Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

»Für Hunde Galgen – frei laßt Menschen geh'n.«
                                Heinrich IV.

Die Umstände einer Erzählung dieser Art müssen zu einander passen, wie der Bart eines Schlüssels zu seinem Schlosse. Der Leser, wie gefällig er auch sei, wird sich nicht für verpflichtet halten, mit der bloßen Thatsache zufrieden zu sein, daß die und jene Ereignisse stattfanden, obwohl er meist im gewöhnlichen Leben nichts weiter von den Dingen erfährt, die um ihn her vorgehen; aber er wünscht, da er zur Unterhaltung liest, das innere Getriebe zu kennen, welches die Ereignisse veranlaßt. Dies ist eine rechtmäßige und vernünftige Neugier. Denn Jedermann hat das Recht, das Werk seiner eigenen Uhr zu öffnen und zu untersuchen, da es zu seinem besonderen Gebrauch zusammengesetzt ist, obwohl ihm nicht gestattet wird, in das Innere der Uhr zu dringen, die zum allgemeinen Nutzen auf dem Kirchthurm angebracht ist.

Es würde daher unhöflich sein, wenn ich meinen Lesern einen Zweifel ließe hinsichtlich der Hülfe, welche den Mörder Bonthron vom Galgen befreite: – ein Ereigniß, welches einige der Bürger von Perth dem bösen Feind zuschrieben, während Andere sich damit begnügten, es durch das natürliche Mißfallen der Landsleute Bonthrons zu erklären, die ihn nicht über dem Ufer des Flusses, als einen für ihre Provinz schmachvollen Anblick, hängen sehen wollten.

Um Mitternacht nach dem Tage, an welchem die Hinrichtung stattgefunden, und während die Bewohner Perths in tiefem Schlafe lagen, gingen drei Männer, in ihre Mäntel gehüllt und eine Blendlaterne tragend, die Gänge eines Gartens hinab, der von dem Hause Sir John Ramorny's nach dem Ufer des Tay führte, wo ein kleines Boot an einer Landungsstelle oder einem kleinen vorspringenden Pfeiler angelegt war. Der Wind seufzte tief und melancholisch durch die laublosen Büsche und Sträucher, und ein bleicher Mond watete, wie man es in Schottland nennt, durch Wolkenzüge, die Regen zu drohen schienen. Die drei Personen betraten das Boot mit großer Vorsicht, um der Beobachtung zu entgehen. Einer von ihnen war ein großer, starker Mann, ein anderer klein und gebeugt, der dritte von Mittelgröße und scheinbar jünger, als seine Gefährten, wohlgestaltet und gewandt. So viel ließ das unvollkommene Licht entdecken. Sie setzten sich in das Boot und lösten es vom Pfeiler.

»Wir müssen es mit dem Strome treiben lassen, bis wir die Brücke hinter uns haben, wo die Bürger noch Wache halten; und ihr kennt das Sprichwort: Ein Pfeil von Perth fliegt vollkommen,« sagte der Jüngste von der Gesellschaft, welcher das Amt des Steuermannes versah und das Boot vom Pfeiler stieß, während die Anderen die Ruder nahmen und mit aller Vorsicht ruderten, bis sie die Mitte des Stromes erreichten; dann strengten sie sich nicht weiter an, legten sich auf die Ruder und vertrauten dem Steuermann, daß er sie mitten im Strome hielte.

Auf diese Weise kamen sie unbemerkt und unbeachtet unter dem stattlichen gothischen Bogen der alten Brücke hindurch, erbaut durch Robert Bruce im Jahre 1329, und weggerissen durch eine Ueberschwemmung 1621. Obwohl sie die Stimmen einer Bürgerwache hörten, die, seit diese Unruhen begonnen, allnächtlich auf diesem wichtigen Punkte unterhalten ward, so wurden sie doch nicht angerufen; und als sie weit genug stromunter waren, um von diesen nächtlichen Wachen nicht mehr gehört zu werden, begannen sie zu rudern, aber immer mit Vorsicht, und zu reden, obwohl mit leisen Stimmen.

