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Am 12. April 1870 trat ich nach einem Aufenthalt von drei Wochen in Munsas Wohnsitz mit Mohammeds Karawane die Rückreise nach Norden an. Sie verlief zunächst etwas weiter östlich als die Hinreise. Damals hatte ich den Uelle gerade an dem Punkt überschritten, wo er sich aus dem Zusammenfluß des Gadda mit dem Hauptquellfluß, dem Kibali, bildet. Diesmal wurde der Gadda durchfurtet und alsdann der nahe Kibali, der hier nur 102 Meter Breite hat, mit der ganzen Karawane auf Booten überschritten, die auf Munsas Befehl bereitlagen. In drei Stunden war der Übergang glatt erledigt, und der Marsch wurde nordwärts auf dem frühern Wege fortgesetzt. Eingetroffene Meldungen veranlaßten aber Mohammed, das Gebiet des in seiner Freundschaft unsicheren Uando ostwärts zu umgehen und zu diesem Zweck auf das linke Ufer des Kibali weiter oberhalb zurückzugehen und Degberras Gebiet zu durchziehen. Am 18. April wurde der hier 400 Meter breite Kibali, der an dieser Stelle von Nilpferden wimmelte, wieder erreicht.
In der Richtung stromaufwärts waren viele mit Gebüsch bedeckte Inseln sichtbar. Der Strom zergliederte sich in zahlreiche Kanäle, die von einer Menge von Riffen und Klippen durchsetzt waren. Das Rauschen des Stroms war weithin zu vernehmen, aber einige der Kanäle schienen doch für die Boote der Eingeborenen befahrbar zu sein. Eilfertig sah man die ungastlichen Bewohner der Inseln hin- und herrudern, und aus dem Dickicht guckten da und dort die spitzen Kegeldächer der Fischerhütten. Die Mangbattu nennen diesen Punkt des Kibali Kissingah, »die Inseln«.
Doch die erwarteten Kähne trafen nicht ein, und in der menschenleeren Gegend waren Lebensmittel nicht zu beschaffen. So wurde beschlossen, zu der alten Reiselinie zurückzukehren. Das breite Wiesenwasser, an dem die Karawane auf der Hinreise eine so unerquickliche Nacht verbracht hatte, bereitete jetzt noch größere Schwierigkeiten. Bäume mußten gefällt werden, um Stege herzustellen, und trotzdem watete man immer noch bis an die Hüften im Schlamm. Es wunderte mich, daß die feindlichen Eingeborenen diesen gefährlichen Punkt nicht zu einem Angriff zu benutzen verstanden.
Kurz vor dem Grenzbach stießen wir auf die schon erwähnte, an einem Baumast angebrachte symbolische Kriegserklärung, bestehend in einem Maiskolben, einer Hühnerfeder und einem Pfeil. Der Bach wurde unter allen Vorsichtsmaßregeln noch ohne Störung überschritten, aber in der nächsten Grassteppe wurden wir der ersten feindlichen Vorposten ansichtig und machten halt. Hin und wieder ein aus dem hohen Grase hervorglänzender Speer, ein schwarzer Wollkopf oder der buschige Federhut eines Niamniam verrieten die Aufstellung der Feinde, die einen weiten Bogen um den Standplatz der Karawane bildeten und in gedeckter, meist völlig versteckter Lage auf dem Boden kauerten. Es kam zu Verhandlungen, die einen günstigen Verlauf zu nehmen schienen. Von gegnerischer Seite wurde friedlicher Durchzug und Stellung von Führern angeboten, ferner die Überlassung des Elfenbeins, das bei unserm Vormarsch, nach Süden zurückgeblieben war. Ich traute der Sache nicht und riet zur Festnahme von Geiseln, Mohammed aber war anderer Meinung und setzte den Marsch fort. Zunächst schien er recht zu behalten. Am Abend wurde die Karawane reichlich mit Lebensmitteln versorgt, und als sie am folgenden Tag weiterzog, standen die Eingeborenen, Männer, Weiber und Kinder durcheinander, in hellen Haufen am Weg, als sei alles im tiefsten Frieden. Und dann kam die Katastrophe!
