Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

In langen Winternächten sitz' am Feuer
Mit guten alten Leuten, und laß dir erzählen
Von längst entschwundner, jammervoller Zeit;
Und eh' du gute Nacht sagst, zur Vergeltung
Erzähl' du ihnen mein betrübtes Ende.
          König Richard II. Akt V. Scene l.

Sehr anders aber war das Schicksal des irregeleiteten Erben von Schottland gewesen, als man es in der Stadt Falkland ausstreute. Sein ehrgeiziger Oheim hatte seinen Tod beschlossen, als einziges Mittel zur Beseitigung der ersten und furchtbarsten Schranke zwischen seiner eigenen Familie und dem Throne. James, der jüngere Sohn des Königs, war nur ein Knabe, der mit mehr Muße leicht beseitigt werden konnte. Ramorny's Aussichten auf größere Macht und die Rachlust, die er seit Kurzem gegen seinen Gebieter nährte, machten ihn zum bereitwilligen Werkzeug für Rothsay's Untergang. Dwining leitete dabei seine Habsucht und natürliche Bosheit. Man beschloß mit der berechnendsten Grausamkeit, alle Mittel zu vermeiden, die Zeichen gewaltsamen Todes hinterlassen würden, und das Leben durch Entziehung jedes Heilmittels für einen schwachen und angegriffenen Körper von selber erlöschen zu lassen. Der Prinz von Schottland sollte nicht ermordet werden, wie Ramorny sich bei einer andern Gelegenheit ausgedrückt hatte, – er sollte nur aufhören zu leben.

Rothsay's Schlafgemach im Schlosse Falkland war zur Ausführung eines so schrecklichen Planes wohlgeeignet. Eine kleine schmale Treppe, deren Vorhandensein man kaum gewahrte, und die eine Fallthüre im Zimmer schloß, führte durch einen Gang in die unterirdischen Kerker des Schlosses, durch welchen der Schloßherr insgeheim und verkleidet die Bewohner dieser furchtbaren Region besuchen konnte. Auf dieser Treppe brachten die Verruchten den besinnungslosen Prinzen in den tiefsten Kerker des Schlosses, so weit in den Eingeweiden der Erde, daß kein Geschrei und Stöhnen vernommen werden konnte, während die Stärke der Thüren und der Schlösser, auch wenn der Eingang entdeckt worden wäre, lange Zeit der Gewalt getrotzt hätte. Bonthron, der nur zu diesem Zwecke vom Galgen gerettet wurde, war das thätige Werkzeug der unmenschlichen Grausamkeit Ramorny's gegen seinen verführten und verrathenen Herrn.

Dieser Elende besuchte den Kerker zu der Zeit, als des Prinzen Lethargie zu weichen begann und als er, zur Besinnung erwachend, tödtliche Kälte empfand, unfähig sich zu regen und belastet mit Ketten, die ihm kaum gestatteten, sich auf dem feuchten Stroh zu erheben, auf welches er gelegt war. Sein erster Gedanke war, er sei in einem fürchterlichen Traume – sein nächster ließ ihn die Wahrheit dunkel ahnen. Er rief, lärmte, schrie endlich wie rasend – aber keine Hilfe kam und nur das Kerkergewölbe antwortete. Das Werkzeug der Hölle hörte dieses Schreien der Verzweiflung und berechnete es kalt gegen die Vorwürfe und den Hohn, womit Rothsay seine ahnungsvolle Abneigung gegen ihn ausgedrückt hatte. Als der unglückliche Jüngling erschöpft und hoffnungslos schwieg, beschloß der Grausame, sich seinem Gefangenen zu zeigen. Die Schlösser rasselten und der Riegel fiel; der Prinz stand auf, so weit es seine Ketten erlaubten – ein rother Lichtstrahl, gegen den er die Augen schloß, strömte durch's Gewölbe, und als er sie wieder öffnete, sah er die scheußliche Gestalt eines Mannes, den er für todt halten mußte. Er sank voll Entsetzen zurück. »Ich bin verurtheilt und verdammt!« rief er; »und der abscheulichste Teufel in den höllischen Regionen ist gesendet, mich zu quälen!«

»Ich lebe, Mylord,« sagte Bonthron; »und damit Ihr leben und Euch des Lebens freuen mögt, so gefall' es Euch, aufzustehen und Eure Lebensmittel zu essen.«

»Befreie mich von diesen Eisen,« sagte der Prinz, – »erlöse mich aus diesem Kerker, – und, ein Hund wie du bist, sollst du der reichste Mann in Schottland sein.«

»Gäbt Ihr mir das Gewicht Eurer Ketten in Gold,« sagte Bonthron, »ich möchte doch lieber das Eisen an Euch sehen, als selber den Schatz haben! – Aber blickt auf – Ihr wart gewohnt, ein gutes Mahl zu lieben – seht, wie ich für Euch gesorgt habe.« Der Elende entfaltete mit teuflischer Freude ein Stück rohen Felles, worein das Bündel, das er unterm Arme trug, gewickelt war, und indem er das Licht darüber hin und her bewegte, zeigte er dem unglücklichen Prinzen einen frisch vom Rumpfe gehauenen Stierkopf, was in Schottland als sicheres Zeichen des Todes bekannt war. Er legte ihn zu Füßen des Bettes oder vielmehr der Streu, worauf der Prinz lag. »Seid mäßig in Eurer Nahrung,« sagte er; »es wird wahrscheinlich lange dauern, eh' Ihr ein anderes Gericht bekommt.«

»Sage mir nur eins, Elender,« sagte der Prinz. »Weiß Ramorny um diesen Streich?«

»Wie wärest du sonst hieher gelockt worden? Arme Schnepfe, du bist gefangen!« antwortete der Mörder.

Mit diesen Worten schloß sich die Thür, die Riegel hallten und der unglückliche Prinz blieb in Finsterniß, Einsamkeit und Elend. »O mein Vater! – mein prophetischer Vater! – Der Stab, auf dem ich lehnte, hat sich in der That als Speer erwiesen!« – Wir wollen bei den folgenden Stunden, ja Tagen voll leiblichem Schmerz und Seelenverzweiflung nicht weilen.

Aber es war nicht der Wille des Himmels, daß ein so großes Verbrechen ungestraft verübt werden sollte.

Katharina Glover und die Sängerin, vernachlässigt von den anderen Hausgenossen, welche mit den Nachrichten von des Prinzen Krankheit beschäftigt schienen, durften indeß das Schloß nicht eher verlassen, als bis man sehen würde, wie diese schreckliche Krankheit sich ende, und ob sie wirklich ansteckend sei. Zur Gesellschaft beiderseitig gezwungen, wurden die Mädchen einander Gefährtinnen, wo nicht Freundinnen, und die Verbindung wurde noch etwas enger, als Katharina fand, daß es dieselbe Sängerin war, derentwillen Harry Wynd bei ihr in Ungnade fiel. Sie vernahm nun seine gänzliche Unschuld und hörte begeistert das Lob, womit Louise ihren tapfern Beschützer überhäufte. Auf der andern Seite verweilte die Sängerin, welche Katharina's höhern Stand und Charakter wohl anerkannte, gern bei einem Gegenstande, der ihr zu gefallen schien, und zeigte ihre Dankbarkeit gegen den tapfern Schmied in der Wiederholung des kleinen Liedes: »Du, kühn, voll Muth,« welches lange ein Lieblingslied in Schottland war.