»Ihr habt ein neues Gewerbe gefunden, Kamerad, seit ich Euch verließ,« sagte einer der Ruderer zum andern. »Ich verließ Euch, mit der Pflege eines kranken Ritters beschäftigt, und finde Euch, um einen todten Körper vom Galgen zu holen.«

»Einen lebenden Körper, mit Eurer Erlaubniß, Sir Buncle; sonst verfehlt mein Geschäft seinen Zweck.«

»So hör' ich, Meister Apotheker; aber bei all' Eurer Gelehrsamkeit, wenn Ihr mir Euren Kunstgriff nicht sagt, so erlaub' ich mir, am Erfolge zu zweifeln.«

»Ein einfaches Kunststück, Sir Buncle, welches wahrscheinlich einem so scharfsinnigen Genie, wie dem Euren, nicht gefallen wird. Die schwebende Lage des menschlichen Körpers, die der gemeine Mann Aufhängen nennt, bewirkt den Tod durch Schlagfluß, – das heißt, da das Blut durch die zusammengepreßten Adern nicht zum Herzen zurückkehren kann, stürzt es nach dem Gehirn und der Mensch stirbt. Desgleichen, und dies trägt zur Auflösung bei, erhalten die Lungen nicht mehr den nöthigen Zufluß von Lebensluft, wegen des Stricks, der um den Körper gebunden ist; und daher stirbt der Leidende.«

»Ich verstehe das recht gut – aber wie will man eine solche Blutströmung nach dem Gehirn hindern, Sir Apotheker?« sagte die dritte Person, die kein Anderer war, als Ramorny's Page, Eviot.

»Ei nun,« erwiderte Dwining, »dann hängt man den Menschen auf solche Weise auf, daß die Halsarterien nicht gedrückt werden, und das Blut wird nicht im Gehirn bleiben, und der Schlagfluß wird nicht eintreten; und ferner, wenn die Brust nicht eingebunden wird, so werden die Lungen mit Luft versorgt; mag der Mensch nun mitten im Himmel hängen, oder auf festem Boden stehen.«

»Alles dies begreif' ich,« sagte Eviot; »wie aber diese Vorsichtsmaßregeln im Einklang stehen mit der Vollziehung des Urtheils zum Hängen, das ist es, was mein dummes Gehirn nicht fassen kann.«

»Ach! guter Jüngling, deine Pagenschaft hat einen tüchtigen Kopf verdorben. Hättest du mit mir studirt, du würdest noch weit schwierigere Dinge gelernt haben. Aber mein Kunstgriff ist dieser: Ich verschaffte mir gewisse Bänder, aus demselben Stoffe gemacht, wie Eure Pferdegurte, junger Page, und dabei sorgt' ich besonders dafür, daß sie von einer Art waren, die, wenn sie angespannt sind, nicht zusammenschrumpft; denn das würde mein Experiment verderben. Eine Schleife von solchem Band wird unter jeden Fuß gezogen und läuft an jeder Seite an dem Bein herauf, bis zu einem Gürtel, woran sie befestigt ist; mit diesem Gürtel sind verschiedene Schnüre, die Brust und den Rücken hinab, verbunden, um das Gewicht zu theilen, und so sind noch verschiedene Mittel vorhanden, den Leidenden leichter zu machen; doch das Hauptsächlichste ist dies: Die Stricke oder Bänder sind an ein stählernes Halsband befestigt, das nach Außen gekrümmt ist und etliche Haken hat, damit der Strick, den der freundliche Henker um diesen Theil der Vorrichtung, statt um den bloßen Hals des Verurtheilten legt, desto sicherer sei. Wird so der Dulder von der Leiter geworfen, so findet er sich nicht an seinem Halse, seht Ihr wohl, sondern an einem stählernen Ringe aufgehängt, der die Schlingen hält, in welchen seine Füße stehen, und auf welchen sein Gewicht eigentlich ruht, das jedoch durch ähnliche Unterstützungen unter jedem Arme vermindert wird. Da nun so weder Ader noch Luftröhre zusammengepreßt ist, so wird der Mensch eben so frei athmen, und sein Blut, die Furcht und Neuheit der Lage ausgenommen, eben so leicht fließen, als das Eure, Herr Page, wenn Ihr in Euren Steigbügeln aufrecht steht, um ein Schlachtfeld zu übersehen.«

