbunden ist. »Es ist menschlich«, das ist allerdings ein gründlicher Trost. Wer ist so kühn und vermessen, eine Ausnahme von dem allgemeinen Loose nothwendig machen zu wollen? Unsere Väter sterben, wie ihre Väter gestorben sind, und wir selbst werden sterben wie unsere Väter. Der ist gefühllos, der dann dem Loose der Menschlichkeit keine Thräne der Rührung und Wehmuth zollen kann. Aber dieses Loos ist menschlich, und die Thräne ist es auch. Trauern dürfen wir, denn es liegt in der Natur. Der Himmel selbst führt Zufälle herbei, wo die Wehmuth unwillkürlich in unser Herz dringt und die Thräne unbemerkt in unser Auge tritt. Trauern führt zum Ernst, Ernst zum Nachdenken, Nachdenken zur Weisheit und Weisheit zur Glückseligkeit. Wir sollen aber nicht die Traurigkeit bei uns so herrschend werden lassen, daß wir dadurch unser Leben verseufzen, die Kräfte unserer Seele und unsers Körpers schwächen, unsere Pflichten vergessen und uns und unsere Familie und Freunde mit uns unglücklicher machen, als wir sonst wären. Wir sollen durch Unglück Muth sammeln, aber uns nicht niederschlagen lassen. Unglück bildet den Menschen oft zur Tugend, den das Glück fast verzogen hatte. Alles, was der Himmel uns schickt, sollen wir zu unserer Besserung und Befestigung im Guten nützen. Der Mensch, der sich in Glück und Unglück nicht mäßiget und sich nicht gleich bleibt, sieht das Leben und die Dinge des Lebens noch nicht mit rechten Augen an. Wir sollen nicht hart und unempfindlich sein; aber der Schmerz soll uns nicht völlig niederschlagen, daß wir nicht uns selbst und unsere Freunde und Alle, denen wir Pflichten schuldig sind, darüber vergessen. So wie die Freude größer wird durch Theilnahme, so wird der Schmerz kleiner. Es ist also Menschlichkeit und Christenpflicht, den leidenden, trauernden Bruder durch Freundschaft aufzurichten, seinen Kummer zu theilen und ihn zu zerstreuen, Alles aufzusuchen, was ihm seine Leiden erleichtern und vergessen machen kann, mit Rath und That ihm beizustehen, damit der Gram nicht in seiner Seele herrschend werde. »Tröstet Einer den Andern!« sagt Paulus, der tief aus dem Herzen des Menschen heraus und deswegen wieder tief in das Herz des Menschen spricht. Wer des Trauernden spottet, dessen Seele ist hart wie ein Kiesel und nicht werth, daß der Himmel ihm Freude gebe. Es giebt Unglücksfälle, wo sich Vernunft und männliche christliche Tugend bald faßt. Den Verlust des Vermögens vermindert der Gute durch innere Zufriedenheit, durch neu angestrengten Fleiß und Mäßigkeit. Ueber eine geringe Ernte tröstet die Hoffnung der künftigen. Gegen Bosheit und Verleumdung schützt ein gutes Gewissen und die Freundschaft der Rechtschaffenen, gegen Ungerechtigkeit die frohe Ueberzeugung, daß es besser sei, Unrecht zu dulden, als zu thun, und daß wir nicht so böse handeln würden. Aber es giebt Schläge des Schicksals im Leben, die das Herz tiefer verwunden, und desto tiefer verwunden, je besser und gefühlvoller es ist. Die gewöhnlichen traurigen Begebenheiten des Lebens, der Tod geliebter Eltern und Gatten, hoffnungsvoller, freudenversprechender Kinder, an denen jetzt schon die ganze Zärtlichkeit des Vaters und der Mutter hing, rühren die Seele auf lange Zeit mit unüberwindlicher Wehmuth, und jeder Gedanke, jede Erinnerung ist ein neues trauriges Gefühl. Untreue der Freunde, für deren Rechtschaffenheit wir fast mit unserer eigenen gebürgt hätten, und Betrug von Personen, die wir so innig liebten, so hoch schätzten, dieses Alles sind Erfahrungen, die das Herz der edelsten Menschen mit Traurigkeit und zuweilen mit vieler Bitterkeit füllen. Diese Erfahrungen sind auch der Probestein unserer Vernunft und unseres Glaubens an Tugend und Vorsehung. Es ist freilich höchst traurig und niederschlagend, wenn wir Menschen, die wir sehr lange Zeit und fest für gut und redlich hielten, auf einmal sehr schlimm finden; wenn wir sehen, daß Diejenigen, die wir für gerecht hielten, höchst ungerecht, die wir für leutselig hielten, höchst grausam, die wir wohlthätig glaubten, höchst eigennützig sind, und es ist schwer, nicht in den Glauben zu verfallen, alle Menschen seien nichts werth, da uns Diejenigen betrogen, die wir für die Besten hielten. Aber wir dürfen in unserm Schmerz, in unserm Unmuth nicht selbst ungerecht werden. Wie klein und eingeschränkt ist unsere Bekanntschaft! Es giebt der guten Menschen gewiß noch recht viele, und selbst unter den Schlimmen ist selten Einer so schlimm, als man von ihm glaubt. Wir wollen unsern Schmerz und unsere Unzufriedenheit also auch in dieser Rücksicht zu mäßigen suchen. Jeder mag seine Gesinnungen und seine Handlungen verantworten. Der Himmel kennt das Herz eines Jeden und wird ihm endlich geben, was er verdient.

Wir wollen die Betrübniß und die Traurigkeit, so viel wir können, zu vermindern uns bemühen. Jeder Unglückliche soll bei uns Zuflucht, jeder Leidende bei uns Theilnahme, jeder Trostbedürftige aufmunternde Zusprache finden. Leiden sind nicht die Absicht des Himmels, aber oft heilsame Mittel, die Menschen so gut, so vollkommen und endlich so glücklich zu machen, als sie werden können. Keiner unserer Freunde soll in trüber, schwermüthiger Einsamkeit seinem Schmerze nachhängen; wir wollen ihn zu erheitern und ihn für die Freude empfänglich zu machen suchen. Und wo der Schmerz eines Unglücklichen unheilbar ist, so wollen wir eine Thräne des Mitleidens mit ihm weinen und ihm wenigstens so viel Trost und Linderung verschaffen, als er in seinem Zustande haben kann.

Wer seinen Bruder leiden sieht
Und, kalt bei seinem Leiden,
Sich ihm zu helfen nicht bemüht,
Verdienet keine Freuden;
Wer nicht ein Mensch mit Menschen ist,
Ist noch viel weniger ein Christ.

Wir wollen nie vor Gram und Schmerz
Des Nächsten uns verschließen
Und, wo wir können, in sein Herz
Trost, Muth und Labung gießen;
Denn glücklich, glücklich ist der Mann,
Der Kummervolle trösten kann.

Wer in ein Haus, wo Trauern war,
Die Freude wieder bringet,
Den segnet dort der Sel'gen Schaar,
Die schon am Throne singet,
Wenn von des Leidenden Gesicht
Nun nur des Dankes Thräne spricht.


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