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Vom Gottesdienst

Die wahre Religion besteht freilich nicht in äußerlichen Gebräuchen, sondern wohnt in der festen Ueberzeugung des Verstandes und in der tugendhaften Neigung des Herzens. Ein Mensch ohne Religion ist ein unglücklicher Mensch für sich selbst und gefährlich für Andere. Wir dürfen aber nicht gleich so lieblos urtheilen, wenn ein Mensch nicht durchaus wie wir denkt, er habe darum wirklich keine Religion. Sein Leben ist die beste Probe, ob er Religion hat oder nicht; denn der Glaube, der sich nicht durch Werke zeigt, ist todt und so gut als kein Glaube.

Wenn aber das Wesen der Religion selbst gleich nicht in Gebräuchen bestehet, so wird doch der Mann, welcher wirklich Religion besitzt, diese äußern Gebräuche, welche immer mit ihr in Verbindung stehen, nie vernachlässigen. Wir nennen alle diese Gebräuche zusammen Gottesdienst, aber nur auf menschliche Weise, wie wir fast immer von Gott sprechen. Gott gewinnt durch unsern Dienst, durch unsere Verehrung nichts; er wird dadurch nicht größer, herrlicher und seliger, als er seiner ewigen, unendlichen Natur nach ist. Der Vortheil ist allein für uns. Wir erheben durch den Gedanken an ihn unsere Seele, wir stärken unsere Entschlüsse zum Guten, wir befestigen unsere Ueberzeugung in der Wahrheit, wir erhöhen unsern Muth zu allen Pflichten, unsere Standhaftigkeit zu unvermeidlichen Widerwärtigkeiten; wir gewinnen herzliches Vertrauen zu Gott als unserm Vater und unermüdeten Wohlthäter. Sind dieses nicht sehr wesentliche Vortheile, die wir alle auch mit aus der äußern Religionsübung erhalten können und erhalten sollen?

Diese Gebräuche sind die Besuchung der öffentlichen Versammlungen, wo Andacht, Gebet, Dank und Unterricht in unsern Pflichten die große wichtige Absicht ist. Nicht Jeder, der die Kirchen mit der größten Regelmäßigkeit und mit ängstlichem Schein der Gewissenhaftigkeit besucht, ist deswegen auch ein guter Christ; das Christenthum erfordert mehr als Gebetsformeln, Gesangsweise und Pharisäerwesen; aber ein guter Christ wird doch diese löblichen Wege und Mittel zur Erbauung und der ferneren Belehrung nicht versäumen. Der Zweck ist wahre Tugend und Glückseligkeit; die Mittel dazu sind gründlicher Unterricht und fester Vorsatz, den Weg zu gehen, den wir als den richtigen erkennen. Die wohlthätigen Einrichtungen sind bei uns seit vielen Jahrhunderten so, daß Jeder über seine Pflichten sowie über Recht und Unrecht, über Tugend und Laster überhaupt öffentliche Unterweisung haben kann; und wer diese absichtlich und leichtsinnig vernachlässiget, zeigt sich als einen Verächter der Ordnung Gottes. Gott selbst hat diese Ordnung geboten, und die Obrigkeit hat und übt die Pflicht, zu unserm eigenen und dem allgemeinen Glücke darüber zu wachen. Wer über den öffentlichen Gottesdienst spottet, ist gewiß ein Bösewicht. Die Lehrer der Religion müssen für uns immer Männer von Würde sein. Sie haben ein heiliges Amt, und ihre Verantwortung vor Gott wird doppelt schwer sein, wenn sie das Amt der Tugendlehre nicht durch ihr Leben ehren, und nicht durch Unterricht und Beispiel das Gute bewirken, das sie bewirken sollen.