»Meiner Treu, ein hübscher und seltener Einfall!« sagte Buncle.

»Nicht wahr?« fuhr der Arzt fort, »und wohl werth, solchen hochstrebenden Geistern, wie Euch, bekannt zu sein, da man nicht wissen kann, zu welcher Höhe Sir John Ramorny's Jünger es bringen; und wenn sie eine solche ist, daß man nothwendig an einem Strick herabsteigen muß, dann werdet Ihr meine Zurüstung passender finden, als das gewöhnliche Verfahren. Freilich müßt Ihr auch ein Wams mit hohem Kragen haben, um den Stahlring zu verbergen; und vor Allem so einen bonum socium wie Smotherwell, um die Schlinge anzulegen.«

»Niedriger Giftkrämer,« sagte Eviot, »Männer unseres Berufs sterben auf dem Schlachtfelde!«

»Ich will mir indeß die Lehre merken,« erwiderte Buncle, »für den Fall einer Verlegenheit. – Aber welch' eine Nacht muß der blutige Galgenstrick Bonthron gehabt haben, wenn er einen Tanz zu der Musik seiner eigenen Fesseln mitten in der Luft hält, während ihn der Nachtwind hin und her schaukelt!«

»Es wär' ein gutes Werk, ihn dort zu lassen,« sagte Eviot; »denn sein Absteigen vom Galgen wird ihn nur zu neuen Mordthaten ermuthigen. Er kennt nur zwei Elemente: Trunkenheit und Blutvergießen.«

»Vielleicht wäre Sir John Ramorny Eurer Meinung gewesen,« sagte Dwining; »aber zuvor hätte man dem Schuft die Zunge abschneiden müssen, sonst würde er wundervolle Geschichten aus seiner luftigen Höhe erzählen. Und es sind auch noch andere Gründe vorhanden, die Eure Tapferkeit nicht zu wissen braucht. In Wahrheit, ich selber habe ihm großmüthig gedient, denn der Kerl ist so stark, wie das Edinburger Schloß, und seine Anatomie würde jeder andern im chirurgischen Saale zu Padua gleichgekommen sein. – Aber sagt mir, Mr. Buncle, welche Neuigkeiten habt Ihr von dem tapfern Douglas?«

»Mögen sie erzählen, die sie wissen,« sagte Buncle; »ich bin der dumme Esel, der die Botschaft hört und nichts von ihrem Inhalt weiß. Desto besser für mich vielleicht. Ich trug Briefe vom Herzog von Albany und von Sir John Ramorny zu Douglas, und er sah schwarz wie ein Nordsturm, als er sie öffnete. – Ich brachte ihnen Antwort vom Grafen, zu welcher sie lächelten, wie die Sonne, wenn ein Gewitter zu Ende geht. Wendet Euch an Eure Ephemeriden, Arzt, und beschwört Euch die Bedeutung.«

»Mich dünkt, ich kann das thun, ohne viel Verstand aufzuwenden,« sagte der Chirurg; »aber dort seh' ich im bleichen Mondlicht unsern Lebendigtodten. Sollte er einen zufällig Vorübergehenden angeschrieen haben, so wäre das eine seltsame Unterbrechung einer Nachtreise, von der Höhe solch' eines Galgens begrüßt zu werden. – Hört, mich dünkt, ich höre sein Stöhnen durch's Pfeifen des Windes und das Kettenrasseln. So – hübsch sacht – macht das Boot mit dem Haken fest – gebt den Korb mit meinen Sachen heraus – es wäre besser, wir hätten ein wenig Feuer, aber der Schein möchte uns Beobachtung zuziehen. Kommt, meine tapfern Männer, marschirt sacht, denn wir sind am Fuße des Galgens. – Folgt mit der Laterne – ich hoffe, die Leiter ist dageblieben.«