Du, kühn, voll Muth,
Mit blauem Hut,
In dem nie Lüg' und Furcht geruht!
Deß Herzen stets sein Wort war werth,
Deß Hand getreu war seinem Schwert –
Durchsuch' Europa fern und nah,
Der Blauhut ist bei mir nur da!
Ich sah wohl Deutschlands muth'ge Schaar –
Sah Frankreichs tapfre Ritter zwar,
Bei Schwert und Lanze groß, fürwahr!
Ich sah wohl Englands tapfern Sohn
Und seiner braunen Streitaxt Droh'n.
Ob Frankreich schön und England frei:
Der Blauhut wohnt doch mir nur bei!

Kurz, obwohl Louisens verrufene Beschäftigung unter anderen Umständen für Katharina ein Hinderniß gewesen wäre, freiwillig ihre Gesellschaft zu theilen, so fand sie in ihr doch, bei ihrem gezwungenen Zusammensein, eine bescheidene und gefällige Gefährtin.

Sie verlebten auf diese Weise vier oder fünf Tage, und um so viel als möglich das Angaffen oder auch wohl die Unarten der Diener zu vermeiden, bereiteten sie sich ihre Nahrung auf ihrem Zimmer. Wenn es durchaus nöthig war, mit den Leuten zu verkehren, so übernahm Louise, die sich mehr zu helfen wußte, aus Gewohnheit und um Katharinen zu gefallen, das Geschäft, vom Küchenmeister das Nöthige zu ihrem kleinen Mahl zu holen und mit der Geschicklichkeit ihrer Heimath zu bereiten.

Die Sängerin war in dieser Absicht am sechsten Tage ein wenig vor Mittag weggegangen, und das Verlangen nach frischer Luft, die Hoffnung, etwas Salat oder Küchenkraut, oder doch einige zeitige Blumen zu finden, um damit ihren Tisch zu schmücken, hatte sie in den Schloßgarten gelockt. Sie trat wieder in's Gemach, bleich wie Asche und gleich Espenlaub zitternd. Ihr Schrecken ging sogleich auf Katharinen über, die kaum Worte fand, zu fragen, welch' neues Unglück sich ereignet habe.

»Ist der Herzog von Rothsay todt?«

»Schlimmer! Sie lassen ihn lebendig verhungern!«

»Du bist wahnsinnig, Mädchen!«

»Nein, nein, nein!« sagte Louise, außer Athem, und ihre Worte so schnell hervorbringend, daß Katharina sie kaum verstehen konnte. »Ich suchte nach Blumen, weil Ihr gestern sagtet, Ihr liebtet sie – mein armer kleiner Hund, der sich in ein Gebüsch von Eiben und Hollunder drängte, das aus einigen alten Ruinen nahe bei der Schloßmauer wuchs, kam winselnd und heulend zurück – ich schlich mich hin, um zu sehen, was der Grund sei, und o! ich hörte das Stöhnen eines im Todeskampfe begriffenen Menschen, aber so schwach, daß es aus der Tiefe der Erde selbst herauszukommen schien. Endlich merkte ich, daß es aus einer kleinen Mauerspalte hervorkam, und als ich das Ohr dicht an die Oeffnung legte, hört' ich deutlich des Prinzen Stimme sagen: ›Es kann nun nicht lange dauern;‹ und dann versank er in Etwas, wie ein Gebet.«

»Gnädiger Himmel! – spracht Ihr zu ihm?«

»Ich sagte: Seid Ihr's, Mylord? und die Antwort war: ›Wer verhöhnt mich mit dem Titel?‹ – Ich fragte ihn, ob ich ihm helfen könnte, und er antwortete mit einer Stimme, die ich nimmer vergesse: ›Nahrung! – Nahrung! – ich sterbe vor Hunger!‹ – So kam ich hieher, es Euch zu erzählen. – Was kann geschehen? Sollen wir Lärm im Hause machen?«

»Ach! das hieße ihn wahrscheinlicher verderben, als ihm helfen,« sagte Katharina.

»Und was sollen wir dann thun?« sagte Louise.

»Ich weiß noch nicht,« antwortete Katharina, entschlossen und kühn bei plötzlichen Vorfällen, obwohl sie ihrer Gefährtin bei gewöhnlichen Gelegenheiten an Erfindungsgabe nachstand. »Ich weiß noch nicht – aber Etwas wollen wir thun – das Blut der Bruce soll nicht hilflos sterben.«

So sagend ergriff sie die kleine Schüssel, die ihre Suppe enthielt und das Fleisch, womit sie bereitet war, steckte einige dünne Kuchen, die sie gebacken hatte, in die Falten ihres Mantels, und indem sie ihrer Gefährtin winkte, mit einem Gefäß voll Milch, ebenfalls einem Theile ihrer Mahlzeit, zu folgen, eilte sie nach dem Garten.

»So, will unsre schöne Vestalin fortgehen?« sagte der einzige Mann, dem sie begegnete, und der einer von den Dienern war; Katharina aber ging ohne Blick und Antwort vorüber und erreichte den kleinen Garten ohne fernere Störung.

Louise zeigte ihr einen Trümmerhaufen, der, mit Gebüsch bedeckt, dicht an der Schloßmauer lag. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Vorsprung des Gebäudes gewesen, und der enge Spalt, der mit dem Kerker in Verbindung stand, um Luft zuzuführen, hatte sich darin geendet. Aber die Oeffnung war durch den Verfall etwas erweitert und ließ einen trüben Lichtstrahl hinab, obwohl derselbe nicht von denen bemerkt werden konnte, die den Ort mit Fackellicht besuchten.

»Hier herrscht Todtenstille,« sagte Katharina, nachdem sie aufmerksam einen Augenblick gelauscht hatte. – »Himmel und Erde, er ist dahin!«

»Wir müssen Etwas wagen,« sagte ihre Gefährtin, und ließ die Finger über die Saiten ihrer Laute laufen.

Ein Seufzer war die einzige Antwort aus der Tiefe des Kerkers. Darauf wagte Katharina zu sprechen. »Ich bin hier, Mylord – ich bin hier, mit Nahrung und Getränk.«

»Ha, Ramorny? – der Scherz kommt zu spät – ich sterbe,« war die Antwort.