Ich befand mich wenige hundert Schritt hinter Mohammed, unmittelbar an der Spitze der Trägerkolonne, als mehrere Schüsse anzeigten, daß vorn etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein müsse. In demselben Augenblick sah ich zu meiner Rechten Eingeborene mit Windeseile durch die Steppe fortstürzen. Sofort wurde auf die Fliehenden das Feuer eröffnet. Gleich darauf sah ich, wie Mohammed, von seinen Leuten getragen, mir entgegenkam; ein breiter Blutstreifen zog sich über seine weiße Schärpe, am Weg lagen die zwei kleinen Gewehrträger, die um ihn waren, von Lanzen durchbohrt. Wimmernd wälzten sie sich auf der Erde. Ich schnitt Mohammed mit meinem Messer die Kleider durch und konnte fast augenblicklich die große Wunde zusammenheften, die ihm ein Lanzenwurf in die Lenden gerissen hatte. Auch frisches Trinkwasser war zur Hand, und der feine Musselin des Turbans Mohammeds lieferte das Material zum Waschen und Verbinden. Sechs der stärksten Insektennadeln durch die frischen Wundränder gebohrt und mit Garn umwickelt nähten diese so vollständig aneinander, daß sie rasch zusammenheilten.
Wie war es dazu gekommen? Einer der Niamniamführer hatte, als er sich gerade zwischen Mohammed und seinen Gewehrträgern befand, urplötzlich die Lanze erhoben und sie auf Mohammed geschleudert. Im gleichen Augenblick waren seine Hintermänner über die beiden Gewehrträger hergefallen. Mohammed hatte eine Wendung nach der Seite gemacht, die ihm das Leben rettete. Die gewaltige Lanze, deren Spitze fast einen halben Meter maß, saß tief in seinem Fleisch, aber er hatte sie beherzt sofort aus der Seite gerissen, dann erst war er bewußtlos zu Boden gesunken. Das Herausreißen der mit zollangen Widerhaken versehenen Lanze hatte die Verletzung auf das Doppelte vergrößert. Die Wunde war so breit und tief, daß man die ganze Hand hineinlegen konnte.
Die nächsten aus dem bewaffneten Gefolge Mohammeds hatten sofort das Feuer auf die nach allen Seiten auseinanderstiebenden Eingeborenen eröffnet. Nun ging die Hetzjagd nach allen Richtungen vor sich, und auf der ganzen Linie unseren Zuges knatterten die Gewehre, während ich mit dem Verbinden der Wunde beschäftigt war.
Die Kolonnen sammelten sich auf dem Platz, wo wir uns gerade befanden. Nun war von selbst das Signal zum Plündern gegeben. Sofort waren alle Gaffer vom Weg verschwunden; hier und da verfolgten die Nubier Weiber und Kinder, um sich Beute an Sklaven zu verschaffen. Ich bemerkte aber nur geringen Erfolg. Manch schuldloses Opfer deckte das Hochgras und entzog mir den scheußlichen Anblick der Sterbenden.
Es währte keine halbe Stunde, da brannten alle Dörfer und Gehöfte im weiten Umkreis. Eilig wurden die reichen Vorräte der Kornkammern zusammengerafft und an unserm Sammelplatz zu hohen Haufen aufgetürmt. Das flüchtig angelegte Lager wurde mit einem wehrhaften Verhau umgeben; das Holz dazu lieferten die zahlreichen Wohnhütten der Nachbarschaft. Dem verwundeten Anführer wurden als Siegeszeichen abgeschnittene A-Bangbaköpfe zu Füßen gelegt.
Der Platz, an dem sich diese Vorgänge ereignet hatten, lag auf Büchsenschußweite vom Rand der Uferdickichte entfernt. Tief eingesenkt floß dahinter ein wasserreicher Bach. Auf dem jenseitigen Gesenke lagen eine Menge kleiner Weiler zerstreut, dazwischen bewegten sich große Haufen Bewaffneter. Ein Teil der Nubier hatte sich zusammengetan, um den Übergang über den Bach zu erzwingen, dessen Dschungeln voll Eingeborener staken.