»Singt, drei lust'ge, drei lustige Männer,
    Drei lustige Männer sind wir,
Du auf dem Land, und ich auf dem Sand,
    Und Jack am Galgenholz hier.«

Und als sie dem Galgen naheten, konnten sie deutlich Seufzer hören, obwohl in sehr leisem Tone. Dwining wagte ein paar Mal leise zu husten, um ein Zeichen zu geben; aber er erhielt keine Antwort. »Wir sollten so schnell als möglich machen,« sagte er zu seinen Gefährten, »denn unser Freund muß in extremis sein, da er auf das Zeichen, das die Ankunft der Hülfe verkündet, nicht antwortet. – Kommt, gehen wir an's Werk. Ich will zuerst die Leiter hinauf und den Strick abschneiden. Folgt ihr nach einander und haltet den Leichnam fest, daß er nicht fällt, wenn die Schlinge los ist. Greift ihn fest, die Bänder werden Euch dabei dienen. Denkt, daß er, spielt' er auch heut' Nacht die Eule, doch keine Flügel hat; und vom Stricke fallen, könnte so gefährlich sein, als hineinfallen.«

Während er so mit höhnischem Scherz redete, stieg er die Leiter empor, und nachdem er sich überzeugt, daß die Kriegsleute, die ihm folgten, den Körper hielten, zerschnitt er den Strang und half dann die fast leblose Gestalt des Verbrechers unterstützen.

Durch eine geschickte und kräftige Bewegung ward der Körper Bonthrons sicher auf den Boden gebracht, und nachdem man sich überzeugt, daß, wenn auch nur schwach, Leben vorhanden sei, brachte man ihn an den Rand des Flusses, wo, vom Ufer verdeckt, die Gesellschaft sich am besten der Beobachtung entzog, während der Arzt die nöthigen Mittel anwendete, womit er sich versehen hatte, um das Leben zurückzurufen.

Zu diesem Ende befreite er die gerettete Person zuerst von den Fesseln, die der Henker absichtlich nicht verschlossen hatte, und zugleich nahm er ihm die verwickelten Bänder und Stricke ab, an welchen er aufgehängt war. Es dauerte einige Zeit, bis Dwinings Bemühungen Erfolg hatten; denn trotz der Kunst, mit der seine Maschine zusammengefügt war, hatten die Stricke, die den Körper tragen sollten, sich so beträchtlich zusammengezogen, daß die Empfindung des Erstickens sehr bedeutend wurde. Aber die Geschicklichkeit des Arztes siegte über alle Hindernisse, und Bonthron gab, nachdem er genießt und mit einigen kurzen Zuckungen sich ausgestreckt hatte, entschiedene Lebenszeichen von sich; denn er ergriff die Hand des Arztes, der ihm eben starke Wasser auf Brust und Hals träufelte, und nahm, die Flasche an die Lippen haltend, fast mit Gewalt einen beträchtlichen Schluck von ihrem Inhalt.

»Es ist Spiritus, doppelt abgezogen,« sagte der erstaunte Operateur, »und würde einem Andern die Kehle aufschwellen und den Magen verbrennen. Aber dieses außerordentliche Vieh gleicht allen andern menschlichen Geschöpfen so wenig, daß es mich nicht wundern soll, wenn es ihn zum vollen Besitz seines Verstandes bringt.«

Bonthron schien dieß zu bestätigen; er fuhr mit einem seltsamen Krampfe empor, setzte sich aufrecht, starrte umher und zeigte einiges Bewußtsein des Lebens.