»Sein Hirn ist verwirrt, und kein Wunder,« dachte Katharina; »aber so lange Leben da ist, kann auch Hoffnung sein.«

»Ich bin's, Mylord, Katharina Glover – ich habe Nahrung, wenn ich sie sicher zu Euch bringen könnte.«

»Der Himmel segne dich, Mädchen! ich dachte, die Qual sei vorüber, aber es glüht wieder in mir bei dem Worte Nahrung.«

»Die Nahrung ist hier, aber wie, ach! wie kann ich sie Euch mittheilen? Der Spalt ist so eng, die Mauer so dick! Doch es gibt ein Mittel – ich hab' es! – Schnell, Louise, schneide mir einen Weidenzweig, den längsten, den du findest.«

Die Sängerin gehorchte, und mittelst eines Spaltes an dem Ende der Ruthe sendete Katharina mehrere Stücke der weichen Kuchen, in Brühe getaucht, hinab, die zugleich als Speise und Getränk dienten.

Der junge unglückliche Mann aß wenig und mit Mühe, flehte aber tausendfachen Segen herab auf das Haupt seiner Trösterin. »Ich hatte dich zur Sklavin meiner Laster bestimmt,« sagte er, »und doch suchst du die Erhalterin meines Lebens zu werden! Aber hinweg und rette dich selbst.«

»Ich kehre mit Nahrung zurück, sobald ich Gelegenheit finde,« sagte Katharina, eben als die Sängerin sie am Aermel zupfte und bat, zu schweigen und still zu stehen.

Beide verbargen sich unter die Ruinen, und sie hörten die Stimmen Ramorny's und des Arztes, die sich leise unterhielten.

»Er ist stärker, als ich dachte,« sagte der Erstere in tiefem, krächzendem Tone. »Wie lange hielt Dalwolsy aus, als ihn der Ritter von Liddesdale in seinem Schloß von Hermitage einkerkerte?«

»Vierzehn Tage,« antwortete Dwining; »aber er war ein starker Mann und hatte einigen Beistand durch Korn, welches aus einer Kornkammer über seinem Gefängniß fiel.«

»Wär' es nicht besser, die Sache schnell zu enden? Der schwarze Douglas kommt diesen Weg. Er ist nicht in Albany's Geheimniß. Er wird den Prinzen sehen wollen, und Alles muß vorüber sein, eh' er kommt.«

Sie gingen in ihrem düsteren und verhängnißvollen Gespräch vorüber.

»Nun gewinnen wir das Schloß,« sagte Katharina zu ihrer Gefährtin, als sie sah, daß Jene den Garten verlassen hatten. »Ich hatte einen Plan der Flucht für mich – ich will ihn in einen der Rettung des Prinzen verwandeln. Die Schaffnerin betritt das Schloß zur Vesperzeit und läßt gewöhnlich ihren Mantel in dem Gange, während sie die Milch zum Küchenmeister trägt. Nimm du den Mantel, hülle dich darein und gehe kühn am Wächter vorbei; er ist gewöhnlich betrunken um diese Stunde, und du wirst, gleich der Melkerin, ungefragt durch Thor und Brücke kommen, wenn du dich nur mit Selbstvertrauen benimmst. Dann eile zum schwarzen Douglas, er ist unsere nächste und einzige Hilfe.«

»Aber,« sagte Louise, »ist er nicht jener schreckliche Lord, der mich mit Schmach und Strafe bedrohte?«

»Glaube mir,« sagte Katharina, »Leute wie du und ich bleiben nie eine Stunde in Douglas' Gedächtniß, weder im Guten noch im Bösen. Sag' ihm, daß sein Schwiegersohn, der Prinz von Schottland, stirbt – verrätherisch verhungert – im Schloß Falkland, und du wirst nicht allein Gnade, sondern Lohn erwerben.«

»Ich frage nicht nach Lohn,« sagte Louise, »die That wird sich selbst belohnen. Aber mich dünkt, zu bleiben ist gefährlicher als zu gehen. – Laß mich daher bleiben und den unglücklichen Prinzen ernähren; Ihr aber geht fort, um Hilfe zu bringen. Wenn sie mich vor Eurer Rückkehr tödten, so lass' ich Euch meine arme Laute und bitt' Euch, freundlich mit meinem armen Charlot zu sein.«

»Nein, Louise,« erwiderte Katharina, »Ihr seid eine privilegirtere und erfahrenere Wandererin, als ich – geht Ihr – und wenn Ihr mich todt bei Eurer Rückkehr findet, was wohl möglich ist, so gebt meinem armen Vater diesen Ring und eine Locke meines Haares, und sagt ihm, Katharina starb, während sie Bruce's Blut erretten wollte. Und diese andere Locke gebt Harry; sagt, daß Katharina zuletzt seiner gedachte, und daß, wenn er sie für zu bedenklich hielt hinsichtlich des Blutes Anderer, er erkennen möge, daß es nicht geschah, weil sie ihr eigenes hochschätzte.«

Sie schluchzten, einander in den Armen liegend, und die Stunden bis zum Abend verflossen mit Berathungen, wie man auf bessere Weise den Gefangenen mit Nahrung versehen könne, und mit Verfertigung einer Röhre, die aus ineinandergeschobenem Schilfrohr bestand, mittelst deren man ihm Flüssigkeit zuführen konnte. Die Glocke der Dorfkirche von Falkland läutete zur Vesper. Die Schaffnerin trat mit ihren Gefäßen ein, um die Milch für den Haushalt abzuliefern und Neuigkeiten zu erzählen und zu hören. Sie war kaum in die Küche getreten, als die Sängerin sich noch ein Mal in Katharinens Arme warf, sie ihrer unwandelbaren Treue versicherte und, das Hündchen unterm Arm, still die Treppe hinunterschlich. Einen Augenblick später sah die athemlose Katharina sie, in der Schaffnerin Mantel gehüllt, ruhig über die Zugbrücke gehen.

»Nun,« sagte der Wächter. »Ihr kehrt heute früh zurück, May Bridget? Wenig Spaß im Schloß – ja, Weib! – kranke Zeiten sind traurige Zeiten.«

»Ich habe mein Kerbholz vergessen,« sagte die schnell besonnene Französin, »und komme wieder, eh' man einen Milcheimer ausschöpft.«

Sie ging weiter, vermied das Dorf Falkland und schlug einen Fußpfad ein, der durch den Park führte. Katharina athmete frei und pries Gott, als sie sie in der Ferne verschwinden sah. Noch eine ängstliche Stunde dauerte es, bis man die Flucht der Sängerin entdeckte. Dies geschah, sobald die Schaffnerin, die sich eine Stunde zu einem Geschäft genommen hatte, wozu zehn Minuten genügten, zurückkehren wollte, und fand, daß Jemand ihren grauen Friesmantel weggenommen hatte. Sogleich wurde genaue Untersuchung angestellt; endlich erinnerten sich die Mägde der Sängerin und wagten zu flüstern, dieser könne es wohl eingefallen sein, ein altes Kleid für ein neues auszutauschen. Der Wächter wurde streng befragt und gab an, er habe die Schaffnerin gleich nach der Vesperglocke hinausgehen sehen, und als diese selbst es läugnete, sagte er, so könne es kein Anderer, als der Teufel gewesen sein.

