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Am 18. August 1868 verließ ich Suez. Die Berliner Akademie der Wissenschaften hatte mir auf fünf Jahre die verfügbaren Mittel der Humboldt-Stiftung bewilligt und mir die Möglichkeit einer reichen Ausrüstung verschafft. Ein ägyptischer Dampfer brachte mich nach Dschidda, eine gemietete Barke nach Suakin an der Westküste des Roten Meers. Am 10. September begann der Kamelritt über das Küstengebirge. Er führte in 27 Tagen nach Berber am Nil.
Von da ging es in einer Barke nilaufwärts nach dem eigentlichen Ausgangspunkt der Reise, nach Chartum an der Vereinigung des Weißen und Blauen Nil, dem Sitz der Zentralverwaltung des ägyptischen Sudan. Am 1. November traf ich dort ein. Die Stadt sollte später durch den Untergang Gordon Paschas und als Mittelpunkt des siegreichen Mahdistenaufstands eine traurige Weltberühmtheit erlangen. Von dreizehnjähriger Barbarenherrschaft wurde sie erst 1898 durch den englisch – ägypischen Feldzug Lord Kitcheners befreit. Gestützt auf Erfahrungen und Erkundigungen, die ich bei meinem frühern Aufenthalt in Chartum gesammelt hatte, hatte ich den Plan zur wissenschaftlichen Bereisung der westlichen Quellgebiete des Nil entworfen.
Bald hatte ich erkannt, daß die ägyptische Regierung in den heidnischen Negerländern keinerlei Einfluß und Macht auszuüben vermochte, obgleich Chartumer Kaufleute dort die ausgedehntesten Besitzungen gegründet hatten, und daß ohne engen Anschluß an diese Kaufleute die Zwecke eines wissenschaftlichen Reisenden nicht gefördert werden konnten. Mein Entschluß stand daher fest, mich von den Chartumer Kaufleuten ganz ins Schlepptau nehmen zu lassen. Daß übrigens die Elfenbeinhändler aus freien Stücken sich nie dazu entschließen würden, meinem Ansinnen zu entsprechen, darüber durfte ich mich keiner Täuschungen hingeben. Ich kannte aber ihre abhängige Lage als Untertanen des Vizekönigs von Ägypten. Waren sie auch in den Negerländern unumschränkte Machthaber, so blieben sie doch auf Gnade und Ungnade den Maßnahmen einer absoluten Regierung ergeben, weil sie mit ihrem Kapital an die Hauptstadt des ägyptischen Sudan gebunden waren, und so bot sich mir ein Hebel, ihren Widerstand zu brechen.
Auf Grund dieser Erwägungen konnte ich, aufs nachdrücklichste unterstützt von dem allmächtigen Generalgouverneur Djafer-Pascha, einen sehr günstigen Vertrag mit dem Elfenbeinhändler Ghattas, einem koptischen Christen, abschließen. Unter den Chartumer Großkaufleuten war Ghattas der einzige Nichtmohammedaner; die andern wollte man nicht der Möglichkeit preisgeben, vom »Franken« – damit meinte man mich – als Räuber und Sklavenjäger verlästert zu werden. Darum war die Wahl Djafers auf den unglücklichen Ghattas gefallen. Als der Reichste von allen mußte dieser mit seinem Vermögen haften für alles Unheil, das mir im Innern widerfahren konnte. Dieselben Verpflichtungen zum Schutz legte der Generalgouverneur auch jedem der andern Chartumer Großhändler auf, die Besitzungen im Gebiet des Bahr-el-Ghasal hatten. Noch nie hatte die ägyptische Regierung mittelbar so viel für einen wissenschaftlichen Reisenden getan wie für mich.
Den Neujahrstag 1869 verbrachte ich noch in Chartum, erst am 5. Januar segelte ich auf einer mit 23 Bootsleuten und Söldnern bemannten Barke des Ghattas nilaufwärts nach Süden. Meine eigene Begleitung bestand aus sechs Nubiern, die alle bereits bei Europäern gedient hatten und mir nie Anlaß zu ernstlichen Klagen gegeben haben, zwei Sklavinnen, die das Mehl für die ganze Schiffsmannschaft zu mahlen hatten, und aus einer Respektsperson, in Gestalt meines großen europäischen Schäferhundes Arslan, der überall, wohin er kam, ängstliches Erstaunen wachrief.
Die vom Wind begünstigte Bergfahrt der Segelbarke führte meist durch einförmige Landschaft. Die flachen Ufer sind bewohnt und bebaut, zahlreiche Nilpferde und ungeheure Vogelschwärme beleben den majestätischen Strom, in dem weiter aufwärts Hunderte von Inseln liegen, die von Schilluknegern bewohnt werden.