»Wein – Wein,« waren die ersten Worte, die er hervorbrachte.

Der Arzt gab ihm einen Schluck Arzneiwein mit Wasser gemischt. Er wies ihn zurück mit dem schmählichen Beiworte, »Gossenjauche,« und äußerte wieder die Worte: »Wein – Wein!«

»Nun, so nimm ihn zu dir, in's Teufels Namen,« sagte der Arzt, »denn Niemand als er kann deine Natur beurtheilen.«

Ein Zug, lang und tief genug, um den Verstand anderer Leute zu verwirren, erwies sich wirksam, den des Bonthron vollkommener zurückzurufen, obwohl er keine Erinnerung dessen zeigte, was mit ihm geschehen oder wo er war, und in seiner kurzen und düsteren Weise fragte, warum er so in der Nacht an den Fluß geschafft worden sei.

»Wieder ein Spaß des wilden Prinzen, um mich zu ertränken, wie er vorher that – Nägel und Blut, aber ich wollte –«

»Halt Ruhe,« unterbrach ihn Eviot, »und sei dankbar, ich bitte dich, wenn du Dankbarkeit fühlen kannst, daß dein Leib nicht ein Schmaus der Raben ist, und deine Seele an einem Orte, wo Wasser zu selten ist, um dich hineinzutauchen.«

»Ich fange an, mich zu besinnen,« sagte der Schurke, die Flasche zum Munde führend, die er mit einem langen und herzlichen Kusse begrüßte und leer zu Boden setzte; dann ließ er den Kopf auf die Brust hängen und schien nachzusinnen, um seine verworrenen Erinnerungen zu sammeln.

»Wir können den Erfolg seiner Betrachtungen nicht abwarten,« sagte Dwining, »er wird besser, wenn er geschlafen hat. – Auf, Freund! Ihr habt einige Stunden in der Luft geritten – versucht, ob das Wasser nicht ein leichteres Fortkommen bietet. – Ihr tapferen Leute müßt mir an die Hand gehen. Ich kann diese Masse so wenig erheben, als ich einen geschlachteten Ochsen in den Armen tragen könnte.«

»Steh' aufrecht auf deinen eigenen Füßen, Bonthron, da wir dich auf selbige gestellt haben,« sagte Eviot.

»Ich kann nicht,« antwortete der Patient. »Jeder Tropfen Blut kribbelt in meinen Adern wie mit Nadelspitzen, und meine Kniee weigern sich, ihre Bürde zu tragen. Was soll das Alles bedeuten? Das ist eine deiner Finten, du hündischer Arzt!«

»Ja, ja, so ist es, wackerer Bonthron,« sagte Dwining, »ein Kunstgriff, den du mir danken wirst, wenn du ihn erst erkennst. Inzwischen strecke dich in dem Boote dort nieder und laß mich diesen Mantel um dich wickeln.«

Man half Bonthron darauf in's Boot und legte ihn dort so bequem hin, als die Umstände es erlaubten. Er erwiderte ihre Aufmerksamkeiten mit einigen Aeußerungen, die dem Gebrumme eines Bären glichen, der ein Lieblingsfutter bekommen hat.

»Und nun, Buncle,« sagte der Chirurg, »kennt Eure Tapferkeit ihren Auftrag. Ihr sollt diese lebendige Ladung auf dem Flusse nach Newburgh führen, wo Ihr mit ihm verfahrt, wie Ihr wißt; inzwischen sind hier seine Fesseln und Bänder, die Zeichen seiner Haft und Befreiung. Bindet sie zusammen und werft sie in den tiefsten Strudel, den Ihr findet; denn fände man sie bei Euch, so würden sie Geschichten gegen uns erzählen. Dieser leichte, leise Windhauch aus Westen wird Euch gestatten, ein Segel zu gebrauchen, sobald es Tag wird und Ihr müde seid, zu rudern. – Eure andere Tapferkeit, Master Page Eviot, muß sich begnügen, mit mir zu Fuße nach Perth zurückzukehren, denn hier trennt sich unsere schöne Gesellschaft. – Nimm die Laterne mit dir, Buncle, denn du wirst sie besser brauchen, als wir, und sieh', daß du mir meine Flasche zurücksendest.«