Da indeß die Sängerin nicht gefunden werden konnte, so ließen sich die wirklichen Umstände der Sache leicht ahnen, und der Hausverwalter ging, um Sir John Ramorny und Dwining zu benachrichtigen (die jetzt fast nie getrennt waren), daß eine ihrer weiblichen Gefangenen entflohen sei. Jeder Umstand erweckt den Argwohn des Schuldigen. Sie sahen einander mit unzufriedenen Gesichtern an, und begaben sich sofort mit einander in Katharinens niederes Gemach, um sie wo möglich mit der Untersuchung über Louisens Verschwinden zu überraschen.

»Wo ist Eure Gefährtin, Mädchen?« sagte Ramorny in strengem und ernstem Tone.

»Ich habe keine Gefährtin hier,« antwortete Katharina.

»Keine Ausflucht,« erwiderte der Ritter; »ich meine die Sängerin, die jüngst mit Euch dies Zimmer bewohnte.«

»Sie ist fort, sagt man mir,« – sagte Katharina, »fort seit einer Stunde.«

»Und wohin?« sagte Dwining.

»Wie,« antwortete Katharina, »soll ich den Weg wissen, den eine Wandererin von Handwerk wählen mag? Sie war ohne Zweifel des einsamen Lebens müde, welches so verschieden ist von den Scenen der Festlichkeit und des Tanzes, zu denen sie ihr Beruf oft führt. Sie ist fort, und dabei nur zu bewundern, daß sie so lange dageblieben ist.«

»Dies ist also Alles,« sagte Ramorny, »was Ihr uns berichten könnt?«

»Alles, was ich Euch zu berichten habe, Sir John,« antwortete Katharina mit Festigkeit; »und wenn der Prinz selber fragte, ich könnt' ihm nicht mehr sagen,«

»Es ist wenig Gefahr, daß er Euch wieder die Ehre anthun werde, in Person mit Euch zu reden,« sagte Ramorny, »selbst wenn Schottland dem Unglück entgeht, durch seinen Tod elend zu werden.«

»Ist der Herzog von Rothsay so sehr krank?« fragte Katharina.

»Keine Hilfe, außer im Himmel,« antwortete Ramorny, emporblickend.

»So möge von dort doch Hilfe kommen,« sagte Katharina, »wenn menschliche Hilfe nichts vermag.«

»Amen!« sagte Ramorny mit dem entschiedensten Ernst, während Dwining ein Gesicht schnitt, welches dies Gefühl auch ausdrücken sollte, obwohl es ihm einen peinlichen Kampf zu kosten schien, sein höhnisches, aber leises Triumphgelächter zu unterdrücken, welches besonders durch Alles, was eine religiöse Färbung hatte, erregt ward.

»Und Menschen sind es – irdische Menschen und nicht eingefleischte Teufel, die so den Himmel anrufen, während sie tropfenweise das Lebensblut ihres unglücklichen Herrn verschlingen!« murmelte Katharina, als ihre beiden betroffenen Inquisitoren das Gemach verließen. – »Warum schläft der Donner? – aber er wird bald rollen, und o! möge es geschehen, sowohl zu erhalten als zu strafen.«

Nur die Stunde des Mittagessens gewährte eine Zeit, wo, da Alles im Schlosse mit der Mahlzeit beschäftigt war, Katharina glaubte, sie hätte die beste Gelegenheit, sich zum Mauerspalt zu wagen, ohne besondere Gefahr zu fürchten. Während sie auf die Stunde wartete, bemerkte sie einige Bewegung im Schlosse, das seit der Einkerkerung des Herzogs von Rothsay still wie das Grab gewesen war. Das Fallgatter wurde niedergelassen und aufgezogen, und unter das Krachen der Maschine mischte sich Rossegetrappel, und Bewaffnete auf dampfenden und schnaubenden Pferden ritten ab und zu. Sie sah auch von ihrem Fenster, daß alle Diener, die ihr in die Augen fielen, bewaffnet waren. Bei alle dem klopfte ihr Herz stark, denn es ließ das Nahen der Hilfe hoffen, und überdies ließ das Getümmel den kleinen Garten einsamer als je. Endlich erschien die Mittagsstunde; sie hatte Sorge getragen, unter dem Vorwand ihrer eigenen Bedürfnisse, denen der Küchenmeister gern zu genügen schien, sich solche Speisen zu verschaffen, die sich am leichtesten zu dem unglücklichen Gefangenen bringen ließen. Sie flüsterte, um ihm ihre Gegenwart zu melden – keine Antwort erfolgte; – sie sprach lauter, aber noch blieb Alles still.

»Er schläft,« – diese Worte murmelte sie halblaut und mit einem Schaudern, dem ein Zusammenfahren und ein Schrei folgte, als eine Stimme hinter ihr erwiderte:

»Ja, er schläft; aber für immer.«

Sie sah sich um. Sir John Ramorny stand hinter ihr in voller Rüstung, aber das Visir seines Helms war offen, und zeigte ein Gesicht, ähnlicher dem eines Sterbenden, als eines Mannes, der fechten will. Er sprach mit ernstem Tone, der zwischen dem des ruhigen Beobachters eines merkwürdigen Vorfalles und dem des thätigen Teilnehmers und Gehilfen dabei in der Mitte lag.

»Katharina,« sagte er, »Alles ist wahr, was ich Euch sage. Er ist todt – Ihr habt Euer Bestes für ihn gethan – Ihr könnt nicht mehr thun.«

»Ich will nicht – ich kann es nicht glauben,« sagte Katharina. »Der Himmel erbarme sich meiner! Es würde mich an der Vorsehung zweifeln lassen, zu denken, daß ein so großes Verbrechen vollbracht werden konnte.«

»Zweifle nicht an der Vorsehung, Katharina, obwohl sie duldete, daß der Verworfene durch seine eigenen Rathschläge fiel. Folge mir – ich habe zu sagen, was dich angeht. – Folge mir, sag' ich,« (denn sie zögerte,) »wenn du es nicht vorziehst, der Gnade des rohen Bonthron und des Arztes Henbane Dwining überlassen zu bleiben.«

»Ich will Euch folgen,« sagte Katharina. »Ihr könnt mir nicht mehr thun, als Euch gestattet wird.«

Er führte sie nach dem Schlosse und erstieg Treppe nach Treppe, Leiter nach Leiter.

Katharinens Entschlossenheit wich. »Ich will nicht weiter folgen,« sagte sie. »Wohin wollt Ihr mich führen? – Wenn zu meinem Tode, so kann ich hier sterben.«

»Blos zu den Zinnen des Schlosses, Thörin,« sagte Ramorny, eine verriegelte Thür weit aufsperrend, die sich nach dem gewölbten Dache des Schlosses öffnete, wo man sogenannte Mangonels (Kriegsmaschinen, um Steine oder Pfeile zu werfen) und tüchtige Armbrüste rüstete, auch Steine zusammenhäufte. Aber die Vertheidiger waren an Zahl nicht über zwanzig, und Katharina glaubte Furcht und Unentschlossenheit unter ihnen zu bemerken.