Die Heiden feierten die Feste ihrer falschen Götter mit glühendem Eifer, und wir sollten nicht die unendliche Größe der wahren einzigen Gottheit an bestimmten Tagen dankbar andächtig bewundern? Wir sind Menschen, die jeden Tag neuen Schwachheiten ausgesetzt sind, und brauchen also beständig Wiederholung der Wahrheiten, die uns nöthige Bestärkung in den Pflichten, welche uns heilig sein müssen. Unser eigenes Glück erfordert dieses; wer könnte gleichgiltig gegen etwas sein, das sein und seiner Brüder Glück betrifft? Die Sonntagsfeier ist also auf alle Weise Pflicht für uns Alle. Der Tag ist ein Tag der Ruhe, ist ein Tag der Sammlung neuer Kräfte, ein Tag der Ueberlegung, der Betrachtung, der stillen Freude, wenn wir glücklich sind, des heilenden Trostes, wenn wir unglücklich sind. »Du sollst den Feiertag heiligen!« Aber unser Schöpfer kann nicht wollen, daß wir über den Entschlüssen zum Guten das Gute selbst, über der Ermunterung zu unsern Pflichten die Pflichten selbst vergessen sollen. Wir dürfen also wol das Wichtigere dem weniger Wichtigen vorziehen. Wer in die Kirche geht, wenn er seinen kranken Bruder pflegen und ihm Arznei reichen soll, thut nicht seine Pflicht. Wer den Abendsegen betet und mit seinem Nachbar grollt, wie kann der dem Schöpfer ein angenehmes Opfer bringen? Das Beten wäre Sünde, wenn man darüber seine Arbeit vergessen wollte; und der Mann wäre ein Thor oder ein gottloser Heuchler, der beten und nicht arbeiten wollte, wenn seine hungernde Familie um Brod schreiet. Dem Arbeitsamsten bleiben immer noch einige Minuten Zeit zur Andacht übrig; und die wenigen herzlichen Worte eines Mannes, der seine Pflichten erfüllet hat, sind gewiß vor Gott mehr als sonst lange Gebete. Der Faule, welcher betet, spottet. Das Gebet des Gottlosen, des Menschenhassers, des Unversöhnlichen, des Peinigers seiner Brüder ist Lästerung. Der Himmel erhört nur das Gebet des Tugendhaften; und tugendhaft ist nur, wer seine Pflicht thut. Werke der christlichen Liebe und der Noth sind an jedem Sonntage erlaubt, nicht allein erlaubt, sie sind geboten. Wer einem Freunde Trost und Hilfe bringen kann, darf mit gutem Gewissen die Betstunde versäumen; er betet durch ein gutes Werk, welches dem Himmel angenehm ist, und das wird dem Vollbringer Freude und Belohnung geben. Wer seine Ernte retten kann, darf sie ohne Bedenken unter der Kirchenzeit retten, er rettet seine Familie vom Mangel. Gott will es, und die Obrigkeit will es; denn er kann von der künftigen Ernte seinem dürftigen Bruder geben. Wer aber den Tag, welcher der heiligen Ruhe und der Betrachtung und Andacht bestimmt ist, mit gewöhnlichen ununterbrochenen Geschäften, mit bloßem sinnlichen üppigen Vergnügen verbringt und nicht den Versammlungen der christlichen Gemeine beiwohnt, wenn er wohl könnte, ist ein Leichtsinniger, vielleicht ein Verächter. Wenn man daselbst auch nicht immer etwas Neues hört, so muß es doch für unser Herz allezeit eine wahre Erquickung sein, mit unsern Brüdern vereint Gott, unserm Vater und Wohlthäter, zu danken, seine unendliche Macht, Güte und Weisheit, womit er uns täglich beglückt, zu preisen, unser Herz zu ihm zu erheben und ihm alle Angelegenheiten unserer Seele, unsers Herzens und unsers häuslichen Lebens kindlich zu empfehlen. Es ist zwar kein Beweis, daß der Mann, welcher beständig viel und ununterbrochen betet, ein guter frommer Mann ist, denn es giebt der Heuchler und Mundchristen viele; aber Derjenige ist gewiß kein guter Mann, welcher gar nicht betet. Er zeigt durch ein solches sorgloses, unbesonnenes Betragen, daß sein Verstand ohne wahre Erkenntniß und sein Herz ohne wahres Gefühl ist. Wie will Derjenige seine Pflicht gegen seinen Mitbruder erfüllen, der nicht Dankbarkeit gegen seinen Schöpfer und größten Wohlthäter empfindet? Wie will Der seinen Bruder lieben, welcher nicht zeigt, daß er seinen Vater liebt? Und kann Der seinen Vater lieben, der sich beständig von ihm entfernt, sich ihm nie zu nahen sucht, seine Wohlthaten mit Kälte und Murrsinn empfängt und verzehret? Nein, wir wollen keine christlichen Gebräuche, weder öffentlich noch zu Hause, vernachlässigen. Sie dienen alle dazu, uns mit Gott immer mehr zu beschäftigen, ihn und unsere Mitmenschen mehr lieben zu lernen und unsere Pflichten immer wichtiger und doch angenehmer und leichter zu machen, unsere wahren Freuden zu berichtigen, zu läutern und zu sichern und uns in unserm Unglück Beruhigung, Trost und ermunternde Stärkung zu verschaffen.


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