Ich begleitete die Angreifenden eine Strecke weit. Die A-Bangba, deren Tracht und Kriegsrüstung ganz der der Mangbattu glich, verrieten sich von weitem leicht durch die großen viereckigen Holzschilde. Sie hüpften hinter den Büschen umher, beständig in gebückter, schleichender Haltung, und schossen gelegentlich ihre Pfeile ab.
Am Waldesrand, wo sich der Eingang zum Pfad öffnete, hielten einige der Beherztesten festen Stand, sie schwangen die Lanzen und schüttelten trotzig den Federbusch. Dazu erscholl aus der Tiefe des Dickichts heiserer Schlachtruf. Von der andern Seite des Tals dröhnte der Klang der Kriegspauken herüber. Einer der A-Bangba sprang den Nubiern entgegen und hielt auf kurze Entfernung eine Anrede, die sich aus den Schimpfworten seiner Sprache zusammensetzte. Schild und Brust wurden von einer Kugel durchbohrt, und lautlos stürzte der Mann zu Boden. Als die Leute auch den zweiten aus ihrer Mitte fallen sahen, machten sie kehrt und verschwanden im Waldesdunkel. Diesen Augenblick benutzten die Nubier, um in schnellem Lauf das andere Ufer zu gewinnen, wo sie widerstandslos in die Gehöfte eindringen konnten. Dabei feuerten sie beständig in die Luft. Ich selbst nahm an diesem Scharmützel nicht den geringsten Anteil.
Gegen Sonnenuntergang war weit und breit die Gegend von Feinden gesäubert, und von allen Seiten her kehrten die Träger zurück, reich beladen mit Beute an allem möglichen Eßbaren, das die Dörfer dargeboten hatten. Zahlreiche Wachen und lodernde Feuer sorgten für die nächtliche Sicherheit und Ruhe, die nur durch vereinzelte Schüsse unterbrochen wurde. Auf unserer Seite war kein Verlust an Toten zu beklagen außer den beiden Gewehrträgern Mohammeds und einigen Trägern der Bongo, die als berufsmäßige Plünderer die verlassenen Weiler durchstöbert und sich zu weit vorgewagt hatten. Zwei Nubier hatten schwere Lanzenwürfe erhalten und mußten ins Lager zurückgetragen werden.
Unter den Eingeborenen war die Ansicht verbreitet, Mohammed sei einer tödlichen Verwundung erlegen. Um ihrem Übermut einen Dämpfer aufzusetzen, ließ sich Mohammed einen festen Verband anlegen und bestieg den nächsten Termitenhügel, von dessen Spitze seine Gestalt weithin sichtbar wurde. Wohl eine Viertelstunde lang rief er, den Säbel schwingend: »Seht, da bin ich, es fällt mir nicht ein zu sterben, kommt nur heran!« Dann stimmte er ihren kannibalischen Schlachtruf an: »Puschio, puschio« (Fleisch, Fleisch), alles in der Sprache der Niamniam, die ihm ziemlich geläufig war. Um die Feinde noch mehr von dem Wohlbefinden des Anführers zu überzeugen, wurde ein Ausfall unternommen, an dessen Spitze Mohammeds Neffe in des Onkels vollem Staat weit nach Norden drang, ohne irgendwo handgemein werden zu können.
Den folgenden Tag verbrachte ich in meinem Zelt mit den Vorbereitungen, die der Krieg erheischte.
