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So wie der Friede im Lande das unschätzbarste Glück für das ganze Land ist, so ist Friede und Ruhe in dem Gemüthe eines jeden einzelnen Menschen das größte Glück für ihn. Diesen Frieden, diese Ruhe sollen wir zu erlangen und zu erhalten suchen. Wir können dieses, wenn wir es sollen; denn wir sollen nichts, was wir nicht können. Dem Einen wird es freilich in seiner Lage schwerer als dem Andern; aber Keinem ist es unmöglich. Das beste Mittel dazu ist das allgemeine Mittel zur Glückseligkeit überhaupt: nämlich fester Glaube an Gott und Vorsehung, an Tugend und Unsterblichkeit, treuer Eifer in Erfüllung aller unserer Pflichten. Wie sollte Der nicht ruhig sein, welcher fest überzeugt ist, Gott ist mein Vater, der mein Glück will und veranstaltet und befördert, der alle Haare auf meinem Haupte gezählt hat, und ohne dessen Willen und weise Leitung mir nichts widerfahren kann! Voll Vertrauen spricht ein Solcher mit dem frommen Dichter:
»Kein Sperling fällt,
Herr, ohne Deinen Willen;
Sollt' ich mein Herz nicht mit dem Troste stillen,
Daß Deine Hand mein Leben hält?«
Aber nur Derjenige kann ohne Furcht und mit stiller, tröstlicher Ruhe an Gott und seine Vatergüte denken, der ihrer als ein gutes Kind würdig ist. Nur Derjenige ist ihrer als ein gutes Kind würdig, der auf die Gebote Gottes, die er ihm durch die Vernunft und sein Wort giebt, mit kindlicher Ehrfurcht hört, sie zu verstehen sich bemüht und sie alle zu erfüllen sich eifrig bestrebt. Nur die Guten haben Frieden im Herzen. Die Bösen sollen keinen Frieden haben, weder hier noch dort; das ist ihre Strafe. Es ist die Natur der Bosheit und der Sünde, daß sie quält und foltert, auch wenn sie glücklich zu sein scheint. Das ist weise und gerechte Ordnung des Schöpfers, damit Jedermann sich vor der Bosheit hüte wie vor einer Schlange und ihr nicht zu nahe komme.
Die Ruhe der Seele ist die Belohnung des Guten und wieder eine Quelle vieles Guten. So entspringt ein Gutes aus dem andern, so wie oft ein Böses aus dem andern entspringt. Der Ruhige im Geist genießt die Geschenke des Himmels mit doppelter Heiterkeit, und der Friede seiner Seele verbreitet sich über sein Gesicht und durch sein ganzes Wesen. Seine Mienen, seine Reden, sein Gang, alle seine Bewegungen zeigen, daß er glücklich ist, und daß er glücklich zu sein verdient. Sein Leben ist froher, seine Arbeit ist leichter und besser, und alle Menschen, selbst die Mißmüthigen und Unzufriedenen, schließen sich gern an ihn an. Wie sollte Der nicht innern Frieden haben, der alle seine Pflichten mit Vergnügen und Eifer erfüllt und überzeugt ist, daß der Himmel bei solchen Gesinnungen und solchen Bemühungen ihn nicht verlassen werde?
Wenn ihn auch Leiden und Widerwärtigkeiten treffen, so denkt er, daß er ein Mensch ist, der ohne Leiden nicht leben wird; daß er vielleicht manche Unannehmlichkeiten durch Fehler und Vergehungen sich selbst zugezogen hat: und das macht ihn aufmerksam und vorsichtig auf die Zukunft. Keine Verbrechen beschweren sein Gewissen, und für seine Unvollkommenheiten, Fehler der Uebereilung und Schwachheiten hofft er Verzeihung von Gott, wie ein gutes Kind Verzeihung von seinem Vater hofft, das sich immer noch bessern will. Tugend und ein reines Herz sind der sicherste Grund zur Ruhe des Lebens. Es ist ein Spiegel seiner Seele, wenn der gute, fromme, vortreffliche Gellert sagt:
»Besitz' ich nur
Ein ruhiges Gewissen,
So ist für mich, wenn Andre zagen müssen,
Nichts Schreckliches in der Natur.«
Wenn er auch dulden muß, so duldet er als Christ mit Gelassenheit und Standhaftigkeit. Wer seine Freuden und sein Glück liebt, der bewahre seine Tugend; denn mit der Tugend schwindet alle wahre Freude dahin. »Er muß etwas auf der Seele haben«, sagt das Sprichwort von einem Menschen, der unruhig, ängstlich, heimlich, verschlossen sich herumtreibt; und selten irrt das Sprichwort. Wie in der Welt der Krieg schneller und leichter ausbricht, als der Friede hergestellt wird, so geht in dem Menschen die Ruhe schneller verloren, als sie wiedergewonnen wird.
Aber auch Erziehung und Gewohnheit wirken oft sehr viel, die beständige Ruhe und Gleichmüthigkeit behaupten zu helfen. Man giebt so Vieles der Natur und dem Temperamente Schuld, welches doch meistens theils unsere eigene oder wol auch die Schuld unserer Erzieher ist. Wer nicht von Jugend auf seine Begierden, seine Leidenschaften und besonders seine Heftigkeit und Hitze hat zähmen lernen, der ist hernach sein ganzes Leben in einer beständigen, oft sehr quälenden Bewegung. Manche Kleinigkeit setzt ihn außer sich und verderbt ihm Freude und Genuß auf viele Tage. Manche Unannehmlichkeit, die er mit etwas mehr Ueberlegung und Besinnung leicht hätte heben können, ängstiget ihn so, als ob es das ganze Glück seines Lebens beträfe. »Er hat ein unruhiges Temperament«, sagt man oft mit Recht; aber dieses Temperament ist oft nur Vernachlässigung der Erziehung und Folge des eigenen Leichtsinns. Es ist also auch in dieser Betrachtung heilige Pflicht für Eltern und Erzieher, das Gemüth junger Leute durch Sanftmuth, Klugheit, Beharrlichkeit und vor Allem durch eigenes gutes Beispiel vor allen heftigen Leidenschaften zu bewahren, die in der Folge der Ruhe des Lebens so gefährlich werden. Und Jeder, der schon selbst hinlängliche Besinnung hat und die Dinge in der Welt mit etwas Ernst betrachten und beurtheilen kann, muß an sich selbst arbeiten, sich eine beständige Gelassenheit und Ueberlegsamkeit zu erwerben, die ihm in so manchen bedenklichen Fällen des Lebens den größten Nutzen bringen und über sein ganzes Wesen eine stille Ruhe des Innern und heitere Zufriedenheit verbreiten.