Der 14. Januar brachte den ersten Unglückstag, den ich selbst heraufbeschworen hatte. In der Frühe war zu uns eine andere Barke gestoßen, die Leute wollten zusammen sich vergnügen und haltmachen. Wir waren aber an einer für mich sehr langweiligen Stelle, und so zwang ich sie weiterzufahren, um an einer unbewohnten kleinen Insel ans Land steigen zu können. Der Ausflug, den ich in Begleitung von zweien meiner Leute antrat, sollte verhängnisvoll werden, wenigstens für einen der beiden. Mohammed Amin, so hieß dieser, wurde an meiner Seite von einem wilden Büffel überrannt, dem ich nicht das geringste Leid zuzufügen beabsichtigte, dem aber der Unglückliche im hohen Gras gar zu nahe gekommen war. Der Büffel hielt jedenfalls sein Mittagsschläfchen und geriet durch die Störung in die äußerste Wut. Aufspringen und den Störenfried in die Lüfte wirbeln, war für ihn das Werk eines Augenblicks. Da lag er nun da, mein treuer Begleiter, über und über blutend, vor ihm mit hocherhobenem Schweif der Büffel, grunzend, in drohender Haltung, bereit, sein Opfer zu zerstampfen. Zum Glück war seine Aufmerksamkeit durch die beiden andern Männer gefesselt, die wir sprachlos vor Entsetzen dastanden. Ich hatte kein Gewehr in der Hand, mein schöner Hinterlader hing vorläufig noch am linken Horn des Büffels, Mohammed hatte ihn getragen. Mein anderer Begleiter, Soliman, der die Kugelbüchse trug, hatte gleich angelegt, aber der Hahn knackte vergebens. Mal auf mal versagte das Gewehr. Die Zeit erlaubte mir nicht, Soliman zuzurufen: »Die Sicherung ist noch vor«; es galt den Augenblick. Da griff er nach einem kleinen Handbeil, das ganz aus einem Stück Eisen bestand, und schleuderte es unverzagt dem Büffel an den Kopf auf eine Entfernung von kaum zwanzig Schritt; so wurde die Beute dem Feinde entrissen. Mit einem wilden Satz warf sich der Büffel seitwärts ins Röhricht, unter gewaltigem Rauschen der Halme dahinsausend mit der Wucht eines entgleisenden Dampfrosses, brüllend und den Boden erschütternd. Nach rechts und nach links sah man ihn unter Grunzen und Brüllen die gewaltigsten Sätze machen.
Da wir in seinem Gefolge eine ganze Herde vermuten mußten, griffen wir zunächst nach den Gewehren, um einem nahen Baume zuzueilen. Doch es wurde alles still, und unsere nächste Sorge wandte sich jetzt dem Unglücklichen zu. Mohammeds Kopf lag wie angenagelt am Boden, da seine Ohren von scharfen Schilfhalmen durchbohrt waren, aber eine flüchtige Untersuchung überzeugte uns sofort davon, daß die Verletzung nicht tödlich sein konnte. Das Büffelhorn hatte gerade den Mund getroffen und außer vier Zähnen im Oberkiefer und einigen Knochensplittern hatte er keine weiteren Verluste zu beklagen. Ich ließ Soliman an der Stelle, um Mohammed zu waschen, und eilte allein zur entfernten Barke, um ihn abholen zu lassen. In drei Wochen war er wieder hergestellt und als Entschädigung für jeden der vier Zähne erhielt er ein Backschisch von zehn Mariatheresientalern. Diese Freigebigkeit belebte wunderbar die Unternehmungslust meiner Begleiter, sie war aber auch vonnöten, um die Leute für die Zukunft stets bei gutem Humor zu erhalten. Der Retter Soliman fiel bald darauf bei einer der üblichen Schießereien der Nubier seiner eigenen Unbesonnenheit zum Opfer.
Bei dem ehemaligen Hauptquartier des berühmten Räuberhauptmanns Mohammed Cher stießen wir auf die ersten Spuren des ruchlosen Sklavenhandels. Mengen menschlicher Gebeine von den durch Seuchen hinweggerafften Sklaven fanden sich überall über die Steppe verstreut, infolge des Steppenbrandes in halbverkohltem Zustand.