»Katharina,« sagte Ramorny, »ich darf diesen Posten nicht verlassen, der nothwendig zu meiner Verteidigung ist; aber ich kann hier so gut als anderswo mit Euch reden.«

»So redet,« antwortete Katharina, – »ich bin bereit, Euch zu hören.«

»Ihr habt Euch in ein blutiges Geheimniß gedrängt, Katharina. Habt Ihr Festigkeit genug, es zu bewahren?«

»Ich versteh' Euch nicht, Sir John,« antwortete das Mädchen.

»Seht Ihr. Ich habe erschlagen – ermordet, wenn Ihr wollt – meinen ehemaligen Herrn, den Herzog von Rothsay. Der Funke von Leben, den Eure Freundlichkeit nähren wollte, war leicht erstickt. Seine letzten Worte lauteten an seinen Vater. Ihr seid ohnmächtig – rafft Euch zusammen – Ihr habt mehr zu hören. Ihr kennt das Verbrechen, aber Ihr kennt nicht den Anlaß. Seht, dieser Handschuh ist leer – ich verlor meine rechte Hand für ihn; und als ich nicht mehr für seinen Dienst taugte, ward ich wie ein abgelebter Hund weggeworfen, mein Geschick verspottet, mir ein Kloster empfohlen, statt der Schlösser und Paläste, die meine natürliche Sphäre waren! Daran denkt – habt Mitleid und steht mir bei.«

»Auf welche Weise könnt Ihr Beistand von mir verlangen?« sagte das zitternde Mädchen; »ich kann weder Euren Verlust ersetzen, noch Euer Verbrechen tilgen.«

»Du kannst schweigen, Katharina, über das, was du in jenem Dickicht gesehen und gehört hast. Es ist nur eine kurze Vergeßlichkeit, die ich von dir verlange, auf deren Worte man, wie ich weiß, hören wird, mögt Ihr nun sagen, es geschah oder es geschah nicht. Das Wort deiner marktschreierischen Gefährtin, der Fremden, wird Niemand einer Nadelspitze werth achten. Willst du mir dies zugestehen, so nehme ich dein Versprechen für meine Sicherheit und öffne den Anrückenden das Thor. Versprichst du mir nicht Sicherheit, so vertheidige ich das Schloß, bis Alle gefallen sind, und schleudere dich rücklings von diesen Zinnen. Ja, sieh' sie nur an – es ist kein Sprung, dem man leicht Trotz bietet. Sieben Treppen gingst du mit Anstrengung und athemlos heran, aber du sollst in kürzerer Zeit vom Giebel bis auf den Grund kommen, als du einen Seufzer ausstößt! Sprich das Wort, schönes Mädchen; denn Ihr sprecht mit Einem, der Euch nicht gern schaden möchte, aber bei seinem Vorsatze beharrt.«

Katharina stand erschrocken und unfähig, einem Menschen zu antworten, der ihr so verzweifelt schien; aber die Antwort ward ihr erspart, indem Dwining sich näherte. Er sprach mit derselben Demuth, die stets sein Benehmen auszeichnete, und mit seinem gewöhnlichen ironischen Lachen, welches jenes Benehmen Lügen strafte.

»Ich thue Unrecht, edler Sir, daß ich mich zu Euch dränge, während Ihr mit einem schönen Mädchen beschäftigt seid. Aber ich komme, um eine kleine Frage zu thun.«

»Sprich, Quäler!« sagte Ramorny. »Schlimme Nachrichten sind Scherz für dich, selbst wenn sie dich selber angehen, wofern sie nur auch Andere betreffen.«

»Hm, – hi, hi! – ich wünschte nur zu wissen, ob Eure Herrlichkeit das ritterliche Geschäft der Vertheidigung des Schlosses mit einer einzigen Hand unternehmen will – ich bitt' um Verzeihung – ich meinte mit Eurem einzigen Arm? Die Frage ist der Rede werth, denn ich werde bei der Vertheidigung für wenig gut sein, außer wenn Ihr die Belagerer dahin bringen könnt, Arznei zu nehmen – hi, hi, hi! und Bonthron ist so betrunken, als Bier und gebranntes Wasser ihn machen können – und Ihr, Er und Ich machen die ganze Besatzung aus, die zum Widerstand aufgelegt ist.«

»Wie! – wollen die andern Hunde nicht fechten?« sagte Ramorny.

»Man sah nimmer Leute, die weniger Lust dazu zeigten,« antwortete Dwining, »niemals; aber da kommt ein Paar von ihnen. – Venit extrema dies. – Hi, hi, hi!«

Eviot und sein Gefährte Buncle näherten sich nun mit düsterer Entschlossenheit im Gesicht, gleich Männern, welche den Entschluß gefaßt haben, der Macht zu widerstehen, welcher sie lange gehorchten.

»Wie steht's?« sagte Ramorny, ihnen entgegentretend. »Warum von eurem Posten? – Warum hast du die Warte verlassen, Eviot? – Und du anderer Bursch', trug ich dir nicht auf, nach den Mangonelen zu sehen?«

»Wir haben Euch Etwas zu sagen, Sir John Ramorny,« antwortete Eviot. »Wir werden in dieser Fehde nicht fechten.«

»Wie – meine eigenen Knappen meistern mich?« rief Ramorny.

»Wir waren Eure Knappen und Pagen, Mylord, während Ihr in des Herzogs von Rothsay Diensten standet – man erzählt, der Herzog lebe nicht mehr – wir wünschen die Wahrheit zu wissen.«

»Welcher Verräther wagt solche Lügen auszustreuen!?« sagte Ramorny.

»Alle, welche ausgegangen sind, den Park zu besetzen, Mylord, und unter Andern bringe ich selbst dieselbe Nachricht zurück. Die Sängerin, welche das Schloß gestern verließ, hat das Gerücht überall ausgestreut, der Herzog von Rothsay sei ermordet oder dem Tode nah. Der Douglas zieht gegen uns mit einer starken Macht –«

»Und ihr, Feiglinge, macht Euch ein müßig Gerücht zu nutze, um euern Herrn zu verlassen?« sagte Ramorny unwillig.