Als es zu dunkeln begann, wurden wir durch das Erscheinen großer Haufen von Eingeborenen alarmiert. Sie brachen nicht aus dem Waldesdunkel zu unsern Füßen hervor, sondern kamen von Süden. Die Hälfte unserer mit Feuerwaffen versehenen Mannschaft rückte in geschlossener Linie ins Freie und eröffnete mit vollen Salven den Kampf aus nächster Entfernung. Sofort lagen fünf Tote am Boden. Wiederum verringerten zwei schwere Verwundungen durch Lanzen die Zahl unserer Kämpfer. Unsere Träger waren vor dem Aufbruch von Munsas Residenz sämtlich mit neuen Waffen ausgerüstet worden. Hierdurch allein konnte unser kleines Korps standhalten gegen die große Übermacht, die ich auf mindestens 10000 Krieger schätzte. Das Kampffeld war mit weggeworfenen Schilden, Lanzen und Rindenzeugen bedeckt. Es ist sogar vorgekommen, daß Fliehende ihren Haarwulst als hinderlich von sich warfen. Dergleichen Beute wurde von unsern Negern im Triumph zurückgebracht, die Haarwülste hoch auf der Spitze einer Lanze schwingend, was allgemeine Heiterkeit erregte. An dem Angriff dieses Tages waren nur A-Bangba beteiligt, eigentliche Niamniam waren noch nicht erschienen. Wir erwarteten aber für den dritten Tag die Ankunft des Uando mit allen seinen Kriegern. Die Verfolger kehrten erst um Mitternacht zurück; sie hatten alle Dörfer verlassen gefunden. Die dort aufgehäuften Vorräte konnten uns einen vollen Monat hindurch Unterhalt gewähren.
In der Frühe wurde die Hälfte unserer Bewaffneten nordwärts entsandt, um den Bewegungen Uandos zuvorzukommen. Zwei Stunden nach ihrem Aufbruch sah man auf der Höhe des jenseitigen Talhanges bewaffnete Eingeborene in endlosen Reihen auf den Steppenpfaden entlangziehen, die nur im Gänsemarsch begangen werden können. An den großen viereckigen Schilden konnte man die A-Bangba erkennen. Niedrig geschätzt mußten es an 12 000 Mann sein. Alles wurde klar, als die Soldaten von ihrem Plünderzug zurückkehrten. Sie brachten die Nachricht, die versammelte Streitmacht der A-Bangba habe ihre Stellung beim Heranrücken der Unsrigen geräumt. Aus Zwiegesprächen zwischen den beiderseitigen Vorposten erfuhren wir, daß die A-Bangba bitter über Uando klagten, der sie im Stich gelassen habe, nachdem er sie selbst zum Überfall angereizt hätte. Der ungünstige Ausfall des bei Kampfbeginn befragten Hühnerorakels habe Uando veranlaßt, sich in die unzugänglichsten Wälder seines Gebiets zu flüchten.
Als der Morgen des vierten Tags anbrach, waren nirgends mehr Feinde zu erblicken. Die nubischen Söldner hatten sich durchaus nicht bewährt, weder durch Mut, noch was Ausdauer und Selbstverleugnung betraf. Die Hauptaufgabe war immer den Faruch, den schwarzen Soldaten, zugefallen; sie waren auch die bessern Schützen.
Obgleich ich Mohammed vor der Gefahr des Aufbrechens der ohne jede Eiterung geschlossenen Wundränder warnte, bestand er auf dem Entschluß, in einer Tragbahre die Wanderung durch das feindselige Land fortzusetzen. Die Heilung verzögerte sich infolgedessen um vierzehn Tage.
Mit Sonnenaufgang des fünften Tages unseres Verweilens an diesem ungastlichen Platz befand sich die ganze Karawane in vollem Aufbruch. Das Lager wurde verbrannt, und große Haufen von Korn, Sesam und Erdnüssen mußten im Stich gelassen werden. Schweren Herzens trennten sich unsere Träger von den Schätzen, da wir nun in ungebahnten Wildnissen neuen Entbehrungen entgegengingen.
Die Bäche wurden nun immer mit großer Vorsicht überschritten. Unsere Kolonnen mußten nur einmal einen Pfeilhagel über sich ergehen lassen, als der Weg am Rand eines Galeriewaldes entlangführte. Der unsichtbare Feind sah indes von jedem weitern Angriff ab, als volle Salven in die Büsche hineinkrachten. Hinter dem dritten Bach stießen wir auf Weiler. Die Bongosoldaten ließen hier ihrer Zerstörungslust freien Spielraum, indem sie alle Maisstauden umhieben. Hierzuland wird eben nicht nur geraubt und geplündert, sondern auch zerstört und verwüstet, gerade wie bei uns in Europa – Krieg bleibt Krieg.