Während die Fußgänger nach Perth zurückkehrten, drückte Eviot seinen Glauben aus, daß sich Bonthrons Verstand nie von der Erschütterung, die ihm der Schrecken eingeflößt, erholen würde, welcher bei ihm alle Fähigkeiten des Geistes, und besonders das Gedächtniß gestört zu haben schien.

»Es ist dem nicht so, mit Eurer Erlaubniß, Herr Page,« sagte der Arzt. »Bonthrons Verstand, wie er nun ist, hat einen soliden Charakter – er wird nur hin und her schwanken, wie ein Pendel, welches in Bewegung gesetzt worden ist, um dann in seinem gewöhnlichen Schwerpunkt zu ruhen. Das Gedächtniß ist von allen unsern Geisteskräften diejenige, die am leichtesten aufgehoben wird. Ein schwerer Rausch oder tiefer Schlaf zerstört es gleich, und doch kehrt es zurück, wenn der Trunkene nüchtern wird, oder der Schläfer erwacht. Der Schrecken bringt bisweilen ähnliche Wirkungen hervor. Ich kannte einen Verbrecher zu Paris, der zum Tode durch den Strang verurtheilt war, und demnach sich dem Urtheil unterzog; er zeigte keine besondere Furcht auf dem Schafott, sondern sprach und betrug sich, wie andere Leute in ähnlichem Zustand pflegen. Der Zufall that für ihn, was ein kleiner pfiffiger Streich für unsern liebenswürdigen Freund, von dem wir uns eben trennten, gethan hat. Er wurde von der Leiter geworfen und seinen Freunden übergeben, ehe sein Leben erloschen war, und ich hatte das Glück, ihn wieder herzustellen. Aber obgleich er im Uebrigen wieder gesund wurde, erinnerte er sich doch seines Leidens und Todesurteils nur wenig. Von seiner Beichte am Morgen der Hinrichtung – hi, hi, hi! – (seine gewöhnliche Weise, zu lachen) wußte er kein Wort mehr. Er wußte nicht mehr, wie er das Gefängniß verließ – nichts mehr von dem Greveplatz, wo er hingerichtet wurde – nichts mehr von den frommen Reden, womit er – hi, hi, hi! – so viele gute Christen – hi, hi, hi! – erbaute. Nichts von dem Hinaufsteigen auf den unseligen Baum, noch wie er den unseligen Strick nahm; von Allem hatte mein Auferstandener nicht die geringste Erinnerung. – Aber hier sind wir an dem Punkte, wo wir uns trennen müssen, denn es wäre nicht gut, wenn wir, einer Wache begegnend, beisammen gesehen würden; auch wäre es klug, wenn wir durch verschiedene Thore in die Stadt gingen. Mein Beruf entschuldigt mein Kommen und Gehen zu jeder Zeit. Ihr, tapferer Page, werdet eine solche Erklärung abgeben, als genügend scheinen mag.«

»Meinen Willen werd' ich eine genügende Entschuldigung sein lassen, wenn man mich fragt,« sagte der hochmüthige, junge Mann. »Doch wo möglich will ich Aufenthalt vermeiden. Der Mond ist ganz verdunkelt und die Straße so schwarz wie ein Wolfsrachen.«

»Fort,« sagte der Arzt, »darum kümmere sich Euer Muth nicht; wir werden gar bald dunklere Pfade betreten.«

Ohne nach der Bedeutung dieses Unglück weissagenden Spruches zu fragen und überhaupt im Stolze und Leichtsinne seines Charakters kaum darauf hörend, schied Ramorny's Page von seinem scharfsinnigen und gefährlichen Begleiter, und Jeder schlug seinen eigenen Weg ein.


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