»Mylord,« sagte Eviot, »laßt Buncle und mich den Herzog von Rothsay sehen, und seine persönlichen Befehle zur Vertheidigung des Schlosses empfangen, und wenn wir dann nicht bis zum Tode in diesem Kampfe fechten, so will ich mich gern auf den höchsten Thurm hängen lassen. Aber wenn er an natürlicher Krankheit gestorben ist, so wollen wir das Schloß dem Grafen von Douglas übergeben, der, wie man sagt, des Königs Statthalter ist – oder wenn, was der Himmel verhüte! – dem edlen Prinzen Arges widerfuhr, so wollen wir uns nicht in die Schuld verwickeln, indem wir die Waffen zum Schutze der Mörder brauchen, mögen sie sein, wer sie wollen.«

»Eviot,« sagte Ramorny, seinen verstümmelten Arm erhebend, »wäre dieser Handschuh nicht leer, so hättest du's nicht erlebt, zwei Worte voll Unverschämtheit auszusprechen.«

»Sei dem wie ihm wolle,« antwortete Eviot, »wir werden nur unsere Pflicht thun. Ich bin Euch lange gefolgt, Mylord, aber hier halt' ich den Zügel an.«

»So fahrt denn wohl, und ein Fluch treff' euch Alle!« rief der erbitterte Baron. »Laßt mein Pferd vorführen!«

»Unsere Tapferkeit ist im Begriff, davon zu laufen,« sagte der Apotheker, der dicht an Katharinens Seite geschlichen war, eh' sie es merkte. »Katharina, du bist eine abergläubische Närrin, wie die meisten Weiber; trotzdem hast du einigen Verstand, und ich spreche mit dir als einer Person, die mehr versteht, als die Büffel, die um uns herum weiden. Diese stolzen Barone, die nur so über die Welt wegschreiten, was sind sie am Tage des Unglücks? – Spreu vor'm Wind! Laßt ihre Schmiedehammerhände oder ihre Säulenfüße Schaden nehmen, und bah! – die Ritter sind weg – Herz und Muth ist ihnen nichts, Kraft und Glieder Alles; – gebt ihnen Thieresstärke, was sind sie anders, als wüthende Stiere? – nehmt diese weg und Euer ritterlicher Held kriecht auf dem Boden, wie ein lahmes Thier. Nicht so der Weise; so lang' ein Körnchen Verstand einem verwachsenen oder verstümmelten Körper übrig bleibt, soll sein Geist so stark sein, denn je. – Katharina, diesen Morgen sann ich auf Euern Tod; aber mich dünkt, es freut mich jetzt, daß Ihr noch lebt, um zu erzählen, wie der arme Mediciner, der Pillenvergolder, der Mörselstößer, der Gifthändler seinem Schicksal begegnete, in Gesellschaft mit dem tapfern Ritter von Ramorny, jetzigem Baron und künftigem Grafen von Lindores – Gott segne seine Herrlichkeit!«

»Alter Mann,« sagte Katharina, »wenn du in der That dem Tage deines verdienten Schicksals so nahe bist, so wären andere Gedanken weit heilsamer, als die ruhmredigen Schwätzereien einer eitlen Philosophie. – Frage nach einem frommen Manne –«

»Ja,« sagte Dwining verächtlich, »mich an einen fetten Mönch wenden, der – hi, hi, hi! – das barbarische Latein nicht versteht, was er auswendig hersagt. Der würde ein passender Rathgeber für Einen sein, der in Spanien und Arabien studirt hat! Nein, Katharina, ich will einen Beichtvater wählen, den man gern ansieht, und Ihr sollt mit dem Amte beehrt werden. – Nun, seht dort seine Tapferkeit – seine Augenbrauen tropfen vor Feuchtigkeit, seine Lippen beben vor Angst – hi, hi, hi! – – denn seine Tapferkeit bittet ihre ehemaligen Diener um das Leben, und hat nicht Beredtsamkeit genug, um sie zu bereden, sie entschlüpfen zu lassen. Seht, wie die Fibern seines Gesichts arbeiten, indeß er die undankbaren Bestien anfleht, die er mit Wohlthaten überhäuft hat, ihm nur eine so kurze Lebensfrist zu geben, als die Jagdhunde dem Hasen, wenn die Menschen ihm tüchtig nachsetzen. Seht auch die finstern, niedergeschlagenen, hündischen Gesichter, womit die schurkischen Knechte, zwischen Furcht und Schande schwankend, ihrem Herrn diese elende Frist versagen. Solche Wesen hielten sich für höher, als ein Mann wie ich! Und Ihr, thörichtes Mädchen, denkt so gemein von Eurer Gottheit, daß Ihr Elende wie sie für das Werk der Allmacht haltet!«

»Nein! böser Mensch, nein!« sagte Katharina mit Wärme; »der Gott, den ich verehre, schuf diese Menschen mit der Fähigkeit, ihn zu erkennen und anzubeten, ihre Mitgeschöpfe zu schützen und zu schirmen, Frömmigkeit und Tugend zu üben. Ihre eigenen Laster und die Versuchungen des Bösen haben sie so gemacht, wie sie jetzt sind. O, nimm diese Lehre auf in dein Herz von Diamant! der Himmel machte dich klüger als deine Nebenmenschen, gab dir Augen, um in die Geheimnisse der Natur zu sehen, einen scharfen Verstand und eine geschickte Hand; aber dein Stolz hat all' diese schönen Gaben vergiftet und einen gottlosen Atheisten aus einem Mann gemacht, der ein christlicher Weiser hätte sein können!«

»Atheist, sagst du?« antwortete Dwining; »vielleicht hab' ich Zweifel in dieser Sache – aber sie werden bald gelöst sein. Dort kommt Einer, der mich, wie zuvor Tausende, an den Ort geschickt hat, wo sich alle Geheimnisse aufklären werden.«

Katharina folgte dem Auge des Arztes nach den Waldlichtungen und sah, daß sie von einer Reiterschaar bedeckt waren, die im vollen Galopp anrückte. In ihrer Mitte wehte eine Fahne, die, obwohl Katharina ihr Wappen nicht sehen konnte, doch durch ein Gemurmel ringsum als die des schwarzen Douglas anerkannt wurde. Sie machten einen Pfeilschuß vom Schlosse halt, und ein Herold mit zwei Trompetern ritt an das Hauptthor, wo er nach einem lautschmetternden Trompetenstoß Einlaß begehrte für den hohen und gefürchteten Archibald, Grafen von Douglas, Lordstatthalter des Königs, derzeit mit unumschränkter Vollmacht Seiner Majestät versehen; zugleich wurde allen Bewohnern bei Strafe des Hochverraths befohlen, die Waffen niederzulegen.

»Hört Ihr?« sagte Eviot zu Ramorny, der düster und unentschlossen dastand. »Wollt Ihr die Uebergabe des Schlosses befehlen, oder muß ich –«

»Nein, Schurke!« unterbrach ihn der Ritter, »bis an's Ende will ich Euch befehlen. Oeffnet die Thore, laßt die Brücke nieder und übergebt das Schloß dem Douglas.«

»Nun, das kann man doch eine tapfere That aus freiem Willen nennen,« sagte Dwining. »Just, wie wenn die metallenen Dinger, die seit einer Minute schreien, sich anmaßten, die Töne sich selber beizulegen, die ein dickbackiger Trompeter hineingeblasen hat.«

»Elender Mensch,« sagte Katharina, »entweder schweigt, oder wendet Eure Gedanken auf die Ewigkeit, an deren Rande Ihr steht.«

»Und was geht das dich an?« antwortete Dwining. »Du, Dirne, kannst nicht umhin, zu hören, was ich dir sage, und du wirst es wieder erzählen, weil dein Geschlecht keins von beiden lassen kann. Perth und ganz Schottland sollen wissen, welch einen Mann sie in Henbane Dwining verloren haben.«

Das Geklirr der Waffe verkündigte nun, daß die neuen Ankömmlinge abgestiegen waren und das Schloß betreten hatten, während sie die kleine Besatzung entwaffneten. Graf Douglas erschien selbst mit einigen seiner Leute auf den Zinnen, und wies sie an, Ramorny und Dwining gefangen zu nehmen. Andere schleppten aus einem Winkel den betäubten Bonthron.