Die Zahl der geschlachteten und verschmausten Rinder muß, nach den vorhandenen Knochenmassen zu urteilen, ganz gewaltig gewesen sein; sie bestanden meist aus der Beute, die Mohammed den Schilluk abgenommen hatte. Dieser Räuberhauptmann durfte es sogar wagen, den Befehlen des Generalgouverneurs Trotz zu bieten, und er war es hauptsächlich, der die Chartumer lehrte, mit Hilfe befestigter Plätze, förmlicher Zwingburgen, die Eingeborenen in Schrecken zu halten. Infolge seiner Räubereien war das ganze östliche Nilufer in eine ununterbrochene Waldeinöde verwandelt. Die Dinkaneger oder Djangeh, die dort einst zahlreiche Dörfer bewohnten, hatten sich ins Innere zurückgezogen.
Bei einer Krümmung des Nil, unterhalb Faschoda, hatte ich schon wieder ein bösartiges Abenteuer. Da die Windrichtung hier das Segeln unmöglich machte, mußte die Barke von der Mannschaft gezogen werden. Als nun das Seil durch die Grasmasse des Ufers streifte, kam uns ein wilder Bienenschwarm in den Weg, der sich gleich einer großen Wolke über die Ziehenden entlud. Jeder stürzte sich kopfüber in den Fluß und suchte die Barke wieder zu gewinnen. Aber der Bienenschwarm folgte auf den Fluß nach und erfüllte in wenigen Augenblicken alle Räume des mit Menschen vollgepfropften Fahrzeugs.
Ich arbeitete gerade an meinen Pflanzen in der Kabine, als ich ein Rennen und Springen vernahm, das ich anfangs für Ausgelassenheit der Leute hielt. Da stürzt einer ganz verwirrt mit dem Ruf herein: »Bienen, Bienen!« Plötzlich fühle ich mich im Gesicht und an den Händen von den empfindlichsten Stichen getroffen und höre mich bereits von Tausenden von Bienen umsummt; vergeblich suche ich das Gesicht mit meinem Handtuch zu schützen. Wütend schlage ich um mich, aber um so größer wird die Hartnäckigkeit der Insekten. Ich fühle einen wahnsinnigen Schmerz im Auge, und Stich auf Stich fällt mir in das Haar. Die Hunde unter meinem Bett springen wie toll auf und werfen eine Menge Sachen um, ich selbst stürze mich voller Verzweiflung in den Fluß, ich tauche unter: alles vergebens, immer wieder regnet es Stiche auf meinen Kopf. Im Ufersumpf schleppe ich mich durch das Schilfgras, das mir die Hände zerschneidet, und suche das Festland zu gewinnen, um im Wald Schutz zu finden. Da packen mich vier kräftige Arme und schleppen mich gewaltsam zurück, so daß ich im Schlamm zu ersticken glaube. Ich muß wieder an Bord, an Flucht ist nicht zu denken.
Durch die kühlende Nässe war ich soweit wieder zu mir gekommen, daß ich ein Bettuch aus dem Kasten zu zerren vermochte. Endlich fand ich Schutz, nachdem ich die in das Laken eingeschlossenen Bienen nach und nach zerquetscht hatte. Krampfhaft zusammengekauert, mußte ich drei volle Stunden verharren, während das Summen um mich herum ununterbrochen anhielt und einzelne Stiche noch durch das Laken hindurchdrangen. Lautlose Stille herrschte an Bord, da alle Insassen meinem Beispiel gefolgt waren. Einige Beherzte hatten sich zuletzt ans Ufer geschlichen und setzten das dürre Schilfgras in Brand. Schließlich gelang es, mit Hilfe des Rauchs die Bienen von der Barke zu verscheuchen, diese flott zu machen und dem jenseitigen Ufer zuzutreiben.
Nun erst konnte man sich den Schaden besehen. Mit Hilfe eines Spiegels und einer Federzange zog ich mir alle Stacheln aus Gesicht und Händen. Diese Stiche blieben auch ohne schädliche Folgen. Unmöglich war es aber, in meiner Kopfhaut die Stacheln ausfindig zu machen; viele waren abgebrochen und erzeugten ebenso viele kleine Geschwüre, die zwei Tage lang empfindlich schmerzten. Ein Unfall wie der unsrige ist auf den Gewässern des Weißen Nil selten erlebt worden. Das Merkwürdigste war, daß alle sechzehn in unserm Kielwasser steuernden Barken an diesem Tage an der gleichen Stelle sich der gleichen Plage ausgesetzt sahen. Am Abend wünschte ich mir lieber zehn Büffel und noch zwei Löwen dazu, als je wieder mit Bienen zu tun zu haben, und die ganze Schiffsgesellschaft stimmte mir lebhaft zu. Ich nahm Chinin und erwachte am Morgen neu gestärkt und munter, während mehrere der arg zugerichteten Leute ein heftiges Fieber hatten. Unter den Mannschaften der uns folgenden Barke hatte es infolge der Verletzungen nachträglich sogar zwei Todesfälle gegeben.