Als man die verlassenen Hütten zu duchstöbern begann, fand sich eine Anzahl wertvoller Elefantenzähne, an denen die eingeschnittenen Eigentumsmarken verrieten, daß sie von Mohammed bereits bei Uando eingekauft, aber nachträglich vom Häuptling verschenkt worden waren. Zwei Niamniamfrauen fielen in die Hände des Vortrabs. Sie verhielten sich sehr ruhig und gleichgültig. In der Nacht aber erschollen im Walde verzweifelte Stimmen der Niamniam, die nach ihren verlorengegangenen Weibern riefen.
Unsere eigenen Niamniam, denen die Gegend nur wenig bekannt war – eigentliche Führer standen uns nicht mehr zu Gebote –, hatten uns törichterweise veranlaßt, die zuerst eingeschlagene Richtung wieder aufzugeben. Schließlich stellte sich heraus, daß wir gerade zu dem Platz gelangen mußten, wo wir zuletzt Uando angetroffen. Wir hatten uns bereits bis auf sechs Kilometer dem Wohnsitz des Häuptlings genähert. Dieser hatte zwar seine »Mbanga« verlassen, es handelte sich aber für uns hauptsächlich darum, daß Uandos Gebiet möglichst weit umgangen werde. Eine geraume Strecke wurde daher der Pfad wieder zurückverfolgt.
In einer mit Feldern und vielen Wohnstätten bedeckten Gegend gelangten wir an die Ufer des Mbruole.
Die stundenweit als Vortrab umherschwärmenden Faruch hatten bereits den halben Bezirk abgesucht und neue Beute gewonnen. Eine junge Frau war in ihre Hände gefallen, die uns Führerdienste leistete und ruhig und gelassen jede Auskunft gab.
Der Mbruole war an dieser Stelle nur ein Galeriebach von dem üblichen Aussehen. Wir überschritten ihn und nahmen von den Hütten am jenseitigen Ufer Besitz. Eines nächtlichen Überfalls gewärtig zog ich es vor, mein Zelt inmitten der Hütten zu errichten und in der Nacht eine Lampe brennen zu lassen. Infolgedessen diente das Zelt den Pfeilen, die aus dem Wald kamen, zur Zielscheibe. Es war nämlich während der Nacht längs der ganzen Kette unserer Vorposten von den Eingeborenen geplänkelt worden, was ein fortwährendes Schießen von unserer Seite nach sich zog.
Um wieder auf den richtigen Weg zu kommen, mußten wir über den Mbruole zurück und an seinem Ufer zwei Stunden westwärts marschieren, dann erst wurde der Fluß von neuem überschritten und nach Norden weitergezogen. Wir lagerten bei verlassenen Weilern der Niamniam, die in dieser Richtung die nächsten Grenznachbarn der Gebiete Mohammeds waren. Auch hier war eine Treibjagd auf die überfallenen Eingeborenen vorangegangen, bevor wir mit dem Haupttrupp anlangten.
Eine zehnstündige Strecke fast ununterbrochener Grenzwaldung trennte uns noch von der Seriba Mohammeds, die uns Sicherheit bieten sollte. Nun wurde der nächste Weg dahin eingeschlagen, und in nördlicher Richtung kamen wir an den Linduku, den Nebenfluß des Jubbo, der noch dem Nilsystem zugehört und vor den übrigen Flüssen in dieser Gegend durch seine östliche Stromrichtung ausgezeichnet ist.
Schwimmend gelangte ich über das schmale, aber wasserreiche Flüßchen, während die Träger das Gepäck auf Baumstämmen hinüberschafften, die von Ufer zu Ufer geworfen waren. Der Jubbo aber war so angeschwollen, daß er nicht mehr durchwatet werden konnte. In aller Eile mußten Grasflöße hergestellt werden.