»Diese Drei waren's, denen die Wache des Prinzen allein übertragen war während seiner angeblichen Krankheit?« sagte Douglas, eine Untersuchung fortsetzend, die er im Saale des Schlosses begonnen hatte.

»Kein Anderer sah ihn, Mylord!« sagte Eviot, »obwohl ich meine Dienste anbot.«

»Führt uns in des Herzogs Zimmer und bringt die Gefangenen mit – es soll sich auch ein Weib im Schlosse befinden, wenn man sie nicht ermordet oder hinweggezaubert hat – die Gefährtin der Sängerin, welche die erste Nachricht brachte.«

»Sie ist hier, Mylord,« sagte Eviot, Katharinen vorführend.

Ihre Schönheit und Rührung machten selbst auf den unempfindlichen Grafen einigen Eindruck.

»Fürchte nichts, Mädchen,« sagte er, »du hast Lob und Belohnung verdient. Sage mir, wie wenn du dem Himmel beichtetest, Alles, wovon du im Schlosse Zeuge gewesen.«

Mit einigen Worten berichtete Katharina die furchtbare Geschichte.

»Es stimmt,« sagte Douglas, »mit der Erzählung der Sängerin Punkt für Punkt überein. – Nun zeigt uns des Prinzen Zimmer.«

Sie gingen nach dem Gemach, wo der unglückliche Herzog von Rothsay angeblich gewohnt hatte; aber der Schlüssel war nicht zu finden, und der Graf konnte nur Zutritt erlangen, indem man die Thür sprengte. Beim Eintritt entdeckte man den abgezehrten und schmutzigen Körper des Prinzen, wie in Eile auf's Bett geworfen. Die Absicht der Mörder war offenbar gewesen, den Leichnam so in Stand zu setzen, daß er einem längst Gestorbenen ähnlich sehe; aber sie waren durch die Unruhe, die Louisens Flucht veranlaßt hatte, gestört worden. Douglas betrachtete den Leichnam des verführten Jünglings, dessen wilde Leidenschaften und Launen ihn zu dieser verhängnißvollen und vorzeitigen Katastrophe gebracht hatten.

»Ich hatte Beleidigungen zu rächen,« sagte er; »aber ein Anblick wie dieser verbannt alle Erinnerung an Beleidigungen!«

»Hi, hi! – er hätte geordnet werden sollen,« sagte Dwining, »um Eurer Herrlichkeit mehr zu gefallen; aber Ihr kamt plötzlich über uns, und eilige Herren verursachen schlechten Dienst.«

Douglas schien nicht zu hören, was sein Gefangener sagte, so eifrig prüfte er die verfallenen und zerstörten Züge und steifen Glieder des Leichnams vor ihm. Katharina, überwältigt von Unwohlsein und Ohnmacht, erhielt endlich Erlaubniß, sich von dem furchtbaren Anblick zurückzuziehen, und fand durch Verwirrung aller Art den Weg nach ihrem früheren Gemach, wo Louise, die indeß zurückgekehrt war, sie in die Arme schloß.

Die Untersuchungen Douglas' schritten fort. Man fand, daß die starre Hand des Prinzen eine Haarlocke krampfhaft umfaßt hielt, an Farbe und Stärke dem kohlschwarzen verworrenen Haar Bonthrons gleich. So, obwohl Hunger das Werk begonnen hatte, schien es doch, daß Rothsay's Tod endlich durch Gewalt vollständig herbeigeführt worden sei. Die geheime Treppe des Kerkers, wozu die Schlüssel an des untergeordneten Mörders Gürtel gefunden wurden, – die Lage des Gewölbes, seine Verbindung mit der äußern Luft durch den Mauerspalt, das elende Strohlager mit den Fesseln, die sich noch vorfanden, – Alles bestätigte vollkommen die Erzählung Katharinens und der Sängerin.

»Wir wollen keinen Augenblick zögern,« sagte der Douglas zu seinem nahen Verwandten, dem Lord Balveny, sobald sie aus dem Kerker zurückkehrten. »Fort mit den Mördern! hängt sie über die Zinnen.«

»Aber, Mylord, ein Verhör möchte doch erforderlich sein,« antwortete Balveny.

»Zu welchem Zweck?« antwortete Douglas. »Ich habe sie Kraft meines Rechts und Amts gefangen. Meine Vollmacht gestattet sofortige Hinrichtung. Doch halt – haben wir nicht einige Leute aus Jedwood unter unsern Truppen?«

»Eine Menge Turnbulls, Rutherfords, Ainslies und so fort,« sagte Balveny.

»Ruft mir eine Anzahl von ihnen herbei; sie sind sämmtlich gute und ehrliche Leute, außer daß sie ein Bischen zu ihrem Unterhalt stehlen. Laßt sie diese Schurken hinrichten, während ich einen Gerichtshof im großen Saale halte, und wir wollen versuchen, ob der Gerichtshof oder der Profoß eher fertig wird; wir wollen Jedwood-Gerechtigkeit üben – schnell hängen und nach Muße untersuchen.«

»Doch halt, Mylord,« sagte Ramorny, »Ihr möchtet Eure Eile bereuen – wollt Ihr mir ein Wort in's Ohr erlauben?«

»Nicht um die Welt!« sagte Douglas; »sprich es aus, was du zu sagen hast, vor Allen, die hier sind.«

»So wißt denn Alle,« sagte Ramorny laut, »daß dieser edle Graf Briefe vom Herzog Albany und mir hat, ihm durch jenen feigen Ausreißer Buncle übergeben, – laßt ihn läugnen, wenn er's kann – welche die Entfernung des Herzogs vom Hofe auf einige Zeit anrathen, sowie seine Gefangenschaft in diesem Schlosse.«

»Aber kein Wort davon,« erwiderte Douglas, ernst lächelnd, »daß man ihn in einen Kerker werfen sollte – verhungern – erdrosseln. – Fort mit den Elenden, Balveny, sie verderben Gottes Luft zu lange!«

Die Gefangenen wurden nach den Zinnen geschleppt. Aber während die Mittel der Hinrichtung zubereitet wurden, drückte der Apotheker einen so glühenden Wunsch aus, Katharina noch einmal zu sehen, wie er sagte, zum Heil seiner Seele, daß das Mädchen in der Hoffnung, seine Hartnäckigkeit habe sich noch in der letzten Stunde geändert, noch ein Mal hinauf ging, um eine Scene zu sehen, vor welcher ihr Herz zurückschauderte. Ein einziger Blick zeigte ihr Bonthron in gänzliche, trunkene Fühllosigkeit versunken, Ramorny seiner Rüstung beraubt, und umsonst bemüht, seine Angst zu verbergen, während er mit einem Priester sprach, um dessen Beistand er gebeten hatte, und Dwining als denselben unterwürfigen, demüthigen, kriechenden Burschen, wie sie ihn vorher gesehen hatte. Er hielt in der Hand eine kleine, silberne Feder, womit er auf ein Stück Pergament schrieb.

»Katharina,« sagte er, – »hi, hi, hi! – ich wünsche zu dir über die Natur meines religiösen Glaubens zu sprechen.«

»Wenn das deine Absicht ist, warum verlierst du Zeit mit mir? – sprich mit diesem frommen Vater.«

»Der fromme Vater,« sagte Dwining, »ist hi, hi! – bereits ein Verehrer der Gottheit, welcher ich gedient habe. Ich zieh' es daher vor, dem Altar meines Götzen einen neuen Verehrer in dir zu geben, Katharina. Dies Stück Pergament wird dir den Weg zu meiner Kapelle zeigen, wo ich oft in der Stille gebetet habe. Ich hinterlasse dir als ein Vermächtniß die Götzenbilder, die sie enthält, blos weil ich dich etwas minder hasse und verachte, als andere alberne Elende, die ich bisher Mitgeschöpfe zu nennen genöthigt war. Und nun fort! – Oder bleib und sieh, ob das Ende des Quacksalbers sein Leben Lügen straft.«

»Unsere Frau verhüt' es!« sagte Katharina.

»Nun,« sagte der Arzt, ich habe nur ein einzig Wort zu sagen, und jenes Edelmanns Herrlichkeit mag es hören, wenn er will.«

Lord Balveny näherte sich mit einiger Neugier; denn die unerschrockene Entschlossenheit eines Mannes, der nie ein Schwert geschwungen oder eine Rüstung getragen, und von Person ein elender Zwerg war, schien ihm Etwas wie Zauberei zu sein.

»Ihr seht dies elende Werkzeug,« sagte der Verbrecher, die silberne Feder zeigend. »Mittelst dieser kann ich selbst der Macht des schwarzen Douglas entgehen.«

»Gebt ihm weder Tinte noch Papier,« sagte Balveny hastig, »er will einen Zauber schreiben.«

»Nicht doch, mit Eurer Weisheit und Tapferkeit Erlaubniß – hi, hi, hi! –« sagte Dwining mit seinem gewöhnlichen Lachen, während er das Ende der Feder losschraubte und daraus ein Stück Schwamm oder etwas Aehnliches, nicht größer als eine Erbse, hervorzog. »Nun, merkt auf! – –« sagte der Gefangene und nahm es zwischen die Lippen. Die Wirkung war augenblicklich. Er lag als Leichnam vor ihnen, die höhnische Verachtung auf dem Gesichte.

Katharina schrie auf und floh, indem sie hastig hinabeilte, um einem so schrecklichen Anblicke zu entgehen. Lord Balveny war einen Augenblick starr und dann rief er: »Das kann Hexerei sein! hängt ihn über die Mauern lebendig oder todt. Wenn sich sein schlechter Geist nur auf einige Zeit zurückgezogen hat, so mag er zu einem Körper mit umgedrehtem Halse zurückkehren.«

Man gehorchte seinem Befehl. Darauf wurden Ramorny und Bonthron zur Hinrichtung geführt. Der Letztere ward gehangen, bevor er völlig zu begreifen schien, was mit ihm geschah. Ramorny, bleich wie der Tod, aber mit demselben Stolze, der sein Verderben herbeigeführt hatte, berief sich auf seine Ritterwürde und verlangte das Vorrecht, mit dem Schwert enthauptet zu werden und nicht durch den Strang zu sterben.

»Der Douglas ändert nie sein Urtheil,« sagte Balveny. »Aber dir sollen all deine Rechte werden. – Schickt den Koch mit einem Hackmesser hieher.« Der geforderte Diener erschien auf seinen Ruf. »Weshalb zitterst du, Bursche?« sagte Balveny; »hier, hau' mir mit deinem Messer dieses Mannes goldene Sporen von seinen Fersen – und nun, John Ramorny, bist du nicht mehr ein Ritter, sondern ein Schurke – zum Strang' mit ihm, Profoß! hängt ihn zwischen seine Gefährten, und wo möglich höher als sie.«

Eine Viertelstunde nachher ging Balveny hinab, um Douglas zu sagen, daß die Verbrecher hingerichtet wären.

»Dann hat die Untersuchung keinen weitern Nutzen,« sagte der Graf. »Was meint Ihr, liebe Männer des Gerichts, waren jene Leute des Hochverraths schuldig? ja oder nein?«

»Schuldig!« rief das nachträgliche Gericht mit erbaulicher Einmüthigkeit; »wir brauchen kein weiteres Zeugniß.«

»Laßt trompeten, und dann zu Roß nur mit unserm Gefolge; und laßt Jedermann über das hier Vorgegangene schweigen, bis das Verfahren dem König vorgelegt ist, was nicht füglich geschehen kann, bevor der Kampf am Palmsonntag gefochten und beendigt ist. Wählt unser Gefolge und sagt, daß Jeder, der, mag er mit uns gehen oder hier bleiben, plaudert, sterben muß.«

Nach wenigen Minuten saß Douglas zu Pferde, nebst dem für seine Person erwählten Gefolge. Boten wurden an seine Tochter, die verwittwete Herzogin von Rothsay, mit der Weisung geschickt, sie solle ihren Weg nach Perth nehmen, über die Küste von Lochleven, ohne sich Falkland zu nähern; zugleich wurden ihrer Obhut Katharina Glover und die Sängerin übergeben, als Personen, deren Sicherheit er wünschte.

Als sie durch den Wald ritten, sahen sie zurück und betrachteten die drei hängenden Körper, die gleich Flecken die Mauern des alten Schlosses verdunkelten.

»Die Hand ist gestraft,« sagte Douglas; »aber wer wird den Kopf anklagen, auf dessen Weisung die That verübt ward?«

»Ihr meint den Herzog von Albany?« sagte Balveny.

»Ja, Vetter; und hörte ich auf die Mahnungen meines Herzens, so würde ich ihn der That beschuldigen, die er, wie ich überzeugt bin, angab. Aber es ist kein Beweis da, außer starkem Verdacht, und Albany hat die zahlreichen Freunde des Hauses Stuart an sich gefesselt, denen allerdings die Schwachheit des Königs und die lüderlichen Sitten Rothsay's keinen andern Führer übrig ließen. Breche ich daher das Band, welches mich seit Kurzem mit Albany verknüpft, so ist die Folge ein Bürgerkrieg, das Verderblichste für das arme Schottland, so lang' es ein Einfall des thätigen Percy bedroht, dem die Verrätherei March's Vorschub leistet. Nein, Balveny, – die Strafe Albany's muß dem Himmel bleiben, der zu seiner Zeit ihn und sein Haus richten wird.«


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