Der allgemeine Sammelplatz der Karawane war an der Stelle, wo wir unser erstes Nachtlager vom 26. Februar nach dem Aufbruch aus Mohammeds großer Seriba Ssurrur gehabt hatten. Hier wollte Mohammed eine neue Seriba gründen, da die alten Baulichkeiten schadhaft geworden waren und diese Lage zur Verteidigung gegen die Feinde im Westen und Süden geeigneter erschien. Außer Uando hatte er nämlich auf dieser Seite noch dessen Bruder Mbio zu bekämpfen, und ein vereinigter Angriff beider hätte Mohammeds Besitzungen in nicht geringe Gefahr bringen können. Ihr vorzubeugen sollte zunächst ein Kriegszug gegen Mbio unternommen werden. Bis zur Beendigung dieser Unternehmung hatte ich die Aufgabe, mit den kampfunfähigen Soldaten Mohammeds und den wenigen Getreuen seines Haushalts den Platz in halten.
Nach den Anstrengungen der Wanderung gönnte ich mir vom 1. Mai 1870 an einige Wochen gemächlichen Lagerlebens. Der Platz, auf dem wir, umwogt von einer Fülle großlaubiger Gewächse, in unsern versteckten Grasnestern saßen, hatte etwas Zutrauliches und Wohnliches. Die Luft war mild, und man atmete den würzigen Hauch der Blätter wie nach erquickendem Gewitterregen. Der Wiederbeginn des Regens hatte neues Leben ersprießen lassen. Nach Herzenslust schlenderte ich durch die Gebüsche und bereicherte meine Sammlungen. Mohammed war inzwischen mit dem Bau seines Pfahlwerks beschäftigt, zu dem Hunderte von Eingeborenen die Baumstämme zusammenschleppen mußten: Die neue Seriba, ein Palisadenviereck von hundert Schritt im Geviert, konnte bereits am fünften Tag von den kriegsmüden und verwundeten Soldaten bezogen werden. Die alte Seriba war inzwischen geräumt worden, und als Mohammed aufbrach, zog ich es vor, an diesem ruhigen Platz mein Standquartier aufzuschlagen.
Ein arger Störenfried in diesem Idyll war der Hunger; die Vorräte waren erschöpft. Vor zwanzig Tagen durfte ich auf die Rückkehr Mohammeds nicht rechnen, und da die zurückgelassenen Lebensmittel äußerst knapp bemessen waren, mußte eine genaue Einteilung vorgenommen werden. Meine täglichen Rationen bestanden in einem kümmerlichen Huhn und einem Fladen von bitterm Eleusinebrot. Für die Jagd schien die Jahreszeit sehr ungünstig, außerdem waren wir der Gefahr eines feindlichen Handstreichs ausgesetzt. Es hieß, beständig auf der Hut sein.
Ein Rätsel ist es mir geblieben, womit die Bongo, unsere Träger, während dieser Zeit ihr Leben gefristet haben. Jedenfalls besaßen sie eine große Gewandtheit, sich aus dem Wald allerhand Eßbares zu verschaffen. Auch ich griff zu manchem Mittel, das mir die Wildnis darbot, um meine Küchenvorräte zu ergänzen. Auf dem Freiplatz der alten Seriba erhob sich ein großer alter Termitenbau; dieser wurde in jeder Nacht, die auf einen starken Regen folgte, zu einer unerschöpflichen Fundgrube für die allgemeine Küche. Es wimmelte immer von vielen Tausenden ausgeschlüpfter Termiten, die man mit geringer Mühe scheffelweise auflesen konnte. Sie gehörten der fettleibigen geflügelten Klasse der männlichen Tiere an. Sobald sie aus dem Bau gekommen sind, sammeln sie sich nach kurzem Schwärmen in dichten Haufen um den Fuß den Hügels und brechen sich die Flügel ab, die nur ein wenig nach vorn gerichtet zu werden brauchen, um sofort abzugliedern und den unbeholfenen Leib auf der Erde zurückzulassen. Mit brennenden Strohbündeln bringt man die noch nahe am Bau Umherschwärmenden leicht zum Fall; es regnet dann förmlich Termiten, so daß in kurzer Zeit große Körbe gefüllt werden können. Ich habe sie nicht selten, mit rohem Korn gemischt, handvollweise verspeist, als wären es Mandeln.